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Linkes Blog aus Ostfriesland

Seeheimer Garrelt Duin weiterhin auf FDP-Kurs

Immer wenn der wirtschaftspolitische Sprecher der SPD, der auch gleichzeitig Sprecher des unternehmerfreundlichen Seeheimer Kreises ist, sich in der überregionalen Presse zu Wort meldet, wird einem bewusst, dass die einstige Arbeitnehmerpartei SPD sich immer noch auf den Pfaden ihres ehemaligen Vorsitzenden und Kanzlers Gerhard Schröder bewegt. Zumindest trifft das auf große Teile der Führungsriege der Partei zu. Steinmeier, Gabriel, Steinbrück und auch Duin haben dazu beigetragen, den Sozialstaat zu zerschlagen und immer noch nicht erkannt, dass ein konsequenter Kurswechsel nötig ist, um die Partei wieder zu einer Volkspartei werden zu lassen. Oskar Lafontaine hat dazu in einem Interview mit der „Welt“ folgendes festgestellt: „Die SPD-Führung hat nicht den Ansatz einer Strategie, um wieder den Bundeskanzler zu stellen, auch weil die gesamte Führungsriege Hartz IV, der Agenda 2010 und den Kriegseinsätzen zugestimmt hat und daher diese falsche Politik nicht wirklich korrigieren will.“


Garrelt Duin erklärte am 24. Dezember, dass die SPD an eine „negative Einkommenssteuer“ denke. Die Meldung der Deutschen Textservice Nachrichtenagenturagentur  lautete:
„Der konservative SPD-Flügel “Seeheimer Kreis” will Geringverdiener finanziell unterstützen und ihnen die Sozialabgaben bis zu einem Einkommen von 1.500 Euro durch einen Steuerzuschuss ausgleichen. Das geht nach Informationen der “Rheinischen Post” (Freitagausgabe) aus einem Positionspapier des SPD-Wirtschaftsexperten und Seeheimer-Sprechers Garrelt Duin hervor. “Die Idee heißt brutto für netto”, zitiert die Zeitung Duin. Für Menschen, die mindestens 30 Stunden pro Woche arbeiteten und dafür einen Lohn bekämen, der zum Leben nicht ausreiche, müsse eine “negative Einkommensteuer” eingeführt werden, heißt es in dem Papier. Das von Ökonomen erdachte Modell sieht für Geringverdiener, die keine Steuern zahlen, aber durch überproportionale Sozialabgaben belastet sind, Steuergutschriften vor. Nach den Berechnungen Duins würde der Staat beispielsweise einem ledigen Arbeitnehmer, der 800 Euro brutto monatlich verdient, die Sozialversicherungsbeiträge komplett ersetzen. So werde der Bruttolohn zum Nettolohn. Die SPD will Ende Januar ein umfassendes Steuerkonzept vorstellen.“
Eine solche Meldung wird Freude bei den Unternehmern auslösen, besonders bei solchen, die Hungerlöhne zahlen und sich gegen die Einführung von Mindestlöhnen vehement sträuben. Wenn es nach Duin und Co gehen würde, wird der in vielen europäischen Ländern verpflichtend eingeführte Mindestlohn, weiterhin auf die lange Bank geschoben und der Staat, sprich der Steuerzahler, soll dafür aufkommen, dass bundesdeutsche Unternehmer ihre Beschäftigten bis zum Sankt Nimmerleinstag mit prekären Löhnen abspeisen können.
Seit dem Ende der 1990er, zeitgleich mit dem Beginn der SPD-Grünen-Koalition, ist eine erhebliche Ausweitung des Niedriglohnsektors zu beobachten. Aktuelle Zahlen belegen, dass jeder vierte Beschäftigte (das waren 2008 6,6 Millionen) für Niedriglöhne arbeitet. Die Ursachen für das Wachsen des Niedriglohnsektors liegen in den arbeitsmarktpolitischen Gesetzen, die besonders in der Regierungszeit von Gerhard Schröder getroffen wurden:
– Mit der Einführung von Hartz I wurden wesentliche Restriktionen im Bereich der Leiharbeit aufgehoben.
– Mit Hartz II wurden so genannte Minijobs eingeführt, die dazu führen, dass immer mehr geringfügig Beschäftigte – statt Vollzeitkräfte – eingestellt wurden, da für diese keine Abgaben anfallen.
– Die Privatisierung von Aufgaben, die vorher vom Staat, den Ländern und den Kommunen wahrgenommen wurden, fielen dem Outsourcing zum Opfer und bedeuten für die Beschäftigten schlechtere Arbeitsbedingungen und Lohnkürzungen. Das Outsourcing hat ebenfalls in der Privatwirtschaft stattgefunden und „zielt auf die Reduzierung von Kosten, indem Tätigkeiten durch die Auslagerung aus dem Hoch- und Mittellohnbereich in den Niedriglohnbereich verschoben wurden.“(nach Kai Eicker-Wolf: Niedriglöhne in Deutschland, Lunapark 21, Heft 12 , S. 20 ff.)
Menschen, die einer Vollzeitbeschäftigung nachgehen, sollen davon leben können und müssen nicht gezwungen sein zusätzlich aufzustocken. Eine „negative Einkommenssteuer“, wie sie Duin fordert, wird den bereits unterbezahlt Beschäftigten nicht großartig weiterhelfen, sondern dazu führen, dass die Unternehmer weiterhin verstärkt Arbeitsplätze im Niedriglohnsektor anbieten, weil der Staat dann dafür sorgt, dass prekär Beschäftigte steuerlich „besser gestellt“ werden.
DIE LINKE fordert seit ihrer Gründung die Einführung eines staatlich garantierten Mindestlohns nach französischem Vorbild von 10 Euro pro Stunde , der Jahr für Jahr zumindest in dem Maße wächst, wie die Lebenshaltungskosten steigen. Wenn in einer Branche der unterste Tariflohn über dem gesetzlichen Mindestlohn liegt, soll dieser für allgemeinverbindlich erklärt werden. Dazu ist die Allgemeinverbindlichkeitserklärung auch ohne Zustimmung der Arbeitgeberverbände zu erleichtern.
Garrelt Duin hat sich wieder einmal als der geoutet, der er in Wirklichkeit ist, nämlich als Vertreter der Kapitalseite, dem die Interessen der arbeitenden Menschen und der sozial Benachteiligten überhaupt nicht interessieren. Vielleicht sollten die ostfriesischen SPD-Mitglieder sich einmal darüber Gedanken machen, ob sie  Duin bei den nächsten Bundestagswahlen wieder als Kandidaten aufstellen oder vielleicht jemanden finden, der ursozialdemokratische Prinzipien verkörpert.

(TK)

2. Januar 2011 Posted by | Niedersachsen, Ostfriesland, Sozialpolitik, SPD | Hinterlasse einen Kommentar

Wehrbeauftragter: Robbe wird sein Amt aufgeben müssen

Wehrbeauftragter Robbe wird sein Amt verlieren

Reinhold Robbe, SPD-Politiker aus Bunde, wird nach Ablauf der Wahlperiode im April sein Amt als Wehrbeauftragter des Bundestages an die FDP-Abgeordnete Hoff abgeben müssen.
Was wird aus Robbe? Wir erinnern uns an den Februar 2004, als der Seeheimer Robbe der Nordwest-Zeitung ein Interview gab, in dem er Folgendes sagte:
„Wir müssen sehen, dass alle Verantwortlichen endlich in die Hufe kommen. Das Ausland läuft uns davon. Deshalb reden die Sozialpartner doch über flexible Arbeitszeitkonten, weniger Gehalt und weniger Urlaub. Von notwendigen Veränderungen kann niemand ausgenommen bleiben – auch die Manager nicht. Jeder in unserem Wirtschaftssystem muss sich Gedanken machen, wie kann auch ich dazu beitragen, das Land wieder  nach vorn zu bringen – mit gesundem Patriotismus.“
Robbe verteidigte damit die von der rot-grünen Regierung begonnene Umverteilung von unten nach oben nach dem Motto: Wir müssen alles dafür tun, damit die deutschen Kapitalisten ordentlich Profite machen und auf dem Weltmarkt konkurrenzfähig sind, dafür müssen aber die diejenigen, welche die Werte schaffen, die Lohnabhängigen, auf Lohn bzw. Gehalt und Urlaub verzichten sowie mehr arbeiten. So einfach stellt sich der Sozialdemokrat Robbe ein „funktionierendes Wirtschaftssystem“ vor. Der Aufschrei bei den Gewerkschaften war 2004 natürlich groß und selbst Robbes Parteifreunde in Ostfriesland stärkten ihm nicht den Rücken.
2005 wurde der ehemalige Kriegsdienstverweigerer Robbe Wehrbeauftragter. Seit er in den Bundestag gewählt wurde, entwickelte sich Robbe zum Militaristen, der jedem Auslandseinsatz der Bundeswehr im Bundestag zustimmte. Als die Bundeswehr sich am Krieg gegen Jugoslawien beteiligte und der damalige Verteidigungsminister Scharping dies mit falschen Behauptungen begründete, sprang ihm Robbe zur Seite. Er diffamierte damals Gregor Gysi, der während des Krieges in Jugoslawien Friedensverhandlungen führte, als Vaterlandsverräter.
Seinen letzten großen Auftritt hatte Robbe Anfang Januar, als er im Spiegel die Äußerungen von Bischöfin Käßmann zum Afghanistan-Einsatz als unverantwortlich bezeichnete. Käßmann übe populistsische Fundamentalkritik, ohne sich jemals persönlich ein Bild vor Ort verschafft zu haben und vermittle Tausenden von gläubigen Soldaten das Gefühl, in Afghanistan gegen Gottes Gebote zu handeln. Robbe führte aus, es sei naiv, in Afghanistan mit „Gebeten und Kerzen“ Frieden schaffen zu wollen wie vor 20 Jahren die DDR-Opposition. Naiv ist nicht Käßmann, sondern Robbe, der immer noch nicht verstanden, dass man diesen Krieg nicht gewinnen kann. Wer Soldaten in diesen Krieg schickt, um „unsere Sicherheit am Hindukusch zu verteidigen“ (Ex-Verteidigungsminister Struck, SPD), sollte nicht vorgeben, dass es darum geht den AfghanInnen Demokratie und Freiheit zu bringen, sondern klar sagen, dass dieser Krieg in erster Linie aus geostrategischen Gründen erfolgt. „Wir kämpfen in Afghanistan gegen einen nationalen, antiwestlichen Aufstand. Afghanistan ist geostrategisch interessant, weil man dort Russland, Indien, Pakistan und China kontrollieren kann. Auch rohstoffpolitisch ist das ein fabelhafter Standort. Schließlich wollen die Amerikaner eine Ergaspipeline durch Afghanistan bauen.“ (J. Todenhöfer, CDU,  Spiegel, 29.06.09)
Ab 2010 (dem Agendajahr der SPD) steht Robbe seiner Partei wieder zur Verfügung. Wir können jetzt schon prognostizieren, dass er sich auf die Seite der Betonköpfe und Schröderianer stellen wird, denn „Agenda 2010 musste sein“ und wenn die schwarz-gelbe Regierung die Schrödersche „Reform“politik auf dem Rücken der Arbeiterinnen und Arbeiter, der Angestellten, der RentnerInnen  und der sozial Schwachen weiterführt, wird Reinhold Robbe applaudieren und sagen können: „Richtig so. Was Ihr da durchzieht,  habe ich 2004 schon vorgeschlagen.“
Die SPD sollte, will sie sich doch auch programmatisch erneuern, Robbe  ausbremsen, bevor er weiteren politischen Flurschaden in Ostfriesland anrichtet.

(TK)

Quelle: www.dielinke-leer.de

5. Februar 2010 Posted by | Bundeswehr, CDU/FDP, Die LINKE, News, Politik, SPD | , , , | Hinterlasse einen Kommentar

Krise der LINKEN nach Lafontaine?

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Geschrieben von Redaktion Der Funke
Sunday, 31 January 2010
Was wird aus der LINKEN nach Lafontaine? Diese bange Frage stellen in diesen Tagen viele Mitglieder und Anhänger der Partei. Bürgerliche Medien, denen Oskar Lafontaine nicht geheuer war und die an ihm kein gutes Haar ließen, freuen sich insgeheim über seine Ankündigung, Mitte Mai nicht mehr für den Posten eines Parteivorsitzenden zu kandidieren und sein Bundestagsmandat abzugeben. Der „SPD-Linke“ und Hartz IV-Befürworter Niels Annen hält nach Lafontaines Rückzug aus Berlin sogar ein „rot-rot-grünes“ Bündnis auf Bundesebene für möglich.

Als Franz Müntefering (SPD) 2007 wegen des Krebsleidens seiner Frau aus dem Bundeskabinett ausschied, zeigte alle Welt Verständnis und Anteilnahme. So viel Mitgefühl wird Oskar Lafontaine jetzt nicht zuteil, wenn er wegen seines eigenen Krebsleidens kürzer treten will. Immerhin möchte er so intensiv wie möglich in den Landtagswahlkampf in Nordrhein-Westfalen eingreifen und sich auch weiterhin zur Bundespolitik zu Wort melden. Wir wünschen Oskar an dieser Stelle noch einmal eine vollständige Genesung und viel Kraft für die kommenden Jahre.

