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Linkes Blog aus Ostfriesland

Afghanistan: Eskalation à la Irak

Eskalation à la Irak
15.12.2009

BERLIN/KABUL
(Eigener Bericht) – Vor der Konstituierung des Kunduz-Untersuchungsausschusses am morgigen Mittwoch mehren sich Hinweise auf eine unmittelbare Einbeziehung des Kanzleramts in den Vorlauf vor dem Bombardement am 4. September. Laut Berichten war die Regierungszentrale in die Entscheidung involviert, künftig auch Liquidierungsaktionen zu unternehmen. Weil Agenten der deutschen Auslandsspionage (BND) in die Vorarbeit für Attacken einbezogen gewesen seien, seien auch die Geheimdienstkoordinatoren in Berlin informiert worden. Dies war der Arbeitsbereich des heutigen Innenministers Thomas de Maizière. Experten berichten, gezielte Tötungen ähnlich dem Luftschlag vom 4. September seien ein wesentlicher Bestandteil der Kriegführung im Irak von 2006 bis 2008 gewesen. Diese Kriegsphase gilt als Vorbild für das aktuelle Vorgehen in Afghanistan. Damals war von außergerichtlichen Hinrichtungen die Rede. Juristen mahnen, den Krieg in Afghanistan nun endlich auch rechtsverbindlich als „Krieg“ zu deklarieren; andernfalls müssten Liquidierungsaktionen wie etwa das Bombardement von Kunduz als Verbrechen abgeurteilt werden, womöglich als Mord.
„Aufständische vernichten“
Dass es sich bei dem Bombardement der beiden Tank-Lkws in der Nacht vom 3. zum 4. September bei Kunduz um eine gezielte Liquidierungsaktion gehandelt hat, kann mittlerweile nicht mehr ernsthaft bestritten werden. Schon bald hatte sich Berlin mit der Behauptung in Widersprüche verstrickt, Oberst Klein habe nur die Nutzung der Lkws als „rollende Bomben“ durch die Aufständischen verhindern wollen. Frühzeitig wurde bekannt, dass Klein den US-Bomberpiloten gegen ihren Wunsch Tiefflüge zur Warnung von Zivilisten untersagte – ein Schritt, der nur dann nachvollziehbar ist, wenn außer den festsitzenden Lkws auch die anwesenden Menschen getroffen werden sollten. Mittlerweile zitieren Medien aus einem Schreiben Kleins, in dem er berichtet: „Am 4. September um 01.51 Uhr entschloss ich mich, zwei am Abend des 3. September entführte Tanklastwagen sowie an den Fahrzeugen befindliche INS (Insurgents, d.Red.) durch den Einsatz von Luftstreitkräften zu vernichten.“[1] Dem entsprechen Meldungen, laut denen die „Task Force 47“ an der Vorbereitung des Bombardements beteiligt war. Die „Task Force 47“ befasst sich mit der Jagd auf Aufständische.[2]
Regierungsstrategie
Laut einem Bericht der Leipziger Volkszeitung folgte Oberst Klein mit seiner Liquidierungsaktion einer von Berlin beschlossenen Eskalationsstrategie. Im Frühjahr wurden die Einsatzregeln für die Bundeswehr geändert – mit dem Ziel, die Anwendung tödlicher Gewalt weniger als zuvor zu limitieren. Im Sommer ließ der damalige Verteidigungsminister Franz Josef Jung „überprüfen“, ob die deutschen Soldaten ihre Waffen „offensiver“ als zuvor einsetzen dürften.[3] Wenige Wochen später berichtete Jung, die Bundeswehr stehe nun „auch in konkreten Kampfsituationen“; der damalige Generalinspekteur, Wolfgang Schneiderhan, sagte: „Es ist jetzt an der Zeit, diese Eskalation vorzunehmen.“[4] Wie die Leipziger Volkszeitung berichtet, war die damalige Eskalation nicht nur vom Kanzleramt gebilligt worden, sie umfasste auch die „gezielte Ausschaltung der Führungsstruktur der Taliban“ – nach dem Vorbild der US-Terrorbekämpfung.[5]
Einbezogen
