Blinkfuer

Linkes Blog aus Ostfriesland

Ostermarsch 2010: Wittmund

Freundinnen des friedlichen Weges
wir brauchen Euch alle!

Am Ostersonntag, den 04. April 2010 sammeln wir uns um 10:30 vor der  Kaserne des Richthofen Jagdgeschwaders um gegen Kriegsbeteiligung und gegen Verharmlosung rechter Gewalt im Allgemeinen und den Namen  Richthofen im Besonderen zu demonstrieren.
Der große Militärstratege der Familie war Wolfram v. Richthofen, ein Massenmörder im Dienste der Faschisten. *Der Name Richthofen darf nicht der eines Geschwaders der Bundeswehr der Republik Deutschland sein.*
Richthofen war Stabschef der Legion Condor.
Er befehligte den durch Pablo Picassos Gemälde in Erinnerung gehaltenen Luftangriffs auf Gernika am 26. April 1937. Dieser Angriff,  bei der die religiöse Hauptstadt des Baskenlandes fast vollständig  zerstört und hunderte Zivilisten getötet wurden, war das erste völkerrechtwidrige Flächenbombardement, die deutsche Diplomatie bestritt lange diese Schuld. Erst 1997 entschuldigte sich Bundespräsident Roman Herzog offiziell. Kundus in Afghanistan war das vorerst letzte von Deutschen befehligte völkerrechtwidrige Flächenbombardement der  Kriegsgeschichte. Wir fordern die Befehlshaber im weitesten Kreis auf,  entschuldigen Sie Sich bei dem afghanischen Volk und beginnen Sie den
geordneten Rückzug. Ersparen Sie unseren Kindern diese Schmach.

21. März 2010 Posted by | Afghanistan, AFPAK, Antimilitarismus, Deutschland, Krieg, Landkreis Leer, Niedersachsen, Ostfriesland | , , , | Hinterlasse einen Kommentar

Heinrich Hannover: Nie wieder Krieg?

Wer schon zu den Zeitgenossen des Jahres 1945 gehörte, wird sich erinnern, dass damals der Spruch „Nie wieder Krieg! Nie wieder Faschismus!“ in aller Munde war. Auch ich gehörte zu denen, die von beidem, vom Krieg wie vom Faschismus, die Nase gründlich voll hatten. Mit siebzehn Soldat in Hitlers Wehrmacht geworden, kehrte ich im Mai 1945 als Neunzehnjähriger in höchst armseligem Zustand zurück. In zerlumpter Uniform, mit einem russischen Granatsplitter im Rücken, einer russischen Gefangenschaft knapp entkommen, nach zwei Wochen im amerikanischen Kriegsgefangenenlager in Eger, in dem man nur durch nächtliche Lebensmitteldiebstähle überleben konnte, war ich zusammen mit 50 weiteren deutschen Kriegsgefangenen nach zwölfstündiger Fahrt – auf einem offenen amerikanischen
Lastkraftwagen stehend – nachts in Kassel abgeladen worden. Im Kopf noch die überstandenen Todesängste der Fronteinsätze, die Erinnerung an gefallene Kameraden, die in ihrem kurzen Leben nie ein Gedicht von Heine
gelesen, nie eine Symphonie von Mendelssohn gehört und nie mit einer Frau geschlafen haben. Und die Sorge um das unbekannte Schicksal von Angehörigen in der Sowjetischen Besatzungszone, zu denen es weder Post- noch Telefonverbindung gab. Und im Bauch ganz animalischer Hunger. Erste Eindrücke von einer durch Bombenangriffe zerstörten Stadt. ErsteBegegnungen mit Menschen, die ebenso wie ich den Krieg mit viel Glück überlebt hatten und froh waren, dass die Hitlerei vorbei war. Erste Informationen über entsetzliche, zunächst kaum zu glaubende Verbrechen.
Ich gehörte zu denen, die sich von Wolfgang Borcherts Drama „Draußen vor der Tür“ und seinem Antikriegsmanifest „Dann gibt es nur eins! Sagt Nein!“ angesprochen fühlten. Da tat sich eine andere Welt auf, in der es auch viel Not gab, aber die frei war von den menschenfeindlichen Zwängen des Militärs und seiner Tötungsmaschinerie. Unvorstellbar, dass eine Generation, die den Krieg erlebt und überlebt hatte, bereit sein könnte, Politikern die Macht zu übertragen, sie in neue Kriege zu führen. Aber offenbar hatten längst nicht alle Überlebenden des Zweiten Weltkriegs sich so radikal
und nachhaltig von dem bis 1945 herrschenden Zeitgeist verabschiedet, wie es den damals 19-jährigen möglich war. Als die Westdeutschen ihren ersten Bundestag wählen durften, votierte die Mehrheit für einen Kanzler, der schon bald dafür sorgte, dass wir für den nächsten Krieg gerüstet waren. Und alle, die sich weigerten, die Ausbildung zum Töten mitzumachen, wurden in den zur Prüfung ihrer Gewissensgründe berufenen Gremien mit dem primitiven Denken der Militärfreunde konfrontiert, die nichts aus den Erfahrungen des Zweiten Weltkrieges gelernt hatten.

Oft genug habe ich erlebt, wie das Bekenntnis zum Pazifismus von Leuten belächelt wurde, die den jungen Kriegsdienstverweigerern allen Ernstes entgegenhielten, dass sie doch sicher von der Waffe Gebrauch machen
würden, wenn sie beim Spaziergang im Bürgerpark überfallen würden oderwenn es gelte, die Freundin zu schützen. Als wir jungen Soldaten auf andere junge Soldaten geschossen und über einen brennenden russischen Panzer gejubelt haben, in dem Menschen lebendigen Leibes verbrannten, waren wir keine Spaziergänger im Park und haben keine Freundin beschützt, sondern waren von der Kriegspropaganda der Nazis benebelte, schießgeile Krieger, die erst viel später angefangen haben, darüber nachzudenken, was sie da getan hatten. Und ich bin einer von denen, die nachdenklich geblieben sind, wenn wieder Parolen von Verteidigung der Freiheit und anderen hehren Rechtsgütern verkündet werden, für die man in anderen Ländern Menschen töten und Häuser, Fabriken, Brücken, Fernsehsender
und Tanklastwagen zerstören müsse.

Aus der Schule habe ich noch die kriegerischen Verse im Ohr, die Altmeister Goethe in seinem „Faust“ einen biederen Bürger sprechen lässt:

„Nichts Bessers weiß ich mir an Sonn- und Feiertagen
Als ein Gespräch von Krieg und Kriegsgeschrei,
Wenn hinten, weit, in der Türkei,
Die Völker aufeinander schlagen.“