Oskar Latontaine war wegen seines Werdegangs bei der Bildung der Partei DIE LINKE für viele ein entscheidender Bezugspunkt und hat insofern eine historische Rolle beim Zustandekommen einer starken deutschen Partei links von der SPD gespielt. 1999 war er als Bundesfinanzminister aus der neuen SPD-Grüne-Regierung und als Bundesvorsitzender der SPD zurückgetreten, weil er den neoliberalen Kurs von Kanzler Schröder und die Beteiligung am Angriffskrieg gegen Jugoslawien nicht mittragen konnte. Damit war er konsequent und hob sich wohltuend von vielen OpportunistInnen ab, die an ihren Posten klebten und sich anpassten. Als er sich 2005 endlich für den Antritt einer gemeinsamen Linken aus PDS und WASG engagierte, war dies ein entscheidendes Signal für viele langjährige Sozialdemokraten. Die von ihm vertretenen Inhalte waren mit entscheidend für die Erfolge der LINKEN in der Bundestagswahl und in der Landtagswahl im Saarland 2009.

„Der Oskar ist kein Marxist, aber er hat mehr Klassenbewusstsein als viele andere“, brachte es ein Veteran der Bewegung kürzlich auf den Punkt. In der Tat zeigte Oskar Lafontaine gerade auch in den letzten Jahren ein Gespür für entscheidende politische Themen. Bei Fragen wie Hartz IV, Mindestlohn, Rente 67 und Raus aus Afghanistan steht er für klares Profil und gegen eine Verwässerung der Positionen um den Preis der vermeintlichen „Regierungsfähigkeit“. In den letzte Monaten hat er auch den Koalitionsvertrag in Brandenburg kritisiert. Im Sommer 2008 forderte er die Enteignung der Milliardärin Schaeffler, als diese den Continental-Konzern übernehmen wollte. Damit sprach er – im Gegensatz zu vielen anderen in Parteivorstand und Fraktion – Klartext.

Wenn die Herrschenden und ihre Medien Lafontaine als „Populisten“ bezeichnen, dann steckt dahinter das Misstrauen gegenüber einem Politiker, der sich im Gegensatz zur SPD-Führungsriege nicht kaufen lässt, der seinen eigenen Kopf hat und sich auch auf seine alten Tage nicht anpasst, sondern tendenziell radikaler wird. Wenn die Medien zwischen den „guten“ und „modernen“ Reformern in der Linkspartei und den radikalen „Fundamentalisten“ und „Sektierern“ unterscheiden, dann wollen sie damit den Anpassungsdruck so weit erhöhen, dass sich die LINKE nach rechts anpasst und über kurz oder lang problemlos in einer Koalition unter SPD-Führung unterordnet, falls es denn nicht anders ginge.

Nach dem Rückzug Lafontaines erhoffen sie sich dafür bessere Chancen. Für eine Linkspartei, die in einer Regierung Sozialabbau betreibt und Kriege unterstützt, besteht allerdings kein Bedarf. Dies hat Oskar Lafontaine mit eigenen Worten in den letzten Tagen deutlich gemacht:

„Einfache Gemüter kleiden diese Überzeugung in die Formel: Opposition ist Mist. Dass auch Regierung Mist sein kann, hat die SPD bei den letzten Wahlen schmerzlich erfahren. Sie enttäuschte in der großen Koalition ihre Anhängerinnen und Anhänger erneut mit Mehrwertsteuererhöhung und Rente mit 67 und wurde dafür abgestraft. Ähnlich erging es unserer Schwesterpartei, der „Rifondazione Comunista“ in Italien, die entgegen ihren Wahlversprechen in der Regierung die Kriegsbeteiligung Italiens in Afghanistan und die Kürzung sozialer Leistungen befürwortete. Heute ist sie nicht mehr im Parlament vertreten. Ebenso hat eine der beiden Vorläuferparteien der Linken, die PDS, leider mit Regierungsbeteiligungen nicht die besten Erfahrungen gemacht.“ Solche Aussagen dürften auch einigen in der eigenen Partei aufstoßen.

Dabei sind die politischen Differenzen, die nun verstärkt über Personalfragen diskutiert und ausgetragen werden, kein Ost-West-Konflikt. Der Osten ist dem Westen nur insofern etwas voraus, als eine starke Partei in Parlamenten auch unter starkem Anpassungsdruck steht.

Alle Kräfte auf die NRW-Wahl konzentrieren

Dass die Herrschenden und ihre Meinungsmacher jetzt verstärkt DIE LINKE klein und kaputt reden und schreiben wollen, hat mit den Auswirkungen der Wirtschaftskrise und der bevorstehenden Wahl am 9. Mai in Nordrhein-Westfalen (NRW) zu tun. In NRW geht es für alle um sehr viel. Für CDU und FDP um die Verteidigung ihrer Mehrheit im Land und im Bundesrat. Für die SPD um die erhoffte Wiederauferstehung in ihrem einstigen Stammland. Für die NRW-LINKE mit ihrem antikapitalistischen Programm um ein Ergebnis deutlich über den psychologisch entscheidenden fünf Prozent. Für arbeitende und arbeitslose Menschen um eine wichtige Weichenstellung und die Frage, wer für die Lasten und Kosten der Krise aufkommen soll. Darum muss die ganze Partei bundesweit ihre Kräfte in den Wahlkampf in NRW stecken und mit für ein gutes Ergebnis kämpfen. Das Potenzial dafür ist vorhanden. Durch den Wahlkampf können wir die Partei in NRW und darüber hinaus stärken und sozialistische Ideen weiter verankern. Immerhin hat NRW inzwischen mehr Einwohner als die frühere DDR.

Der Rückzug von Oskar Lafontaine aus der Bundespolitik macht deutlich: Pesonen sind wichtig und können entscheidende Impulse geben, aber Inhalte sind entscheidend, vor allem der Kampf für eine demokratisch-sozialistische Gesellschaft. Niemand darf unersetzlich sein.

Jetzt kommt es nicht so sehr auf ein Personaltableau mit genau austariertem Proporz an, sondern auf ein verstärktes Einmischen der Basis. Die Mitglieder, die sich in Stadt und Land ehrenamtlich für den Parteiaufbau einsetzen und aufopfern, müssen sich viel mehr zu Wort melden, eine bessere Kontrolle verlangen und mehr Initiativen von unten ergreifen. Das fängt jetzt an, etwa mit vielen inhaltlichen Anträgen an den Bundesparteitag, die sich dem Anpassungsdruck entgegenstemmen.

Dass es in der Frage „Regierung oder Opposition“ auch anders geht, zeigen wir in unserem Beitrag auf:
Wie soll sich die Linke Hessen gegenüber der SPD verhalten? Mitregieren, Tolerieren oder Opponieren?

1. Februar 2010 Posted by | Deutschland, Die LINKE, Politik, Sozialismus, SPD | , , , | Hinterlasse einen Kommentar

Niedersachsen: Bye Bye Garrelt Duin!

Der niedersächsische SPD-Vorsitzende Garrelt Duin hat gestern bekanntgegeben, dass er beim Landesparteitag im Mai nicht wieder kandieren werde und sich stärker in Berlin engagieren wolle.

Die Spatzen pfiffen es schon lange von den Dächern, dass große Teile der niedersächsischen SPD, außerhalb Ostfrieslands, Duin als den Verhinderer für einen programmatischen Neuanfang nach den erdrutschartigen Niederlagen bei den letzten Landtags- und Bundestagswahlen betrachteten. Der Seeheimer-Sprecher aus Hinte gehört zu den Kräften in der SPD, die es nicht für nötig halten den Kurs der Schröder-SPD kritisch zu reflektieren und von der Agenda 2010 oder den Hartz-IV-Gesetzen Abschied zu nehmen. Mit einer Weiter-so-Politik wird die SPD auch bei den kommenden Wahlen weiter an Stimmen verlieren, das haben zumindest große Teile der Partei erkannt, bei Garrelt Duin muss man das bezweifeln. Zumindest hat er gemerkt, dass er aus allen Gliederungen der Niedersachsen-SPD Gegenwind verspürte. Ihm wird ebenfalls vorgeworfen, dass er im Fall der  Delmenhorster Abgeordneten Swantje Hartmann komplett versagt und sie aus der Partei gemobbt habe. Duins ehemaligen Gefährtin aus Juso-Zeiten wurde eine große Zukunft in der SPD prophezeit, mittlerweile ist  sie zur CDU übergetreten.

Mit Duin als Herausforderer von Ministerpräsident Wulff hätte die SPD bei den Landtagswahlen 2013 keine Chance, da beide dieselbe neoliberale Politik vertreten und ihnen die Interessen der arbeitenden Menschen, der Arbeitslosen und der sozial Benachteiligten eh am Hut vorbeigehen. Duin ist eine schlechte Schröder-Kopie, dem man bescheinigen muss, dass er sich lieber im Kreise  von Wirtschafts- und Industrievertretern ablichten lässt, als dass er sich wirklich um die Sorgen und Nöte der WählerInnen kümmert. Deshalb ist der geplante Rückzug aus der niedersächsischen Politik kein Verlust, sondern bietet der SPD die Chance auf einen Neuanfang.

Der SPD-Politiker Haase (Emden) sieht in Duin „einen Kandidaten für einen Staatssekretärsposten oder gar ein Ministeramt“, aber auch in Berlin sind die „Genossen“ nicht von Duins Qualitäten überzeugt. Bei der Wahl des SPD-Präsidiums am 23.11.09 erhielt der niedersächsische SPD-Vorsitzende und wirtschaftspolitische Sprecher der Bundestagsfraktion nur 14 von 45 Stimmen und gehört dem Präsidium nicht an. D. h. zumindest zwei Drittel der SPD-Vorstandsmitglieder hatten erkannt, dass Duin mit seinen gescheiterten und überholten Politikvorstellungen nicht mehr in das Präsidium seiner Partei gehört.

Die LINKE in Ostfriesland schaut interessiert nach Hannover, in der Hoffnung, dass es der SPD gelingt einen Kandidaten/eine Kandidatin zu finden, welche(r) sich auf sozialdemokratische Tugenden besinnt, um so die Abwahl der schwarz-gelben Koalition 2013 in Angriff zu nehmen.

(Tony Kofoet)

30. Januar 2010 Posted by | Deutschland, Die LINKE, News, Niedersachsen, Ostfriesland, Seeheimer, Sozialpolitik, SPD | , , , | Hinterlasse einen Kommentar

Lafontaines Rede zum Neujahrempfang der LINKEn in Saarbrücken

Im Interesse der Mehrheit

Dokumentiert. Zur Strategie der Partei Die Linke nach der Bundeswahl 2009. Rede von Oskar Lafontaine beim Neujahrsempfang seiner Partei in Saarbrücken

Wir dokumentieren die Rede, die Oskar Lafontaine, Bundesvorsitzender der Partei Die Linke, am 19. Januar beim Neujahrsempfang seiner Partei in Saarbrücken gehalten hat. Die Zwischenüberschriften wurden von der Redaktion eingefügt.
Nach dem Wiedereinzug in den Deutschen Bundestag mit 11,9 Prozent der Stimmen und dem Erfolg bei der saarländischen Landtagswahl ist die Gründungsphase der Partei Die Linke abgeschlossen. Wir sind jetzt nicht nur in sechs ostdeutschen, sondern auch in sechs westdeutschen Landtagen vertreten und haben bei der Bundestagswahl 5155933 Wählerinnen und Wähler für uns gewonnen, mehr als die Grünen und mehr als die CSU.

Mit der Gründung der Partei Die Linke wollten wir vor allem die Außenpolitik und die Wirtschafts- und Sozialpolitik verändern. Diese Veränderungen sind in vollem Gange.

Kernforderungen zeigen Wirkung

Nachdem die Mehrheit der Bevölkerung es ablehnt, Deutschland am Hindukusch zu verteidigen, haben sich in diesen Tagen die beiden christlichen Kirchen erneut gegen den Afghanistankrieg ausgesprochen. Die mit uns konkurrierenden politischen Parteien suchen mit unterschiedlicher Intensität ihre Exitstrategie und führen Rückzugsgefechte. Westerwelle will keine weiteren Kampftruppen und einen Abzug der Bundeswehr in nicht allzu ferner Zukunft. Gabriel will, wie Obama, 2011 mit dem Rückzug der Bundeswehr beginnen. Zu Guttenberg hat erkannt, daß in Afghanistan Krieg ist, und daß dieser Krieg nicht zu gewinnen ist. Ebenso unmöglich sei es, so ließ er verlauten, eine Demokratie nach westlichem Vorbild aufzubauen. Darüber hinaus fordert er, wie einige CSU-Politiker schon vor ihm, einen Weg zu finden, um die Bundeswehr aus Afghanistan abzuziehen. Unser Wahlkampfplakat »Raus auf Afghanistan« zeigt Wirkung.

Bei Hartz IV fordert der Paritätische Wohlfahrtsverband eine »Totalrevision«. Der nord­rhein-westfälische Ministerpräsident Rüttgers weiß, daß ein Einzug der Linken in den nord­rhein-westfälischen Landtag ihn den Kopf kosten kann und wirbt für eine »Grundrevision« von Hartz IV. Gabriel greift unsere Forderung auf, langjährig versicherten Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern länger Arbeitslosengeld zu zahlen. Mittlerweile gibt es fast jeden Tag neue Vorschläge, um Hartz IV zu verändern. Im Kern geht es darum, die zerstörte Arbeitslosenversicherung wieder herzustellen. An ältere Arbeitslose, die jahrzehntelang in die Sozialversicherung eingezahlt haben, muß das Arbeitslosengeld länger gezahlt werden. Die Zumutbarkeitsklausel, die eine Einladung ist, die Löhne zu drücken, muß verändert werden. Unser Wahlplakat »Hartz IV abwählen« findet immer mehr Anhänger. Die anderen Parteien überarbeiten Hartz IV.