Oberst Klein habe „sich nach diesen Regierungsvorgaben regelrecht ermutigt“ fühlen dürfen, „einmal kräftig durchzugreifen“, heißt es laut Leipziger Volkszeitung im Einsatzführungskommando der Bundeswehr in Potsdam.[6] Dass sich Klein dazu auch tatsächlich „ermutigt gefühlt“ habe, berichten Soldaten seiner Einheit, der in Leipzig stationierten 13. Panzergrenadierdivision. Darüber hinaus schreibt die Zeitung, in die Entscheidungen, die zu dem Bombardement der Tank-Lkws bei Kunduz führten, seien Kontaktpersonen des Kommando Spezialkräfte (KSK) – offenbar aus der „Task Force 47“ -, aber auch Agenten der deutschen Auslandsspionage (Bundesnachrichtendienst, BND) involviert gewesen. „Vor und nach dem Luftangriff“ habe man auch „das Kanzleramt“, „die Spitze des Verteidigungsministeriums“ und Geheimdienstkoordinatoren der Regierung einbezogen. Ob das auch für den damaligen Geheimdienstkoordinator Klaus-Dieter Fritsche galt, der heute als Staatssekretär im Bundesinnenministerium amtiert, oder sogar für Thomas de Maizière, der als Kanzleramtsminister die oberste Aufsicht über die Dienste innehatte und mittlerweile Innenminister ist, ist nicht bekannt.
Das Vorbild
Experten weisen darauf hin, dass es den Streitkräften der Vereinigten Staaten und Großbritanniens im Irak gelang, mit einer Strategie der Truppenaufstockung bei gleichzeitigen gezielten Schlägen gegen die Aufständischen eine Zeitlang gewisse Erfolge in der Aufstandsbekämpfung zu erzielen. Dazu gehörten auch gezielte Liquidierungen. Die US-Streitkräfte bildeten zu diesem Zweck spezielle „Task Forces“, in denen geheimdienstliches Personal mit diversen Spezialisten und mit Sondereinheiten kooperierte; auch Drohnen kamen zum Einsatz.[7] An diversen Unternehmungen war der britische Special Air Service (SAS) beteiligt. Es sei gelungen, rund 3.500 Aufständische binnen nur 18 Monaten „von der Straße zu holen“, berichteten britische Militärs im Jahr 2008 – allerdings seien dabei Hunderte ums Leben gekommen.[8] Der SAS hatte damals mit ernsthaften Beschuldigungen zu kämpfen, er führe de facto extralegale Hinrichtungen durch. Die damalige Kriegführung im Irak gilt als Vorbild für die aktuelle westliche Aufstandsbekämpfung in Afghanistan.
„Im Krieg legitim“
Deutsche Juristen mahnen nun, angesichts von Liquidierungsaktionen wie nahe Kunduz müsse der Krieg in Afghanistan nun endlich auch rechtsverbindlich zum Krieg erklärt werden. „Offensive, gezielte Tötungen sind in einem Krieg legitim“, behauptet etwa der einstige Bundesverteidigungsminister Rupert Scholz: „Darum muss jetzt klargestellt werden, ob wir uns in Afghanistan in einem Krieg befinden“.[9] Ähnliche Schlüsse ziehen mehrere prominente Völkerrechtler. Sollte Berlin sich weiterhin weigern, den Zustand in Afghanistan als das zu benennen, was er ist, müsste bei gezielten Liquidierungen die Staatsanwaltschaft einschreiten. Einmal war dies bereits der Fall, auch wenn keine Konsequenzen folgten. Grundsätzlich ist selbst die Einstufung derartiger Liquidierungsaktionen vor Gericht als Mord nicht auszuschließen, zumal dann, wenn Zivilisten zu Tode kommen. Dass in Berlin deswegen zwar Völkerrechtler bemüht werden, dass jedoch die umstrittene Eskalationsstrategie keineswegs eingestellt wird, lässt deutlich erkennen, was Afghanistan in den kommenden Monaten bevorsteht.
[1] Zweifel an Gründen für Entlassung Schneiderhans; Spiegel Online 12.12.2009
[2] Geschichte einer tödlichen Nacht in Afghanistan; Welt Online 13.12.2009
[3] Mehr Befugnisse für Soldaten; Süddeutsche Zeitung 29.06.2009
[4] Geplante Eskalation vor den Präsidentschaftswahlen; Welt Online 23.07.2009
[5], [6] Neue Hinweise auf regierungsintern genehmigte Tötungsaktion im Fall Kundus; Leipziger Volkszeitung 12.12.2009
[7] U.S. Teams Weaken Insurgency In Iraq; The Washington Post 05.09.2008
[8] SAS kills hundreds of terrorists in ’secret war‘ against al-Qaeda in Iraq; The Sunday Telegraph 30.08.2008
[9] Kundus: Gezieltes Töten erlaubt? Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung 13.12.2009
Quelle:  http://www.german-foreign-policy.com/de/fulltext/57697