Die Zeiten sind vorbei, in denen Krieg etwas war, was in fernen Ländern stattfand. Wer die Erfahrungen des Zweiten Weltkriegs nicht vergessen hat, weiß, dass der Krieg, den man fern der Heimat anzettelt, ins eigene Land
zurückkommen kann. Als der Angriffskrieg im Osten begann, hatte die übergroße Mehrheit der Deutschen noch Hitlers Ankündigung verinnerlicht, dass es die Aufgabe ihrer Generation sei – ich zitiere aus „Mein Kampf“ –, „dem deutschen Volk den ihm gebührenden Grund und Boden auf dieser Erde zu sichern“. Und dass dieser Grund und Boden in Russland und dessen Randstaaten zu holen sei, konnte man auch schon in diesem von Hass und Größenwahn diktierten Buch lesen. Aber Hitler war nicht allein, als seine verbrecherischen Pläne in die Tat umgesetzt wurden. Der zur Vergrößerung des deutschen Staatsgebiets begonnene Angriffskrieg, der Deutschland letztlich nicht größer, sondern kleiner gemacht hat, wäre nicht ohne Generäle möglich gewesen, deren Weisheit nicht ausreichte, das Ende vorauszusehen. Selbst wir Landser machten Witze über den von Hitler zum Reichsmarschall beförderten Oberbefehlshaber der Luftwaffe, Hermann Göring, der Meier heißen wollte, wenn feindliche Flugzeuge es schaffen würden, deutsche Städte zu bombardieren. Aber die große Mehrheit der von den Naziparolen verführten Mitläufergeneration war überrascht und empört, als der in ferne Länder getragene Krieg wirklich zurückkam und auch über deutsche Familien viel Leid
brachte und mit zerbombten Städten und dem Verlust deutschen Landes endete. Die Menschen hatten blindlings auf das Verantwortungsbewusstsein und den militärischen Sachverstand von Leuten vertraut, die Politik und Soldatenhandwerk beruflich ausüben. Und sie hatten unter ständiger Berieselung mit der Freund-Feind-Propaganda der Nazis schnell vergessen, dass der als Terror bezeichneten Bombardierung deutscher Städte die Zerstörung von Warschau, Rotterdam und Coventry vorangegangen war. Auch was deutschen Menschen widerfuhr, als die Rote Armee ins deutscheReichsgebiet vorrückte, wurde als Terror ohne Vorgeschichte angeklagt und erlebt.

Ich hebe noch einen Tagesbefehl des Kommandierenden Generals unseres Panzerkorps vom 20. April 1945, dem letzten Geburtstag des so genannten Führers, auf, einen Schreibmaschinendurchschlag auf hauchdünnem
Papier, allen Soldaten des Bataillons bekanntzugeben: „Morgen tretet Ihr erneut zum Angriff gegen den Bolschewisten an, der, wenn auch unter sehr hohen Verlusten, wieder in unsere deutsche Heimat einbrechen konnte… Von jedem Einzelnen von Euch hängt es ab, ob die vormarschierenden Feindhorden zum Stehen gebracht werden. In Eurer Hand liegt das Schicksal von Millionen deutscher Frauen und Kinder.“ So sieht der argumentative Teufelskreis der Militärfreunde aus. Was da fehlt, ist nur die Erkenntnis, dass sie die Situation, in der sie den Terror der anderen beklagen, selbst herbeigeführt haben. Und dann appellieren sie an die Bereitschaft junger Menschen, ihr Leben für einen Krieg einzusetzen, der nicht zu gewinnen ist und der nie hätte begonnen werden dürfen. Hauptsache, die Rechnung derer stimmt, für die Kriege ein profitables Geschäft sind.

Es hat auch in Deutschland Menschen gegeben, die schon vor 1933 gewarnt haben: „Wer Hitler wählt, wählt den Krieg.“ Einen von ihnen, den auch bei politischen Gegnern hochgeachteten kommunistischen Bürgerschaftsabgeordneten
Willi Meyer-Buer, habe ich 1963 vor dem Landgericht Bremen verteidigen müssen gegen die von einem ehemaligen Nazistaatsanwalt unterschriebene Anklage, er habe gegen das KPD-Verbot verstoßen, indem er sich öffentlich dazu bekannt hatte, Kommunist geblieben zu sein. Meyer-Buer war einer der relativ wenigen Kommunisten, die das große
Morden des NS-Staates überlebt hatten. Er hatte als Widerstandskämpfer gegen die Hitler-Bande jahrelange KZ- und Zuchthaushaft erlitten und nach dem Krieg beim Wiederaufbau demokratischer Staatlichkeit allgemein anerkannte Arbeit geleistet. Aber nach der erneuten Machtübernahme des alten Personals in Staatsgewalt und Wirtschaft gehörten er und seine Genossen zu den ersten Opfern der von alten Nazis dominierten politischen Justiz der Adenauer-Ära. Denn er und seine Genossen waren wieder die engagiertesten Sprecher der unerwünschten Minderheit, die gegen die
Remilitarisierung opponierten und die Verwicklung in neue Kriege voraussagten. Kommunisten wurden wieder zu Kriminellen gestempelt. Und im öffentlichen Bewusstsein wurde die Erinnerung getilgt, dass es Kommunisten
waren, die im Widerstand gegen die Nazis und deren Kriegsvorbereitung die größten Opfer gebracht haben.
Eine Rehabilitierung der westdeutschen Justizopfer des kalten Krieges ist nie erfolgt, obwohl wir zwischenzeitlich einen der SPD angehörenden Bundeskanzler hatten, der aus eigener Anwaltserfahrung wusste oder wissen konnte, dass nicht nur in der DDR, sondern auch in der Bundesrepublik Justizunrecht verübt worden ist. Ich habe Herrn Schröder vergeblich daranerinnert. Auch die Rehabilitierung der von der Nazi-Justiz verurteilten Deserteure, die den Mut gehabt hatten, sich Hitlers Krieg zu verweigern, hat Jahrzehnte auf sich warten lassen und ist für die meisten zu spät gekommen. Einer von ihnen ist der damals zum Tode verurteilte Ludwig Baumann,der nicht müde geworden ist, gegen dieses gesetzliche Unrecht zukämpfen.

Auch in unserer Zeit geben die Kriegsanstifter den Ton an und beherrschen über ihre Medien die hohlen Köpfe ihrer Mitläufer. Nach der Implosion des Sowjetimperiums haben sie flink ein neues Feindbild erfunden, den Terrorismus – natürlich den in aller Welt fluktuierenden Terrorismus, nicht etwa den eigenen. Wer überrascht war, dass am 11.September 2001 zwei Türme in Manhattan, die wirtschaftliche Weltmacht symbolisierten, zum Objekt
eines Terroranschlags wurden, musste vergessen haben, dass diesem Anschlag unzählige amerikanische Angriffskriege und Attentate vorangegangen waren, mit denen bestimmte Teile der Weltbevölkerung seit Jahrzehnten provoziert worden sind und weiterhin provoziert werden. Selbstverständlich immer im Zeichen von Freiheit und Demokratie. Wer Informationsbedarf hat, findet bei Google 22.800 Ergebnisse zu „amerikanischerStaatsterrorismus“, 37.700 zu „amerikanische Angriffskriege“ und 13.700.000 zu „USA terror list“.

Und wieder sind deutsche Soldaten in einen Krieg fern der Heimat involviert und ziehen die Gefahr auf ihr Land, dass der Krieg auch vor unserer Haustür stattfinden könnte. Es sind wohl noch nicht genug Särge zurückgekommen,
um die Frage, wofür unsere Soldaten dort töten und sterben müssen, in einen neuen Massenkonsens „Nie wieder Krieg!“ zu verwandeln. Schon nachdem die USA Anfang der 1990er Jahre unter Präsident Bush sen. den ersten Angriffskrieg gegen den Irak geführt hatten, zeichnete sichin meinen Augen ab und ich schrieb es in meinen Memoiren („Die Republik
vor Gericht 1954 – 1995. Erinnerungen eines unbequemen Rechtsanwalts“): „Vielleicht war es eine der letzten Möglichkeiten, einen solchen Hinrichtungskrieg gegen einen hoffnungslos unterlegenen Gegner ohne die geringste Gefährdung der eigenen Bevölkerung zu führen. Wie lange wirdes noch möglich sein, die weitere Verbreitung der Atomwaffen zu verhindern? Und auch die neue Kampfform kleiner Völker, sich gegen die Übermacht des Stärkeren durch Geiselnahmen und Terrorkommandos im Hinterland des Feindes zu wehren, scheint an Boden zu gewinnen. Spätestens dann, wenn deutsche Banken von Selbstmordkommandos gesprengt werden, wird man wohl auch bei uns begreifen, dass die Einmischung in Kriege, die irgendwo in der Welt vom Zaun gebrochen werden, nicht ohne Ge-
fährdung des eigenen Wohlstands abgehen muss.“ Als ich das schrieb, standen die Twin Towers noch. Was ich nicht vorausgesehen habe, war, dass es amerikanische und nicht deutsche Machtsymbole treffen würde; aber das kann ja noch kommen. Auch am Hindukush kann man die Freiheit nicht straflos verteidigen.