Für den gesetzlichen Mindestlohn werben neben der Partei Die Linke und den Gewerkschaften jetzt auch SPD und Grüne. Die Mehrheit der Wählerinnen und Wähler ist ohnehin dafür, bei uns Regeln einzuführen, die in den meisten europäischen Staaten selbstverständlich sind. Leider wurde die Bundestagsmehrheit zur Einführung des gesetzlichen Mindestlohns in der letzten Wahlperiode nicht genutzt, weil die SPD nicht aus der Koalitionsdisziplin ausscheren wollte. Es bleibt daher offen, wann dem mehrheitlichen Willen der Bevölkerung endlich im Deutschen Bundestag Rechnung getragen und das verheerende Lohndumping der letzten Jahre beendet wird. Jetzt wird die Praxis des Unternehmens Schlecker kritisiert, das wie viele andere Unternehmen die Deregulierung des Arbeitsmarktes zum Anlaß nimmt, die Löhne zu drücken. Die Brandstifter rufen nach der Feuerwehr. Der gesetzliche Mindestlohn würde den Schaden begrenzen.

Daß die jetzige Rentenformel nicht zu halten ist, wird immer deutlicher. Die Einführung der kapitalgedeckten Rente erweist sich in der Finanzkrise als eine historische Fehlentscheidung. Die Zerstörung der gesetzlichen Rentenversicherung bleibt ein Skandal. Wer heute 1000 Euro verdient, hat nach 45 Arbeitsjahren einen Rentenanspruch von 400 Euro. CDU/CSU, SPD, FDP und Grüne haben mit den sogenannten Rentenreformen millionenfache Altersarmut programmiert. Unser Wahlplakat »Gegen die Rente ab 67« überzeugt jetzt auch die Sozialpolitiker der anderen Parteien. Sie rücken von ihren bisherigen Beschlüssen ab und suchen einen gesichtswahrenden Ausweg. Es versteht sich von selbst, daß Die Linke weiterhin für die Angleichung des Rentenniveaus Ost eintritt.

Demokratische Erneuerung

Neben den vier Kernforderungen der Partei Die Linke zur Bundestagswahl 2009 »Raus aus Afghanistan«, »Hartz IV abwählen«, »Mindestlohn gerade jetzt« und »Gegen die Rente ab 67« hat sich die Wirtschaftspolitik der Linken in der Finanzkrise bewährt. Die Weltwirtschaft wäre zusammengebrochen, wenn nicht alle Industriestaaten im letzten Jahr eine expansive Geld- und Fiskalpolitik gemacht hätten. Mit Verwunderung müssen viele einräumen, daß die neoliberale Ideologie der Deregulierung die Weltwirtschaft in die Krise geführt hat, und daß der von linken Parteien befürwortete Keynesianismus ihren Zusammenbruch verhindert hat. Da aber die Forderung der Linken nach einer Regulierung des Finanzsektors und der Vergesellschaftung des Bankensektors nirgendwo ernsthaft in Angriff genommen wurde, ist mit dem Geld der Zentralbanken nicht die Realwirtschaft gestärkt, sondern die nächste Finanzblase finanziert worden. In bisher einmaliger Weise wurde deutlich, daß die Finanzindustrie die Politik bestimmt und nicht umgekehrt. Der deregulierte Finanzkapitalismus hat die Demokratie ausgehöhlt.

Wir haben an der Deregulierung der Finanzmärkte nicht mitgewirkt und ihre Regulierung seit Jahren gefordert. Auch deshalb begreifen wir uns als demokratische Erneuerungsbewegung. Entweder der Staat kontrolliert und reguliert die Banken, oder die Finanzindustrie kontrolliert und reguliert die Politik.

Wer sich als demokratische Erneuerungsbewegung begreift, muß sagen, was er unter Demokratie versteht. Die Linke beruft sich auf die klassische, dem athenischen Staatsmann Perikles zugeschriebene Definition: »Der Name, mit dem wir unsere politische Ordnung bezeichnen, heißt Demokratie, weil die Angelegenheiten nicht im Interesse weniger, sondern der Mehrheit gehandhabt werden.«

Zu den Ursachen, die zur weltweiten Finanzkrise geführt haben, gehört nicht nur die Deregulierung der Finanzmärkte, sondern auch die von Jahr zu Jahr zunehmende ungleiche Verteilung der Vermögen und Einkommen. Diese Ursache der Finanzkrise wird leider auch von denen übersehen, die wie wir in der Deregulierung eine entscheidende Fehlentwicklung sehen. Der Satz Rosa Luxemburgs: »Ohne Sozialismus keine Demokratie und ohne Demokratie kein Sozialismus« sagt nichts anderes, als daß es ohne eine gerechtere Vermögensverteilung keine Demokratie gibt, weil eine ungerechte Vermögensverteilung zu undemokratischen Machtstrukturen führt. Die Linke wirft als einzige politische Kraft die Frage auf, was wem warum gehört. Sie will eine Gesellschafts- und Rechtsordnung, in der das Eigentum dem zugesprochen wird, der es erarbeitet und geschaffen hat. Deshalb fordern wir bei größeren Produktionsunternehmen, den Zuwachs des Betriebsvermögens denen zuzuschreiben, die es erarbeitet haben. Dieses Belegschaftsvermögen bleibt im Betrieb und sichert den Belegschaften die Rechte der Anteilseigner. Nur so kann die Wirtschaft Schritt für Schritt demokratisiert werden und eine Gesellschaftsordnung entstehen, in der sich die Interessen der Mehrheit durchsetzen.

Kampagnenjournalismus

Weil Die Linke eine Eigentumsordnung befürwortet, die das Eigentum denen zuspricht, die es geschaffen haben, wird sie von den Nutznießern der jetzigen Eigentumsverteilung, die auf der Enteignung der Belegschaften beruht, bekämpft. Das gilt auch für die privatwirtschaftlichen Medien, in denen, so der Gründungsherausgeber der FAZ Paul Sethe, 200 reiche Leute ihre Meinung verbreiten. Dabei gehen die Medien bei linken Parteien immer nach dem gleichen Muster vor. Sie unterscheiden zwischen angeblichen Realpolitikern und Pragmatikern auf der einen Seite und sogenannten Chaoten, Populisten und Spinnern auf der anderen Seite. Auf diese Weise nehmen sie Einfluß auf die politische Willensbildung und die Personalentscheidungen der linken Parteien. Bei der SPD hat sich so über viele Jahre der sogenannte Reformerflügel durchgesetzt mit dem Ergebnis, daß sich Wählerschaft und Mitgliedschaft halbierten. Agenda 2010 und Kriegsbefürwortung zerstörten den Markenkern der SPD: Das Eintreten für soziale Gerechtigkeit und Frieden.

Die Grünen, die gerade 30 Jahre alt geworden sind, wurden nach demselben Muster beeinflußt und so zur staatstragenden Partei. Der »Realoflügel« wurde gehätschelt, und die »Chaoten« und »Spinner« wurden immer wieder herunter geschrieben. Wie bei der SPD setzte sich der »Realoflügel« durch. Aus einer Partei, die bei ihrer Gründung soziale Gerechtigkeit, Gewaltfreiheit, Basisdemokratie und Umweltschutz auf ihre Fahne geschrieben hatte, wurde eine Partei, die die Agenda 2010 und Kriege befürwortet. Warum ereilte die Grünen nicht dasselbe Schicksal wie die SPD? Die Antwort ist einfach. Die Grünen sind zur Partei der Besserverdienenden geworden. Ihre Wählerinnen und Wähler wollen alle mehr Umweltschutz. Sie unterstützen aber mehrheitlich Kriege, die verharmlosend humanitäre Interventionen genannt werden. Der Markenkern der Grünen ist das Eintreten für den Umweltschutz. Soziale Gerechtigkeit, Gewaltfreiheit und Basisdemokratie gehören aus Sicht vieler ihrer Anhänger nicht unbedingt dazu. Deshalb blieb den Grünen das Schicksal der SPD erspart.

Bei der neuen, erst zweieinhalb Jahre alten Partei Die Linke versuchen die Medien dasselbe Spiel. Sie preisen unermüdlich die sogenannten Reformer und Pragmatiker und polemisieren ständig gegen angebliche Populisten, Fundamentalisten, Chaoten und Spinner. Unterstützt werden sie dabei selbstverständlich von den »Reformern« und »Pragmatikern« der anderen Parteien, die immer wieder die Litanei von der Regierungsuntauglichkeit der Partei Die Linke herunterbeten. Würden wir auf diese Propaganda, auf diesen Kampagnenjournalismus hereinfallen, dann erginge es uns wie der SPD. Da wir noch weniger »etabliert« sind, würden sich Wählerschaft und Mitglieder noch schneller halbieren.

Linker Markenkern

Unsere Wahlerfolge verdanken wir dem Markenkern, den wir uns gemeinsam in den letzten Jahren erarbeitet haben. Die Linke ist für ihre Anhängerinnen und Anhänger die Partei des Friedens, der sozialen Gerechtigkeit und der wirtschaftlichen Vernunft. Sie stimmt im Bundestag in der Tradition Karl Liebknechts und Willy Brandts gegen Kriegseinsätze. Sie wendet sich im Gegensatz zur Konkurrenz gegen Sozial­abbau, Personalabbau im öffentlichen Dienst und gegen die Privatisierung von Einrichtungen der Daseinsfürsorge. Sie will den Finanzsektor auf seine ursprüngliche Aufgabe beschränken, die Ersparnisse in wirtschaftliche Investitionen zu lenken.

Wenn über die Richtigkeit oder Falschheit einer Strategie geurteilt wird, dann entscheiden nicht Strömungen oder Kommentatoren, sondern die Wählerinnen und Wähler. Der Markenkern der neuen Partei, der in der Bundestagswahl mit den Forderungen »Raus aus Afghanistan«, »Hartz IV abwählen, »Mindestlohn gerade jetzt« und »Gegen die Rente ab 67« beschrieben wurde, begründete den Wahlerfolg der Linken.

Um diese unbestreitbare Tatsache kleinzureden und den Anpassungsdruck zu erhöhen, wird behauptet, Wahlerfolge seien nur dann etwas wert, wenn sie auch zu Regierungsbeteiligungen führen. Einfache Gemüter kleiden diese Überzeugung in die Formel: Opposition ist Mist. Daß auch Regierung Mist sein kann, hat die SPD bei den letzten Wahlen schmerzlich erfahren. Sie enttäuschte in der großen Koalition ihre Anhängerinnen und Anhänger erneut mit Mehrwertsteuererhöhung und Rente mit 67 und wurde dafür abgestraft. Ähnlich erging es unserer Schwesterpartei, der »Rifondazione Comunista« in Italien, die entgegen ihren Wahlversprechen in der Regierung die Kriegsbeteiligung Italiens in Afghanistan und die Kürzung sozialer Leistungen befürwortete. Heute ist sie nicht mehr im Parlament vertreten. Ebenso hat eine der beiden Vorläuferparteien der Linken, die PDS, leider mit Regierungsbeteiligungen nicht die besten Erfahrungen gemacht. Dabei müssen Regierungsbeteiligungen nicht notwendig zu Stimmverlusten bei Wahlen führen. Es gibt viele Beispiele, die das Gegenteil beweisen.

Mitregieren – ja oder nein?

Um keinen Zweifel aufkommen zu lassen: Ich bin für Regierungsbeteiligungen, wenn wir im Sinne unserer Programmatik die Politik verändern. Wer aber behauptet, nur durch die Regierungsbeteiligung könne eine Partei Politik und Gesellschaft verändern, verkennt die Wirkungsweise des parlamentarischen Regierungssystems. Die Sozialgesetze Bismarcks waren beispielsweise nicht das Ergebnis der Einsicht des Eisernen Kanzlers, sondern sie verdanken ihre Entstehung der Absicht, das Erstarken der SPD zu verhindern. Die umlagenfinanzierte Rente und die Einführung der paritätischen Mitbestimmung wurden von Konrad Adenauer auf den Weg gebracht, um eine Regierungsbildung durch die SPD zu verhindern. Die Grünen haben die Programme der anderen Parteien verändert, ohne an der Regierung beteiligt zu sein. Die Linke hat auch nach dem Urteil ihrer schärfsten Kritiker die Agenda der deutschen Politik in der zurückliegenden Wahlperiode mitbestimmt. Nach unserem Erfolg bei der Bundestagswahl überbieten sich, wie bereits erwähnt, die anderen Parteien damit, Strategien zum Abzug der Bundeswehr aus Afghanistan zu entwickeln und Verbesserungen in der Arbeitslosen- und Rentenversicherung vorzuschlagen. Es zeigt sich: Je stärker Die Linke, umso sozialer das Land.

Statt auf diesen Erfolgen aufzubauen und uns auf den Einzug der Partei Die Linke in den nord­rhein-westfälischen Landtag zu konzentrieren, leisten wir uns überflüssige Personalquerelen und genießen die wievielte Auflage der Debatte: Regierungsbeteiligung ja oder nein. Zu den Personalquerelen haben vor allem Gregor Gysi und Klaus Ernst das Notwendige gesagt. Dort, wo Menschen zusammenarbeiten, das gilt für alle Organisationen und Parteien, gibt es Eitelkeiten, Rivalitäten und persönliche Befindlichkeiten. Da nicht alle Akteure einander in tiefer Sympathie und Zuneigung verbunden sind, muß man sich wie im Alltag an Regeln halten, die ein solidarisches Miteinander ermöglichen.