15. Dezember 2009 Posted by | Afghanistan, AFPAK, Bundeswehr, CDU/FDP, Deutschland, International, Krieg, NATO, News, Politik | , , , , , | Hinterlasse einen Kommentar

Afghanistan-Massaker: Freiherr opfert Bauern

Freiherr opfert Bauern

Von Frank Brendle

Die Bundeswehrführung hat die Aufklärung des Massakers vom 4. September bei Kundus monatelang hintertrieben und kritische Berichte von Feldjägern zurückgehalten. Nachdem die Vertuschungsaffäre am Mittwoch aufgeflogen war, mußten Generalinspekteur Wolfgang Schneiderhan und Staatssekretär Peter Wichert (CDU) auf Druck von Verteidigungsminister Karl Theodor zu Guttenberg (CSU) zurücktreten.

In der Nacht zum 4.September hatten zwei US-Kampfbomber auf Anforderung des Bundeswehroberst ­Georg Klein zwei von Taliban entführte Tanklaster in der Nähe von Kundus in Nordafghanistan bombardiert. Die Fahrzeuge waren in einem Flußbett steckengeblieben. Dabei starben bis zu 142 Menschen.

Exverteidigungsminister Franz Josef Jung (CDU) hatte stets geäußert, es seien »ausschließlich terroristische Taliban« getötet worden. Dabei war deutschen Kräften vor Ort schon am Abend nach dem Bombardement das Gegenteil klar. Das geht aus Berichten deutscher Feldjäger und von ­NATO-Verbündeten hervor, über die Bild gestern berichtete. Guttenberg bestätigte die Richtigkeit der Dokumente, die er erst von dem Springer-Blatt erhalten haben will.

So hatte das deutsche Regionalkommando am 4.September gemeldet, die Taliban hätten unbewaffnete Dorfbewohner gezwungen, »bei der Bergung des Benzins zu helfen. 14 von ihnen sind seitdem verschwunden«. Die Behauptung des verantwortlichen Bundeswehrobersten, er habe sich über Videoaufnahmen aus einem der Kampfbomber und über einen Informanten vergewissert, daß nur Taliban vor Ort seien, wird regelrecht zerpflückt: Es sei unmöglich gewesen, »anhand der Bilder die Aussagen des Informanten zu bekräftigen«, heißt es in einem Bericht von NATO-Verbündeten. Zumal dieser Spitzel überhaupt nicht am Ort des Geschehens war, sondern lediglich in Telefonkontakt mit den Rebellen stand.

