Blinkfuer

Linkes Blog aus Ostfriesland

Schwarz-Rot-Senf

Betreff: Wichtige Information des Bundesministerium für Verkehr
INFORMATIONSAUSGABE – STRASSENVERKEHRSAMT – JUNI 2010
In Deutschland hat sich die Qualität der Pkw- und Lkw-Fahrer deutlich
verschlechtert. Aus diesem Grund hat das Straßenverkehrsamt ein neues
System eingeführt um die schlechten Fahrer zu identifizieren.
Mit sofortiger Wirkung werden allen Fahrern, die sich im Straßenverkehr
schlecht benehmen -unter anderem durch plötzliches Anhalten, zu dichtes
Auffahren, Überholen an gefährlichen Stellen, Abbiegen ohne zu
blinken, Drehen auf Hauptstrassen und rechts
überholen- Fahnen ausgehändigt. Sie sind rot, mit einem schwarzen
Streifen oben und einem gelben Streifen unten. Dadurch sind sie für
andere Verkehrsteilnehmer als unfähige Autofahrer zu identifizieren.
Diese Fahnen werden an der Autotuer befestigt und müssen für alle
anderen Verkehrsteilnehmer gut sichtbar sein.
Die Fahrer, die eine besonders schwache Leistung gezeigt haben, müssen
je eine Fahne auf beiden Seiten ihres Autos befestigen, um auf ihre
fehlende Fahrkunst und ihren Mangel an Intelligenz aufmerksam zu machen.

11. Juni 2010 Posted by | Landkreis Leer, News, Niedersachsen | Hinterlasse einen Kommentar

Henning Mankell: »Ich war dort«

»Ich war dort«    junge Welt-Bericht

Augenzeugenbericht. Wie der schwedische Schriftsteller Henning Mankell den israelischen Angriff auf die Gaza-Hilfsflotte erlebt hat – und wie ihn Journalisten in Berlin befragen

junge Welt dokumentiert die Pressekonferenz des schwedischen Schriftstellers Henning Mankell am Donnerstag nachmittag im Großen Saal der Berliner Volksbühne, in dem sich »eine knappe Hundertschaft Journalisten und Kameraleute versammelt« (Spiegel online) hatte. Bild (Freitagausgabe) erklärte den Bestsellerautor ob seiner Ausführungen (»steigert sich immer mehr in seine absurde Wut auf Israel hinein«) zum »Verlierer des Tages«. Die Süddeutsche Zeitung meldete, Mankell habe »mit einem Furor über den grauenhaften Morgen im Mittelmeer« gesprochen. Der Autor verdiene viele Millionen mit Krimis und leiste sich den Luxus, ein linker Moralist zu sein.

Ich bin nicht verpflichtet, diese Stellungnahme abzugeben. Aber wie der Zufall es will, bin ich heute in Berlin und ich wollte, wenn möglich, einige Journalisten treffen. Denn ich hatte schon gesehen, daß viel veröffentlicht worden war, was aber vielleicht nicht ganz richtig ist. Ich habe etwas, das Sie nicht haben: Ich war dort.

Ich war an Bord eines der Schiffe, die mitten in der Nacht angegriffen wurden. Ich habe es gesehen. Ich habe es gehört. Ich habe es miterlebt. Ich habe nicht alles gesehen. Es gibt vieles, worüber ich nicht reden kann, weil ich es nicht gesehen habe. Aber von den Dingen, die ich gesehen, gehört und erlebt habe, kann ich Zeugnis ablegen.

Und ich kann ihnen eins versprechen: Ich werde ihnen nichts erzählen, was nicht wahr ist. Ich beteilige mich seit fast 40 Jahren an der politischen Diskussion in Schweden und der Welt. Ich habe mein Herz niemals an irgendeine Lüge gehängt. Ich glaube nicht, daß die Lüge ein Mittel der Demokratie ist. Deswegen ziehe ich es vor, zu sagen »Ich weiß es nicht«, »Ich kann das nicht beantworten« oder »Ich habe nicht die leiseste Ahnung«, bevor ich ihnen eine halbwahre Antwort gebe. Das werde ich nicht tun. (…)

Wie Sie alle wissen, ist die Idee des Konvois aus dem Krieg gegen Gaza heraus entstanden, der die Palästinenser im Gazastreifen hinter der Blockade wie hinter einer Mauer völlig isolierte. Vor ungefähr einem Jahr entstand der Wunsch, diese Blockade gegen die Palästinenser in einem Akt der Solidarität und der humanitären Hilfe zu brechen, um deutlich zu machen, daß sie unrechtmäßig und unmenschlich ist. Das konnte nur auf dem Seeweg gelingen. Deswegen nannten wir die Kampagne »Ein Schiff nach Gaza«.

Ich war an Bord eines Schiffes namens »Sophia«. Es war ein Frachtschiff, ein kleines Fahrzeug. Ich war nicht auf dem größeren Passagierschiff, deswegen kann ich nicht bezeugen, was dort passiert ist. Aber von der kleinen »Sophie« aus sahen wir, was dort in etwa einem Kilometer Entfernung geschah. Ich war auf der »Sophia«, weil sie sozusagen ein schwedisches Schiff war. Es ist mit schwedischem Geld finanziert worden. Viele haben kleine Summen gespendet, um das möglich zu machen. Es hatte Zement, Baumate­rial und Fertighäuser geladen.

Wir waren etwa 25 Personen an Bord. Die Besatzung bestand aus Griechen, außerdem aus mir, einem schwedischen Arzt, einem schwedischen Abgeordneten der Grünen und anderen. Wir befanden uns in internationalen Gewässern und waren auf dem Weg, die Blockade zu brechen. Wir gingen aber davon aus, daß wir noch etwa zwei Stunden weiterfahren mußten, bevor wir uns den von Israel beanspruchten Gewässern nähern würden.

Um vier Uhr morgens wurde ich von jemandem geweckt, der mir mitteilte, daß die »Mavi Marmara« angegriffen wurde. Wir konnten die Scheinwerfer von Hubschraubern sehen und Gewehrfeuer hören. Wir konnten aber nicht herausfinden, was genau geschah, weil die Kommunikation lahmgelegt war. Wir konnten unsere Telefone nicht benutzen und uns auch sonst nicht verständigen. Das hatte das israelische Militär besorgt. Erst zwei Tage später, als ich an Bord des Lufthansa-Flugzeugs ging, erfuhr ich, daß zehn Menschen getötet worden waren. Das wußte ich vorher nicht.

Wir stellten also fest, daß sich das israelische Militär entschieden hatte, den Konvoi in internationalen Gewässern zu attackieren. Um 4.35 Uhr griffen sie dann unser Frachtschiff an. Wir hatten uns entschieden, keinerlei Widerstand zu leisten. Wir standen auf der Brücke. Dann enterten die Kommandosoldaten das Schiff. Sie trugen Maschinenpistolen und waren alle maskiert. Ich weiß nicht, wie viele es waren, aber es waren auch Frauen darunter. Sie kamen hoch auf die Brücke, waren sehr aggressiv und riefen: »Ihr müßt hier runter!«

Wir hatten auch ältere Leute unter uns, die vielleicht nicht so schnell zu Fuß waren. Einem von ihnen wurde mit einem Elektroschocker in den Arm geschossen und er ging vor Schmerzen zu Boden. Ein anderer Mann wurde von einem Gummigeschoß getroffen und ging ebenfalls zu Boden. Dann wurden wir nach unten an Deck gebracht und mußten uns zusammen hinsetzen. Die Soldaten durchsuchten das Schiff.

Nach einer gewissen Zeit – ich kann nicht sagen, wieviel – kamen sie zurück und einer sagte auf Englisch: »Wir haben Waffen an Bord gefunden!« Wir fragten: »Was für Waffen? Es gibt keine Waffen an Bord dieses Schiffes.« Dann zeigte er uns einen Naßrasierer. Meinen Rasierer. Dann zeigte er ein kleines Kartonmesser aus der Küche, das dem ägyptischen Koch dazu diente, Vorratskartons zu öffnen. »Ihr werdet jetzt hier sitzen bleiben, und wir bringen das Schiff nach Israel.«

Das geschah in internationalen Gewässern und das heißt, daß die Soldaten wie Piraten gehandelt haben. Das war ein Akt der Seepiraterie. Und in dem Moment, als sie das Schiff übernahmen, wurden wir nach internationalem Recht praktisch entführt. Wir saßen elf Stunden lang am selben Ort. Ohne Verpflegung, wir hatten nur Wasser und trockenes Brot in der Sonne. Dann wurden wir irgendwo hingebracht, ich weiß immer noch nicht, wie der Hafen heißt.

Als wir an Land gebracht wurden, geschah etwas, das ich nie vergessen werde. Wir wurden einer nach dem anderen in einem wahren Spießrutenlauf in das vorgesehene Gefängnis geführt. Zu beiden Seiten standen Soldaten. Überall waren Kameras, aber nur vom Militär, soweit ich sehen konnte. Alles illegal. Das habe ich gesehen, das ist mit mir geschehen.

Außerdem kann ich bezeugen, daß die Soldaten sich niemals ausgewiesen haben. Sie haben uns die ganze Zeit gefilmt, obwohl die Genfer Konvention vorschreibt, daß Zivilisten nicht so behandelt werden dürfen. Und ich kann bezeugen, daß sie alles gestohlen haben, was ich hatte. Sie haben meine Kamera gestohlen, mein Telefon, mein Geld, meine Kreditkarte, meine Kleidung, alles. Und sie haben auch die Computer und Telefone der anderen gestohlen.

Ein Polizist sprach mich an – jedenfalls nehme ich an, daß er einer war, er trug Zivilkleidung: »Entweder schieben wir Sie ab oder Sie kommen ins Gefängnis.« Ich fragte: »Wessen werde ich denn beschuldigt?« Er sagte: »Sie sind illegal nach Israel eingereist.« Ich antwortete: »Wovon reden Sie? Ich wurde entführt und gezwungen, herzukommen.« Danach weigerte er sich, weiter mit mir zu reden.

Ich wurde in ein Abschiebegefängnis gebracht. Wir waren zu acht in einem sehr kleinen Raum. Wir bekamen etwas zu essen und etwas Wasser. Wir wurden nicht geschlagen. Wir warteten darauf, Kontakt zu unserer Botschaft aufnehmen zu können. Ich war mit dem schwedischen Abgeordneten zusammen, dem es schließlich gelang, Kontakt zur Botschaft herzustellen. Wir blieben eine Nacht in dem Gefängnis und wurden am nächsten Tag zum Lufthansa-Flug gebracht. Ich bin ohne Socken an Bord gegangen, weil sie auch meine Socken gestohlen hatten. Eine sehr interessante Situation, muß ich zugeben. In der Business Class war aber eine sehr nette Dame, die mir ein Paar Socken gab. Wenigstens konnte ich Israel mit Socken an den Füßen verlassen. (…)

Wenn diese Leute uns wirklich aufhalten hätten wollen, hätten sie es dort tun sollen, wo die Territorialgewässer von Israel und Palästina beginnen. Und sie hätten es sehr leicht tun können, indem sie Ruder und Propeller des Schiffes beschädigen. Dann hätten wir nichts tun können und sie hätten uns hinschleppen können, wo sie wollen. Aber sie zogen es vor, Kommandotruppen zu schicken, um uns anzugreifen. Das war die Entscheidung Israels.

Ich kann Ihnen nicht erklären, was auf dem Schiff passiert ist, auf dem die zehn Menschen starben. Aber ich kann Ihnen sagen, daß die zehn Toten keine Israelis sind. Sie sind Menschen, die mit Gütern für die Palästinenser in Gaza kamen.

Jetzt nehme ich gerne Ihre Fragen entgegen.

Frage von Julia Niedhammer (RBB): Es gibt im Moment viel Kritik an Israel. Manchmal verwandelt sich diese Kritik schon in Haß. Was denken Sie darüber?

Ich glaube nicht an Haß. Ich glaube nicht, daß Haß ein gutes politisches Werkzeug ist, um die Welt zu verbessern. In dieser Situation denke ich, daß sich die Israelis durch die dummen und gefährlichen Entscheidungen, die sie getroffen haben, selbst in diese Ecke manövriert haben. Sie hätten sich anders entscheiden sollen. Sie hätten sich anders entscheiden können.