Was die Regierungsbeteiligung angeht, so wird so getan, als gäbe es bei unserer Partei im Osten Regierungswillige und im Westen Fundamentalisten, die eine Regierungsbeteiligung ablehnen. Das ist offenkundig falsch. In Hessen wollte Die Linke Andrea Ypsilanti zur Regierungschefin wählen. Das ist an der SPD gescheitert. Im Saarland wollten wir eine rot-rot-grüne Koalition. Diese scheiterte an den Grünen, die von einem der FDP angehörenden Unternehmer gekauft waren. Und in Hamburg verweigerte nicht Die Linke eine mögliche rot-rot-grüne Regierung, sondern die SPD schloß sie von vornherein aus. Auch die Diskussion in Brandenburg verlief nicht nach dem Muster Regierungsbeteiligung ja oder nein. Vielmehr ging es um den Arbeitsplatzabbau im öffentlichen Dienst. Ich hätte den Koalitionsvertrag so nicht unterschrieben, weil unsere Haltelinien: Kein weiterer Sozialabbau, kein weiterer Personalabbau im öffentlichen Dienst und keine weitere Privatisierung Voraussetzung einer Regierungsbeteiligung sein müssen. In einer Zeit, in der im vereinten Deutschland weniger öffentlich Beschäftigte arbeiten als in der ehemaligen Westrepublik, halte ich einen weiteren Arbeitsplatzabbau im öffentlichen Dienst nicht für vertretbar. Hätten wir in Deutschland den gleichen Anteil öffentlicher Beschäftigter an der Gesamtbeschäftigung wie in Schweden, dann gäbe es je nach Rechnung fünf bis sieben Millionen zusätzliche Arbeitsplätze im öffentlichen Dienst.

Auch in Hessen haben wir darüber gestritten, ob Die Linke eine Tolerierungsvereinbarung unterschreiben könne, in der festgelegt war, daß sie keine Mitsprache bei den Bundesratsentscheidungen der hessischen Landesregierung haben soll. Ich war dagegen und hätte eine Tolerierungsvereinbarung, die uns zumuten wollte, eine Regierung zu unterstützen, auf deren Bundesratsentscheidungen wir keinen Einfluß gehabt hätten, nicht mitgetragen.

Auch die bei den Verhandlungen zur Regierungsbildung in Thüringen von uns erhobene Forderung, daß Die Linke dann den Regierungschef stellen muß, wenn sie in einer Koalition die stärkste Partei ist, wird im Osten und im Westen geteilt. Der Kampagnenjournalismus mit dem Tenor im Osten sitzen die »regierungswilligen Pragmatiker« und im Westen die »regierungsunwilligen Chaoten« ist also eine hahnebüchene Verdrehung der Tatsachen und der Wahrheit. Das beweist auch mein wiederholtes Angebot an die SPD in der letzten Legislaturperiode, einen sozialdemokratischen Kanzler zu wählen, wenn die Bundeswehr aus Afghanistan abgezogen und der gesetzliche Mindestlohn eingeführt würde. Darüber hinaus müsse eine armutsfeste Rente beschlossen und Hartz IV generell überarbeitet werden. Das sind genau die Forderungen, die die SPD jetzt zeitverzögert mehr oder weniger erfüllen wird.

Programmatisches

Wenn es darum geht, das baldige Auseinanderfallen der Linken an die Wand zu malen, behaupten die Medien, wir hätten kein Programm, und wenn wir einmal über ein solches diskutierten, dann sei die Spaltung unvermeidlich. Obwohl auch hier die Tatsachen dagegen sprechen, wird diese Platte immer wieder aufgelegt. Dabei haben wir neben dem Gründungsaufruf ein von allen Mitgliedern durch einen Mitgliederentscheid gebilligtes Programm, das sich leider »Programmatische Eckpunkte« nennt. Das Wort Eckpunkte erweckt den Eindruck des Unfertigen und bietet daher Kritikern die Möglichkeit so zu tun, als sei das gar kein richtiges Programm. Es ist aber eine hervorragende Grundlage unserer politischen Arbeit und braucht den Vergleich mit ähnlichen Programmen anderer Parteien nicht zu scheuen. Richtig ist, daß wir noch kein Grundsatzprogramm verabschieden konnten, weil wir im letzten Jahr das Europawahlprogramm und das Bundestagswahlprogramm vorlegen mußten. Die Grundsatzprogrammkommission hat schon Texte erarbeitet und gute Vorarbeit geleistet, so daß der Partei bald ein Diskussionsentwurf vorgelegt werden kann.

Da sich die Grundsatzprogramme der Parteien in der Formulierung allgemeiner Ziele ähneln, kommt es für Die Linke darauf an, die Programmpunkte herauszuarbeiten, durch die sie sich von anderen Parteien unterscheidet. Dazu gehören nach meiner Meinung folgende Punkte:

1. Wir halten daran fest, daß eine Demokratie eine Gesellschaft ist, in der sich die Interessen der Mehrheit durchsetzen.

2. Das parlamentarische Regierungssystem muß deshalb durch Elemente direkter Demokratie ergänzt werden. Der Volksentscheid ist das geeignete Mittel.

3. Parteispenden von Unternehmen, Unternehmerverbänden, Banken und Versicherungen müssen gesetzlich verboten werden. Die Millionenspende an die FDP als Belohnung für die Mehrwertsteuerreduktion im Hotelgewerbe spricht Bände.

4. Kein Parlamentsmitglied darf während der Ausübung des Mandats auf der Lohnliste eines Unternehmens oder Wirtschaftsverbandes stehen.

5. Der politische Streik ist für Die Linke, wie in vielen Staaten Europas, ein Mittel um Fehlentscheidungen des Gesetzgebers wie Rente mit 67 oder Hartz IV zu korrigieren.

6. Die Linke nimmt keine Spenden von großen Unternehmen und Wirtschaftsverbänden und verlangt von ihren Mandatsträgerinnen und Mandatsträgern während der Ausübung des Mandates nicht auf der Lohnliste von Unternehmen und Wirtschaftsverbänden zu stehen. Für wichtige politische Fragen und Richtungsentscheidungen sieht die Satzung den Mitgliederentscheid vor.

7. Krieg ist kein Mittel der Politik. Das Völkerrecht ist die Grundlage der Außenpolitik.

8. Die Eigentumsfrage ist die Grundfrage der Demokratie. Das Eigentum soll dem zugesprochen werden, der es geschaffen hat. Das Bürgerliche Gesetzbuch (BGB) legt fest: »Wer durch Bearbeitung oder Umbildung eines oder mehrerer Stoffe eine neue bewegliche Sache herstellt, erwirbt das Eigentum an der neuen Sache.« Die Mitarbeitergesellschaft ist das Unternehmen der Zukunft.

9. Alle Bürgerinnen und Bürger sind vor dem Gesetz gleich. Der Rechtsstaat muß sozial werden. Ein Gerichtsverfahren über einen höheren Streitwert kann die Mehrheit der Bevölkerung wegen der geltenden Gebührenordnung nicht bezahlen. Heute gilt: Das unerlaubte Aufessen eines Brötchens führt zur Kündigung, die Veruntreuung von Milliarden wird mit Millionenabfindungen belohnt.

10. Die sozialen Sicherungssysteme müssen in staatlicher Regie bleiben. Die Beitragsbemessungsgrenzen sind aufzuheben. Generaldirektor und Pförtner müssen von ihrem Einkommen prozentual den gleichen Beitrag zur Sozialversicherung leisten.

11. Das Steuerrecht muß sozial werden. Beispiel: Pendlerpauschale. Wir fordern eine zu versteuernde Direktzahlung an alle Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, um auch die Niedrigverdiener zu unterstützen, die keine Steuern zahlen.

Im Zusammenhang mit den Personaldiskussionen der letzten Wochen wurde auch darüber philosophiert, wer von den Mitgliedern der Parteiführung »unersetzlich« sei. Solche Debatten sind überflüssig. Auch für Die Linke gilt: Niemand ist unersetzlich. Unersetzlich sind nur eine Politik und eine Strategie der Linken, die von immer mehr Wählerinnen und Wählern akzeptiert werden.

Die Linke wird ihre Stellung im Parteiensystem der Bundesrepublik festigen und weiter ausbauen, wenn sie sich klar von den Parteien, die Kriege befürworten und Hartz IV und die Agenda 2010 zu verantworten haben, unterscheidet.

Nach unseren Erfolgen im letzten Jahr müssen wir uns jetzt auf die Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen konzentrieren. Im Mittelpunkt dieser Auseinandersetzung steht ein zentrales Thema unserer Bundestagswahlkampagne: Wer bezahlt die Folgen der Finanzkrise? CDU und FDP wollen die Wählerinnen und Wähler betrügen, in dem sie die sozialen Kürzungen, die sie vorbereitet haben, vor dieser entscheidenden Wahl verschweigen. Es ist unsere Aufgabe, dieses Spiel zu durchkreuzen. Der Einzug der Linken auch in den nordrhein-westfälischen Landtag würde dazu führen, daß die Lasten der Finanzkrise gerechter verteilt werden. Dafür lohnt es sich zu streiten.

Quelle: jungeWelt 20.01.2010

19. Januar 2010 Posted by | Afghanistan, Antimilitarismus, Bundeswehr, Deutschland, Die LINKE, News, Politik, Sozialismus, Sozialpolitik, SPD | , , , , , , | Hinterlasse einen Kommentar

Agenda 2010: Zunehmende Polarisierung


Hintergrund. Agenda 2010 – Im Jahr der Offenbarung

Von Christian Christen

Im kommenden März ist es sieben Jahre her, daß der damalige Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) in der Regierungserklärung »Agenda 2010 – zum Frieden und Mut zur Erneuerung« die sozial- und wirtschaftspolitischen Leitlinien seiner zweiten Amtszeit präsentierte. Profitierte die erste Bundesregierung von SPD und Bündnis 90/Die Grünen ab 1998 bis 2001 noch von der hohen Exportnachfrage und einem daraus resultierenden Wachstum der Ausrüstungsinvestitionen der produzierenden Wirtschaft, in deren Folge die ausgewiesene Zahl der Arbeitslosen stetig sank und die Steuereinnahmen wie Einnahmen der Sozialversicherungen stiegen, änderte sich 2002 die Situation grundlegend. Weitgehend konzeptionslos nahm »Rot-Grün« Ende 2001 den Konjunktureinbruch zur Kenntnis, und es wurde offenkundig, daß ein progressives wirtschafts- und sozialpolitisches Projekt dieser Koalition nie existierte. Statt dessen fabulierte man lange Zeit vom stetigen, inflationsfreien und stabilen Wachstum einer »New Economy«-Ära. Nach dem Platzen der Träume im Finanzcrash um die »Dot com«-Aktien stieg Anfang 2002 die Zahl der registrierten Arbeitslosen schnell auf über vier Millionen, und wie 1998 fehlten mehr als sieben Millionen Arbeitsplätze, um Vollbeschäftigung zu erreichen. Logischerweise sanken im Abschwung die Einnahmen von Bund, Ländern, Kommunen und der Sozialversicherung, während die Ausgaben und Defizite wuchsen.

Vor diesem Hintergrund mahnte der Kanzler im März 2003 den politischen Aufbruch an und lieferte mit der Agenda 2010 seine Blaupause. Wie seit den 70er Jahren jede Regierung setzte auch »Rot-Grün« zur Überwindung der sozioökonomischen Krise primär auf die Exportwirtschaft, und dazu sollten die Kosten der Arbeit sinken, um in Kombination mit der hohen deutschen Produktivität auf den internationalen Märkten absolute wie relative Wettbewerbserfolge zu erzielen. Diese Strategie basierte stets auf der Reduktion der sogenannten Lohnnebenkosten, da ein frontaler Eingriff in die Tarifautonomie und somit die Primärverteilung zwischen Profit und Lohn politisch unmöglich war. Mit der Regierungserklärung machte sich Schröder nun vollends die These zu eigen, daß das Wirtschaftswachstum zu gering sei, weil der Arbeitsmarkt überreguliert, das Sozialnetz ineffizient und die »Lohnnebenkosten« zu hoch seien. Allenthalben müßten »verkrustete« Strukturen aufgebrochen werden, um Wettbewerb und Wachstumskräfte zu stärken, um Innovationen zu fördern und zukünftige Generationen zu entlasten, um signifikant weniger Arbeitslose und »wetterfeste« Sozialsysteme zu bekommen.

Für die damalige Regierung markierte diese Positionsbestimmung eine doppelte Wende: Zum einen hatte sie die Bundestagswahlen wenige Monate zuvor mit einer anderen Programmatik gewonnen. Die fehlende Legitimation der Agenda-Politik an der Wahlurne erklärt, warum bis zu den vorgezogenen Neuwahlen 2005 alle Reformen im Jargon des Notstands präsentiert und sogar mit breiter Unterstützung der Opposition (Ausnahme PDS) durchgesetzt wurden. Zum anderen manifestierte sich über die Agenda 2010 ein radikaler Kurswechsel in zentralen Politikfeldern der SPD, ohne offen und dezidiert vorher über Sinn und Inhalt zu diskutieren. Von dieser »Top down«-Strategie mit der zugehörigen »Basta-Ideologie« und dem späteren Abnicken der Reformen über alle Parteigremien hinweg hat sich die SPD seither nicht erholt.