Am 6. September traf beim Einsatzführungskommando der Bundeswehr in Potsdam ein Bericht deutscher Feldjäger ein, der ebenfalls keinen Zweifel daran ließ, daß es zivile Tote gegeben hatte. Im Krankenhaus Kundus lägen nach dem Bombardement »sechs Patienten im Alter von zehn bis 20 Jahren«, außerdem »zwei Leichen im Teenager-Alter«. Ein Militärarzt berichtete von zwei 14jährigen Jungen mit »offenem Bruch« und »Schrapnell-Verletzungen«, so Bild.

Die Feldjäger stellen fest, der Angriff habe zu »zahlreichen Toten und Verletzten« geführt, »ohne daß unmittelbar vor und nach dem Vorfall adäquat gehandelt wurde«. Schneiderhan soll für die Zurückhaltung dieser Dokumente verantwortlich sein. Mitte September war er selbst nach Kundus geeilt und hatte Korpsgeist eingefordert: Bis zum Ergebnis der juristischen Untersuchung, dem er offenbar nachhelfen wollte, müsse »man nun standhaft bleiben«. Gelogen wurde bei dem Massaker von Anfang an: Oberst Klein hatte die Bomber mit der Falschaussage angefordert, er habe »direkten Feindkontakt«.

Die Oppositionsparteien wollen nun auch Guttenbergs Vorgänger Jung, der mittlerweile das Arbeitsministerium leitet, zur Rechenschaft ziehen. Schneiderhan und Wichert seien nur »Bauernopfer aus der zweiten Reihe«, sagte der Vizechef der Linksfraktion, Jan van Aken. Jung sei unfähig oder habe gelogen – in jedem Fall sei er als Minister untragbar. Linke, Grüne und SPD kündigten an, einen Untersuchungsausschuß einzurichten. Auch die FDP forderte »rückhaltlose Aufklärung«. Jung selbst wollte gestern abend nach Redaktionsschluß vor den Bundestag treten. Die hessische Linksfraktion zeigte den Hobbywinzer wegen versuchter Strafvereitelung im Amt an.

Quelle: http://www.jungewelt.de 27.11.09

27. November 2009 Posted by | Afghanistan, AFPAK, Bundeswehr, CDU/FDP, Deutschland, International, Krieg, NATO, News | , , , , | 1 Kommentar

Afghanistan:Permanenter Bürgerkrieg im autoritären Militärstaat: Die westlichen Strategen planen für Afghanistan „Zukunft“

Permanenter Bürgerkrieg im autoritären Militärstaat: Die westlichen Strategen planen für Afghanistan „Zukunft“

Bereits im März 2009 hatte die frisch gewählte US-Regierung unter Barack Obama eine neue Afghanistan-Strategie angekündigt. Sie setzte im Wesentlichen auf umfangreiche Truppenerhöhungen, eine Ausweitung der Kampfhandlungen auf Pakistan („AFPAK“), eine größere Beteiligung der Verbündeten und – immer wichtiger – den massiven Aufbau afghanischer Repressionsapparate.

Nachdem diese Maßnahmen den Krieg wie absehbar noch weiter eskaliert haben, ist in Washington eine heftige Debatte um das weitere Vorgehen entbrannt. Auf der einen Seite findet sich US-General Stanley McChrystal, Kommandeur der NATO Truppen in Afghanistan. Obwohl mittlerweile mehr als 100.000 westliche Soldaten am Hindukusch stationiert sind (etwa 70.000 unter NATO- und 30.000 unter US-Kommando), fordert er nachdrücklich 40.000 weitere Kämpfer. Auf der anderen Seite plädiert Vizepräsident Joseph Biden dafür, das Engagement künftig auf die Bekämpfung von Al-Kaida zu beschränken und damit die Präsenz deutlich zu reduzieren. Mittlerweile deutet sich an, dass sich Obama – und damit wohl auch die NATO – für einen schlechten Kompromiss aus diesen beiden Ansätzen entscheiden wird: Zunächst wird die Truppenzahl nochmals erhöht, perspektivisch soll aber der massive Ausbau der afghanischen Repressionsapparate es ermöglichen, die Präsenz in Richtung der Biden-Lösung zu verringern.