Wir haben Fernsehbilder von den Kommandosoldaten gesehen, die sich auf das große Schiff abseilten und zusammengeschlagen wurden. Also, sagen die Soldaten, mußten wir uns verteidigen. Die Frage ist: Haben die Passagiere versucht, zu den Hubschraubern hochzuklettern oder sind die Soldaten heruntergekommen? In internationalen Gewässern. Die Frage beantwortet sich selbst: Wer hat wen angegriffen? Und ich sage Ihnen eins: Wenn ich auf meinem Boot in internationalen Gewässern angegriffen würde, würde ich wenigstens versuchen, mich zu verteidigen.

Sie sagen, es gibt viel Haß. Das ist vielleicht verständlich, aber bedauerlich. Ich glaube nicht an diesen Haß. Aber vielleicht kann er die Israelis dazu zwingen, erstens diese Blockade zu beenden und zweitens einen Dialog zu beginnen, um die Probleme zu lösen, die wir haben.

Lassen Sie es mich gleich sagen: Ich bin sehr kritisch gegenüber den Handlungen der Hamas in Gaza. Ich bin kein unkritischer Freund der Hamas. Aber wir müssen mit ihr sprechen. Wir müssen den Dialog führen, um diese unerträgliche Lage zu beenden. Es tut mir leid, daß es den Haß gibt, aber ich denke, die Israelis müssen vor ihrer eigenen Tür kehren. Wir haben mit dem Haß nicht angefangen.

Frage von David Nauer (Tagesanzeiger, Schweiz): Ihr Schriftstellerkollege Leon de Winter sagte, die Passagiere auf den Schiffen hätten Lieder gesungen wie »Tod den Juden«, als sie in Zypern ausliefen. Haben Sie davon etwas mitbekommen?

Hand aufs Herz: Nein. Auf der ganzen Reise habe ich keine vergleichbaren Ausdrücke gehört. Nie. Ich kann für das Schiff sprechen, auf dem ich war. Und ich habe es auch nicht aus der Ferne gehört. Wenn das gesungen worden wäre, wäre das fürchterlich falsch gewesen. Ich wäre sehr wütend, wenn das wahr wäre. Denn das verließe den gemeinsamen Boden unserer humanitären Mission.

Frage eines Freelancers: Wie würden Sie Ihre politische Haltung gegenüber Israel vor diesen Geschehnissen beschreiben? Würden Sie sich vor dem Hintergrund Ihrer politischen Sozialisation als Antizionisten bezeichnen?

Ich wurde in demselben Jahr geboren, in dem Israel gegründet wurde: 1948. Ich habe mein ganzes Leben mit diesem Konflikt gelebt. Und ich will nicht damit sterben. Ich hoffe, daß ich noch eine Lösung dafür erlebe. Was ist die Lösung dieses Konflikts? Ganz ehrlich: Wir können eins sagen – die heutige Lage ist unerträglich, sie ist nicht die Lösung. Dann müssen wir also diskutieren, ob sie überhaupt in zwei Staaten liegt oder ob wir nach einer südafrikanischen Lösung suchen müssen. Ich weiß es nicht.

Es ist die Aufgabe der Israelis und der Palästinenser, sie zu finden, mit unserer Unterstützung, in einem Dialog, nicht in einem Krieg. Ich muß glauben, daß es eine Lösung gibt. Ich glaube, daß wir durch den demokratischen Dialog eine Lösung für jedes Problem auf der Welt finden können. Natürlich bin ich kein Antisemit, auch wenn manche mich so beleidigen. Aber ich bin gegen die heutige Politik Israels gegenüber den Palästinensern. Dagegen bin ich, denn das ist eine Art von Apartheidpolitik. Ich war gegen die Apartheid in Südafrika, und ich bin heute gegen die Apartheid.

Frage von Janita Hämäläinen (Spiegel TV): Sie haben gesagt, daß Sie weit weg waren von dem Ausbruch der Gewalt. Aber inzwischen müssen Sie doch auch das Videomaterial vom Deck der »Marmara« gesehen haben, auf dem wir Aktivisten israelische Soldaten angreifen sehen. Was ist Ihre Reaktion auf dieses Material? Würden Sie sagen, daß es naiv war, an der Aktion teilzunehmen?

Ich kann Ihnen versichern, daß ich nicht naiv bin. Wenn man seit 25, 30 Jahren in Afrika lebt, dann macht einen das jedenfalls nicht naiv. Zu den anderen Frage: Ich bin vor zwei Tagen spät in der Nacht zurückgekehrt und habe seitdem fast Tag und Nacht mit Ihren Kollegen gesprochen. Ich habe nicht sehr viel Videomaterial gesehen. Ich habe ein paar Minuten gesehen.

Darauf sehe ich keine Personen, die Seile hoch zu den Soldaten in den Hubschraubern klettern. Ich sehe Soldaten mit Maschinenpistolen, die sich abseilen, und Menschen, die sie angreifen. Was ich auch tun würde, wenn ich auf einem Schiff in internationalen Gewässern angegriffen würde. Ich habe nicht gesehen, was für Waffen sie benutzen, aber ich habe keine Schußwaffen gesehen.

Und schließlich weiß ich heute, daß die zehn Toten keine Israelis sind. Kurz bevor ich nach Berlin aufgebrochen bin, hat mir einer der Schweden erzählt, die an Bord jenes Schiffes waren, daß er Tote mit Kopfschüssen in die Stirn gesehen hat, was nicht passiert, wenn ein Soldat um sein Leben kämpft. Dann ist er nicht mehr so zielsicher. Wir müssen abwarten, was die Zeugen darüber erzählen. Wir wissen es noch nicht.

Frage von Bettina Marx (Deutsche Welle): Denken Sie darüber nach, Israel zu verklagen? Wußten die Soldaten, wer Sie sind, als sie Sie an Land brachten? Wie reagierten sie?

Ich denke, wir sollten uns fragen, ob es nicht möglich ist, zumindest das israelische Militär vor den Internationalen Gerichtshof in Den Haag zu bringen. Ich denke, das wäre möglich, denn sie haben uns angegriffen, einen Akt der Piraterie begangen und Menschen entführt – in internationalen Gewässern. Für mich ist es zu früh, um zu sagen, ob das getan werden muß. Aber es ist möglich, und dann sollte es vielleicht auch gemacht werden.

Als wir in der Nacht unterwegs waren, da waren wir sicher, daß die Israelis genau wußten, wo wir waren und wer an Bord war. Der Mossad hat einen sehr guten Ruf als sehr geschickter Geheimdienst. Als sie mich an Land gebracht haben, kam sofort ein Mann vom israelischen Außenministerium und wich nicht mehr von meiner Seite. Natürlich wußten sie, wer ich bin.

Frage von Alan Posener (Die Welt): Sind Sie sich darüber im klaren, daß die IHH, die türkische Organisation, die die »Marmara« ausgestattet hat, in der ganzen Welt als Finanzier des islamischen Terrorismus bekannt ist? Das müssen Sie gewußt haben, bevor Sie ausliefen, denn dieses Schiff führte die Flottille an. Wie können Sie sagen, daß Sie nicht wußten, was auf diesem Schiff geschah, wenn es von einer Organisation gechartert war, die in Deutschland als Finanzier von terroristischen Operationen bekannt ist? Kennen sie Lenins Wort von den nützlichen Idioten? Denken Sie nicht, daß die Hamas ein oder zwei Seiten Lenin gelesen hat?

Ich nehme hin, daß Sie sehr aggressiv sind. Wenn Sie das wollen. Mir ist das egal.

Alan Posener: Ich bin nicht aggressiv, ich stelle nur eine Frage.

Fragen können auch aggressiv sein. Aber ich werde Ihnen antworten, wenn Sie etwas Geduld haben. Als das Projekt aufgebaut wurde, war eine der ersten Grundlagen, daß es ausschließlich mit humanitären Mitteln arbeiten sollte. Wenn Ihre Anschuldigungen sich als wahr herausstellen sollten, kann ich Ihnen versichern, daß ich sehr wütend sein und entsprechen reagieren werde.

Als zweites werde ich eine Frage beantworten, die Sie nicht gestellt haben. Nur um sicherzugehen, daß Sie wissen, wer ich bin. Ich bin sehr kritisch gegenüber der Hamas und dem, was sie im Gazastreifen tut. Bevor wir aufbrachen, bekam ich Fragen wie diese gestellt: »Denken Sie nicht, daß es naiv ist, zu glauben, daß die Hamas kein Kapital aus dem schlägt, was Sie ins Land bringen?« Ich antwortete: »Natürlich kann ich nicht garantieren, daß das nicht geschieht.« Aber ich sage Ihnen eins: Wenn das Haus brennt, müssen Sie Wasser holen. Woher das Wasser kommt, ist eine nachrangige Frage. Natürlich kann ich nicht garantieren, daß die Hamas nichts getan hätte.

Nein, ich glaube nicht, daß ich ein nützlicher Idiot bin. Wenn jetzt Menschen auf der ganzen Welt von Israel verlangen, die Blockade von Gaza sofort zu beenden, denke ich: Wow, das ist sehr gut. Das war jedenfalls eins der Ziele, die wir hatten. Mal sehen, was wir noch schaffen. Nein, ich glaube nicht, daß ich ein nützlicher Idiot bin. Ich ziehe es vor, keiner von diesen nützlichen Idioten zu sein, die überall herumsitzen und jetzt zynisch behaupten, daß Solidarität nichts wert sei. Zu denen möchte ich lieber nicht gehören. Ich bin einigermaßen schlau und ich weiß auch, wie ich das einsetzen kann.

(…)

Frage: Was haben Sie erwartet, was passieren würde? Kam die Gewalt überraschend für Sie?

Ich sagte schon, daß ich nicht naiv bin und kein nützlicher Idiot. Was bin ich also? Ich denke, ich bin ein Realist. Ich erwartete, daß die Israelis die Marine benutzen würden, um den Konvoi zu stoppen. Ich dachte, sie würden das dort tun, wo sie das Recht dazu haben. Und ich dachte, sie seien schlau genug, keine Gewalt gegen Menschen einzusetzen, sondern gegen die Schiffe. Sie hätten sehr leicht auf das Ruder oder den Propeller zielen können, und die Schiffe wären nicht mehr in der Lage gewesen, weiterzufahren. Dann hätten sie die Schiffe wegschleppen können und fertig. Das wäre passiert, wenn sie etwas schlauer gewesen wären. Jedenfalls hätte ich das getan, wenn ich Marineoffizier in Israel wäre. Aber einen friedlichen Konvoi anzugreifen, so auszurasten und so tief zu sinken, Mord zu begehen. Jedenfalls denke ich, daß es das ist, was sie auf diesem Schiff getan haben. Wir werden das noch herausfinden. Ich verstehe nicht, warum sie so große Gewalt angewendet haben und in dieser Weise. Das war das Dümmste, was sie tun konnten. Ich denke, in der israelischen Regierung wird jetzt hart darüber diskutiert, warum sie sich so entschieden haben. Wir werden das in den nächsten Tagen herausfinden. Ich verstehe nicht, warum sie sich so entschieden haben und hatte etwas anderes erwartet: Gewalt ja, aber gegen die Schiffe, nicht gegen die Menschen. (…)

Frage eines norwegischen Journalisten: Was werden Ihre nächsten Schritte im Kampf für die Menschen in Gaza sein? Würden Sie Intellektuelle in anderen Ländern ermutigen, israelische kulturelle und akademische Institutionen zu boykottieren? Das wird in Norwegen gerade diskutiert. Werden Sie Ihre Erfahrungen in einem Buch verarbeiten?

Was wird jetzt passieren? Wir wissen es nicht. Keiner weiß das. Aber ich denke, es wird viel passieren. Ich denke, die Geschehnisse haben vielen Menschen die Augen geöffnet. Ich denke, daß die Diskussion über einen Boykott wiederkehren wird. Sie wissen so gut wie ich, daß Boykotte nicht immer erfolgreich sind. Wir haben Erfahrungen, wo sie gut geklappt haben und wo sie überhaupt nicht geklappt haben. Aber wir müssen darüber sprechen. Wir müssen dringend eine Lösung für die untragbare Lage im Gazastreifen finden. Wir müssen uns alle daran beteiligen. (…)

Ich denke, wir müssen trotzdem weiter an einer Lösung arbeiten. So ist das eben. Politische Veränderungen sind Prozesse. Man macht nicht eine Aktion und geht dann nach Hause ins Bett. Es muß weitergehen. Ob meine Erfahrungen in einem Buch auftauchen werden, weiß ich nicht. Jetzt trauere ich um die Toten. Und ich bin wütend darüber, wie Menschen zusammengeschlagen wurden.