Vom Stückwerk zum Konzept

Zumindest bei der SPD sind die Effekte der Agenda 2010 bei den folgenden Wahlen und der Mitgliederentwicklung klar abzulesen. Viel schwieriger ist aber die Bewertung der sozial- und wirtschaftspolitischen Folgen der im Namen dieses Konzepts durchgesetzten Reformen. Im Bereich der sozialen Sicherung bilden dabei die Arbeitsmarktreformen den Kern, die in der Kommission »Moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt« unter dem damaligen Volkswagen-Vorstandsmitglied Peter Hartz (SPD) formuliert und öffentlich als Hartz I bis IV bekannt wurden. Die von der Bertelsmann Stiftung moderierte und beeinflußte Hartz-Kommission tagte von Februar bis August 2002, so daß Hartz I (u. a. Ausweitung der befristeten Arbeit und der Leiharbeit, Verschärfung der Zumutbarkeitsregeln, Ausbau der Personal-Serviceagenturen) und Hartz II (Ich-AG, Ausbau der Minijobs, Kombilohnmodelle für Ältere etc.) vor Schröders Regierungserklärung in Kraft getreten sind. Danach gab es Änderungen des Kündigungsschutzes, Hartz III (Umbau der Bundesanstalt der Arbeit und Veränderungen der Zuständigkeiten) und schließlich Hartz IV (Zusammenlegung von Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe zum Arbeitslosengeld II).

Ebenfalls vor März 2003 war über die Rentenreform 2001 die (Teil-)Privatisierung der Alterssicherung und darüber der Systembruch in der Rentenpolitik der Nachkriegszeit durchgesetzt worden. Eingestielt über die später eingesetzte »Rürup-Kommission« setzte »Rot-Grün« dann die Rentenerhöhung 2004 aus, erhöhte die Altersgrenze der Frühverrentung und führte ab 2005 den Nachhaltigkeitsfaktor bei der Rentenberechnung ein. In Ergänzung zur Politik von 2001 sollten diese Anreize für den späteren Übergang in die Rente erhöht werden, was in der großen Koalition über die »Rente mit 67« institutionell verankert wurde.

Dritter Ansatzpunkt der Agenda 2010 war die Entwicklung der Gesundheitskosten, was die anschließenden Gesundheitsreformen erklärt. Es wurden u.a. das Sterbegeld, die Zahlungen der gesetzlichen Kassen für Brillen und Fahrten zur ambulanten Behandlung gestrichen und der Leistungsabbau mit der Forderung nach mehr Eigenleistung über die Einführung der Praxisgebühr (zehn Euro pro Quartal), der Zahlung von Krankenhausgeld (zehn Euro pro Tag) kombiniert. Ebenso wurde die Zuzahlung für Zahnersatz abgeschafft und der Eigenanteil an den Kosten für Arznei- und Heilmittel erhöht.

Die Gemeindefinanzreform gilt als vierter Bereich der Agenda 2010, wozu die eingesetzte Gemeindefinanzreformkommission im Sommer 2003 ihre Vorschläge präsentierte. Nach dem Einspruch der unionsgeführten Länder im Bundesrat wurden die Gesetze so modifiziert, daß es keine strukturelle Verbesserung der Einnahmesituation der Länder und Kommunen geben konnte. Abgelehnt wurden bei der Gewerbesteuerreform alle Vorschläge zur Erweiterung des Kreises der Steuerpflichtigen und Erhöhung der Bemessungsgrundlage. Bei der Finanzierung von Hartz IV (vor allem bei den Kosten der Unterbringungen) stellten Bund und Länder den Kommunen keine signifikante Entlastung in Aussicht. Kontroversen zur Kostenübernahme und über die Zuständigkeit sind deshalb bis heute logische Konsequenz, ebenso blieben die Ursachen des strukturellen Defizits der kommunalen Haushalte bestehen.

Fünfter Bereich der Agenda 2010 sind die Steuerreformen, mit denen zum einen Maßnahmen der Gesetzgebung der SPD-Grünen-Regierung nach 1999 revidiert und »handwerkliche« Fehler ausgeglichen werden sollten. Zum anderen wurde die Entlastung hoher und höchster Einkommen sowie Vermögen und der Unternehmen fortgesetzt. Exemplarisch sank unter »Rot-Grün« der Spitzensteuersatz auf 42 Prozent, und nie gab es einen ernsthaften Versuch, eine revidierte Vermögenssteuer zu konzipieren. Entgegen aller Logik wurden die Zinseinkünfte als eigenständige Einkommensart definiert und mit nur 25 Prozent besteuert.

Erwähnenswert ist auch das naive Vorhaben, Steuerhinterziehung durch die Kapitalflucht nachträglich zu legalisieren, um weitere Kapitalflucht zu verhindern: Wer bis Ende 2004 die aus seinem Fluchtkapital resultierenden Zinseinkünfte nach eigenem Ermessen deklariert und mit 25 Prozent versteuert, konnte ein Verfahren zur Steuerhinterziehung vermeiden. Finanziert wurden die Steuergeschenke primär durch Kürzungen an andere Stelle des Haushaltes und vor allem die Kürzung der Pendlerpauschale und Eigenheimzulage.

Neben diesen fünf Reformprojekten lassen sich die etwa 38 gesetzlichen Maßnahmen zur Liberalisierung und Deregulierung des nationalen Finanzmarktes der Logik der Agenda 2010 zuordnen. Euphorisiert von der Preisinflation an den Geld- und Kapitalmärkten seit Ende der 90er Jahre wollten SPD und Grüne unbedingt den »Finanzplatz Deutschland« fördern, was neben der »Riester- und Rürup-Rente« über das vierte Finanzmarktförderungsgesetz 2002 erfolgte. In Kontinuität der Politik unter Helmut Kohl (CDU) wurden darüber hinaus zahlreiche Regulierungen gelockert, die Konstruktion von und der Handel mit »Finanzinnovationen« erleichtert und die Aufsichtsstrukturen nicht adäquat aus- und aufgebaut. 2003 wurden konkret die Verbriefung von Krediten und der Handel mit diesen strukturierten Wertpapieren steuerlich begünstigt. Die Möglichkeiten für Hedgefonds wurden 2004 verbessert, unter der großen Koalition dann erneut 2005 Produktinnovationen und neue Vertriebswege gefördert und sogar noch 2008 die Private-Equity-Fonds begünstigt. Trotz der jüngsten Finanzkrise sind alle diese Reformen bis zum heutigen Tag in Kraft.

Konzeption aus dem Nichts?

Unzweifelhaft war Gerhard Schröder zu keiner Zeit in der Lage, die Ziele und Instrumente der Agenda 2010 zu formulieren, was aber auch nie von ihm gefordert wurde. Denn die Eckpunkte der Wirtschafts-, Sozial- und Finanzpolitik werden seit Jahrzehnten im engen institutionellen Geflecht zwischen Politik, Wissenschaft, Unternehmen, Lobbygruppen sowie Einzelpersonen und den nachgeschalteten Massenmedien be- und verhandelt. Potentielle »Vetospieler« aus den Reihen der Gewerkschaft und der Wohlfahrtsverbände, der sozialen Bewegung und/oder Wissenschaft werden bei Bedarf bis zu einem gewissen Grad eingebunden. Weitergehende Analysen werden ausgeblendet und/oder stigmatisiert, folglich konzentriert sich der Streit um die »Reformen« stets nur auf die Geschwindigkeit, Tiefe und Instrumente, nie geht es um deren Sinn und Zweck. In dieser Hinsicht ist die Agenda 2010 eben keine Erfindung genialer Parteistrategen oder intellektueller Schwergewichte um die »rot-grüne« Regierung. Sie ist ein Surrogat von Positionen der seit den 70er Jahren geführten Standortdebatten, angereichert mit Versatzstücken der neoliberalen Sozialstaatskritik. Die Eckpunkte der Agenda-Politik mit der entsprechenden Rhetorik finden sich bereits 1998 im Buch des SPD-Wahlkampfstrategen und späteren Kanzleramtsministers Bodo Hombach »Aufbruch – Die Politik der neuen Mitte«. Von Hombach eingespielt wird der zweite Aufguß der Thesen im Schröder-Blair-Papier 1999 verbreitet. Die Rede vom »aktivierenden Sozialstaat« und vom »Fordern und Fördern« gepaart mit einer unreflektierten Idealisierung von Innovationen, Wettbewerb, Marktmechanismen und der Leistungsträger tauchen in allen Debatten zur »Neuen Mitte« sowie zum »Dritten Weg« auf und bestimmten Ende der 90er Jahre die Posi­tionsfindung fast aller sozialdemokratischen bzw. sozialistischen Parteien in Europa.

Komplementär wurden in der gleichen Phase identische Reformvorschläge für den Bereich der sozialen Sicherung und zur Förderung von mehr Wettbewerb und der »Wirtschaft« in den europäischen Institutionen gebündelt. Kulminationspunkt am Höhepunkt der »New Economy«-Euphorie war die sogenannte Lissabon-Strategie der EU-Kommission, Europa bis 2010 zum wettbewerbsfähigsten, innovativsten Wirtschaftsraum der Welt zu machen. Um im globalen Konkurrenzkampf zu bestehen, sollten alle strukturellen Hindernisse auf dem Binnenmarkt abgebaut und über das Abkommen von Lissabon (zunächst als Verfassung, dann als einfaches Vertragswerk) mehr Wettbewerb auf allen Ebenen implementiert werden. Ergänzend zu den Maastricht-Kriterien und der autonomen Geldpolitik der Europäischen Zentralbank wurde ein dritter Rahmen konstruiert, der die nationale Wirtschafts-, Sozial- und Fiskalpolitik auf bestimmte Ziele verpflichtete. Folglich mußten die Regierungen zugehörige Reformagenden – wie in Deutschland die Agenda 2010 – formulieren und implementieren.

Probleme bleiben ungelöst

Die Kontroverse um die Effekte der Agenda 2010 rückte nach der Abwahl von SPD und Grünen im Jahr 2005 und mit Beginn der schwersten Finanz-/Wirtschaftskrise seit den 30er Jahren in den Hintergrund. In Folge der daraus resultierenden massiv steigenden öffentlichen Verschuldung in den kommenden Jahren und der 2011 greifenden »Schuldenbremse« wird aber der Ruf nach radikalen wirtschafts-, finanz- und sozialpolitischen Reformen lauter werden. Entsprechend wird die in der Politik und den Medien vertretene These revitalisiert, die Agenda 2010 wäre notwendig und sogar erfolgreich gewesen. Dieser Zuspruch hängt in der Regel am Grad der parlamentarischen Beteiligung und ideologischen Begleitung der skizzierten Reformprojekte.

Zugleich folgt die Wertung dem ökonomischen Grundverständnis der Interpreten: Gilt die Verbesserung der Bedingungen für die »Wirtschaft« bzw. Unternehmen, die Reduktion der Kosten der Arbeit und der Staatsquote als entscheidend, um die Beschäftigungskrise der Industriegesellschaft zu lösen und die wachsende Ungleichheit zu minimieren, läßt sich die Agenda 2010 im Detail scharf kritisieren, zugleich jedoch deren Grundrichtung verteidigen. Schließlich hängt die Positionierung daran, wer von welchen Maßnahmen wie profitiert, wer die Lasten trägt und zu welcher Gruppe man selbst gehört. Die Bewertung der Folgen der Agenda 2010 fällt subjektiv unterschiedlich aus. Sie ist auch objektiv im Detail nicht einfach, da sich bestimmte Entwicklungen nicht immer einzelnen Reformen klar zuordnen lassen. Jede überdeterminierte Betrachtung übersieht zudem, daß die Reformen in der Sozialgesetzgebung von »Rot-Grün« vor und nach 2003 ganz in der Tradition des seit den 70er Jahren bekannten Um-/Abbaus des Sozialstaates stehen.

Trotz dieser Einschränkungen bleibt es ein Märchen, den konjunkturellen Aufschwung ab 2004 auf die Agenda 2010 zurückzuführen. Verantwortlich waren erneut der Anstieg der Exporte und Ausrüstungsinvestitionen, was das Problem der Ungleichgewichte der Leistungs- und Zahlungsbilanzen verschärfte und als zentrale Ursache der Finanz-/Wirtschaftskrise ab 2007 zu werten ist. De facto zeigen sich neuerlich die massiven Probleme der seit vier Jahrzehnten bestimmenden Strategie in Deutschland, aufbauend auf bestimmten Schlüsselbranchen (Chemie, Maschinenbau, Automobilindustrie) ständig als Exportweltmeister glänzen zu wollen. Im Hinblick auf die skizzierten Arbeitsmarktreformen konstatierte dagegen die Bundesregierung schon 2005 im Bericht »Die Wirksamkeit moderner Dienstleistungen am Arbeitsmarkt« das komplette Versagen von Hartz I bis III. Allein für Hartz IV fällt die offizielle Interpretation bis heute positiv aus. Allerdings konnte die großspurig behauptete Halbierung der Arbeitslosigkeit im Zyklus 2004–2007 nie erreicht werden, noch wurden neue, gut entlohnte, sozialversicherungspflichtige Arbeitsplätze in signifikanter Größe geschaffen.