Welche enorme Veränderung des kollektiven Bewusstseins seit 1945 stattgefunden hat, kann wohl nur empfinden, wer das Damals erlebt hat. Längst ist die militärische Dressur zum Töten und die Austreibung des Gewissens wieder als Staatsbürgerpflicht akzeptiert. Längst ist vergessen, dass in Artikel 26 des Grundgesetzes Handlungen, die geeignet sind, die Führung eines Angriffskrieges vorzubereiten, als verfassungswidrig zu bestrafen sind. Um nicht Leute wie Gerhard Schröder und Joseph Fischer wegen des Angriffskriegs gegen Jugoslawien anklagen zu müssen, flüchtete
die amtierende Generalbundesanwältin zu der rabulistischen Gesetzesinterpretation, es sei ja nur die Vorbereitung, nicht aber die Führung eines Angriffskrieges verboten. Und sie amtiert tatsächlich noch immer. Einer der letzten Schritte auf diesem Entwicklungsweg war die Änderung des Sprachgebrauchs unserer Verteidigungsminister. Während der vorletzte sich noch scheute, vom Krieg in Afghanistan zu sprechen, erntet der neue Lob für sein Bekenntnis, dass wir uns bereits im Krieg befinden. Wie gut, wird mancher brave Bürger denken, dass wir diesmal nicht zu befürchten
haben, dass deutsche Städte bombardiert und deutsches Land besetzt wird, weil der Krieg fern in Afghanistan stattfindet. Aber wie erstaunt und empört würde mancher die verschlafenen Augen öffnen, wenn der leichtfertig
provozierte Gegenterror uns in Form von Anschlägen nach dem Muster der Nine-eleven-Attacke im eigenen Land heimsuchen sollte. Freilich höre ich für diesen Fall schon den Chor der Militärfreunde, dass die Terroranschläge aus heiterem Himmel gekommen seien und bewiesen, wie nötig es sei, den Terrorismus in aller Welt mit Waffengewalt zu bekämpfen. Und sie könnten sicher mit Volksvertretern rechnen, die noch mehr Volksvermögen für die Finanzierung von Kriegen bewilligen und noch mehr Soldaten in ferne Länder schicken würden. Der Teufelskreis des militärischen Gewaltdenkens beherrscht wieder das kollektive Bewusstsein, und die Konzerne verdienenan Rüstung, Zerstörung und Wiederaufbau Milliarden.

Aber wie lange noch?

In Kriegen wird regelmäßig das Recht des Stärkeren praktiziert. So hinterließen die Bomben auf Jugoslawien ein zerstörtes Land, ohne dass den Angreifern auch nur ein Haar gekrümmt wurde. Aber wo sich die Aggressoren auf den Bodenkampf einließen, siegten doch mitunter die waffentechnisch weit unterlegenen Völker. Dass auch der Krieg in Afghanistan nicht zu gewinnen ist, wissen außer den verantwortlichen Politikern und ihren Mitläufern wohl alle unabhängig denkenden Menschen. Und verlorene Kriege haben ihr Gutes. Sie lassen die Menschen über die Ursachen von Kriegen nachdenken. Nach den beiden verlorenen Weltkriegen des vorigen Jahrhunderts hat es lichte Momente des öffentlichen Bewusstseins gegeben, in denen selbst gemäßigt konservative Kreise die Zusammenhänge
zwischen dem kapitalistischen Herrschaftssystem und der Entstehung von Kriegen erkannt und ausgesprochen haben.

Nach dem Ersten Weltkrieg ist die Chance, dieses Herrschaftssystem durch eine freiheitliche sozialistische
Gesellschaftsordnung abzulösen, wie sie Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht vorschwebte, nur um ein Haar versäumt worden, wie man in Sebastian Haffners Buch über die verratene Revolution von 1918/19 lesen kann. Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht, diese charismatischen Friedenskämpfer der deutschen Arbeiterbewegung, die am 15. Januar 1919
von reaktionären Reichwehroffizieren im Einvernehmen mit der damaligen SPD-Führung ermordet wurden, hätten mit Sicherheit einem anderen Sozialismus als dem von Stalin und seinen Anbetern realisierten den Weg bereitet.

Und nach dem Zweiten Weltkrieg reichte die Kritik am kapitalistischen Wirtschaftssystem bekanntlich bis ins Ahlener Parteiprogramm der CDU, wo eine soziale und wirtschaftliche Neuordnung gefordert wurde, deren Inhalt und Ziel nicht mehr „das kapitalistische Gewinn- und Machtstreben“sein könne. Doch diese Entwicklung wurde schon in ihren Anfängen erstickt, als der kalte Krieg die antikommunistische Feldzugsbereitschaft der Nazizeit wieder auferstehen ließ und deren Exponenten wieder in Machtpositionenin Staat und Wirtschaft katapultierte.

Ein weiterer verlorener Krieg gab dem Widerstand gegen das kapitalistische System erneut Auftrieb, als unter dem Eindruck der Kriegsverbrechen und der Niederlage der amerikanischen Interventionstruppen in Vietnam die sozialrevolutionäre Bewegung der 1960er Jahre entstand. Vielleicht könnte das Desaster, mit dem die Kriege im Irak und in Afghanistan aller Voraussicht nach enden werden, selbst dann, wenn uns der Gegenterror vor der eigenen Haustür erspart bleiben sollte, auch in unserem Land zum erneuten Nachdenken über die Kriegsträchtigkeit des kapitalistischen Systems und zum Widerstand gegen die herrschende Militärdoktrin führen.

Unsere Aufgabe ist es, den Widerspruch gegen den herrschenden Zeitgeist und das Nachdenken über die Ursachen von Kriegen und deren Abschaffung wachzuhalten.

Aus: „Ossietzky“, Zweiwochenschrift für Politik, Kultur, Wirtschaft, Heft
1/2010

8. Februar 2010 Posted by | Afghanistan, AFPAK, Antimilitarismus, Krieg, News, Politik | , , , | Hinterlasse einen Kommentar

Der Albtraum in Afghanistan verschlimmert sich

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Geschrieben von Rob Sewell
Friday, 18 December 2009
Auch in der britischen Bevölkerung gibt es eine Mehrheit für den Abzug der eigenen Truppen. Einhundert britische Soldaten haben in diesem Jahr ihr Leben in Afghanistan gelassen. In einem Artikel für unsere Schwesterzeitung ‚Socialist Appeal‘ beleuchtet Rob Sewell die momentane Lage und den Hintergrund für einen Krieg, der dem afghanischen Volk niemals soziale und ökonomische Fortschritte bringen kann.