Frage von Rüdiger Göbel (junge Welt): Wenigstens ein Journalist sollte Ihnen für Ihren Mut danken, versucht zu haben, die Blockade zu brechen. – Es ist immer noch ein Schiff unterwegs, um die Blockade zu brechen, die irische »Rachel Corrie«. Meinen Sie, die Besatzung sollte wegen der Gefahren abbrechen? Die internationale Free-Gaza-Kampagne hat heute angekündigt, im September oder Oktober weitere Schiffe zu schicken. Werden Sie an dieser Reise teilnehmen?

Sie haben recht. Es waren sechs Schiffe, die angegriffen wurden, aber es sollten sieben sein. Die »Rachel Corrie« hatte Probleme, sie war zu der Zeit in Malta, glaube ich. Jetzt ist sie unterwegs, und ich denke natürlich, daß sie die Reise fortsetzen wird. Ich bin ziemlich sicher, daß die Israelis die Menschen auf diesem Schiff nicht angreifen werden. Was passieren wird, weiß ich auch nicht. Vielleicht machen sie jetzt das, womit ich ursprünglich gerechnet hatte, und gehen gegen das Ruder und den Propeller vor.

Die Frage ist auch in einem anderen Zusammenhang interessant. Dieses Mal waren wir mit sechs Schiffen unterwegs. Und die israelische Reaktion haben wir gesehen. Was, wenn wir in einem Jahr mit 100 Schiffen kommen? Was soll Israel tun? Die Bombe werfen? Wäre es nicht eine bessere Idee, die Blockade aufzuheben? Wir werden sehen.

Natürlich bin ich bereit, wieder an Bord zu gehen. Ich habe keine Angst um mich. Wenn Sie einen Platz brauchen, kann ich Ihnen einen organisieren.

Frage eines israelischen Schriftstellers: Möchten Sie dem israelischen Volk etwas sagen?

Ich habe in den letzten Tagen viele Telefonanrufe bekommen. Einer hat mich besonders gefreut. Er kam von der israelischen Tageszeitung Haaretz. Sie wollten ein Interview. Können Sie sich vorstellen, wie froh ich war, daß sogar die Israelis eine Einschätzung von mir wollten? Ich hoffe, daß ich morgen früh mit ihrem Redakteur sprechen kann.

Das ist eine symbolische Antwort. Natürlich will ich mit den Israelis sprechen und ich würde mir auch gerne anhören, was sie dazu zu sagen haben. Ich sage noch einmal, daß ich an den Dialog glaube. Der Dialog ist das Hauptelement, damit Demokratie überhaupt funktionieren kann. Und er ist das beste Instrument, um den Konflikt zu lösen. Laßt uns lieber damit arbeiten als mit Waffen. Dann kommen wir weiter. Das kann ich Ihnen und Ihren Freunden sagen. Übrigens Danke, daß Sie gekommen sind. (…)

Wenn ich etwas müde klinge, liegt das daran, daß ich es bin. Ich werde ihnen nicht vormachen, daß das keine ermüdenden und harten Tage waren. Ich habe viel Gewalt gesehen. Ich habe viel Aggression gesehen. Und ich habe viel Mut gesehen. Ich muß sagen, daß ein Grund für diese Pressekonferenz war, daß ich nach diesen Geschehnissen noch stärker als je zuvor glaube, daß es möglich ist, Solidarität zu zeigen und die Welt zu verbessern. Vielen Dank.

Übersetzung aus dem Englischen: Jan Maas

Quelle: junge Welt, http://www.jungewelt.de/2010/06-05/010.php

5. Juni 2010 Posted by | Israel, News, Palästina, Politik | , | Hinterlasse einen Kommentar

Vorstand des Kreiselternrats zwang Vorsitzenden nach Westerwelle-Anzeige zum Rücktritt

Vorstand des Kreiselternrats zwang Vorsitzenden nach Westerwelle-Anzeige zum Rücktritt

Elternräte von der Kreisebene aufwärts setzen sich meistens aus Angehörigen des so genannten Bildungsbürgertums zusammen. Ärzte, Rechtsanwälte, Architekten oder deren Ehefrauen lassen sich in dieses Gremium wählen, um das „Beste“ für ihre Kinder zu erreichen. Der Elternrat des Landkreises Leer hatte seit dem 01. November 2009 einen Vorsitzenden, der nicht in dieses gängige Schema passt und kein Angehöriger der lokalen Möchtegernelite ist. Der gelernte Schreiner Gunther Clemens aus Detern, der seinen Beruf als Fernfahrer 2004 aus Krankheitsgründen aufgeben musste, ist Hartz-IV- Empfänger und besaß die „Frechheit“ als Privatperson den FDP-Parteivorsitzenden Guido Westerwelle wegen Beleidigung und Diskriminierung anzuzeigen, nachdem dieser u.a. behauptet hatte, Hartz-IV-Empfänger würden sich faul auf dem Sozialteppich ausruhen. Clemens ist ein sozial engagierter Mensch, der  seit dem letzten Sommer ehrenamtlich in einem Jugendcafé in Leer arbeitet und u. a. Vorsitzender des Schulfördervereins ist.
Nachdem Clemens die Anzeige gegen Westerwelle gestellt hatte, wurde er von den übrigen Vorstandsmitgliedern gezwungen, von seinem Amt zurückzutreten. In einer Presserklärung heißt es, dass Clemens sein Amt missbraucht und dem Ansehen des Kreiselternrates schweren Schaden zugefügt habe. Sein Handeln sei „völlig inakzeptabel“ und in keiner Weise mit dem Kreiselternrat abgesprochen. (OZ, 09.03.2010)
Ein Trauerspiel. Da möchten die Damen und Herren BildungsbürgerInnen doch nicht in den Ruf kommen im Vorstand mit einem Hartz-IV-Empfänger zusammenarbeiten zu müssen, der die Frechheit besaß, sich als Privatperson gegen die verleumderischen Beleidigungen des Guido W. zur Wehr zu setzen, denn schließlich ist dieser der Vorsitzende der „Partei der Leistungsträger und Besserverdienenden“.  Mit einem „Schmuddelkind“ wie Herrn Clemens in Verbindung gebracht zu werden, könnte doch dem eigenen Image schaden.
Was wäre gewesen, wenn der/die Vorsitzende des Kreiselternrats  Westerwelles Äußerungen öffentlich befürwortet hätte?  Wäre ihm dann auch von seinen VorstandskollegInnen nahe gelegt worden, sein Amt aufzugeben. Sicher nicht.
DIE LINKE im Kreis Leer solidarisiert sich mit Gunther Clemens und fordert den Kreiselternrat auf, seine Entscheidung rückgängig zu machen. Wir brauchen engagierte Menschen wie Gunther Clemens, welche die Interessen der Kinder aus allen Schichten wahrnehmen und in der Lage sind, über den Tellerrand zu sehen und sich für die sozialen Belange der Mehrheit der Bevölkerung einsetzen.

Quelle: www.dielinke-leer.de

10. März 2010 Posted by | Bildungspolitik, Die LINKE, Landkreis Leer, News, Niedersachsen, Ostfriesland, Politik | , , | 1 Kommentar

Heinrich Hannover: Nie wieder Krieg?

Wer schon zu den Zeitgenossen des Jahres 1945 gehörte, wird sich erinnern, dass damals der Spruch „Nie wieder Krieg! Nie wieder Faschismus!“ in aller Munde war. Auch ich gehörte zu denen, die von beidem, vom Krieg wie vom Faschismus, die Nase gründlich voll hatten. Mit siebzehn Soldat in Hitlers Wehrmacht geworden, kehrte ich im Mai 1945 als Neunzehnjähriger in höchst armseligem Zustand zurück. In zerlumpter Uniform, mit einem russischen Granatsplitter im Rücken, einer russischen Gefangenschaft knapp entkommen, nach zwei Wochen im amerikanischen Kriegsgefangenenlager in Eger, in dem man nur durch nächtliche Lebensmitteldiebstähle überleben konnte, war ich zusammen mit 50 weiteren deutschen Kriegsgefangenen nach zwölfstündiger Fahrt – auf einem offenen amerikanischen
Lastkraftwagen stehend – nachts in Kassel abgeladen worden. Im Kopf noch die überstandenen Todesängste der Fronteinsätze, die Erinnerung an gefallene Kameraden, die in ihrem kurzen Leben nie ein Gedicht von Heine
gelesen, nie eine Symphonie von Mendelssohn gehört und nie mit einer Frau geschlafen haben. Und die Sorge um das unbekannte Schicksal von Angehörigen in der Sowjetischen Besatzungszone, zu denen es weder Post- noch Telefonverbindung gab. Und im Bauch ganz animalischer Hunger. Erste Eindrücke von einer durch Bombenangriffe zerstörten Stadt. ErsteBegegnungen mit Menschen, die ebenso wie ich den Krieg mit viel Glück überlebt hatten und froh waren, dass die Hitlerei vorbei war. Erste Informationen über entsetzliche, zunächst kaum zu glaubende Verbrechen.
Ich gehörte zu denen, die sich von Wolfgang Borcherts Drama „Draußen vor der Tür“ und seinem Antikriegsmanifest „Dann gibt es nur eins! Sagt Nein!“ angesprochen fühlten. Da tat sich eine andere Welt auf, in der es auch viel Not gab, aber die frei war von den menschenfeindlichen Zwängen des Militärs und seiner Tötungsmaschinerie. Unvorstellbar, dass eine Generation, die den Krieg erlebt und überlebt hatte, bereit sein könnte, Politikern die Macht zu übertragen, sie in neue Kriege zu führen. Aber offenbar hatten längst nicht alle Überlebenden des Zweiten Weltkriegs sich so radikal
und nachhaltig von dem bis 1945 herrschenden Zeitgeist verabschiedet, wie es den damals 19-jährigen möglich war. Als die Westdeutschen ihren ersten Bundestag wählen durften, votierte die Mehrheit für einen Kanzler, der schon bald dafür sorgte, dass wir für den nächsten Krieg gerüstet waren. Und alle, die sich weigerten, die Ausbildung zum Töten mitzumachen, wurden in den zur Prüfung ihrer Gewissensgründe berufenen Gremien mit dem primitiven Denken der Militärfreunde konfrontiert, die nichts aus den Erfahrungen des Zweiten Weltkrieges gelernt hatten.

Oft genug habe ich erlebt, wie das Bekenntnis zum Pazifismus von Leuten belächelt wurde, die den jungen Kriegsdienstverweigerern allen Ernstes entgegenhielten, dass sie doch sicher von der Waffe Gebrauch machen
würden, wenn sie beim Spaziergang im Bürgerpark überfallen würden oderwenn es gelte, die Freundin zu schützen. Als wir jungen Soldaten auf andere junge Soldaten geschossen und über einen brennenden russischen Panzer gejubelt haben, in dem Menschen lebendigen Leibes verbrannten, waren wir keine Spaziergänger im Park und haben keine Freundin beschützt, sondern waren von der Kriegspropaganda der Nazis benebelte, schießgeile Krieger, die erst viel später angefangen haben, darüber nachzudenken, was sie da getan hatten. Und ich bin einer von denen, die nachdenklich geblieben sind, wenn wieder Parolen von Verteidigung der Freiheit und anderen hehren Rechtsgütern verkündet werden, für die man in anderen Ländern Menschen töten und Häuser, Fabriken, Brücken, Fernsehsender
und Tanklastwagen zerstören müsse.