Auch Deutschland ist – wie meistens – mit dabei. Der neue Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg verkündet, man wolle (sprich: könne) schließlich nicht ewig in Afghanistan bleiben, perspektivisch müsste über einen (Teil)Abzug nachgedacht werden. Kurzfristig wird aber die US-Truppenaufstockung begrüßt und wohl auch unterstützt werden. Da man aber außerdem dort aber unbedingt auch künftig ein pro-westliches Regime an der Macht halten möchte, muss die Zentralregierung über den Aufbau der Repressionsorgane in die Lage versetzt werden, sich an der Macht zu halten. Gerade Deutschland macht sich hierfür besonders stark. Den Großteil der „Drecksarbeit“ sollen künftig also einheimische Kräfte übernehmen, um die allerspätestens nach den jüngsten Wahlen völlig diskreditierte Karzai-Regierung an der Macht zu halten. Für diese Afghanisierung des Krieges wurde die Zielgröße für die afghanische Polizei und Armee von ursprünglich 150.000 auf inzwischen 400.000 angehoben. Afghanistan droht damit aber zu einem autoritären Militärstaat zu werden, in dem die vom Westen aufgebauten – und beaufsichtigen – Regierungstruppen einen permanenten Bürgerkrieg gegen den paschtunischen Widerstand führen werden. Nicht zuletzt, weil dies auch Guttenberg klar ist, argumentierte er, eine Reduzierung der Präsenz erfordere es einzugestehen, „dass man in Afghanistan an seine Grenzen stößt, wenn man von einer Demokratie westlichen Stils zu träumen beginnt.“ (FAZ, 11.11.2009)

Washington: Eskalationskonsens

Laut New York Times (11.11.2009) wurden Barack Obama inzwischen vier verschiedene Optionen vorgelegt. Sie sehen einen Truppenaufwuchs von entweder 20.000, 25.000 oder 30.000 Soldaten vor (die letzte Option wird nicht näher beschrieben, scheint aber keine Truppenerhöhungen zu beinhalten).

Dem Bericht zufolge haben sich Verteidigungsminister Robert Gates, Generalstabschef Mike Mullen und Außenministerin Hillary Clinton inzwischen darauf verständigt, die 30.000er-Option zu befürworten. Deshalb sei damit zu rechnen, dass sich auch Obama in diese Richtung entscheiden werde (allerdings sind damit auch die Vorschläge Joseph Bidens keineswegs vom Tisch, s.u.). Damit bleibt die US-Regierung – etwas – unter den Forderungen des NATO-Kommandeurs, scheint sich aber dennoch zu einer erheblichen Ausweitung des Engagements entschieden zu haben. Zumal man bestrebt ist, die NATO-Verbündeten mit ins Eskalationsboot zu hohlen und so McChrystals „Wunschzahl“ von 40.000 Soldaten erreichen zu können.

Kuhhandel: Deutsche Ausbilder statt Kämpfer?

Wiederholt hat die Obama-Administration den EU-Verbündeten ins Stammbuch geschrieben, sie erwarte von ihnen gefälligst eine stärkere militärische Unterstützung der Kriegsanstrengungen. Auch bei der nun anstehenden Entscheidung, noch mehr Truppen an den Hinduksuch zu entsenden, dürften die USA von den anderen NATO-Staaten ebenfalls Mehrleistungen erwarten.