Immer wenn man den Fernseher anschaltet, bekommt man das Gefühl, als ob ein weiterer britischer Soldat in Afghanistan getötet wurde. Wenn dieser Artikel veröffentlicht wird, liegt die Zahl der Todesopfer vermutlich bei über 100 im Jahre 2009.

Dieser Krieg geht jetzt seit acht Jahren, länger als der Zweite Weltkrieg und der Vietnam-Krieg. Er ist lange durch den Krieg im Nachbarland Irak überschattet worden, mittlerweile aber in den Mittelpunkt der Aufmerksamkeit gerückt. Nichts erobert die Aufmerksamkeit so, wie die Aussicht auf eine beschämende Niederlage.

Kim Howells, ein führender Unterstützer der Brown-Regierung, ist aus der Reihe getanzt und hat den Abzug der britischen Truppen gefordert. Dies widerspiegelt die wachsende öffentliche Wut über den Krieg. In Britannien sind mehr als 70% der Menschen der Meinung, die Truppen sollten innerhalb eines Jahres zurückgezogen werden, 35% glauben, die Soldaten sollten sofort heimkehren.
Im März erklärte Obama diesen Krieg zu einem „notwendigen Krieg“ und entsandte weitere 20.000 Soldaten. Dem folgte ein weiteres „Nachdenken“ und eine weitere „Prüfung“. Das Durcheinander nach den afghanischen Wahlen hat das Problem verstärkt. Anstatt „demokratischer Verhältnisse“ haben wir es jetzt mit Korruption, Bestechung und Wahlfälschung auf höchstem Niveau zu tun. Der Farce über den zweiten Wahlgang, der erst gar nicht stattfand, folgte die Amtseinsetzung von Karzai für eine weitere Legislaturperiode, was zusätzlichen Druck auf die Imperialisten ausübt.

Die US-amerikanische Marionette Karzai hatte eine Gruppe Warlords, Drogendealer und andere mafiose Gestalten in seine Regierung geholt, um die Wahl zu gewinnen. Einer von ihnen war General Dostum, der usbekische Kommandeur, dem von Menschenrechtsgruppen vorgeworfen wird, er habe den Erstickungstod von 2000 verdächtigen Taliban in Frachtcontainern befohlen. Karzai wurde von den US-Amerikanern wegen seiner Verbindungen zum CIA im Krieg gegen die Russen favorisiert. In einem der ärmsten Länder der Erde, wählte ihn das Modemagazin Esquire zu einem der best angezogensten Männer der Welt. Seine Macht basiert auf Vetternwirtschaft und Korruption und wird mit Geld aus dem Westen gesichert.

Karzais Brüder, welche die Verbindungen zur Regierungen schamlos ausnutzen, haben Reichtümer angesammelt, während das afghanische Volk in Elend und Hunger leben muss. Sein jüngerer Bruder Ahmed Wali Karzai übt so viel Einfluss in der Provinz Kandahar aus, dass man ihm den Spitznamen „König des Südens“ gab. Er wird ebenfalls vom CIA bezahlt. Das Geld aus den Drogengeschäften dient sowohl zur Förderung der Korruption als auch der Taliban.
Diese Situation erklärt auch die Millionen von Nichtwählern bei der Präsidentschaftswahl. Die Ursache lag nicht einfach nur an den Aktivitäten der Taliban, sondern der weitverbreiteten Ernüchterung über die Korruption und die Lähmung der Regierung. Die Karzai-Regierung, die sich in einem Hochsicherheitsgebiet der afghanischen Hauptstadt verschanzt, hat außerhalb Kabuls wenig Unterstützung, während die Taliban immer mehr Anhänger gewinnen.

Mit der wachsenden Gewalt in Pakistan besteht die schlimme Aussicht einer „Talibanisierung“ der gesamten Region. Die Nachbarstaaten Tadschikistan, Usbekistan, Kirgisien und Turkmenistan sehen sich mit Trostlosigkeit, Aufruhr und Katastrophen konfrontiert. Die Intervention der Imperialisten hat der Region keine Stabilität gebracht, geschweige denn „demokratische Verhältnisse“, sondern einen Wirbelwind verursacht. Sie stützen als Bestandteil ihrer neokolonialistischen Politik korrupte, aber „befreundete“ Regimes, angefangen bei Karzai in Kabul. Seit aber die Militäroperationen der NATO in Afghanistan 2006 begonnen haben, ist die Unterstützung für die Aufständischen gestiegen. Sie sind an einem Krieg beteiligt, den sie nie gewinnen können.
Die Lage verschlechtert sich von Tag zu Tag. General Stanley McChrystal hat als „letzten verzweifelten Zug“ weitere 40.000 von ursprünglich 80.000 US-Soldaten gefordert. Der US-Botschafter in Afghanistan hat andererseits die US-Administration gedrängt, die Truppenstärke auf dem gegenwärtigen Niveau zu belassen. Aufgrund des tiefen Schlamassels, in dem sich die NATO-Truppen befinden, zögert Obama noch eine Entscheidung zu treffen. Die jüngsten Reden von Premierminister Brown und Außenminister Miliband sind ein verzweifelter Versuch, die schwindende öffentliche Zustimmung für diesen unpopulären Krieg zu stützen.

Dieser Krieg kann dem afghanischen Volk niemals soziale und ökonomische Fortschritte bringen. Das war auch nie beabsichtigt. Der Zweck dieses Krieges war ursprünglich die Ausdehnung der Macht und des Einflusses des Imperialismus in der gesamten Region auf der Grundlage der militärischen „Schock-und Ehrfurcht-Taktik“. Unter dem Deckmantel der NATO wird der Krieg in erster Linie von den US-Amerikanern und in einem geringeren Grade auch von den Briten geführt. Sie befinden sich aber in einer aussichtslosen Sackgasse. Das erklärt die Risse innerhalb des Bündnisses und die daraus folgende Lähmung.

Die Arbeiterbewegung muss den sofortigen Abzug der imperialistischen Truppen aus Afghanistan fordern. Die imperialistischen Mächte, die in Afghanistan eingedrungen sind, um ihre eigenen Interessen zu verfolgen, können die Probleme der AfghanInnen nicht lösen. Diese müssen über ihre Zukunft selbst entscheiden können.

Die Barbarei aber, die in der Region entfesselt wurde, wird niemals auf der Grundlage des Kapitalismus zu einer Lösung kommen. Nur auf der Basis einer Sozialistischen Föderation Südasiens, einschließlich eines sozialistischen Afghanistans, können die Schrecken des Krieges, Hunger, Krankheiten und Armut weggefegt werden.