Aus der Schule habe ich noch die kriegerischen Verse im Ohr, die Altmeister Goethe in seinem „Faust“ einen biederen Bürger sprechen lässt:

„Nichts Bessers weiß ich mir an Sonn- und Feiertagen
Als ein Gespräch von Krieg und Kriegsgeschrei,
Wenn hinten, weit, in der Türkei,
Die Völker aufeinander schlagen.“

Die Zeiten sind vorbei, in denen Krieg etwas war, was in fernen Ländern stattfand. Wer die Erfahrungen des Zweiten Weltkriegs nicht vergessen hat, weiß, dass der Krieg, den man fern der Heimat anzettelt, ins eigene Land
zurückkommen kann. Als der Angriffskrieg im Osten begann, hatte die übergroße Mehrheit der Deutschen noch Hitlers Ankündigung verinnerlicht, dass es die Aufgabe ihrer Generation sei – ich zitiere aus „Mein Kampf“ –, „dem deutschen Volk den ihm gebührenden Grund und Boden auf dieser Erde zu sichern“. Und dass dieser Grund und Boden in Russland und dessen Randstaaten zu holen sei, konnte man auch schon in diesem von Hass und Größenwahn diktierten Buch lesen. Aber Hitler war nicht allein, als seine verbrecherischen Pläne in die Tat umgesetzt wurden. Der zur Vergrößerung des deutschen Staatsgebiets begonnene Angriffskrieg, der Deutschland letztlich nicht größer, sondern kleiner gemacht hat, wäre nicht ohne Generäle möglich gewesen, deren Weisheit nicht ausreichte, das Ende vorauszusehen. Selbst wir Landser machten Witze über den von Hitler zum Reichsmarschall beförderten Oberbefehlshaber der Luftwaffe, Hermann Göring, der Meier heißen wollte, wenn feindliche Flugzeuge es schaffen würden, deutsche Städte zu bombardieren. Aber die große Mehrheit der von den Naziparolen verführten Mitläufergeneration war überrascht und empört, als der in ferne Länder getragene Krieg wirklich zurückkam und auch über deutsche Familien viel Leid
brachte und mit zerbombten Städten und dem Verlust deutschen Landes endete. Die Menschen hatten blindlings auf das Verantwortungsbewusstsein und den militärischen Sachverstand von Leuten vertraut, die Politik und Soldatenhandwerk beruflich ausüben. Und sie hatten unter ständiger Berieselung mit der Freund-Feind-Propaganda der Nazis schnell vergessen, dass der als Terror bezeichneten Bombardierung deutscher Städte die Zerstörung von Warschau, Rotterdam und Coventry vorangegangen war. Auch was deutschen Menschen widerfuhr, als die Rote Armee ins deutscheReichsgebiet vorrückte, wurde als Terror ohne Vorgeschichte angeklagt und erlebt.

Ich hebe noch einen Tagesbefehl des Kommandierenden Generals unseres Panzerkorps vom 20. April 1945, dem letzten Geburtstag des so genannten Führers, auf, einen Schreibmaschinendurchschlag auf hauchdünnem
Papier, allen Soldaten des Bataillons bekanntzugeben: „Morgen tretet Ihr erneut zum Angriff gegen den Bolschewisten an, der, wenn auch unter sehr hohen Verlusten, wieder in unsere deutsche Heimat einbrechen konnte… Von jedem Einzelnen von Euch hängt es ab, ob die vormarschierenden Feindhorden zum Stehen gebracht werden. In Eurer Hand liegt das Schicksal von Millionen deutscher Frauen und Kinder.“ So sieht der argumentative Teufelskreis der Militärfreunde aus. Was da fehlt, ist nur die Erkenntnis, dass sie die Situation, in der sie den Terror der anderen beklagen, selbst herbeigeführt haben. Und dann appellieren sie an die Bereitschaft junger Menschen, ihr Leben für einen Krieg einzusetzen, der nicht zu gewinnen ist und der nie hätte begonnen werden dürfen. Hauptsache, die Rechnung derer stimmt, für die Kriege ein profitables Geschäft sind.

Es hat auch in Deutschland Menschen gegeben, die schon vor 1933 gewarnt haben: „Wer Hitler wählt, wählt den Krieg.“ Einen von ihnen, den auch bei politischen Gegnern hochgeachteten kommunistischen Bürgerschaftsabgeordneten
Willi Meyer-Buer, habe ich 1963 vor dem Landgericht Bremen verteidigen müssen gegen die von einem ehemaligen Nazistaatsanwalt unterschriebene Anklage, er habe gegen das KPD-Verbot verstoßen, indem er sich öffentlich dazu bekannt hatte, Kommunist geblieben zu sein. Meyer-Buer war einer der relativ wenigen Kommunisten, die das große
Morden des NS-Staates überlebt hatten. Er hatte als Widerstandskämpfer gegen die Hitler-Bande jahrelange KZ- und Zuchthaushaft erlitten und nach dem Krieg beim Wiederaufbau demokratischer Staatlichkeit allgemein anerkannte Arbeit geleistet. Aber nach der erneuten Machtübernahme des alten Personals in Staatsgewalt und Wirtschaft gehörten er und seine Genossen zu den ersten Opfern der von alten Nazis dominierten politischen Justiz der Adenauer-Ära. Denn er und seine Genossen waren wieder die engagiertesten Sprecher der unerwünschten Minderheit, die gegen die
Remilitarisierung opponierten und die Verwicklung in neue Kriege voraussagten. Kommunisten wurden wieder zu Kriminellen gestempelt. Und im öffentlichen Bewusstsein wurde die Erinnerung getilgt, dass es Kommunisten
waren, die im Widerstand gegen die Nazis und deren Kriegsvorbereitung die größten Opfer gebracht haben.
Eine Rehabilitierung der westdeutschen Justizopfer des kalten Krieges ist nie erfolgt, obwohl wir zwischenzeitlich einen der SPD angehörenden Bundeskanzler hatten, der aus eigener Anwaltserfahrung wusste oder wissen konnte, dass nicht nur in der DDR, sondern auch in der Bundesrepublik Justizunrecht verübt worden ist. Ich habe Herrn Schröder vergeblich daranerinnert. Auch die Rehabilitierung der von der Nazi-Justiz verurteilten Deserteure, die den Mut gehabt hatten, sich Hitlers Krieg zu verweigern, hat Jahrzehnte auf sich warten lassen und ist für die meisten zu spät gekommen. Einer von ihnen ist der damals zum Tode verurteilte Ludwig Baumann,der nicht müde geworden ist, gegen dieses gesetzliche Unrecht zukämpfen.

Auch in unserer Zeit geben die Kriegsanstifter den Ton an und beherrschen über ihre Medien die hohlen Köpfe ihrer Mitläufer. Nach der Implosion des Sowjetimperiums haben sie flink ein neues Feindbild erfunden, den Terrorismus – natürlich den in aller Welt fluktuierenden Terrorismus, nicht etwa den eigenen. Wer überrascht war, dass am 11.September 2001 zwei Türme in Manhattan, die wirtschaftliche Weltmacht symbolisierten, zum Objekt
eines Terroranschlags wurden, musste vergessen haben, dass diesem Anschlag unzählige amerikanische Angriffskriege und Attentate vorangegangen waren, mit denen bestimmte Teile der Weltbevölkerung seit Jahrzehnten provoziert worden sind und weiterhin provoziert werden. Selbstverständlich immer im Zeichen von Freiheit und Demokratie. Wer Informationsbedarf hat, findet bei Google 22.800 Ergebnisse zu „amerikanischerStaatsterrorismus“, 37.700 zu „amerikanische Angriffskriege“ und 13.700.000 zu „USA terror list“.

Und wieder sind deutsche Soldaten in einen Krieg fern der Heimat involviert und ziehen die Gefahr auf ihr Land, dass der Krieg auch vor unserer Haustür stattfinden könnte. Es sind wohl noch nicht genug Särge zurückgekommen,
um die Frage, wofür unsere Soldaten dort töten und sterben müssen, in einen neuen Massenkonsens „Nie wieder Krieg!“ zu verwandeln. Schon nachdem die USA Anfang der 1990er Jahre unter Präsident Bush sen. den ersten Angriffskrieg gegen den Irak geführt hatten, zeichnete sichin meinen Augen ab und ich schrieb es in meinen Memoiren („Die Republik
vor Gericht 1954 – 1995. Erinnerungen eines unbequemen Rechtsanwalts“): „Vielleicht war es eine der letzten Möglichkeiten, einen solchen Hinrichtungskrieg gegen einen hoffnungslos unterlegenen Gegner ohne die geringste Gefährdung der eigenen Bevölkerung zu führen. Wie lange wirdes noch möglich sein, die weitere Verbreitung der Atomwaffen zu verhindern? Und auch die neue Kampfform kleiner Völker, sich gegen die Übermacht des Stärkeren durch Geiselnahmen und Terrorkommandos im Hinterland des Feindes zu wehren, scheint an Boden zu gewinnen. Spätestens dann, wenn deutsche Banken von Selbstmordkommandos gesprengt werden, wird man wohl auch bei uns begreifen, dass die Einmischung in Kriege, die irgendwo in der Welt vom Zaun gebrochen werden, nicht ohne Ge-
fährdung des eigenen Wohlstands abgehen muss.“ Als ich das schrieb, standen die Twin Towers noch. Was ich nicht vorausgesehen habe, war, dass es amerikanische und nicht deutsche Machtsymbole treffen würde; aber das kann ja noch kommen. Auch am Hindukush kann man die Freiheit nicht straflos verteidigen.

Welche enorme Veränderung des kollektiven Bewusstseins seit 1945 stattgefunden hat, kann wohl nur empfinden, wer das Damals erlebt hat. Längst ist die militärische Dressur zum Töten und die Austreibung des Gewissens wieder als Staatsbürgerpflicht akzeptiert. Längst ist vergessen, dass in Artikel 26 des Grundgesetzes Handlungen, die geeignet sind, die Führung eines Angriffskrieges vorzubereiten, als verfassungswidrig zu bestrafen sind. Um nicht Leute wie Gerhard Schröder und Joseph Fischer wegen des Angriffskriegs gegen Jugoslawien anklagen zu müssen, flüchtete
die amtierende Generalbundesanwältin zu der rabulistischen Gesetzesinterpretation, es sei ja nur die Vorbereitung, nicht aber die Führung eines Angriffskrieges verboten. Und sie amtiert tatsächlich noch immer. Einer der letzten Schritte auf diesem Entwicklungsweg war die Änderung des Sprachgebrauchs unserer Verteidigungsminister. Während der vorletzte sich noch scheute, vom Krieg in Afghanistan zu sprechen, erntet der neue Lob für sein Bekenntnis, dass wir uns bereits im Krieg befinden. Wie gut, wird mancher brave Bürger denken, dass wir diesmal nicht zu befürchten
haben, dass deutsche Städte bombardiert und deutsches Land besetzt wird, weil der Krieg fern in Afghanistan stattfindet. Aber wie erstaunt und empört würde mancher die verschlafenen Augen öffnen, wenn der leichtfertig
provozierte Gegenterror uns in Form von Anschlägen nach dem Muster der Nine-eleven-Attacke im eigenen Land heimsuchen sollte. Freilich höre ich für diesen Fall schon den Chor der Militärfreunde, dass die Terroranschläge aus heiterem Himmel gekommen seien und bewiesen, wie nötig es sei, den Terrorismus in aller Welt mit Waffengewalt zu bekämpfen. Und sie könnten sicher mit Volksvertretern rechnen, die noch mehr Volksvermögen für die Finanzierung von Kriegen bewilligen und noch mehr Soldaten in ferne Länder schicken würden. Der Teufelskreis des militärischen Gewaltdenkens beherrscht wieder das kollektive Bewusstsein, und die Konzerne verdienenan Rüstung, Zerstörung und Wiederaufbau Milliarden.

Aber wie lange noch?

In Kriegen wird regelmäßig das Recht des Stärkeren praktiziert. So hinterließen die Bomben auf Jugoslawien ein zerstörtes Land, ohne dass den Angreifern auch nur ein Haar gekrümmt wurde. Aber wo sich die Aggressoren auf den Bodenkampf einließen, siegten doch mitunter die waffentechnisch weit unterlegenen Völker. Dass auch der Krieg in Afghanistan nicht zu gewinnen ist, wissen außer den verantwortlichen Politikern und ihren Mitläufern wohl alle unabhängig denkenden Menschen. Und verlorene Kriege haben ihr Gutes. Sie lassen die Menschen über die Ursachen von Kriegen nachdenken. Nach den beiden verlorenen Weltkriegen des vorigen Jahrhunderts hat es lichte Momente des öffentlichen Bewusstseins gegeben, in denen selbst gemäßigt konservative Kreise die Zusammenhänge
zwischen dem kapitalistischen Herrschaftssystem und der Entstehung von Kriegen erkannt und ausgesprochen haben.