Von deutscher Seite wurde allerdings bereits von Verteidigungsminister Franz-Josef Jung und nun nochmals von seinem Nachfolger Guttenberg klargestellt, eine Truppenerhöhung werde es vor der Anfang 2010 stattfinden internationalen Afghanistan-Konferenz nicht geben – vielleicht stimmt das sogar. Denn es müssen nicht unbedingt Soldaten mit einem direkten Kampfauftrag sein, um Washington zufrieden zu stellen. Schon beim Treffen der NATO-Verteidigungsminister betonte der Generalsekretär der Allianz, Anders Fogh Rasmussen, dass für die angestrebte Afghanisierung des Kriegs die von NATO und Europäischer Union (EUPOL Afghanistan) unternommenen Anstrengungen zum Aufbau der Repressionsapparate erheblich intensiviert werden müssten: „‚Wir werden mehr Ausbilder brauchen, und wir werden mehr Mittel brauchen, um die afghanischen Sicherheitskräfte zu stärken‘, sagte Rasmussen. Das habe er den Ministern sehr deutlich gesagt. Jetzt in die Fähigkeiten Afghanistans zu investieren, bedeute, dass es später weniger nötig sei. Der Nato-Einsatz ende dann, wenn die Afghanen in der Lage seien, die Verantwortung für ihr Land selbst zu übernehmen.“ (Reuters, 23.10.2009)

Und genau in diese Richtung scheint nun der Hase zu laufen: „Washington hofft, die NATO-Verbündeten davon überzeugen zu können, zumindest zusätzliche Ausbilder für die afghanische Armee und Polizei zu entsenden. Diese Beiträge könnten die Gesamtgröße nahezu auf das Niveau der 40.000 bringen, die McChrystal gefordert hat“, berichtet die Nachrichtenagentur Reuters (10.11.2009). Vor diesem Hintergrund sind auch für Deutschland allerlei Kuhhandel denkbar, Washington bei der weiteren Eskalation unter die Arme zu greifen, ohne Truppen direkt mit einem Kampfauftrag entsenden zu müssen. So könnte man einfach Polizeiausbilder entsenden, da diese ohne Mandat – und damit den ganzen Medienrummel um das hierfür erforderliche Bundestagsmandat – entsendet werden können. Da aber zweifelhaft ist, ob sich hierfür genug Freiwillige finden, könnte man auch ein separates Mandat beschließen, indem groß verkündet wird, die Ausbilder seien strikt getrennt vom restlichen NATO-Auftrag zu sehen, da sie kein Kampfmandat hätten (sondern nur die ausbilden sollen, die das für sie übernehmen).

Unwahrscheinlich ist es jedenfalls nicht, dass Deutschland im Ausbildungsbereich erheblich aufstocken könnte. Viel sagend merkte auch US-Außenministerin Hillary Clinton an: „Es gibt also eine Reihe von Möglichkeiten, wie Deutschland mitmachen kann.“ Deshalb hoffe sie, „dass, was auch immer Präsident Obama entscheiden wird, so überzeugend sein wird, dass wir gemeinsam weitermachen werden.“ (Die Welt, 11.11.2009) Der Spiegel berichtete bereits am 12. Oktober, an die Bundesregierung sei die US-Forderung ergangen, 1.200 weitere Ausbilder für die NATO-Trainingsmission nach Afghanistan zu entsenden.

Übergabestrategie in Verantwortung?

Ganz ähnlich wie Guttenberg, der meinte man könne ja schließlich nicht bis zum „Sankt-Nimmerleins-Tag“ am Hinduksuch bleiben, äußerte sich auch Kanzlerin Angela Merkel in ihrer jüngsten Regierungserklärung. Der Bundeswehreinsatz in Afghanistan müsse nun „in eine neue Phase“ geführt werden. Es gelte nun auszuarbeiten, „wie und mit welchen konkreten Schritten“ die neue Phase gestaltet werden könne. „Wir wollen eine Übergabestrategie in Verantwortung festlegen.“ (Die Welt, 11.11.2009)