Quelle: www.derfunke.de Übersetzung: Tony Kofoet

18. Dezember 2009 Posted by | Afghanistan, AFPAK, Krieg, Naher und Mittlerer Osten, US-Imperialismus | , , , , | Hinterlasse einen Kommentar

Afghanistan: Eskalation à la Irak

Eskalation à la Irak
15.12.2009

BERLIN/KABUL
(Eigener Bericht) – Vor der Konstituierung des Kunduz-Untersuchungsausschusses am morgigen Mittwoch mehren sich Hinweise auf eine unmittelbare Einbeziehung des Kanzleramts in den Vorlauf vor dem Bombardement am 4. September. Laut Berichten war die Regierungszentrale in die Entscheidung involviert, künftig auch Liquidierungsaktionen zu unternehmen. Weil Agenten der deutschen Auslandsspionage (BND) in die Vorarbeit für Attacken einbezogen gewesen seien, seien auch die Geheimdienstkoordinatoren in Berlin informiert worden. Dies war der Arbeitsbereich des heutigen Innenministers Thomas de Maizière. Experten berichten, gezielte Tötungen ähnlich dem Luftschlag vom 4. September seien ein wesentlicher Bestandteil der Kriegführung im Irak von 2006 bis 2008 gewesen. Diese Kriegsphase gilt als Vorbild für das aktuelle Vorgehen in Afghanistan. Damals war von außergerichtlichen Hinrichtungen die Rede. Juristen mahnen, den Krieg in Afghanistan nun endlich auch rechtsverbindlich als „Krieg“ zu deklarieren; andernfalls müssten Liquidierungsaktionen wie etwa das Bombardement von Kunduz als Verbrechen abgeurteilt werden, womöglich als Mord.
„Aufständische vernichten“
Dass es sich bei dem Bombardement der beiden Tank-Lkws in der Nacht vom 3. zum 4. September bei Kunduz um eine gezielte Liquidierungsaktion gehandelt hat, kann mittlerweile nicht mehr ernsthaft bestritten werden. Schon bald hatte sich Berlin mit der Behauptung in Widersprüche verstrickt, Oberst Klein habe nur die Nutzung der Lkws als „rollende Bomben“ durch die Aufständischen verhindern wollen. Frühzeitig wurde bekannt, dass Klein den US-Bomberpiloten gegen ihren Wunsch Tiefflüge zur Warnung von Zivilisten untersagte – ein Schritt, der nur dann nachvollziehbar ist, wenn außer den festsitzenden Lkws auch die anwesenden Menschen getroffen werden sollten. Mittlerweile zitieren Medien aus einem Schreiben Kleins, in dem er berichtet: „Am 4. September um 01.51 Uhr entschloss ich mich, zwei am Abend des 3. September entführte Tanklastwagen sowie an den Fahrzeugen befindliche INS (Insurgents, d.Red.) durch den Einsatz von Luftstreitkräften zu vernichten.“[1] Dem entsprechen Meldungen, laut denen die „Task Force 47“ an der Vorbereitung des Bombardements beteiligt war. Die „Task Force 47“ befasst sich mit der Jagd auf Aufständische.[2]
Regierungsstrategie
Laut einem Bericht der Leipziger Volkszeitung folgte Oberst Klein mit seiner Liquidierungsaktion einer von Berlin beschlossenen Eskalationsstrategie. Im Frühjahr wurden die Einsatzregeln für die Bundeswehr geändert – mit dem Ziel, die Anwendung tödlicher Gewalt weniger als zuvor zu limitieren. Im Sommer ließ der damalige Verteidigungsminister Franz Josef Jung „überprüfen“, ob die deutschen Soldaten ihre Waffen „offensiver“ als zuvor einsetzen dürften.[3] Wenige Wochen später berichtete Jung, die Bundeswehr stehe nun „auch in konkreten Kampfsituationen“; der damalige Generalinspekteur, Wolfgang Schneiderhan, sagte: „Es ist jetzt an der Zeit, diese Eskalation vorzunehmen.“[4] Wie die Leipziger Volkszeitung berichtet, war die damalige Eskalation nicht nur vom Kanzleramt gebilligt worden, sie umfasste auch die „gezielte Ausschaltung der Führungsstruktur der Taliban“ – nach dem Vorbild der US-Terrorbekämpfung.[5]
Einbezogen
Oberst Klein habe „sich nach diesen Regierungsvorgaben regelrecht ermutigt“ fühlen dürfen, „einmal kräftig durchzugreifen“, heißt es laut Leipziger Volkszeitung im Einsatzführungskommando der Bundeswehr in Potsdam.[6] Dass sich Klein dazu auch tatsächlich „ermutigt gefühlt“ habe, berichten Soldaten seiner Einheit, der in Leipzig stationierten 13. Panzergrenadierdivision. Darüber hinaus schreibt die Zeitung, in die Entscheidungen, die zu dem Bombardement der Tank-Lkws bei Kunduz führten, seien Kontaktpersonen des Kommando Spezialkräfte (KSK) – offenbar aus der „Task Force 47“ -, aber auch Agenten der deutschen Auslandsspionage (Bundesnachrichtendienst, BND) involviert gewesen. „Vor und nach dem Luftangriff“ habe man auch „das Kanzleramt“, „die Spitze des Verteidigungsministeriums“ und Geheimdienstkoordinatoren der Regierung einbezogen. Ob das auch für den damaligen Geheimdienstkoordinator Klaus-Dieter Fritsche galt, der heute als Staatssekretär im Bundesinnenministerium amtiert, oder sogar für Thomas de Maizière, der als Kanzleramtsminister die oberste Aufsicht über die Dienste innehatte und mittlerweile Innenminister ist, ist nicht bekannt.
Das Vorbild
Experten weisen darauf hin, dass es den Streitkräften der Vereinigten Staaten und Großbritanniens im Irak gelang, mit einer Strategie der Truppenaufstockung bei gleichzeitigen gezielten Schlägen gegen die Aufständischen eine Zeitlang gewisse Erfolge in der Aufstandsbekämpfung zu erzielen. Dazu gehörten auch gezielte Liquidierungen. Die US-Streitkräfte bildeten zu diesem Zweck spezielle „Task Forces“, in denen geheimdienstliches Personal mit diversen Spezialisten und mit Sondereinheiten kooperierte; auch Drohnen kamen zum Einsatz.[7] An diversen Unternehmungen war der britische Special Air Service (SAS) beteiligt. Es sei gelungen, rund 3.500 Aufständische binnen nur 18 Monaten „von der Straße zu holen“, berichteten britische Militärs im Jahr 2008 – allerdings seien dabei Hunderte ums Leben gekommen.[8] Der SAS hatte damals mit ernsthaften Beschuldigungen zu kämpfen, er führe de facto extralegale Hinrichtungen durch. Die damalige Kriegführung im Irak gilt als Vorbild für die aktuelle westliche Aufstandsbekämpfung in Afghanistan.
„Im Krieg legitim“
Deutsche Juristen mahnen nun, angesichts von Liquidierungsaktionen wie nahe Kunduz müsse der Krieg in Afghanistan nun endlich auch rechtsverbindlich zum Krieg erklärt werden. „Offensive, gezielte Tötungen sind in einem Krieg legitim“, behauptet etwa der einstige Bundesverteidigungsminister Rupert Scholz: „Darum muss jetzt klargestellt werden, ob wir uns in Afghanistan in einem Krieg befinden“.[9] Ähnliche Schlüsse ziehen mehrere prominente Völkerrechtler. Sollte Berlin sich weiterhin weigern, den Zustand in Afghanistan als das zu benennen, was er ist, müsste bei gezielten Liquidierungen die Staatsanwaltschaft einschreiten. Einmal war dies bereits der Fall, auch wenn keine Konsequenzen folgten. Grundsätzlich ist selbst die Einstufung derartiger Liquidierungsaktionen vor Gericht als Mord nicht auszuschließen, zumal dann, wenn Zivilisten zu Tode kommen. Dass in Berlin deswegen zwar Völkerrechtler bemüht werden, dass jedoch die umstrittene Eskalationsstrategie keineswegs eingestellt wird, lässt deutlich erkennen, was Afghanistan in den kommenden Monaten bevorsteht.
[1] Zweifel an Gründen für Entlassung Schneiderhans; Spiegel Online 12.12.2009
[2] Geschichte einer tödlichen Nacht in Afghanistan; Welt Online 13.12.2009
[3] Mehr Befugnisse für Soldaten; Süddeutsche Zeitung 29.06.2009
[4] Geplante Eskalation vor den Präsidentschaftswahlen; Welt Online 23.07.2009
[5], [6] Neue Hinweise auf regierungsintern genehmigte Tötungsaktion im Fall Kundus; Leipziger Volkszeitung 12.12.2009
[7] U.S. Teams Weaken Insurgency In Iraq; The Washington Post 05.09.2008
[8] SAS kills hundreds of terrorists in ’secret war‘ against al-Qaeda in Iraq; The Sunday Telegraph 30.08.2008
[9] Kundus: Gezieltes Töten erlaubt? Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung 13.12.2009
Quelle:  http://www.german-foreign-policy.com/de/fulltext/57697