Nach dem Ersten Weltkrieg ist die Chance, dieses Herrschaftssystem durch eine freiheitliche sozialistische
Gesellschaftsordnung abzulösen, wie sie Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht vorschwebte, nur um ein Haar versäumt worden, wie man in Sebastian Haffners Buch über die verratene Revolution von 1918/19 lesen kann. Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht, diese charismatischen Friedenskämpfer der deutschen Arbeiterbewegung, die am 15. Januar 1919
von reaktionären Reichwehroffizieren im Einvernehmen mit der damaligen SPD-Führung ermordet wurden, hätten mit Sicherheit einem anderen Sozialismus als dem von Stalin und seinen Anbetern realisierten den Weg bereitet.

Und nach dem Zweiten Weltkrieg reichte die Kritik am kapitalistischen Wirtschaftssystem bekanntlich bis ins Ahlener Parteiprogramm der CDU, wo eine soziale und wirtschaftliche Neuordnung gefordert wurde, deren Inhalt und Ziel nicht mehr „das kapitalistische Gewinn- und Machtstreben“sein könne. Doch diese Entwicklung wurde schon in ihren Anfängen erstickt, als der kalte Krieg die antikommunistische Feldzugsbereitschaft der Nazizeit wieder auferstehen ließ und deren Exponenten wieder in Machtpositionenin Staat und Wirtschaft katapultierte.

Ein weiterer verlorener Krieg gab dem Widerstand gegen das kapitalistische System erneut Auftrieb, als unter dem Eindruck der Kriegsverbrechen und der Niederlage der amerikanischen Interventionstruppen in Vietnam die sozialrevolutionäre Bewegung der 1960er Jahre entstand. Vielleicht könnte das Desaster, mit dem die Kriege im Irak und in Afghanistan aller Voraussicht nach enden werden, selbst dann, wenn uns der Gegenterror vor der eigenen Haustür erspart bleiben sollte, auch in unserem Land zum erneuten Nachdenken über die Kriegsträchtigkeit des kapitalistischen Systems und zum Widerstand gegen die herrschende Militärdoktrin führen.

Unsere Aufgabe ist es, den Widerspruch gegen den herrschenden Zeitgeist und das Nachdenken über die Ursachen von Kriegen und deren Abschaffung wachzuhalten.

Aus: „Ossietzky“, Zweiwochenschrift für Politik, Kultur, Wirtschaft, Heft
1/2010

8. Februar 2010 Posted by | Afghanistan, AFPAK, Antimilitarismus, Krieg, News, Politik | , , , | Hinterlasse einen Kommentar

Wehrbeauftragter: Robbe wird sein Amt aufgeben müssen

Wehrbeauftragter Robbe wird sein Amt verlieren

Reinhold Robbe, SPD-Politiker aus Bunde, wird nach Ablauf der Wahlperiode im April sein Amt als Wehrbeauftragter des Bundestages an die FDP-Abgeordnete Hoff abgeben müssen.
Was wird aus Robbe? Wir erinnern uns an den Februar 2004, als der Seeheimer Robbe der Nordwest-Zeitung ein Interview gab, in dem er Folgendes sagte:
„Wir müssen sehen, dass alle Verantwortlichen endlich in die Hufe kommen. Das Ausland läuft uns davon. Deshalb reden die Sozialpartner doch über flexible Arbeitszeitkonten, weniger Gehalt und weniger Urlaub. Von notwendigen Veränderungen kann niemand ausgenommen bleiben – auch die Manager nicht. Jeder in unserem Wirtschaftssystem muss sich Gedanken machen, wie kann auch ich dazu beitragen, das Land wieder  nach vorn zu bringen – mit gesundem Patriotismus.“
Robbe verteidigte damit die von der rot-grünen Regierung begonnene Umverteilung von unten nach oben nach dem Motto: Wir müssen alles dafür tun, damit die deutschen Kapitalisten ordentlich Profite machen und auf dem Weltmarkt konkurrenzfähig sind, dafür müssen aber die diejenigen, welche die Werte schaffen, die Lohnabhängigen, auf Lohn bzw. Gehalt und Urlaub verzichten sowie mehr arbeiten. So einfach stellt sich der Sozialdemokrat Robbe ein „funktionierendes Wirtschaftssystem“ vor. Der Aufschrei bei den Gewerkschaften war 2004 natürlich groß und selbst Robbes Parteifreunde in Ostfriesland stärkten ihm nicht den Rücken.
2005 wurde der ehemalige Kriegsdienstverweigerer Robbe Wehrbeauftragter. Seit er in den Bundestag gewählt wurde, entwickelte sich Robbe zum Militaristen, der jedem Auslandseinsatz der Bundeswehr im Bundestag zustimmte. Als die Bundeswehr sich am Krieg gegen Jugoslawien beteiligte und der damalige Verteidigungsminister Scharping dies mit falschen Behauptungen begründete, sprang ihm Robbe zur Seite. Er diffamierte damals Gregor Gysi, der während des Krieges in Jugoslawien Friedensverhandlungen führte, als Vaterlandsverräter.
Seinen letzten großen Auftritt hatte Robbe Anfang Januar, als er im Spiegel die Äußerungen von Bischöfin Käßmann zum Afghanistan-Einsatz als unverantwortlich bezeichnete. Käßmann übe populistsische Fundamentalkritik, ohne sich jemals persönlich ein Bild vor Ort verschafft zu haben und vermittle Tausenden von gläubigen Soldaten das Gefühl, in Afghanistan gegen Gottes Gebote zu handeln. Robbe führte aus, es sei naiv, in Afghanistan mit „Gebeten und Kerzen“ Frieden schaffen zu wollen wie vor 20 Jahren die DDR-Opposition. Naiv ist nicht Käßmann, sondern Robbe, der immer noch nicht verstanden, dass man diesen Krieg nicht gewinnen kann. Wer Soldaten in diesen Krieg schickt, um „unsere Sicherheit am Hindukusch zu verteidigen“ (Ex-Verteidigungsminister Struck, SPD), sollte nicht vorgeben, dass es darum geht den AfghanInnen Demokratie und Freiheit zu bringen, sondern klar sagen, dass dieser Krieg in erster Linie aus geostrategischen Gründen erfolgt. „Wir kämpfen in Afghanistan gegen einen nationalen, antiwestlichen Aufstand. Afghanistan ist geostrategisch interessant, weil man dort Russland, Indien, Pakistan und China kontrollieren kann. Auch rohstoffpolitisch ist das ein fabelhafter Standort. Schließlich wollen die Amerikaner eine Ergaspipeline durch Afghanistan bauen.“ (J. Todenhöfer, CDU,  Spiegel, 29.06.09)
Ab 2010 (dem Agendajahr der SPD) steht Robbe seiner Partei wieder zur Verfügung. Wir können jetzt schon prognostizieren, dass er sich auf die Seite der Betonköpfe und Schröderianer stellen wird, denn „Agenda 2010 musste sein“ und wenn die schwarz-gelbe Regierung die Schrödersche „Reform“politik auf dem Rücken der Arbeiterinnen und Arbeiter, der Angestellten, der RentnerInnen  und der sozial Schwachen weiterführt, wird Reinhold Robbe applaudieren und sagen können: „Richtig so. Was Ihr da durchzieht,  habe ich 2004 schon vorgeschlagen.“
Die SPD sollte, will sie sich doch auch programmatisch erneuern, Robbe  ausbremsen, bevor er weiteren politischen Flurschaden in Ostfriesland anrichtet.

(TK)

Quelle: www.dielinke-leer.de

5. Februar 2010 Posted by | Bundeswehr, CDU/FDP, Die LINKE, News, Politik, SPD | , , , | Hinterlasse einen Kommentar

Der Fall Schlecker – Ausbeutung mit System

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Geschrieben von Redaktion Der Funke
Anton Schlecker ist der verhassteste Unternehmer der Republik. Noch vor Kurzem hätte er sich so viele Negativ- schlagzeilen und Kritik nicht träumen lassen. Hals über Kopf hat er seine Leiharbeitsfirma Meniar in Zwickau geschlossen und ihren Internetauftritt gekappt.

Dass der in Verruf gekommene Schlecker gelobte, ab sofort für seine XL-Märkte keine Leiharbeiter mehr über Meniar anzuheuern, ist Folge des massiven Drucks, den mutige Verkäuferinnen, Betriebsräte und ihre Gewerkschaft ver.di seit einem Jahr aufgebaut haben. Mit beharrlichem Einsatz erreichten sie eine Solidarisierung und ein öffentliches Echo, dem sich auch konservative Medien und Arbeitsministerin Ursula von der Leyen nicht entziehen konnten. Wo der Widerstand wuchs, wurden Kündigungen verhindert. Schleckers ruiniertes Ansehen ließ offenbar auch die Umsätze in den XL-Märkten spürbar einbrechen.

ver.di hat nun alle Hände voll zu tun und spürt erste Wirkungen jahrelangen Engagements. So haben viele Verkäuferinnen erkannt, dass sie auf sich gestellt verloren sind und in bisher „betriebsratsfreien Zonen“ Interessenvertretungen aufbauen müssen. Nicht zufällig ist binnen eines Jahres die Zahl der regionalen Betriebsratsgremien im Konzern bundesweit von 120 auf 160 angewachsen.

Schleckers Angriffe haben inzwischen offenbar so viele Betroffene wach gerüttelt, dass allein 2009 über 1000 Schlecker-Beschäftigte in die Gewerkschaft ver.di eingetreten seien – Tendenz steigend. Das „brutale Vorgehen“ Schleckers mit Kündigungsbriefen und dem „Reinpressen“ in Meniar habe den Zulauf beschleunigt, so ein Sprecher von ver.di. In einigen Regionen sind mittlerweile fast alle Beschäftigten in ver.di organisiert.

All dies zeigt: Gewerkschaften können auch unter Schwarz-Gelb etwas anstoßen, und zwar nicht durch höfliche Diplomatie mit der Politik, sondern durch Mobilisierung und Bündnisarbeit. Nun könnten sich auch in bisher „betriebsratsfreien“ Schlecker-Regionen Betriebsräte bilden. Viele Verkäuferinnen fürchten jedoch weiter um ihre Existenz.

Dass die Sorgen der Verkäuferinnen berechtigt sind, zeigen aktuelle Ankündigungen Schleckers. „Wir müssen unser gesamtes Geschäftsmodell umwälzen“, so der Konzernchef, der in diesem Jahr weitere 500 Filialen schließen will. Ver.di geht davon aus, dass diese Zahl noch untertrieben ist.

Der Schlecker-Skandal hat die Spaltung im Arbeitgeberlager gefördert. „Schlecker hat es geschafft, unsere Branche in ein schlechtes Licht zu rücken“, klagt Ludger Hinsen vom Bundesverband für Zeitarbeit (BZA). Er blicke „mit Sorge darauf, was der Politik dazu einfällt“, kommentierte er die neu aufgeflammte Diskussionen über strengere Regeln.

Hinsen weiß, dass Zustände wie bei Schlecker/Meniar kein Einzelfall sind und auch bei anderen Handels- und Industriebetrieben zum Alltag gehören. Seine Sorgen um die Zukunft einer weitgehend überflüssigen Branche sollten für die Gewerkschaften Ansporn sein, um die Dynamik der Schlecker-Kampagne weiter zu treiben. Für die LINKE, Gewerkschaften und Betriebsräte sollte dies ein Ansporn sein, um über die Forderung nach strengeren Regeln und Aufhebung der 2003 beschlossenen Liberalisierung der „Arbeitnehmerüberlassung“ hinaus das System der Leiharbeit generell in Frage zu stellen. Die Liberalisierung hat Gewerkschaften und Betriebsräte geschwächt und einige Profiteure reich gemacht.