Unverkennbar macht sich auch in der Bundesregierung eine gewisse Kriegsmüdigkeit breit. Man bereitet sich derzeit auf einen geordneten Teilrückzug vor, die Truppen sollen – nicht zuletzt aufgrund der ablehnenden Haltung zum Kriegseinsatz in der Bevölkerung – möglichst bald auf ein möglichst geringes Maß reduziert werden, indem der Großteil der Kampfhandlungen auf die künftig bereitstehende afghanische Armee und Polizei abgewälzt werden soll. 2015, dieser Termin wird immer wieder als Datum genannt, an dem man spätestens die afghanische Polizei und Armee soweit aufgebaut haben will, um das Land sich dann buchstäblich sich selbst und dem mit Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit entflammenden Bürgerkrieg zu überlassen. Von einer „Übergabestrategie in Verantwortung“ kann hier jedoch keinerlei Rede sein, das voraussehbare Drama wird jedoch offenbar billigend in Kauf genommen – die grusligen Szenarien, was passiert, wenn man diesen Weg weiter beschreitet, liegen bereits auf dem Tisch.

Afghanistans Zukunft: Dauerbürgerkrieg

Der „Center for a New American Security“, eine Denkfabrik mit engsten Verbindungen zur Obama-Administration, veröffentlichte unlängst ein Papier, in dem drei mögliche Zukunftsszenarien für Afghanistan präsentiert wurden (Exum, Andrew: Afghanistan 2011: Three Scenarios, CNAS Policy Brief, 22.10.2009). Unwahrscheinlich aber möglich sie eine nachhaltige Stabilisierung des Landes ebenso wie der – aus westlicher Sicht – schlimmste Fall, ein Sieg der Widerstandsgruppen über die Karzai-Regierung und die Etablierung neuer, dezidiert anti-westlicher Machthaber.

Vermutlich werde die Entwicklung aber in folgende Richtung gehen: „Im wahrscheinlichsten Szenario wird die Obama-Regierung vorsichtig zu einer koordinierten Anti-Terror-Mission übergehen, bei der das alliierte Engagement sich auf das Training der afghanischen Armee, die Durchführung von Präzisionsangriffen aus der Luft und Spezialoperationen am Boden beschränkt. [..] Dieses wahrscheinlichste Szenario erlaubt es den USA und ihren Verbündeten weiterhin Einfluss in Zentralasien auszuüben und eine vollständige Rückkehr der Taliban zu verhindern.“ Damit wären dann auch die Präferenzen Joseph Bidens berücksichtigt, der, wie bereits erwähnt, das US-Engagement genau hierauf beschränkt wissen will. Allerdings betont das CNAS-Papier auch: „Eine kurzfristiger Truppenerhöhung wird diesem Übergang vorausgehen.“ Genau dies ist nun ebenfalls eingetreten, indem McChrystals Forderung nach mehr Soldaten offenbar nachgekommen wird.

Recht unverblümt wird zudem beschrieben, was ein solches Szenario für Afghanistan bedeuten würde: „Afghanistan bleibt im Bürgerkrieg zwischen der Regierung in Kabul, die im Wesentlichen von den Politikern und Warlords geführt wird, die das Land zwischen 1992 und 1996 befehligten, und einer entrechteten paschtunischen Gesellschaft im Süden und Osten gefangen.“ Zwar wird eingeräumt, dass von allen denkbaren Entwicklungen diese für die afghanische Bevölkerung die mit Abstand nachteiligste wäre, das scheint die westlichen Strategen jedoch nicht davon abzuhalten, genau diesen Pfad nun einzuschlagen. Erfreulicherweise gibt es aber selbst im US-Militär vereinzelte Stimmen, die sich mehr als deutlich hiergegen aussprechen.