15. Dezember 2009 Posted by | Afghanistan, AFPAK, Bundeswehr, CDU/FDP, Deutschland, International, Krieg, NATO, News, Politik | , , , , , | Hinterlasse einen Kommentar

Afghanistan-Massaker: Freiherr opfert Bauern

Freiherr opfert Bauern

Von Frank Brendle

Die Bundeswehrführung hat die Aufklärung des Massakers vom 4. September bei Kundus monatelang hintertrieben und kritische Berichte von Feldjägern zurückgehalten. Nachdem die Vertuschungsaffäre am Mittwoch aufgeflogen war, mußten Generalinspekteur Wolfgang Schneiderhan und Staatssekretär Peter Wichert (CDU) auf Druck von Verteidigungsminister Karl Theodor zu Guttenberg (CSU) zurücktreten.

In der Nacht zum 4.September hatten zwei US-Kampfbomber auf Anforderung des Bundeswehroberst ­Georg Klein zwei von Taliban entführte Tanklaster in der Nähe von Kundus in Nordafghanistan bombardiert. Die Fahrzeuge waren in einem Flußbett steckengeblieben. Dabei starben bis zu 142 Menschen.

Exverteidigungsminister Franz Josef Jung (CDU) hatte stets geäußert, es seien »ausschließlich terroristische Taliban« getötet worden. Dabei war deutschen Kräften vor Ort schon am Abend nach dem Bombardement das Gegenteil klar. Das geht aus Berichten deutscher Feldjäger und von ­NATO-Verbündeten hervor, über die Bild gestern berichtete. Guttenberg bestätigte die Richtigkeit der Dokumente, die er erst von dem Springer-Blatt erhalten haben will.

So hatte das deutsche Regionalkommando am 4.September gemeldet, die Taliban hätten unbewaffnete Dorfbewohner gezwungen, »bei der Bergung des Benzins zu helfen. 14 von ihnen sind seitdem verschwunden«. Die Behauptung des verantwortlichen Bundeswehrobersten, er habe sich über Videoaufnahmen aus einem der Kampfbomber und über einen Informanten vergewissert, daß nur Taliban vor Ort seien, wird regelrecht zerpflückt: Es sei unmöglich gewesen, »anhand der Bilder die Aussagen des Informanten zu bekräftigen«, heißt es in einem Bericht von NATO-Verbündeten. Zumal dieser Spitzel überhaupt nicht am Ort des Geschehens war, sondern lediglich in Telefonkontakt mit den Rebellen stand.

Am 6. September traf beim Einsatzführungskommando der Bundeswehr in Potsdam ein Bericht deutscher Feldjäger ein, der ebenfalls keinen Zweifel daran ließ, daß es zivile Tote gegeben hatte. Im Krankenhaus Kundus lägen nach dem Bombardement »sechs Patienten im Alter von zehn bis 20 Jahren«, außerdem »zwei Leichen im Teenager-Alter«. Ein Militärarzt berichtete von zwei 14jährigen Jungen mit »offenem Bruch« und »Schrapnell-Verletzungen«, so Bild.

Die Feldjäger stellen fest, der Angriff habe zu »zahlreichen Toten und Verletzten« geführt, »ohne daß unmittelbar vor und nach dem Vorfall adäquat gehandelt wurde«. Schneiderhan soll für die Zurückhaltung dieser Dokumente verantwortlich sein. Mitte September war er selbst nach Kundus geeilt und hatte Korpsgeist eingefordert: Bis zum Ergebnis der juristischen Untersuchung, dem er offenbar nachhelfen wollte, müsse »man nun standhaft bleiben«. Gelogen wurde bei dem Massaker von Anfang an: Oberst Klein hatte die Bomber mit der Falschaussage angefordert, er habe »direkten Feindkontakt«.

Die Oppositionsparteien wollen nun auch Guttenbergs Vorgänger Jung, der mittlerweile das Arbeitsministerium leitet, zur Rechenschaft ziehen. Schneiderhan und Wichert seien nur »Bauernopfer aus der zweiten Reihe«, sagte der Vizechef der Linksfraktion, Jan van Aken. Jung sei unfähig oder habe gelogen – in jedem Fall sei er als Minister untragbar. Linke, Grüne und SPD kündigten an, einen Untersuchungsausschuß einzurichten. Auch die FDP forderte »rückhaltlose Aufklärung«. Jung selbst wollte gestern abend nach Redaktionsschluß vor den Bundestag treten. Die hessische Linksfraktion zeigte den Hobbywinzer wegen versuchter Strafvereitelung im Amt an.

Quelle: http://www.jungewelt.de 27.11.09

27. November 2009 Posted by | Afghanistan, AFPAK, Bundeswehr, CDU/FDP, Deutschland, International, Krieg, NATO, News | , , , , | 1 Kommentar

Afghanistan:Permanenter Bürgerkrieg im autoritären Militärstaat: Die westlichen Strategen planen für Afghanistan „Zukunft“

Permanenter Bürgerkrieg im autoritären Militärstaat: Die westlichen Strategen planen für Afghanistan „Zukunft“

Bereits im März 2009 hatte die frisch gewählte US-Regierung unter Barack Obama eine neue Afghanistan-Strategie angekündigt. Sie setzte im Wesentlichen auf umfangreiche Truppenerhöhungen, eine Ausweitung der Kampfhandlungen auf Pakistan („AFPAK“), eine größere Beteiligung der Verbündeten und – immer wichtiger – den massiven Aufbau afghanischer Repressionsapparate.

Nachdem diese Maßnahmen den Krieg wie absehbar noch weiter eskaliert haben, ist in Washington eine heftige Debatte um das weitere Vorgehen entbrannt. Auf der einen Seite findet sich US-General Stanley McChrystal, Kommandeur der NATO Truppen in Afghanistan. Obwohl mittlerweile mehr als 100.000 westliche Soldaten am Hindukusch stationiert sind (etwa 70.000 unter NATO- und 30.000 unter US-Kommando), fordert er nachdrücklich 40.000 weitere Kämpfer. Auf der anderen Seite plädiert Vizepräsident Joseph Biden dafür, das Engagement künftig auf die Bekämpfung von Al-Kaida zu beschränken und damit die Präsenz deutlich zu reduzieren. Mittlerweile deutet sich an, dass sich Obama – und damit wohl auch die NATO – für einen schlechten Kompromiss aus diesen beiden Ansätzen entscheiden wird: Zunächst wird die Truppenzahl nochmals erhöht, perspektivisch soll aber der massive Ausbau der afghanischen Repressionsapparate es ermöglichen, die Präsenz in Richtung der Biden-Lösung zu verringern.