LINKE-Bundestagsabgeordnete Jutta Krellmann hat am Donnerstag im Bundestag die Frage aufgeworfen, wozu angesichts zunehmender Flexibilität in der Arbeitswelt und der Möglichkeit befristeter Arbeitsverträge Leiharbeit überhaupt notwendig ist. In diesem Sinne hat sich jetzt auch DIE LINKE Baden-Württemberg für ein klares Verbot der Leiharbeit ausgesprochen. Leiharbeit ist eine moderne Form der Sklaverei und überflüssig. Sie lässt sich auch mit noch so vielen Stellschrauben nicht wirklich humanisieren. Ein Verbot wäre ein Alleinstellungsmerkmal der LINKEN, da SPD und Grüne, die 2003 mit der Liberalisierung solche Zustände möglich gemacht haben, die Leiharbeit nur erträglicher machen wollen, ohne sie ganz in Frage zu stellen.

Ob Hartz-Gesetze, Ein-Euro- oder Minijobs oder Leih- und Zeitarbeit: sie alle haben dazu beigetragen, dass die Rechte der Arbeitnehmer geschwächt wurden. Gewerkschaften sind in ihrer Handlungsfähigkeit gewaltig eingeschränkt worden. Junge Menschen erhalten heute so gut wie keinen Arbeitsplatz, ohne durch die Zeit- und Leiharbeit gejagt zu werden. Wer einen Leiharbeitsvertrag besitzt, hat Schwierigkeiten, bei der Bank einen Kredit zu erhalten oder eine Wohnung zu mieten. Die Gründung einer eigenen Familie wird so erheblich erschwert. Da das Geld in der Regel nicht reicht, werden Zweit- und Drittjobs angenommen. An ein normales gesellschaftliches Leben ist nicht zu denken. Das Überleben steht im Mittelpunkt. Vom kulturellen Leben sind diese Beschäftigten ausgeklammert.
Zeitarbeit/Leiharbeit wirkt disziplinierend auf Belegschaften und erschwert die Arbeit der Betriebsräte. Beschäftigten wird systematisch vor Augen geführt was passieren kann, wenn man heute einen neuen Job haben will. Angst vor dem Verlust des Arbeitsplatzes und die Aussichten bei einer Leihfirma zu enden, sorgt für eine selbstauferlegte Ruhe im Betrieb. Diese Politik der Unternehmer bietet Anreize für ein weiteres Absenken der Löhne und Gehälter. Durch Einsparungen beim Personal wird der Druck auf die Beschäftigten erhöht und der Profit zusätzlich gesteigert.

Durch den Vorstoß der Linksfraktion war Schlecker im November erstmals Thema einer Anfrage im Bundestag und die Leiharbeit generell Gegenstand einer zweistündigen Bundestagsdebatte am Donnerstag, 29. Januar 2010. Lassen wir nicht locker und bauen eine breite Widerstandsfront gegen Leih- und Zeitarbeit auf. Schlecker ist überall.

31. Januar 2010 Posted by | Deutschland, Die LINKE, Gewerkschaften, News, Politik | , , | 1 Kommentar

Niedersachsen: Bye Bye Garrelt Duin!

Der niedersächsische SPD-Vorsitzende Garrelt Duin hat gestern bekanntgegeben, dass er beim Landesparteitag im Mai nicht wieder kandieren werde und sich stärker in Berlin engagieren wolle.

Die Spatzen pfiffen es schon lange von den Dächern, dass große Teile der niedersächsischen SPD, außerhalb Ostfrieslands, Duin als den Verhinderer für einen programmatischen Neuanfang nach den erdrutschartigen Niederlagen bei den letzten Landtags- und Bundestagswahlen betrachteten. Der Seeheimer-Sprecher aus Hinte gehört zu den Kräften in der SPD, die es nicht für nötig halten den Kurs der Schröder-SPD kritisch zu reflektieren und von der Agenda 2010 oder den Hartz-IV-Gesetzen Abschied zu nehmen. Mit einer Weiter-so-Politik wird die SPD auch bei den kommenden Wahlen weiter an Stimmen verlieren, das haben zumindest große Teile der Partei erkannt, bei Garrelt Duin muss man das bezweifeln. Zumindest hat er gemerkt, dass er aus allen Gliederungen der Niedersachsen-SPD Gegenwind verspürte. Ihm wird ebenfalls vorgeworfen, dass er im Fall der  Delmenhorster Abgeordneten Swantje Hartmann komplett versagt und sie aus der Partei gemobbt habe. Duins ehemaligen Gefährtin aus Juso-Zeiten wurde eine große Zukunft in der SPD prophezeit, mittlerweile ist  sie zur CDU übergetreten.

Mit Duin als Herausforderer von Ministerpräsident Wulff hätte die SPD bei den Landtagswahlen 2013 keine Chance, da beide dieselbe neoliberale Politik vertreten und ihnen die Interessen der arbeitenden Menschen, der Arbeitslosen und der sozial Benachteiligten eh am Hut vorbeigehen. Duin ist eine schlechte Schröder-Kopie, dem man bescheinigen muss, dass er sich lieber im Kreise  von Wirtschafts- und Industrievertretern ablichten lässt, als dass er sich wirklich um die Sorgen und Nöte der WählerInnen kümmert. Deshalb ist der geplante Rückzug aus der niedersächsischen Politik kein Verlust, sondern bietet der SPD die Chance auf einen Neuanfang.

Der SPD-Politiker Haase (Emden) sieht in Duin „einen Kandidaten für einen Staatssekretärsposten oder gar ein Ministeramt“, aber auch in Berlin sind die „Genossen“ nicht von Duins Qualitäten überzeugt. Bei der Wahl des SPD-Präsidiums am 23.11.09 erhielt der niedersächsische SPD-Vorsitzende und wirtschaftspolitische Sprecher der Bundestagsfraktion nur 14 von 45 Stimmen und gehört dem Präsidium nicht an. D. h. zumindest zwei Drittel der SPD-Vorstandsmitglieder hatten erkannt, dass Duin mit seinen gescheiterten und überholten Politikvorstellungen nicht mehr in das Präsidium seiner Partei gehört.

Die LINKE in Ostfriesland schaut interessiert nach Hannover, in der Hoffnung, dass es der SPD gelingt einen Kandidaten/eine Kandidatin zu finden, welche(r) sich auf sozialdemokratische Tugenden besinnt, um so die Abwahl der schwarz-gelben Koalition 2013 in Angriff zu nehmen.

(Tony Kofoet)

30. Januar 2010 Posted by | Deutschland, Die LINKE, News, Niedersachsen, Ostfriesland, Seeheimer, Sozialpolitik, SPD | , , , | Hinterlasse einen Kommentar

Niedersachsen: »Das ist vor allem ein Angriff auf die Lehrer«

In Niedersachsen sollen 120000 Landesbeamte zwei Jahre länger arbeiten. Ein Gespräch mit Manfred Sohn

Interview: Gitta Düperthal
Manfred Sohn ist einer der beiden Frak­tionsvorsitzenden der Partei Die Linke im niedersächsischen Landtag

Die Fraktion der Linken im Landtag in Niedersachsen kritisiert den Vorstoß von Ministerpräsident Christian Wulff (CDU), das Pensionsalter niedersächsischer Beamter auf 67 Jahre anheben zu wollen. Welche Argumente setzen Sie dagegen?

Im Kern ist das eine Kürzung –was auch jeder weiß. Hier in Niedersachsen soll sie 120000 Landesbeamte betreffen. Es handelt sich um einen Bruch mit bisherigen Positionen. Im Jahr 2007 hatte der damalige Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble (CDU) eine Debatte über die Pension mit 67 ausgelöst, die 2008 zur entsprechenden Gesetzgebung führte. Damals sagte ein Sprecher des niedersächsischen Innenministeriums, das wolle man nicht, weil die Landesbeamten bereits durch den Wegfall von Urlaubs- und Weihnachtsgeld jährliche Einbußen von insgesamt 450 Millionen Euro hinnehmen hätten müssen – woran sich bis heute nichts geändert hat.

Das ist vor allem ein Angriff auf die Lehrer, die etwa 60 Prozent der niedersächsischen Beamten ausmachen – betroffen sind aber auch Polizei- und Finanzbeamte sowie Feuerwehrleute. Gegen die Lehrer plant die Landesregierung sogar einen Doppelschlag: Sie will außerdem Stellen streichen, die dann durch Mehrarbeit ausgeglichen werden müssen. Dabei zeigen die von der Landesregierung – aufgrund einer Anfrage von uns! – genannten Zahlen, daß Lehrer durchschnittlich mit 61 Jahren in Pension gehen, weil sie einen besonders anstrengenden Beruf haben. Folge der Erhöhung des Rentenalters wird sozialer Abstieg sein – rein rechnerisch ist das eine Rentenkürzung von 7,2 Prozent.

Unter welchem besonderen Streß stehen Lehrer denn?

Zu große Klassen, das Turbo-Abitur zwingt, mehr Stoff in kürzerer Zeit zu bewältigen, und es gibt die zunehmende Perspektivlosigkeit von Jugendlichen in Haupt- und Realschulen. Eine Studie der Universität Lüneburg hat festgestellt, daß es sich um eine psychisch hoch belastete Berufsgruppe handelt. Wer es sich finanziell leisten kann, versucht, früh in Pension zu gehen.

Wie kommt das an, wenn ausgerechnet der wegen eines Luxusfluges in den Weihnachtsurlaub in die Kritik geratene niedersächsische Ministerpräsident sich auf Kosten anderer als Sparbrötchen profilieren will?

Da könnte man sagen: Wer Luxusklasse fliegt, kann sich in die Belastungssituation von Arbeitnehmern nicht mehr hineinversetzen. Man bräuchte aber nur Zahlen sprechen zu lassen. Nur jeder zehnte schafft es, bis zum 65. Lebensjahr berufstätig zu sein. Die Erhöhung des Rentenalters ist ein Schlag ins Gesicht all derer, die weniger angenehme Arbeitsbedingungen als ein Ministerpräsident und weniger Streicheleinheiten von der Wirtschaft zu erwarten haben.

Was halten Sie vom konservativen Argument, es gebe Berufe, in denen ältere Menschen gern länger im Berufsleben verweilten?

Da werden Einzelfälle zitiert. In diesem Fall sollte man zur Kenntnis nehmen, daß Aufrufe der Landesregierung an die Lehrkräfte, ihren Beruf länger auszuüben, bislang verpufft sind.

James Vaupel, geschäftsführender Direktor des Max-Planck-Instituts für demographische Forschung in Rostock, will das Rentenalter ganz abschaffen…

Gewerkschaften haben erkämpft, daß Arbeitnehmer nach langem Erwerbsleben ihre Arbeitskraft nicht weiter zu Markte tragen zu müssen. Von allen Ecken wird jetzt dieses Prinzip angegriffen.

Rechte Experten behaupten, das Rentensystem biete falsche Anreize: Menschen seien eher bereit zu arbeiten, wenn sie das Geld nötiger brauchen …

Diese Argumentation ist hart am Plädoyer für die allgemeine Einführung von Zwangsarbeit. Übersehen wird, daß die Rente ein Lohnbestandteil ist – ein ganzes Arbeitsleben lang einbezahlt! – und keine milde Gabe. Diesen Lohnbestandteil will die rechte Mischpoke vorenthalten.

Was kann man dagegen unternehmen?

Wir hoffen auf einen Effekt wie vor eineinhalb Jahren. Damals haben 11000 Lehrer vor dem Landtag gegen Verschlechterungen an den Schulen demonstriert. DGB, GEW und auch konservative Gewerkschaften haben jetzt ihren Unmut geäußert.
Quelle: jungeWelt 28.01.2010

27. Januar 2010 Posted by | Bildungspolitik, CDU/FDP, Deutschland, Die LINKE, News, Niedersachsen, Politik | , , , | 1 Kommentar

Der Horror auf Haiti und die Mitschuld des Imperialismus

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Geschrieben von Socialist Appeal Britannien
Friday, 22 January 2010
Man muss schon ein Herz aus Stein haben, wenn man bei den Schreckensszenen aus Haiti nicht gerührt ist. Wir müssen aber eine solche Gelegenheit auch nutzen, um nachzudenken und zu überlegen, wie wir Katastrophen mit solchen katastrophalen Auswirkungen auf das Leben der Menschen in Zukunft verhindern können.