Dagegen hat sich der Anteil der Zeitarbeit von 1994 bis 2006 vervierfacht und umfaßte Mitte 2007 bereits 730000 Personen. Zum selben Zeitpunkt waren 14,6 Prozent aller Arbeitsverträge in Deutschland zeitlich befristet. Gestiegen sind noch die Teilzeitarbeitsplätze über die Kombilohnmodelle und Aufstockungsmöglichkeiten von Arbeitslosengeld-II-Beziehern, was ab 2005 der flächendeckenden Subvention für Löhne bis 800 Euro gleichkommt. Bis Ende 2007 waren rund 4,9 Millionen Personen in diesen Minijobs beschäftigt, und so wurde der Niedriglohnsektor (umfaßt heute rund 22 Prozent aller Beschäftigten) in Deutschland in wenigen Jahren annähernd so groß wie in den USA.

Der Rückgang der offiziell ausgewiesenen Arbeitslosigkeit seit Ende 2003 erklärt sich also erstens aus dem Anstieg der prekären Beschäftigungsverhältnisse. Zweitens entstanden im Konjunkturaufschwung wie immer auch neue Arbeitsplätze, drittens gab es Modifikationen in der Arbeitslosenstatistik. Es wird also ein Zusammenhang zwischen der Agenda 2010 und dem Rückgang der Arbeitslosigkeit nach 2004 suggeriert, für den es keine belastbaren Zahlen gibt. Die offizielle Zahl aller Leistungsbezieher von ALG I, ALG II und von Personen in den geförderten Maßnahmen der Bundesagentur für Arbeit blieb über den Zyklus hinweg relativ konstant bei rund sieben Millionen. Die Reformen am Arbeitsmarkt veränderten jedoch direkt das gesamte Lohngefüge so stark, daß die Reallöhne im mäßigen Konjunkturaufschwung stagnierten und sogar sanken – eine einmalige Situation in der deutschen Nachkriegsgeschichte. Die binnenwirtschaftlichen Impulse für Wachstum und Beschäftigung fallen schon seit Jahren in Deutschland viel zu gering aus, stets muß deshalb die ausländische Nachfrage für eine Konjunkturbelebung herhalten. Im Ergebnis werden die Probleme auf dem deutschen Arbeitsmarkt an das Ausland delegiert, die sich ihrerseits verschulden und/oder die gleiche Politik wie mit der Agenda 2010 einführen müssen.

Auch ist in den letzten sieben Jahren die soziale Polarisierung über die Steuerreformen, Gemeinde­finanzreformen, die Reformen im Gesundheitsbereich sowie der Alterssicherung nicht minimiert worden, im Gegenteil. Die generelle Entwicklung läßt sich in drei Armuts- und Reichtumsberichte der Bundesregierung sogar selbst ablesen und ist prinzipiell sehr gut dokumentiert. Ebenso wird in unzähligen Dokumenten der OECD bescheinigt, daß Deutschland schon 2003 am unteren Ende der Skala der effektiven Besteuerung hoher und höchster Einkommen und Vermögen sowie Profite und bei den Abgaben rangiert. In dieser Hinsicht haben die skizzierten Reformen lediglich nur die strukturellen Einnahmeausfälle der öffentlichen Haushalte vergrößert, was dann angeführt wird, um die Ausgaben zurückzufahren und die Haushalte zu konsolidieren.

Seit Jahren wird gleichfalls von der OECD darauf hingewiesen, daß in keinem Industrieland die Korrelation zwischen dem Grad der Bildung/Ausbildung und der sozialen Herkunft so eng ist wie in Deutschland. Schließlich wird mittlerweile offiziell zur Kenntnis genommen, daß durch alle bisherigen Rentenreformen das Risiko der Altersarmut selbst für weite Teile der Mittelschicht stark gestiegen ist. Schließlich hat sich trotz aller Gesundheitsreformen an der Fehlallokation, der Unterversorgung und den vermachteten Strukturen nichts geändert. Das Preiskartell der Pharmaindustrie ist ungebrochen und die ineffiziente Doppelstruktur von gesetzlichen und privaten Kassen intakt. Die Eigenleistungen der Versicherten haben, wie deren Beiträge für die Altersvorsorge, deren Realeinkommen reduziert, und trotz wachsender Zuflüsse in den Gesundheitssektor hat sich eine Zweiklassenmedizin und die Rationierung medizinischer Leistungen etabliert.

Agenda 2020?

Seit Schröders Agenda-Rede im März 2003 sind die Grundprobleme – Massenarbeitslosigkeit, soziale Polarisierung und ökonomische Wachstumsschwäche – ungelöst. Mit den skizzierten Reformen konnten die Probleme ohnehin nie gelöst werden, jedoch wurden institutionelle und sozialrechtliche Fakten geschaffen und Weichen gestellt. Nach der großen Koalition setzt nun die CDU/CSU-FDP-Regierung problemlos dort an, und je nachdem, wie sich die Situation in diesem Jahr entwickelt, läßt sich der neoliberale Umbau nach kurzer Unterbrechung durch die jüngste Finanz-/Wirtschaftskrise weiter forcieren. Brachiale Veränderungen bei der sozialen Sicherung sind unnötig, im besten Fall für »Schwarz-Gelb« reicht das Warten und die Fortsetzung der bisherigen Politik. Beispielsweise spricht angesichts der bereits vollzogenen Abwicklung jeder sinnvollen Arbeitsmarktpolitik und dem Umbau der Bundesagentur für Arbeit nur noch wenig gegen die weitgehende Privatisierung der Arbeitsvermittlung. Konsequent in der Logik der Agenda 2010 gedacht sind auch alle Forderungen zur einkommensunabhängigen Gesundheitsprämie (Kopfpauschale), zur kapitalgedeckten Komponente in der Pflegeversicherung und nach weiterer Privatisierung der Alterssicherung.

Selbstredend lassen sich diese Positionen angesichts der noch nicht absehbaren Folgen der jüngsten Finanz-/Wirtschaftskrise und der konkreten Entwicklungen der kommenden Jahre noch nicht deutlich artikulieren. Da aber die soziale Sicherung für große Teile der Bevölkerung bereits auf das Niveau einer Grundsicherung reduziert worden ist und die Langzeitfolgen der Ausweitung des Niedriglohnsektors, der Polarisierung der Einkommen und Rentenreformen die Gesellschaft bisher nicht in voller Wucht erfaßt haben, wird sich der Widerstand gegen den weiteren Sozialabbau ohnehin in Grenzen halten.

In dieser Hinsicht war die Agenda 2010 ein Erfolg: Sie hat nicht nur dazu beigetragen, die ökonomischen Grundlagen der sozialen Sicherung für Wachstum und Entwicklung sowie eine progressive Nutzung des Reichtums zu unterminieren, sondern die Legitimation des demokratischen Sozialstaats stark beschädigt.

Darüber hinaus fehlt es auch sieben Jahre nach der Regierungserklärung zur Agenda 2010 im linken politischen Lager an der Formulierung einer stringenten, alternativen Struktur- und Industriepolitik und der dazugehörigen Beschäftigungs-, Steuer-, Sozial- und Finanzpolitik. Schließlich fehlt es bei aller punktuellen Kritik und vereinzelten Widerständen in der Breite auch (noch) an den Personen in- und außerhalb der Parlamente, die eine solchermaßen progressive und zugleich radikale Reformagenda gegen massive Anfeindungen seitens des Staatsapparates, weiten Teilen des Kapitals und einigen Medien überzeugt formulieren und vor allem auch verteidigen würden.

Christian Christen ist Mitglied der Memorandum-Gruppe und des wissenschaftlichen Beirats von ATTAC-Deutschland

Quelle: jungewelt 06.01.2010  www.jungewelt.de

6. Januar 2010 Posted by | CDU/FDP, Deutschland, Grüne, Grüne/Bündnis 90, News, Politik, Sozialpolitik, SPD | , , , , , , | Hinterlasse einen Kommentar

Eine kritische Bilanz zu Hartz IV

Eine kritische Bilanz von Hartz IV fünf Jahre nach Inkrafttreten des Gesetzes am 1.1.2005


Die sog. Hartz-Gesetze, vor allem das am 1. Januar 2005 in Kraft getretene vierte als ihr unrühmlicher Höhepunkt, sind Kernbestandteil eines Projekts zur Restrukturierung der Gesellschaft, das die ganze Architektur und die innere Konstruktionslogik des bisherigen Sozialstaates in Frage stellt. Es ging dabei nicht bloß um Leistungskürzungen in einem Schlüsselbereich des sozialen Sicherungssystems, vielmehr um einen Paradigmawechsel, anders formuliert: um eine gesellschaftliche Richtungsentscheidung, die das Gesicht der Bundesrepublik seither prägt. Die rot-grüne, durch eine Mehrheit der damaligen Oppositionsparteien CDU/CSU und FDP im Bundesrat und die Kompromissbereitschaft der Regierungsparteien radikalisierte Arbeitsmarktreform hat unser Land so tiefgreifend verändert, dass es kaum übertrieben erscheint, von der „Hartz-IV-Republik“ oder der „Hartz-IV-Gesellschaft“ zu sprechen. Von Christoph Butterwegge

Mit dem Vierten Gesetz für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt waren einschneidende Änderungen im Arbeits- und Sozialrecht verbunden. Hartz IV markierte nicht bloß eine historische Zäsur für die Entwicklung von Armut bzw. Unterversorgung in Ost- und Westdeutschland, sondern es steht als Symbol für die Transformation des Sozialstaates, für seine Umwandlung in einen Minimalstaat, der Langzeitarbeitslose gemäß dem Motto „Fördern und fordern!“ zu „aktivieren“ vorgibt, sich aber aus der Verantwortung für ihr Schicksal weitgehend verabschiedet.

Bundeskanzler Schröder erklärte am 14. März 2003 in seiner berühmt-berüchtigten Rede zur Agenda 2010, man müsse die Zuständigkeiten und Leistungen für Erwerbslose in einer Hand vereinigen, um die Chancen derjenigen zu erhöhen, die nicht nur arbeiten könnten, sondern auch wirklich wollten: „Das ist der Grund, warum wir die Arbeitslosen- und Sozialhilfe zusammenlegen werden, und zwar einheitlich auf einer Höhe – auch das gilt es auszusprechen –, die in der Regel dem Niveau der Sozialhilfe entsprechen wird.“ Was wegen des Zwittercharakters der Arbeitslosenhilfe (Alhi) – sie war durch Beitragszahlungen begründet und von der früheren Höhe des Arbeitsentgelts ihres Beziehers abhängig, jedoch steuerfinanziert und bedürftigkeitsgeprüft – hätte sinnvoll sein können, um eine Politik der „Verschiebebahnhöfe“ zwischen beiden Hilfesystemen zu beseitigen, führte allerdings nicht zu einer Grundsicherung auf höherem Niveau, sondern einer Schlechterstellung von sehr vielen Menschen sowie einer gleichfalls problematischen Aufspaltung der Sozialhilfeempfänger/innen in erwerbsfähige, die Arbeitslosengeld (Alg) II beziehen, und nichterwerbsfähige, die Sozialgeld bzw. -hilfe erhalten. Daraus wiederum erwuchsen neue Gefahren einer Stigmatisierung nach dem Grad der Nützlichkeit bzw. nach der ökonomischen Verwertbarkeit dieser Personen.

Einerseits zeitigte das Gesetzespaket negative Verteilungseffekte im untersten Einkommensbereich, andererseits wandelten sich durch Hartz IV auch die Struktur des Wohlfahrtsstaates (Abschied vom Prinzip der Lebensstandardsicherung), die politische Kultur und das soziale Klima der Bundesrepublik. Mit dem, was gewerkschaftliche Arbeitsloseninitiativen als „Verfolgungsbetreuung“ charakterisieren, wurde der Kontrolldruck auf (potenzielle) Leistungsbezieher/innen spürbar erhöht sowie eine Verletzung der Privat- und Intimsphäre durch „Sozialdetektive“ vorprogrammiert. Hartz IV hat also sehr viel mehr bewirkt, als gesetzlich zu verankern, dass Millionen frühere und potenzielle Alhi-Empfänger/innen seither weniger Geld erhalten.

Ausweitung des Niedriglohnsektors

Durch die Umsetzung des im Vermittlungsausschuss von Bundestag und -rat noch weiter radikalisierten Konzepts der sog. Hartz-Kommission (Ausweitung nicht nur „haushaltsnaher“ Mini-Jobs sowie der Leih- bzw. Zeitarbeit) hat der Niedriglohnsektor enorm an Bedeutung gewonnen. Den armen Erwerbslosen, die das Fehlen von oder die unzureichende Höhe der Entgeltersatzleistungen auf das Existenzminimum zurückwirft, treten massenhaft erwerbstätige Arme zur Seite. Längst reichen selbst viele Vollzeitarbeitsverhältnisse (besonders in Ostdeutschland) nicht mehr aus, um „eine Familie zu ernähren“, sodass man einen oder mehrere Nebenjobs übernimmt und nach Feierabend bzw. an Wochenenden (schwarz) weitergearbeitet wird.

Hartz IV sollte nicht bloß durch Abschaffung der Arbeitslosenhilfe und Abschiebung der Langzeitarbeitslosen in die Wohlfahrt den Staatshaushalt entlasten, sondern auch durch Einschüchterung der Betroffenen mehr „Beschäftigungsanreize“ im Niedriglohnbereich schaffen. Man zwingt sie mit Hilfe von Leistungskürzungen, schärferen Zumutbarkeitsklauseln und Maßnahmen zur Überprüfung der „Arbeitsbereitschaft“ (vor allem sog. 1-Euro-Jobs), fast jede Stelle anzunehmen und ihre Arbeitskraft zu Dumpingpreisen zu verkaufen. Dies hat gravierende Auswirkungen auf die (noch) Beschäftigten und die Angst in den Belegschaften vermehrt. Dass heute selbst das Essen von Frikadellen und die Einlösung von Pfandbons im Wert von 1,30 Euro als Kündigungsgründe herhalten müssen, zeigt zusammen mit der Bespitzelung von Betriebsrät(inn)en in großen Konzernen, wie sich das Arbeitswelt verändert hat.