Auch Deutschland ist – wie meistens – mit dabei. Der neue Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg verkündet, man wolle (sprich: könne) schließlich nicht ewig in Afghanistan bleiben, perspektivisch müsste über einen (Teil)Abzug nachgedacht werden. Kurzfristig wird aber die US-Truppenaufstockung begrüßt und wohl auch unterstützt werden. Da man aber außerdem dort aber unbedingt auch künftig ein pro-westliches Regime an der Macht halten möchte, muss die Zentralregierung über den Aufbau der Repressionsorgane in die Lage versetzt werden, sich an der Macht zu halten. Gerade Deutschland macht sich hierfür besonders stark. Den Großteil der „Drecksarbeit“ sollen künftig also einheimische Kräfte übernehmen, um die allerspätestens nach den jüngsten Wahlen völlig diskreditierte Karzai-Regierung an der Macht zu halten. Für diese Afghanisierung des Krieges wurde die Zielgröße für die afghanische Polizei und Armee von ursprünglich 150.000 auf inzwischen 400.000 angehoben. Afghanistan droht damit aber zu einem autoritären Militärstaat zu werden, in dem die vom Westen aufgebauten – und beaufsichtigen – Regierungstruppen einen permanenten Bürgerkrieg gegen den paschtunischen Widerstand führen werden. Nicht zuletzt, weil dies auch Guttenberg klar ist, argumentierte er, eine Reduzierung der Präsenz erfordere es einzugestehen, „dass man in Afghanistan an seine Grenzen stößt, wenn man von einer Demokratie westlichen Stils zu träumen beginnt.“ (FAZ, 11.11.2009)

Washington: Eskalationskonsens

Laut New York Times (11.11.2009) wurden Barack Obama inzwischen vier verschiedene Optionen vorgelegt. Sie sehen einen Truppenaufwuchs von entweder 20.000, 25.000 oder 30.000 Soldaten vor (die letzte Option wird nicht näher beschrieben, scheint aber keine Truppenerhöhungen zu beinhalten).

Dem Bericht zufolge haben sich Verteidigungsminister Robert Gates, Generalstabschef Mike Mullen und Außenministerin Hillary Clinton inzwischen darauf verständigt, die 30.000er-Option zu befürworten. Deshalb sei damit zu rechnen, dass sich auch Obama in diese Richtung entscheiden werde (allerdings sind damit auch die Vorschläge Joseph Bidens keineswegs vom Tisch, s.u.). Damit bleibt die US-Regierung – etwas – unter den Forderungen des NATO-Kommandeurs, scheint sich aber dennoch zu einer erheblichen Ausweitung des Engagements entschieden zu haben. Zumal man bestrebt ist, die NATO-Verbündeten mit ins Eskalationsboot zu hohlen und so McChrystals „Wunschzahl“ von 40.000 Soldaten erreichen zu können.

Kuhhandel: Deutsche Ausbilder statt Kämpfer?

Wiederholt hat die Obama-Administration den EU-Verbündeten ins Stammbuch geschrieben, sie erwarte von ihnen gefälligst eine stärkere militärische Unterstützung der Kriegsanstrengungen. Auch bei der nun anstehenden Entscheidung, noch mehr Truppen an den Hinduksuch zu entsenden, dürften die USA von den anderen NATO-Staaten ebenfalls Mehrleistungen erwarten.

Von deutscher Seite wurde allerdings bereits von Verteidigungsminister Franz-Josef Jung und nun nochmals von seinem Nachfolger Guttenberg klargestellt, eine Truppenerhöhung werde es vor der Anfang 2010 stattfinden internationalen Afghanistan-Konferenz nicht geben – vielleicht stimmt das sogar. Denn es müssen nicht unbedingt Soldaten mit einem direkten Kampfauftrag sein, um Washington zufrieden zu stellen. Schon beim Treffen der NATO-Verteidigungsminister betonte der Generalsekretär der Allianz, Anders Fogh Rasmussen, dass für die angestrebte Afghanisierung des Kriegs die von NATO und Europäischer Union (EUPOL Afghanistan) unternommenen Anstrengungen zum Aufbau der Repressionsapparate erheblich intensiviert werden müssten: „‚Wir werden mehr Ausbilder brauchen, und wir werden mehr Mittel brauchen, um die afghanischen Sicherheitskräfte zu stärken‘, sagte Rasmussen. Das habe er den Ministern sehr deutlich gesagt. Jetzt in die Fähigkeiten Afghanistans zu investieren, bedeute, dass es später weniger nötig sei. Der Nato-Einsatz ende dann, wenn die Afghanen in der Lage seien, die Verantwortung für ihr Land selbst zu übernehmen.“ (Reuters, 23.10.2009)

Und genau in diese Richtung scheint nun der Hase zu laufen: „Washington hofft, die NATO-Verbündeten davon überzeugen zu können, zumindest zusätzliche Ausbilder für die afghanische Armee und Polizei zu entsenden. Diese Beiträge könnten die Gesamtgröße nahezu auf das Niveau der 40.000 bringen, die McChrystal gefordert hat“, berichtet die Nachrichtenagentur Reuters (10.11.2009). Vor diesem Hintergrund sind auch für Deutschland allerlei Kuhhandel denkbar, Washington bei der weiteren Eskalation unter die Arme zu greifen, ohne Truppen direkt mit einem Kampfauftrag entsenden zu müssen. So könnte man einfach Polizeiausbilder entsenden, da diese ohne Mandat – und damit den ganzen Medienrummel um das hierfür erforderliche Bundestagsmandat – entsendet werden können. Da aber zweifelhaft ist, ob sich hierfür genug Freiwillige finden, könnte man auch ein separates Mandat beschließen, indem groß verkündet wird, die Ausbilder seien strikt getrennt vom restlichen NATO-Auftrag zu sehen, da sie kein Kampfmandat hätten (sondern nur die ausbilden sollen, die das für sie übernehmen).

Unwahrscheinlich ist es jedenfalls nicht, dass Deutschland im Ausbildungsbereich erheblich aufstocken könnte. Viel sagend merkte auch US-Außenministerin Hillary Clinton an: „Es gibt also eine Reihe von Möglichkeiten, wie Deutschland mitmachen kann.“ Deshalb hoffe sie, „dass, was auch immer Präsident Obama entscheiden wird, so überzeugend sein wird, dass wir gemeinsam weitermachen werden.“ (Die Welt, 11.11.2009) Der Spiegel berichtete bereits am 12. Oktober, an die Bundesregierung sei die US-Forderung ergangen, 1.200 weitere Ausbilder für die NATO-Trainingsmission nach Afghanistan zu entsenden.

Übergabestrategie in Verantwortung?

Ganz ähnlich wie Guttenberg, der meinte man könne ja schließlich nicht bis zum „Sankt-Nimmerleins-Tag“ am Hinduksuch bleiben, äußerte sich auch Kanzlerin Angela Merkel in ihrer jüngsten Regierungserklärung. Der Bundeswehreinsatz in Afghanistan müsse nun „in eine neue Phase“ geführt werden. Es gelte nun auszuarbeiten, „wie und mit welchen konkreten Schritten“ die neue Phase gestaltet werden könne. „Wir wollen eine Übergabestrategie in Verantwortung festlegen.“ (Die Welt, 11.11.2009)

Unverkennbar macht sich auch in der Bundesregierung eine gewisse Kriegsmüdigkeit breit. Man bereitet sich derzeit auf einen geordneten Teilrückzug vor, die Truppen sollen – nicht zuletzt aufgrund der ablehnenden Haltung zum Kriegseinsatz in der Bevölkerung – möglichst bald auf ein möglichst geringes Maß reduziert werden, indem der Großteil der Kampfhandlungen auf die künftig bereitstehende afghanische Armee und Polizei abgewälzt werden soll. 2015, dieser Termin wird immer wieder als Datum genannt, an dem man spätestens die afghanische Polizei und Armee soweit aufgebaut haben will, um das Land sich dann buchstäblich sich selbst und dem mit Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit entflammenden Bürgerkrieg zu überlassen. Von einer „Übergabestrategie in Verantwortung“ kann hier jedoch keinerlei Rede sein, das voraussehbare Drama wird jedoch offenbar billigend in Kauf genommen – die grusligen Szenarien, was passiert, wenn man diesen Weg weiter beschreitet, liegen bereits auf dem Tisch.