Uns wird immer wieder erklärt, dass es sich bei dem Erdbeben um eine Naturkatastrophe gehandelt habe, um ein „unabwendbares Ereignis“. In gewisser Weise war es das.
Uns wird gesagt, dass die „internationale Gemeinschaft“ ihr Bestes gibt. Und wir wissen, dass gute und tapfere Menschen aus vielen Ländern als HelferInnen bis an ihre Grenzen gehen, ihr eigenes Leben aufs Spiel setzen und den Überlebenden Trost spenden.

Uns ist bewusst, dass die HelferInnen nicht einfach über die Insel fahren können, um die Hilfsbedürftigen mit dem Nötigsten zu versorgen. Die Infrastruktur Haitis war bereits vor dem Erdbeben hoffnungslos unzulänglich. Der Flughafen erweist sich als Nadelöhr. Die Straßen sind nicht befahrbar.
Hundertausende sind bereits tot. Weitere Tausende leiden an Hunger, Durst und Krankheiten. Die Menschen könnten aus Verzweiflung anfangen zu plündern. Handelt sich hierbei ausschließlich um eine natürliche Tragödie?
Haiti ist ein Land, das von Erdbeben und Wirbelstürmen heimgesucht wird. Die Infrastruktur des Landes war bereits vorher durch eine Reihe von Wirbelstürmen zerfetzt worden. Die Nachbarinsel Kuba ist ebenfalls Opfer derselben Naturkatastrophen, aber nur vier Menschen sind dort infolge dieser Welle von Katastrophen ums Leben gekommen. Kuba ist kein wehrloses Opfer des Weltkapitalismus. Kuba hat Pläne entworfen, um das Leben seiner BürgerInnen vor Naturkatstrophen zu schützen.

Die Erdbebenkatastrophe, die Haiti heimgesucht hat, ist auch auf menschliche Einflüsse zurückzuführen. Die Armut des Landes ist kein Zufallsprodukt, es wurde arm gemacht und arm gehalten. Haiti ist das ärmste Land in der westlichen Hemisphäre, mit der schlechtesten Infrastruktur und einem Volk, das aufgrund der Intrigen des Imperialismus, äußerst verwundbar bei Katastrophen und Krankheiten ist.

Haiti wurde nicht immer als armes Land betrachtet. Im 18. Jahrhundert wurde die Insel als Quelle eines enormen Wohlstandes wahrgenommen. Als französische Kolonie produzierte es 60% des in Europa konsumierten Kaffees und 40% des Zuckers. Es produzierte mehr Wohlstand als die zu Britannien gehörenden Westindischen Inseln und war die „Perle der Antillen“.

Der Wohlstand rührte von der Sklaverei. Die schwarzen Sklaven erhoben sich während der Französischen Revolution. Unter der Führung von Toussaint-l’Ouverture unternahmen sie den einzigen erfolgreichen Sklavenaufstand in der Welt. Sie vertrieben alle Kolonialarmeen und erklärten 1804 ihre Unabhängigkeit.
Wie Kuba mehr als 150 Jahre später, wurden die HaitianerInnen mit einem vollständigen Embargo belegt. Um aus der erzwungenen Isolation auszubrechen, wurde die haitianische Regierung gezwungen, 150 Millionen Goldfrancs als Reparation an Frankreich zu zahlen. Sie entschädigten die Franzosen für das „Verbrechen“, sich als Sklaven erhoben zu haben. Die Reparationszahlungen gingen von 1825 bis 1947. Um 1900 verließen 80% der Staatseinnahmen als Zinstilgung das Land. Es ist kein Wunder, dass kein Geld mehr da war, um eine Infrastruktur aufzubauen.

Die haitianische Regierung ersetzte die Sklaverei durch die Schuldknechtschaft, die der gesamten Nation auferlegt wurde. Diese Situation besteht bis zum heutigen Tag. Eine Reihe unterwürfiger Herrscher verwaltete das Land im Auftrag des Imperialismus und eignete sich dafür einen Teil der Reichtümer des Landes an. Wenn sie nicht unterwürfig genug waren, intervenierte der Imperialismus direkt, so besetzten die USA das gesamte Land von 1915 bis 1934.
Es hat Bewegungen gegen den Imperialismus gegeben. Jean-Bertrand Aristide 1990 wurde mit einem populären Programm gewählt. Im folgenden Jahr kam es zu einem Putsch gegen ihn. Im Jahre 2000 wurde er erneut gewählt und er verdoppelte das Mindesteinkommen auf zwei Dollar pro Tag. 2004 wurde er nach einem weiteren Staatsstreich, der von Frankreich und den USA unterstützt wurde, entführt. Das erinnert sehr stark an das Vorgehen gegen den linken Präsidenten Mel Zelaya in Honduras, der im Juni 2009 mit Hilfe der USA gestürzt und außer Landes gebracht wurde.

Aristide bleibt im Exil. Seit dem Putsch ist eine Stabilisierungsmission der Vereinten Nationen im Land, deren Truppen das Waffenmonopol besitzen. Es gibt keine haitianische Armee. Wenn jemand fragt: „Warum unternimmt die haitianische Regierung nichts dagegen?“, lautet die Antwort: „Die UN stellen die eigentliche Regierung.“

Jeder weiß, dass sich Haiti in einem Erdbebengebiet befindet. Es stellen sich die Fragen: „Warum befindet sich das Land in einem solchen chaotischen Zustand? Warum entsprechen die Häuser nicht den erdbebensicheren Standards? Warum hat niemand die Infrastruktur verbessert? Warum gab es keine effektiven Notfallpläne?“ Es sind legitime Fragen, die sich die Vereinten Nationen als Repräsentant des Imperialismus auf Haiti gefallen lassen müssen. Die Antwort darauf kann nur lauten, das Leiden der Menschen wird auf der Tagesordnung bleiben, solange sich das Land im Würgegriff des Imperialismus befindet. Die Menschen auf Haiti brauchen echte Hilfe. Sie müssen Teil einer Bewegung werden, die den Imperialismus aus dem Land wirft und sich zu einer sozialistischen Föderation in der Karibik als Teil eines sozialistischen Amerikas zusammenschließt.

Quelle: www.derfunke.de

22. Januar 2010 Posted by | Haiti, Kuba, News, Politik, US-Imperialismus | , , | Hinterlasse einen Kommentar

Lafontaines Rede zum Neujahrempfang der LINKEn in Saarbrücken

Im Interesse der Mehrheit

Dokumentiert. Zur Strategie der Partei Die Linke nach der Bundeswahl 2009. Rede von Oskar Lafontaine beim Neujahrsempfang seiner Partei in Saarbrücken

Wir dokumentieren die Rede, die Oskar Lafontaine, Bundesvorsitzender der Partei Die Linke, am 19. Januar beim Neujahrsempfang seiner Partei in Saarbrücken gehalten hat. Die Zwischenüberschriften wurden von der Redaktion eingefügt.
Nach dem Wiedereinzug in den Deutschen Bundestag mit 11,9 Prozent der Stimmen und dem Erfolg bei der saarländischen Landtagswahl ist die Gründungsphase der Partei Die Linke abgeschlossen. Wir sind jetzt nicht nur in sechs ostdeutschen, sondern auch in sechs westdeutschen Landtagen vertreten und haben bei der Bundestagswahl 5155933 Wählerinnen und Wähler für uns gewonnen, mehr als die Grünen und mehr als die CSU.

Mit der Gründung der Partei Die Linke wollten wir vor allem die Außenpolitik und die Wirtschafts- und Sozialpolitik verändern. Diese Veränderungen sind in vollem Gange.

Kernforderungen zeigen Wirkung

Nachdem die Mehrheit der Bevölkerung es ablehnt, Deutschland am Hindukusch zu verteidigen, haben sich in diesen Tagen die beiden christlichen Kirchen erneut gegen den Afghanistankrieg ausgesprochen. Die mit uns konkurrierenden politischen Parteien suchen mit unterschiedlicher Intensität ihre Exitstrategie und führen Rückzugsgefechte. Westerwelle will keine weiteren Kampftruppen und einen Abzug der Bundeswehr in nicht allzu ferner Zukunft. Gabriel will, wie Obama, 2011 mit dem Rückzug der Bundeswehr beginnen. Zu Guttenberg hat erkannt, daß in Afghanistan Krieg ist, und daß dieser Krieg nicht zu gewinnen ist. Ebenso unmöglich sei es, so ließ er verlauten, eine Demokratie nach westlichem Vorbild aufzubauen. Darüber hinaus fordert er, wie einige CSU-Politiker schon vor ihm, einen Weg zu finden, um die Bundeswehr aus Afghanistan abzuziehen. Unser Wahlkampfplakat »Raus auf Afghanistan« zeigt Wirkung.

Bei Hartz IV fordert der Paritätische Wohlfahrtsverband eine »Totalrevision«. Der nord­rhein-westfälische Ministerpräsident Rüttgers weiß, daß ein Einzug der Linken in den nord­rhein-westfälischen Landtag ihn den Kopf kosten kann und wirbt für eine »Grundrevision« von Hartz IV. Gabriel greift unsere Forderung auf, langjährig versicherten Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern länger Arbeitslosengeld zu zahlen. Mittlerweile gibt es fast jeden Tag neue Vorschläge, um Hartz IV zu verändern. Im Kern geht es darum, die zerstörte Arbeitslosenversicherung wieder herzustellen. An ältere Arbeitslose, die jahrzehntelang in die Sozialversicherung eingezahlt haben, muß das Arbeitslosengeld länger gezahlt werden. Die Zumutbarkeitsklausel, die eine Einladung ist, die Löhne zu drücken, muß verändert werden. Unser Wahlplakat »Hartz IV abwählen« findet immer mehr Anhänger. Die anderen Parteien überarbeiten Hartz IV.

Für den gesetzlichen Mindestlohn werben neben der Partei Die Linke und den Gewerkschaften jetzt auch SPD und Grüne. Die Mehrheit der Wählerinnen und Wähler ist ohnehin dafür, bei uns Regeln einzuführen, die in den meisten europäischen Staaten selbstverständlich sind. Leider wurde die Bundestagsmehrheit zur Einführung des gesetzlichen Mindestlohns in der letzten Wahlperiode nicht genutzt, weil die SPD nicht aus der Koalitionsdisziplin ausscheren wollte. Es bleibt daher offen, wann dem mehrheitlichen Willen der Bevölkerung endlich im Deutschen Bundestag Rechnung getragen und das verheerende Lohndumping der letzten Jahre beendet wird. Jetzt wird die Praxis des Unternehmens Schlecker kritisiert, das wie viele andere Unternehmen die Deregulierung des Arbeitsmarktes zum Anlaß nimmt, die Löhne zu drücken. Die Brandstifter rufen nach der Feuerwehr. Der gesetzliche Mindestlohn würde den Schaden begrenzen.

Daß die jetzige Rentenformel nicht zu halten ist, wird immer deutlicher. Die Einführung der kapitalgedeckten Rente erweist sich in der Finanzkrise als eine historische Fehlentscheidung. Die Zerstörung der gesetzlichen Rentenversicherung bleibt ein Skandal. Wer heute 1000 Euro verdient, hat nach 45 Arbeitsjahren einen Rentenanspruch von 400 Euro. CDU/CSU, SPD, FDP und Grüne haben mit den sogenannten Rentenreformen millionenfache Altersarmut programmiert. Unser Wahlplakat »Gegen die Rente ab 67« überzeugt jetzt auch die Sozialpolitiker der anderen Parteien. Sie rücken von ihren bisherigen Beschlüssen ab und suchen einen gesichtswahrenden Ausweg. Es versteht sich von selbst, daß Die Linke weiterhin für die Angleichung des Rentenniveaus Ost eintritt.

Demokratische Erneuerung

Neben den vier Kernforderungen der Partei Die Linke zur Bundestagswahl 2009 »Raus aus Afghanistan«, »Hartz IV abwählen«, »Mindestlohn gerade jetzt« und »Gegen die Rente ab 67« hat sich die Wirtschaftspolitik der Linken in der Finanzkrise bewährt. Die Weltwirtschaft wäre zusammengebrochen, wenn nicht alle Industriestaaten im letzten Jahr eine expansive Geld- und Fiskalpolitik gemacht hätten. Mit Verwunderung müssen viele einräumen, daß die neoliberale Ideologie der Deregulierung die Weltwirtschaft in die Krise geführt hat, und daß der von linken Parteien befürwortete Keynesianismus ihren Zusammenbruch verhindert hat. Da aber die Forderung der Linken nach einer Regulierung des Finanzsektors und der Vergesellschaftung des Bankensektors nirgendwo ernsthaft in Angriff genommen wurde, ist mit dem Geld der Zentralbanken nicht die Realwirtschaft gestärkt, sondern die nächste Finanzblase finanziert worden. In bisher einmaliger Weise wurde deutlich, daß die Finanzindustrie die Politik bestimmt und nicht umgekehrt. Der deregulierte Finanzkapitalismus hat die Demokratie ausgehöhlt.