Da trotz des irreführenden Namens „Grundsicherung für Arbeitsuchende“ auch immer mehr (voll) Erwerbstätige das Alg II als sog. Aufstocker, d.h. im Sinne eines „Kombilohns“ in Anspruch nahmen bzw. nehmen mussten, um leben zu können, etablierte Hartz IV ein Anreizystem zur Senkung des Lohnniveaus durch die Kapitalseite. Ein staatlich subventionierter Niedriglohnsektor vermehrt die Armut, statt auch nur ansatzweise zur Lösung dieses Kardinalproblems beizutragen. Mittlerweile hat die Bundesrepublik unter den entwickelten Industriestaaten den breitesten Niedriglohnkorridor nach den USA. Trotz des im Wesentlichen konjunkturell bedingten Rückgangs der offiziell registrierten Arbeitslosigkeit leiden heute in der Bundesrepublik wahrscheinlich mehr Menschen unter prekären Arbeits- und Lebensbedingungen als vor dem 1. Januar 2005.

Kinderarmut in Ost- und Westdeutschland

Da die Zumutbarkeitsregelungen mit Hartz IV erneut verschärft und die Mobilitätsanforderungen gegenüber (Langzeit-)Arbeitslosen noch einmal erhöht wurden, haben sich die Möglichkeiten für Familien, ein geregeltes, nicht durch permanenten Zeitdruck, Stress und/oder räumliche Trennung von Eltern und Kindern beeinträchtigtes Leben zu führen, weiter verschlechtert. Auf dem Höhepunkt des zurückliegenden Konjunkturaufschwungs, im März 2007, lebten nach Angaben der Bundesagentur für Arbeit fast 1,929 Mio. Kinder unter 15 Jahren (von knapp 11,5 Mio. dieser Altersgruppe insgesamt) in SGB-II-Bedarfsgemeinschaften, die landläufig „Hartz-IV-Haushalte“ genannt werden. Rechnet man die übrigen Betroffenen – Kinder in Sozialhilfehaushalten, in Flüchtlingsfamilien, die nach dem Asylbewerberleistungsgesetz ein Drittel weniger als die Sozialhilfe erhalten, und von sog. Illegalen, die gar keine Transferleistungen beantragen können – hinzu und berücksichtigt außerdem die sog. Dunkelziffer – d.h. die Zahl jener eigentlich Anspruchsberechtigter, die aus Unwissenheit, Scham oder anderen Gründen keinen Antrag auf Sozialhilfe bzw. Arbeitslosengeld II stellen – , leben etwa 2,8 Millionen Kinder, d.h. mindestens jedes fünfte Kind dieses Alters, auf oder unter dem Sozialhilfeniveau.

Verschärft wird das Problem durch erhebliche regionale Disparitäten (Ost-West- und Nord-Süd-Gefälle). So lebten in Görlitz 44,1 Prozent aller Kinder unter 15 Jahren in Hartz-IV-Haushalten, während es im ausgesprochen wohlhabenden bayerischen Landkreis Starnberg nur 3,9 Prozent waren. Wie die traurige Rekordhöhe der Kinderarmut, welche auf dem Höhepunkt nach dem Inkrafttreten der größten Arbeitsmarktreform am 1. Januar 2005 beweist, gehören Heranwachsende zu den Hauptverlierer(inne)n von Hartz IV.

Hartz IV trug durch das Abdrängen der Langzeitarbeitslosen samt ihren Familienangehörigen in den Fürsorgebereich dazu bei, dass Kinderarmut „normal“ wurde, was sie schwerer skandalisierbar macht. Auf das Leben der Kinder, die zur „unteren Schicht“ gehören, wirkte sich das Gesetzespaket wegen der katastrophalen Lage des Arbeitsmarktes in den östlichen Bundesländern besonders verheerend aus. Die finanzielle Lage von Familien mit Alhi-Empfänger(inne)n verschlechterte sich durch den Übergang zum Alg II, was erhebliche materielle Einschränkungen für betroffene Kinder einschloss. Betroffen sind auch diejenigen Kinder, deren Väter aufgrund ihres gegenüber der Arbeitslosenhilfe niedrigeren Arbeitslosengeldes II keinen oder weniger Unterhalt zahlen (können), denn die Unterhaltsvorschusskassen bei den Jugendämtern treten nur maximal 6 Jahre lang und auch nur bis zum 12. Lebensjahr des Kindes ein.

Nicht nur die materielle Situation, sondern auch die Position von Frauen und (alleinerziehenden) Müttern auf dem Arbeitsmarkt hat sich verschlechtert. Die sog. Mini- und Midi-Jobs übernehmen größtenteils Frauen. „Haushaltsnahe Dienstleistungen“, die sie erbringen sollen, heißt im Wesentlichen, dass ihnen Besserverdienende, denen dafür nach einem vorübergehenden Wegfall des sog. Dienstmädchenprivilegs nun auch wieder Steuervergünstigungen eingeräumt werden, geringe (Zu-)Verdienstmöglichkeiten als Reinigungskraft oder Haushälterin bieten. Ist die „Mini-Jobberin“ mit einem sozialversicherungspflichtig Beschäftigten verheiratet, braucht sie wegen der kostenfreien Familienmitversicherung keine Krankenkassenbeiträge zu entrichten. Um die vollen Leistungen der Rentenversicherung in Anspruch nehmen zu können, muss eine (Putz-)Frau jedoch ergänzende Beiträge zahlen. Selbst dann lässt sich Altersarmut kaum vermeiden. Gleichzeitig vergrößert sich der Abstand zwischen den Altersrenten von Männern und Frauen weiter zu Lasten der Letzteren.

Eine soziale Grundsicherung, wie sie das Arbeitslosengeld II laut Gesetzestext sein möchte, muss vor Armut schützen, damit sie diesen Namen verdient. Das kann man in Anbetracht der äußerst niedrigen Regelleistungen beim Alg II allerdings nicht behaupten. Mehr qualifizierte Arbeitsplätze mit ausreichend hohen Löhnen bzw. Gehältern, ein dichtes Netz öffentlicher (Ganztags-) Kinderbetreuungseinrichtungen und Gemeinschaftsschulen bilden den Schlüssel zur Bekämpfung der Kinderarmut.

Prof. Dr. Christoph Butterwegge lehrt Politikwissenschaft an der Universität zu Köln. Zuletzt ist sein Buch „Armut in einem reichen Land. Wie das Problem verharmlost und verdrängt wird“ (Campus Verlag, Frankfurt am Main/New York 2009) erschienen.

Quelle: www.nachdenkseiten.de

05.01.2010

6. Januar 2010 Posted by | CDU/FDP, Deutschland, Grüne/Bündnis 90, News, Politik, Sozialpolitik, SPD | , , , , , | Hinterlasse einen Kommentar

Guttenberg als Maulwurfsjäger

Von Jochen Hoff | Duckhome

Er kann einem wirklich leid tun der Karl-Theodor Maria Nikolaus Johann Jacob Philipp Franz Joseph Sylvester Freiherr von und zu Guttenberg. Er startete hervorragend gestützt durch Atlantiker und CIA als Überflieger in die deutsche Politik. Ein Superstart. Klar an Angela Merkel vorbei, praktisch in die obersten Reihen politischer Beliebtheit.

Natürlich wurde er von den Systemmedien hochgeschrieben. Die wussten dass sie ihn zu stützen hatten, wenn sie weiter Werbung wollten. Egal welchen Quatsch auch immer er redete, er wurde als Wirtschaftsminister der nichts tat, in den höchsten Tönen gelobt. Aber dann kam Mutti. Angela Merkel die wirklich einsame Spitze im aussortieren von Konkurrenten ist, widmete ihm ein Lächeln und verpasste ihm den Posten des Kriegsministers als Schleudersitz.

Deutscher Kriegsminister zu sein, ist nie ein dankbarer Posten gewesen und etliche von diesen Vögeln haben sich daran ihren politischen Hals gebrochen oder mussten doch zumindest zurücktreten. Und das in einem Land in dem Politiker nicht zurücktreten sondern umgebettet werden. Guttenberg hatte keine Wahl, er musste Kriegsminister werden und hielt sich dank seiner klaren Befehlswege aus den USA auch für gut gerüstet.

Was Guttenberg nicht ahnte, war die Tatsache, dass sein Parteifreund – Parteifreund ist die stärkste Steigerung von Feind, die die deutsche Sprache kennt – ihm bereits ein veritablen Skandal hinterlassen hatte. Auch seine amerikanischen Brüder haben ihn nicht gewarnt. Wahrscheinlich waren die Befehls- und Informationsketten noch nicht auf Guttenberg umgestellt.

Das Kriegsverbrechen des Oberst Klein an den Zivilisten rund um die beiden Tanklaster in der Nähe von Kundus hat Guttenberg völlig falsch bewertet. Das könnte ihm im Normalfall niemand vorwerfen, wenn er nicht in den ersten Amtstagen mal eben schnell und laut dieses Kriegsverbrechen als angemessen bezeichnet hätte. Das war sein kapitaler Fehler. Denn anders als sein Dummschwatz bei Wirtschaftsdingen, reagiert hier die Bevölkerung allergisch und auch die Soldaten die in Afghanistan aber auch die in Verwaltungsposten in der Heimat sitzen, wollen derartige Verbrechen nicht.

Natürlich konnten Merkel, Steinmeier, Thomas de Maizière und Jung das Verbrechen bis zur Bundestagswahl im wesentlichen unter der Decke halten, aber überall in besser informierten Kreisen außerhalb der Systemmedien war der Gestank schon zu riechen. Guttenberg roch ihn nicht. Ein typischer Blender eben.

Als die Soldaten merkten, dass die Geschichte unter den Teppich gekehrt wurden, informierten sie nicht nur wie üblich Blogger und andere Eingeweihte, sondern drehten an den großen Knöpfen. Es wurde an Informationen geleakt, was eben möglich war. Damit kam der wesentliche Teil der Geschichte hoch. Merkel, Steinmeier, Thomas de Maizière und Jung hatten schon im Frühsommer die Devise ausgegeben, dass die Bundeswehr von einer Schutzmacht in eine Angriffsarmee umgebaut werden sollte.

Dafür fehlte zwar das Material und die Bewaffnung aber egal. Man wollte nicht mehr ängstlich in den Lagern sitzen sondern kräftig mitmorden. Diesen Befehl hat Oberst Klein umgesetzt und dabei bewusst die amerikanischen Verbündeten getäuscht und gegen alle Regeln des Krieges in Afghanistan verstoßen.

Das ist peinlich und Jung musste zurücktreten, was kein Verlust ist. Dummerweise hatte Guttenberg aber da seine Klappe schon aufgerissen und das Kriegsverbrechen als angemessen bezeichnet. Als er merkte, dass dies unhaltbar war, opferte er einen Staatssekretär und den Generalinspekteur der Bundeswehr Wolfgang Schneiderhan, die angeblich nicht richtig über das informiert hatten, was schon seit Wochen in vielen Blogs und ausländischen Publikationen zu lesen war.

Mit diesem Bauernopfer waren aber weder die Soldaten noch die Generalität der Bundeswehr zufrieden und auch die politische Opposition empfand das Ganze als das Ablenkungsmanöver, das es auch war. Hätte er sich einfach entschuldigt, die Sache wäre längst vergessen. Man darf nämlich auch als Minister Fehler machen, wenn man die Größe hat, zu diesen Fehlern zu stehen.

Aber ein Freiherr von und zu Guttenberg macht keine Fehler und ist in schönster neoliberaler Tradition schon so sehr Elite, dass er nicht einmal mehr über Verantwortung nachdenken muss. Er ist nie verantwortlich. Um dem Untersuchungsausschuß und seiner drohenden Totalblamage dort, wenigsten etwas entgegensetzen zu können, sucht er nun nach dem Maulwurf der seine Unfähigkeit und die wahren Geschehnisse verraten hat.

Er möchte eine Verräter vorstellen und den Zorn des Volkes auf diesen leiten um von sich selbst abzulenken. Das hat Nixon schon in Watergate versucht und ist damit kläglich gescheitert. Überhaupt sind Maulwurfsjäger ein eher lächerliches Volk.

Video: Maulwurffallen stellen für Anfänger – MyVideo

Aber es ist schon beachtlich wie der Freiherr in so kurzer Zeit seine ganze Herrlichkeit eingebüßt hat und selbst die Medien die ihn einst im neoliberalen und us-amerikanischen Auftrag hochgejubelt haben, kommen heute nicht mehr umhin festzustellen, dass der Kaiser nicht nur keine Kleider, sondern dazu noch eine jämmerliche Figur hat und ihm die Moral scheinbar völlig fehlt.

Er versucht mit tollen Kapriolen wieder Boden unter die Füße zu bekommen. So will er plötzlich gar keine Demokratie mehr in Afghanistan und möchte gemäßigte Taliban an der Regierung beteiligen. Dabei sagt er nicht, was gemäßigte Taliban sind und er sagt auch nicht laut, dass er im Grunde genommen die alten Stammesgesellschaften so wie immer weitermachen lassen will. Das ist im Prinzip sogar vernünftig, aber kaum durchführbar, weil Obama dann seine Niederlage eingestehen müsste und damit politisch erledigt wäre.