Afghanistans Zukunft: Dauerbürgerkrieg

Der „Center for a New American Security“, eine Denkfabrik mit engsten Verbindungen zur Obama-Administration, veröffentlichte unlängst ein Papier, in dem drei mögliche Zukunftsszenarien für Afghanistan präsentiert wurden (Exum, Andrew: Afghanistan 2011: Three Scenarios, CNAS Policy Brief, 22.10.2009). Unwahrscheinlich aber möglich sie eine nachhaltige Stabilisierung des Landes ebenso wie der – aus westlicher Sicht – schlimmste Fall, ein Sieg der Widerstandsgruppen über die Karzai-Regierung und die Etablierung neuer, dezidiert anti-westlicher Machthaber.

Vermutlich werde die Entwicklung aber in folgende Richtung gehen: „Im wahrscheinlichsten Szenario wird die Obama-Regierung vorsichtig zu einer koordinierten Anti-Terror-Mission übergehen, bei der das alliierte Engagement sich auf das Training der afghanischen Armee, die Durchführung von Präzisionsangriffen aus der Luft und Spezialoperationen am Boden beschränkt. [..] Dieses wahrscheinlichste Szenario erlaubt es den USA und ihren Verbündeten weiterhin Einfluss in Zentralasien auszuüben und eine vollständige Rückkehr der Taliban zu verhindern.“ Damit wären dann auch die Präferenzen Joseph Bidens berücksichtigt, der, wie bereits erwähnt, das US-Engagement genau hierauf beschränkt wissen will. Allerdings betont das CNAS-Papier auch: „Eine kurzfristiger Truppenerhöhung wird diesem Übergang vorausgehen.“ Genau dies ist nun ebenfalls eingetreten, indem McChrystals Forderung nach mehr Soldaten offenbar nachgekommen wird.

Recht unverblümt wird zudem beschrieben, was ein solches Szenario für Afghanistan bedeuten würde: „Afghanistan bleibt im Bürgerkrieg zwischen der Regierung in Kabul, die im Wesentlichen von den Politikern und Warlords geführt wird, die das Land zwischen 1992 und 1996 befehligten, und einer entrechteten paschtunischen Gesellschaft im Süden und Osten gefangen.“ Zwar wird eingeräumt, dass von allen denkbaren Entwicklungen diese für die afghanische Bevölkerung die mit Abstand nachteiligste wäre, das scheint die westlichen Strategen jedoch nicht davon abzuhalten, genau diesen Pfad nun einzuschlagen. Erfreulicherweise gibt es aber selbst im US-Militär vereinzelte Stimmen, die sich mehr als deutlich hiergegen aussprechen.

Pro-westlicher Militärstaat

Vor kurzem quittierte der US-Militär Matthew P. Hoh, der in Afghanistan an prominenter Stelle für den zivilen Wiederaufbau zuständig war, seinen Dienst. In seinem Rücktrittsgesuch begründete er seine Entscheidung folgendermaßen: „Der paschtunische Aufstand, der sich aus zahlreichen, scheinbar endlosen lokalen Gruppen zusammensetzt, wird durch das gespeist, was die paschtunische Bevölkerung als einen andauernden Angriff auf ihre Kultur, Traditionen und Religion durch interne und externe Feinde ansieht, der seit Jahrhunderten anhält. Die amerikanische und die NATO Präsenz und Operationen in paschtunischen Tälern und Dörfern stellen ebenso wie die afghanischen Polizei- und Armeeeinheiten, die nicht aus Paschtunen bestehen, eine Besatzungsmacht dar, vor deren Hintergrund der Aufstand gerechtfertigt ist. Sowohl im Regionalkommando Ost als auch Süd habe ich beobachtet, dass der Großteil des Widerstands nicht das weiße Banner der Taliban, sondern eher gegen die Präsenz ausländischer Soldaten und gegen Steuern kämpft, die ihm von einer Regierung in Kabul auferlegt werden, die sie nicht repräsentiert.“

Anschließend listet Hoh die Defizite der Karzai-Regierung auf, die von der US-Regierung geschützt wird. Sie zeichne sich u.a. durch „eklatante Korruption und unverfrorene Bestechlichkeit“ aus sowie „einen Präsidenten, dessen Vertraute und Chefberater sich aus Drogenbaronen und Kriegsverbrechern zusammensetzen, die unsere Anstrengungen zur Drogenbekämpfung und zum Aufbau eines Rechtsstaats lächerlich machen.“ Vor diesem Hintergrund kommt Hoh zu dem vernichtenden Fazit: „Unsere Unterstützung für diese Art von Regierung, gepaart mit dem Unverständnis für die wahre Natur des Widerstands, erinnert mich fatal an unser Engagement in Südvietnam; eine unpopuläre und korrupte Regierung, die wir auf Kosten des inneren Friedens unseres eigenen Landes gegen einen Aufstand unterstützt haben, dessen Nationalismus wir arrogant und ignorant als Rivalen unserer Kalten-Kriegs-Ideologie misinterpretiert hatten.“ (http://www.presstv.ir/detail.aspx?id=110168&sectionid=3510304 )

Auch wenn den engagierten Ausführungen Hohs weitestgehend zuzustimmen ist, an einem Punkt dürfte er den Zynismus der westlichen Strategen unterschätzen. Denn es hat eher den Anschein, als dass Afghanistans Zukunft als autoritärer Militärstaat im Dauerkriegszustand weniger aus Dummheit denn aus strategischem Kalkül billigend in Kauf genommen wird. Hauptsache die Herrscher in Kabul bleiben weiterhin pro-westlich, alles andere scheint mittlerweile weitgehend egal zu sein. Ein treffender Kommentar in der taz (13.9.2009) fasste das Kalkül folgendermaßen zusammen: „Das Maximum, das der Westen in Afghanistan noch erhoffen kann, ist, einen autoritären Potentaten zu hinterlassen, der getreu dem US-amerikanischen Bonmot ‚Er ist ein Hurensohn, aber er ist unser Hurensohn‘, der die Regierung auf prowestlichem Kurs hält. Sicherheitspolitisch könnte das sogar funktionieren, weil dessen Terror sich dann ’nur‘ gegen die eigene Bevölkerung und vielleicht noch gegen Nachbarstaaten, nicht aber gegen den Westen richtet.“ Kein Wunder also, dass Neu-Verteidigungsminister Guttenberg ankündigte, man müsse sich in Afghanistan endlich von hehren Demokratievorstellungen verabschieden.

Jürgen Wagner

http://www.imi-online.de   http://www.imi-online.de/2009.php?id=2042

12. November 2009 Posted by | Afghanistan, AFPAK, Antimilitarismus, Bundeswehr, Deutschland, International, Krieg, Naher und Mittlerer Osten, NATO, Politik, US-Imperialismus | , , , | Hinterlasse einen Kommentar