Pro-westlicher Militärstaat

Vor kurzem quittierte der US-Militär Matthew P. Hoh, der in Afghanistan an prominenter Stelle für den zivilen Wiederaufbau zuständig war, seinen Dienst. In seinem Rücktrittsgesuch begründete er seine Entscheidung folgendermaßen: „Der paschtunische Aufstand, der sich aus zahlreichen, scheinbar endlosen lokalen Gruppen zusammensetzt, wird durch das gespeist, was die paschtunische Bevölkerung als einen andauernden Angriff auf ihre Kultur, Traditionen und Religion durch interne und externe Feinde ansieht, der seit Jahrhunderten anhält. Die amerikanische und die NATO Präsenz und Operationen in paschtunischen Tälern und Dörfern stellen ebenso wie die afghanischen Polizei- und Armeeeinheiten, die nicht aus Paschtunen bestehen, eine Besatzungsmacht dar, vor deren Hintergrund der Aufstand gerechtfertigt ist. Sowohl im Regionalkommando Ost als auch Süd habe ich beobachtet, dass der Großteil des Widerstands nicht das weiße Banner der Taliban, sondern eher gegen die Präsenz ausländischer Soldaten und gegen Steuern kämpft, die ihm von einer Regierung in Kabul auferlegt werden, die sie nicht repräsentiert.“

Anschließend listet Hoh die Defizite der Karzai-Regierung auf, die von der US-Regierung geschützt wird. Sie zeichne sich u.a. durch „eklatante Korruption und unverfrorene Bestechlichkeit“ aus sowie „einen Präsidenten, dessen Vertraute und Chefberater sich aus Drogenbaronen und Kriegsverbrechern zusammensetzen, die unsere Anstrengungen zur Drogenbekämpfung und zum Aufbau eines Rechtsstaats lächerlich machen.“ Vor diesem Hintergrund kommt Hoh zu dem vernichtenden Fazit: „Unsere Unterstützung für diese Art von Regierung, gepaart mit dem Unverständnis für die wahre Natur des Widerstands, erinnert mich fatal an unser Engagement in Südvietnam; eine unpopuläre und korrupte Regierung, die wir auf Kosten des inneren Friedens unseres eigenen Landes gegen einen Aufstand unterstützt haben, dessen Nationalismus wir arrogant und ignorant als Rivalen unserer Kalten-Kriegs-Ideologie misinterpretiert hatten.“ (http://www.presstv.ir/detail.aspx?id=110168&sectionid=3510304 )

Auch wenn den engagierten Ausführungen Hohs weitestgehend zuzustimmen ist, an einem Punkt dürfte er den Zynismus der westlichen Strategen unterschätzen. Denn es hat eher den Anschein, als dass Afghanistans Zukunft als autoritärer Militärstaat im Dauerkriegszustand weniger aus Dummheit denn aus strategischem Kalkül billigend in Kauf genommen wird. Hauptsache die Herrscher in Kabul bleiben weiterhin pro-westlich, alles andere scheint mittlerweile weitgehend egal zu sein. Ein treffender Kommentar in der taz (13.9.2009) fasste das Kalkül folgendermaßen zusammen: „Das Maximum, das der Westen in Afghanistan noch erhoffen kann, ist, einen autoritären Potentaten zu hinterlassen, der getreu dem US-amerikanischen Bonmot ‚Er ist ein Hurensohn, aber er ist unser Hurensohn‘, der die Regierung auf prowestlichem Kurs hält. Sicherheitspolitisch könnte das sogar funktionieren, weil dessen Terror sich dann ’nur‘ gegen die eigene Bevölkerung und vielleicht noch gegen Nachbarstaaten, nicht aber gegen den Westen richtet.“ Kein Wunder also, dass Neu-Verteidigungsminister Guttenberg ankündigte, man müsse sich in Afghanistan endlich von hehren Demokratievorstellungen verabschieden.

Jürgen Wagner

http://www.imi-online.de   http://www.imi-online.de/2009.php?id=2042

12. November 2009 Posted by | Afghanistan, AFPAK, Antimilitarismus, Bundeswehr, Deutschland, International, Krieg, Naher und Mittlerer Osten, NATO, Politik, US-Imperialismus | , , , | Hinterlasse einen Kommentar