Guttenberg steht auf Treibsand und Mutti lächelt. Angela Merkel bestimmt jetzt den Zeitpunkt zu dem sie Guttenburg stürzt. Er ist ein Minister und Politiker auf Zeit. Selbst nach Bayern kann er sich nicht mehr retten. Dort sitzt ein breit grinsender Söder und weiß schon jetzt wie der nächste bayrische Ministerpräsident heißt, nachdem Seehofer endlich seine Sachen gepackt hat.

Guttenberg ist für längere Zeit erledigt, oder er führt ein Dasein als Merkels Schoßhündchen. Beides kommt aber auf das Gleiche heraus.

Quelle: Duckhome

27. Dezember 2009 Posted by | Afghanistan, Antimilitarismus, Bundeswehr, CDU/FDP, Deutschland, Krieg, News, Politik, SPD | , , , , | Hinterlasse einen Kommentar

Garrelt Duin: Rettet der Seeheimer Kreis Karriere des niedersächsischen SPD-Vorsitzenden?

Es ist knapp 21 Monate her, als im Februar 2008 der niedersächsische SPD-Vorsitzende Garrelt Duin, der soeben mit seiner Partei eine derbe Niederlage bei den Landtagswahlen erlitten hatte, einen Tag lang zum Liebling der Mainstreammedien mutierte. Was war geschehen?  Der Ostfriese Duin, hatte auf einer SPD-Vorstandssitzung  als einziges Vorstandsmitglied gegen die Öffnung gegenüber den LINKEN gestimmt. Spätestens seit der Hessen-Wahl 2008 wissen wir, dass die Medien die Metzgers, Everts und Duins und andere ewiggestrige, kleinmütige politische Nobodys braucht, um vor der linken Gefahr zu warnen und den Aufstieg der Partei links von der SPD zu bremsen.

Duin verschwand schnell wieder auf die Hinterbänke des Bundestages und in den Zeitungen, auf deren Titelseiten er seinen bisher größten Auftritt hatte, wurde in den folgenden Tagen der Fisch eingewickelt. Duin durfte vor den Landtagswahlen in Brandenburg und dem Saarland noch einmal vor Koalitionen mit den LINKEN warnen, ansonsten sah man ihn des Öfteren gut gekleidet auf Veranstaltungen der mittelständischen Industrie in Ostfriesland, wo er aber eher durch seine Designeranzüge als durch politische Stellungnahmen glänzte.

Wer nach den für die SPD verheerenden Ergebnissen bei den Bundestagswahlen selbstkritische Äußerungen oder gar ein Umdenken bei dem Vorsitzenden der niedersächsischen SPD erwartet hatte, sah sich getäuscht. Die SPD ist in den letzten Jahren wiederholt für ihre Umverteilungspolitik von unten nach oben abgestraft worden. Ihr Versuch die deutschen Transnationalen Konzerne die besten Bedingungen auf dem Weltmarkt zu verschaffen, konnte nur auf Kosten der ArbeiterInnen, der Arbeitslosen und der sozial Schwachen geschehen. Die Änderung der Steuergesetze 2001, die Agenda 2010, Hartz IV, die Rente mit 67, die Liberalisierung der Strommärkte u.v.m. waren Maßnahmen gegen die Interessen der großen Mehrheit der Bevölkerung und führten dazu, dass die Sozialdemokraten in den letzten Jahren immer mehr Wähler, aber auch Mitglieder verloren haben. Duin sah keinen Handlungsbedarf von Hartz IV oder der Agenda 2010 abzurücken und plädierte in Schröderscher Betonkopfmanier für eine Weiter-so-Politik.

Bei der Wahl des SPD-Präsidiums am 23.11.09 erhielt der niedersächsische SPD-Vorsitzende und wirtschaftspolitische Sprecher der Bundestagsfraktion nur 14 von 45 Stimmen und gehört dem Präsidium nicht an. D. h. zumindest zwei Drittel der SPD-Vorstandsmitglieder hatten erkannt, dass Duin mit seinen gescheiterten und überholten Politikvorstellungen nicht mehr in das Präsidium seiner Partei gehört. Duin selbst begründete seine Niederlage mit äußeren Faktoren. In der Ostfriesen-Zeitung vom 24.11.09 heißt es dazu: „Neben der persönlichen Enttäuschung räumte Niedersachsens SPD-Chef ein, dass die Landespartei organisatorisch nun über weniger Einfluss verfüge. Zwar komme mit Sigmar Gabriel der neue SPD-Chef aus Niedersachsen, doch werde dieser im Parteipräsidium ’sicher nicht originär niedersächsische Interessen vertreten‘. (…) Duin und die Landespartei nannten als mögliche Gründe für die Nichtwahl die zuletzt gestiegene Bedeutung der niedersächsischen SPD.“ So einfach ist das also, der Schröderianer Duin wird für seine bisherige Arbeit im Vorstand der Partei abgestraft und begründet dies mit der gestiegenen Bedeutung der niedersächsischen SPD durch die Wahl Gabriels zum Vorsitzenden. Basta.

Damit schien Duins politische Karriere schon fast beendet,  wären da nicht die Seeheimer. Der FDP-Flügel in der SPD hat besonders gute Verbindungen zur (Rüstungs-) Industrie und dient als Sprachrohr der US-Außenpolitik in der Partei. Nun soll Duin neuer Sprecher des Seeheimer Kreises werden.

Duin ist nicht der erste Ostfriese in dieser Funktion. Bis zu seiner Ernennung zum Wehrbeauftragten des Deutschen Bundestages hatte Reinhold Robbe aus Bunde diese Funktion inne. Robbe, der ehemalige Kriegsdienstverweigerer, der in den 80er Jahren in vorderster Reihe an den Aktionen der Friedensbewegung teilnahm, wandelte sich als MdB vom Paulus zum Saulus und gilt spätestens seit dem Krieg gegen Jugoslawien als begeisterter Anhänger von Bundeswehreinsätzen im Ausland. Während der NATO-Angriffe gegen Jugoslawien machte er sich zum Sprachrohr von Scharping und Fischer und bezeichnete die Kritiker des Krieges, wie den PDS-Abgeordneten Gysi, als Verbrecher.

Auch Robbe gehört zu den absoluten Verfechter der Schröderschen Agendapolitik. Er sorgte im Februar 2004 für Entsetzen bei seinen ostfriesischen Parteigenossen, als er in einem Interview mit der Nordwest-Zeitung erklärte: „Wir müssen sehen, dass alle Verantwortlichen endlich in die Hufe kommen. Das Ausland läuft uns davon. Deshalb reden die Sozialpartner doch über flexible Arbeitszeitkonten, weniger Gehalt und weniger Urlaub. Von notwendigen Veränderungen kann niemand ausgenommen bleiben – auch die Manager nicht. Jeder in unserem Wirtschaftssystem muss sich Gedanken machen, wie kann auch ich dazu beitragen, das Land wieder nach vorn zu bringen – mit gesundem Patriotismus.“  Viele altgediente Sozialdemokraten und Gewerkschaftsaktivisten gaben als Antwort auf Robbes „patriotischen“ Äußerungen konsequenterweise ihr Parteibuch ab.

Johannes Kahrs amtierender Sprecher des Seeheimer Kreises ist ebenfalls bekannt für seine Kontakte zum militärisch-industriellen Komplex. Bei ‚lobby control‘ kann man über ihn lesen: “ Wie das NDR-Magazin ‚Das Forum Streitkräfte und Strategie‘ im Juli berichtete, hat Kahrs maßgeblich daran mitgewirkt, dass die Bundeswehr in Afghanistan nur zweitklassige Aufklärungsdrohnen bekommt. Der Bericht zitiert Experten, nach denen Kahrs massiv für die ausgewählten Drohnen eingetreten sei, die in Deutschland vom Rüstungsunternehmen Rheinmetall vertrieben werden. Rheinmetall spendete dem Hamburger SPD-Unterbezirk, welchem Kahrs vorsteht, in den vergangenen Jahren fünfstellige Summen. Die FAZ berichtete im April über Kahrs und sein Hamburger SPD-Netzwerk – sowie den Vorwurf, dass er im Haushaltsausschuss manche Projekte so lange blockiere, bis er erreicht habe, dass bestimmte Firmen an ihnen beteiligt würden.“

In dieser illustren Runde wird Garrelt Duin sicherlich schnell seinen Platz finden und Kontakte zu den Unternehmerverbänden knüpfen, die für seine weitere Karriere wichtiger sind als die Kontakte zu den Menschen in seinem Wahlkreis. Die ArbeiterInnen, die Arbeitslosen und die sozial Schwachen haben Duin bisher nicht sonderlich interessiert, ihre Stimmen bei den Bundestagswahlen hat der Sozialdemokrat Duin wie selbstverständlich genommen, ihre Interessen aber müssen denen des Kapitals untergeordnet werden.

Tony Kofoet

7. Dezember 2009 Posted by | Deutschland, Die LINKE, Landkreis Leer, Ostfriesland, Politik, Seeheimer, SPD | , , , , , | 5 Kommentare

Abfuhr für Garrelt Duin – nicht in das Präsidium der SPD gewählt

Abfuhr für Garrelt Duin – nicht in das Präsidium der SPD gewählt

Bei der gestrigen Wahl des SPD-Präsidiums erhielt der niedersächsische SPD-Vorsitzende Garrelt Duin nur 14 von 45 Stimmen und gehört dem Präsidium nicht an. In der Ostfriesen-Zeitung vom 24.11.09 heißt es dazu: „Neben der persönlichen Enttäuschung räumte Niedersachsens SPD-Chef ein, dass die Landespartei organisatorisch nun über weniger Einfluss verfüge. Zwar komme mit Sigmar Gabriel der neue SPD-Chef aus Niedersachsen, doch werde dieser im Parteipräsidium ’sicher nicht originär niedersächsische Interessen vertreten‘. (…) Duin und die Landespartei nannten als mögliche Gründe für die Nichtwahl die zuletzt gestiegene Bedeutung der niedersächsischen SPD.“

So einfach ist das also, der Schröderianer Duin wird für seine bisherige Arbeit im Vorstand der Partei abgestraft und begründet dies mit der gestiegenen Bedeutung der niedersächsischen SPD durch die Wahl Gabriels zum Vorsitzenden. Basta. Leider war Duin noch nie ein Politiker, der sein eigenes Verhalten selbstkritisch reflektieren konnte. Schuld für Niederlagen bei den letzten Landtagswahlen in Niedersachsen oder den Bundestagswahlen suchte Duin in einfach gestrickter Manier bei den LINKEN, die der armen SPD die Stimmen (grundlos?) weggenommen haben. Wenn Duin nicht in der Lage ist Selbstkritik zu üben, muss dies von außen geschehen, jedoch nicht in der Hoffnung den SPD-Landesvorsitzenden zu einer Änderung seines Denkverhaltens zu bringen, sondern, um den noch in der SPD verbliebenen SozialdemokratInnen zu verdeutlichen, dass es sehr wohl eine Alternative zur SPD 1998-2009 gibt, die jedoch einer Abkehr von der Agenda-Politik bedarf.

Die SPD ist in den letzten Jahren wiederholt für ihre Umverteilungspolitik von unten nach oben abgestraft worden. Ihr Versuch die deutschen Transnationalen Konzerne die besten Bedingungen auf dem Weltmarkt zu verschaffen, konnte nur auf Kosten der ArbeitnehmerInnen, der Arbeitslosen und der sozial Schwachen geschehen. Die Änderung der Steuergesetze 2001, die Agenda 2010, Hartz IV, die Rente mit 67, die Liberalisierung der Strommärkte u.v.m. waren Maßnahmen gegen die Interessen der großen Mehrheit der Bevölkerung und führten dazu, dass die Sozialdemokraten in den letzten Jahren immer mehr Wähler, aber auch Mitglieder verloren haben. Für diese Politik steht nicht allein Ex-Kanzler Schröder, sondern stehen auch diejenigen, die seine neoliberale Politik in den Jahren 2005-09 konsequent weiterbetrieben, sei es Müntefering, Steinmeier, Steinbrück, Gabriel oder eben auch Garrelt Duin als Mitglied des SPD-Vorstands und Vorsitzender der niedersächsischen SPD. Es gibt von Duin bis heute keine Äußerungen, die z.B. auf die Abkehr von der Agenda 2010 hinweisen. Duin hat im Februar 2008 als einziges SPD-Vorstandsmitglied gegen die Öffnung gegenüber den LINKEN gestimmt und auch noch vor den Landtagswahlen in Brandenburg und im Saarland vor Koalitionen mit der Linkspartei gewarnt. Andere SPD-Mitglieder haben nach den Wahlniederlagen begonnen umzudenken, denn sie wissen, dass nur eine Koalition mit den LINKEN die SPD 2013 wieder an die Regierung bringen kann, nicht so Betonkopf Duin, der sich mit neuen politischen Gegebenheiten nur schwerlich anfreunden kann.

Es scheint, dass zumindest zwei Drittel der SPD-Vorstandsmitglieder erkannt haben, dass Duin mit seinen gescheiterten überholten Politikvorstellungen nicht mehr in das SPD-Präsidium gehört. Diese haben die Zeichen der Zeit erkannt und lassen darauf hoffen, dass man in Zukunft evtl. wieder mehr sozialdemokratische Inhalte von der Partei erwarten kann.

Tony Kofoet

24.11.2009

24. November 2009 Posted by | Deutschland, News, Ostfriesland, Politik, Seeheimer, SPD | , , , , | 3 Kommentare