Wir haben an der Deregulierung der Finanzmärkte nicht mitgewirkt und ihre Regulierung seit Jahren gefordert. Auch deshalb begreifen wir uns als demokratische Erneuerungsbewegung. Entweder der Staat kontrolliert und reguliert die Banken, oder die Finanzindustrie kontrolliert und reguliert die Politik.

Wer sich als demokratische Erneuerungsbewegung begreift, muß sagen, was er unter Demokratie versteht. Die Linke beruft sich auf die klassische, dem athenischen Staatsmann Perikles zugeschriebene Definition: »Der Name, mit dem wir unsere politische Ordnung bezeichnen, heißt Demokratie, weil die Angelegenheiten nicht im Interesse weniger, sondern der Mehrheit gehandhabt werden.«

Zu den Ursachen, die zur weltweiten Finanzkrise geführt haben, gehört nicht nur die Deregulierung der Finanzmärkte, sondern auch die von Jahr zu Jahr zunehmende ungleiche Verteilung der Vermögen und Einkommen. Diese Ursache der Finanzkrise wird leider auch von denen übersehen, die wie wir in der Deregulierung eine entscheidende Fehlentwicklung sehen. Der Satz Rosa Luxemburgs: »Ohne Sozialismus keine Demokratie und ohne Demokratie kein Sozialismus« sagt nichts anderes, als daß es ohne eine gerechtere Vermögensverteilung keine Demokratie gibt, weil eine ungerechte Vermögensverteilung zu undemokratischen Machtstrukturen führt. Die Linke wirft als einzige politische Kraft die Frage auf, was wem warum gehört. Sie will eine Gesellschafts- und Rechtsordnung, in der das Eigentum dem zugesprochen wird, der es erarbeitet und geschaffen hat. Deshalb fordern wir bei größeren Produktionsunternehmen, den Zuwachs des Betriebsvermögens denen zuzuschreiben, die es erarbeitet haben. Dieses Belegschaftsvermögen bleibt im Betrieb und sichert den Belegschaften die Rechte der Anteilseigner. Nur so kann die Wirtschaft Schritt für Schritt demokratisiert werden und eine Gesellschaftsordnung entstehen, in der sich die Interessen der Mehrheit durchsetzen.

Kampagnenjournalismus

Weil Die Linke eine Eigentumsordnung befürwortet, die das Eigentum denen zuspricht, die es geschaffen haben, wird sie von den Nutznießern der jetzigen Eigentumsverteilung, die auf der Enteignung der Belegschaften beruht, bekämpft. Das gilt auch für die privatwirtschaftlichen Medien, in denen, so der Gründungsherausgeber der FAZ Paul Sethe, 200 reiche Leute ihre Meinung verbreiten. Dabei gehen die Medien bei linken Parteien immer nach dem gleichen Muster vor. Sie unterscheiden zwischen angeblichen Realpolitikern und Pragmatikern auf der einen Seite und sogenannten Chaoten, Populisten und Spinnern auf der anderen Seite. Auf diese Weise nehmen sie Einfluß auf die politische Willensbildung und die Personalentscheidungen der linken Parteien. Bei der SPD hat sich so über viele Jahre der sogenannte Reformerflügel durchgesetzt mit dem Ergebnis, daß sich Wählerschaft und Mitgliedschaft halbierten. Agenda 2010 und Kriegsbefürwortung zerstörten den Markenkern der SPD: Das Eintreten für soziale Gerechtigkeit und Frieden.

Die Grünen, die gerade 30 Jahre alt geworden sind, wurden nach demselben Muster beeinflußt und so zur staatstragenden Partei. Der »Realoflügel« wurde gehätschelt, und die »Chaoten« und »Spinner« wurden immer wieder herunter geschrieben. Wie bei der SPD setzte sich der »Realoflügel« durch. Aus einer Partei, die bei ihrer Gründung soziale Gerechtigkeit, Gewaltfreiheit, Basisdemokratie und Umweltschutz auf ihre Fahne geschrieben hatte, wurde eine Partei, die die Agenda 2010 und Kriege befürwortet. Warum ereilte die Grünen nicht dasselbe Schicksal wie die SPD? Die Antwort ist einfach. Die Grünen sind zur Partei der Besserverdienenden geworden. Ihre Wählerinnen und Wähler wollen alle mehr Umweltschutz. Sie unterstützen aber mehrheitlich Kriege, die verharmlosend humanitäre Interventionen genannt werden. Der Markenkern der Grünen ist das Eintreten für den Umweltschutz. Soziale Gerechtigkeit, Gewaltfreiheit und Basisdemokratie gehören aus Sicht vieler ihrer Anhänger nicht unbedingt dazu. Deshalb blieb den Grünen das Schicksal der SPD erspart.

Bei der neuen, erst zweieinhalb Jahre alten Partei Die Linke versuchen die Medien dasselbe Spiel. Sie preisen unermüdlich die sogenannten Reformer und Pragmatiker und polemisieren ständig gegen angebliche Populisten, Fundamentalisten, Chaoten und Spinner. Unterstützt werden sie dabei selbstverständlich von den »Reformern« und »Pragmatikern« der anderen Parteien, die immer wieder die Litanei von der Regierungsuntauglichkeit der Partei Die Linke herunterbeten. Würden wir auf diese Propaganda, auf diesen Kampagnenjournalismus hereinfallen, dann erginge es uns wie der SPD. Da wir noch weniger »etabliert« sind, würden sich Wählerschaft und Mitglieder noch schneller halbieren.

Linker Markenkern

Unsere Wahlerfolge verdanken wir dem Markenkern, den wir uns gemeinsam in den letzten Jahren erarbeitet haben. Die Linke ist für ihre Anhängerinnen und Anhänger die Partei des Friedens, der sozialen Gerechtigkeit und der wirtschaftlichen Vernunft. Sie stimmt im Bundestag in der Tradition Karl Liebknechts und Willy Brandts gegen Kriegseinsätze. Sie wendet sich im Gegensatz zur Konkurrenz gegen Sozial­abbau, Personalabbau im öffentlichen Dienst und gegen die Privatisierung von Einrichtungen der Daseinsfürsorge. Sie will den Finanzsektor auf seine ursprüngliche Aufgabe beschränken, die Ersparnisse in wirtschaftliche Investitionen zu lenken.

Wenn über die Richtigkeit oder Falschheit einer Strategie geurteilt wird, dann entscheiden nicht Strömungen oder Kommentatoren, sondern die Wählerinnen und Wähler. Der Markenkern der neuen Partei, der in der Bundestagswahl mit den Forderungen »Raus aus Afghanistan«, »Hartz IV abwählen, »Mindestlohn gerade jetzt« und »Gegen die Rente ab 67« beschrieben wurde, begründete den Wahlerfolg der Linken.

Um diese unbestreitbare Tatsache kleinzureden und den Anpassungsdruck zu erhöhen, wird behauptet, Wahlerfolge seien nur dann etwas wert, wenn sie auch zu Regierungsbeteiligungen führen. Einfache Gemüter kleiden diese Überzeugung in die Formel: Opposition ist Mist. Daß auch Regierung Mist sein kann, hat die SPD bei den letzten Wahlen schmerzlich erfahren. Sie enttäuschte in der großen Koalition ihre Anhängerinnen und Anhänger erneut mit Mehrwertsteuererhöhung und Rente mit 67 und wurde dafür abgestraft. Ähnlich erging es unserer Schwesterpartei, der »Rifondazione Comunista« in Italien, die entgegen ihren Wahlversprechen in der Regierung die Kriegsbeteiligung Italiens in Afghanistan und die Kürzung sozialer Leistungen befürwortete. Heute ist sie nicht mehr im Parlament vertreten. Ebenso hat eine der beiden Vorläuferparteien der Linken, die PDS, leider mit Regierungsbeteiligungen nicht die besten Erfahrungen gemacht. Dabei müssen Regierungsbeteiligungen nicht notwendig zu Stimmverlusten bei Wahlen führen. Es gibt viele Beispiele, die das Gegenteil beweisen.

Mitregieren – ja oder nein?

Um keinen Zweifel aufkommen zu lassen: Ich bin für Regierungsbeteiligungen, wenn wir im Sinne unserer Programmatik die Politik verändern. Wer aber behauptet, nur durch die Regierungsbeteiligung könne eine Partei Politik und Gesellschaft verändern, verkennt die Wirkungsweise des parlamentarischen Regierungssystems. Die Sozialgesetze Bismarcks waren beispielsweise nicht das Ergebnis der Einsicht des Eisernen Kanzlers, sondern sie verdanken ihre Entstehung der Absicht, das Erstarken der SPD zu verhindern. Die umlagenfinanzierte Rente und die Einführung der paritätischen Mitbestimmung wurden von Konrad Adenauer auf den Weg gebracht, um eine Regierungsbildung durch die SPD zu verhindern. Die Grünen haben die Programme der anderen Parteien verändert, ohne an der Regierung beteiligt zu sein. Die Linke hat auch nach dem Urteil ihrer schärfsten Kritiker die Agenda der deutschen Politik in der zurückliegenden Wahlperiode mitbestimmt. Nach unserem Erfolg bei der Bundestagswahl überbieten sich, wie bereits erwähnt, die anderen Parteien damit, Strategien zum Abzug der Bundeswehr aus Afghanistan zu entwickeln und Verbesserungen in der Arbeitslosen- und Rentenversicherung vorzuschlagen. Es zeigt sich: Je stärker Die Linke, umso sozialer das Land.

Statt auf diesen Erfolgen aufzubauen und uns auf den Einzug der Partei Die Linke in den nord­rhein-westfälischen Landtag zu konzentrieren, leisten wir uns überflüssige Personalquerelen und genießen die wievielte Auflage der Debatte: Regierungsbeteiligung ja oder nein. Zu den Personalquerelen haben vor allem Gregor Gysi und Klaus Ernst das Notwendige gesagt. Dort, wo Menschen zusammenarbeiten, das gilt für alle Organisationen und Parteien, gibt es Eitelkeiten, Rivalitäten und persönliche Befindlichkeiten. Da nicht alle Akteure einander in tiefer Sympathie und Zuneigung verbunden sind, muß man sich wie im Alltag an Regeln halten, die ein solidarisches Miteinander ermöglichen.

Was die Regierungsbeteiligung angeht, so wird so getan, als gäbe es bei unserer Partei im Osten Regierungswillige und im Westen Fundamentalisten, die eine Regierungsbeteiligung ablehnen. Das ist offenkundig falsch. In Hessen wollte Die Linke Andrea Ypsilanti zur Regierungschefin wählen. Das ist an der SPD gescheitert. Im Saarland wollten wir eine rot-rot-grüne Koalition. Diese scheiterte an den Grünen, die von einem der FDP angehörenden Unternehmer gekauft waren. Und in Hamburg verweigerte nicht Die Linke eine mögliche rot-rot-grüne Regierung, sondern die SPD schloß sie von vornherein aus. Auch die Diskussion in Brandenburg verlief nicht nach dem Muster Regierungsbeteiligung ja oder nein. Vielmehr ging es um den Arbeitsplatzabbau im öffentlichen Dienst. Ich hätte den Koalitionsvertrag so nicht unterschrieben, weil unsere Haltelinien: Kein weiterer Sozialabbau, kein weiterer Personalabbau im öffentlichen Dienst und keine weitere Privatisierung Voraussetzung einer Regierungsbeteiligung sein müssen. In einer Zeit, in der im vereinten Deutschland weniger öffentlich Beschäftigte arbeiten als in der ehemaligen Westrepublik, halte ich einen weiteren Arbeitsplatzabbau im öffentlichen Dienst nicht für vertretbar. Hätten wir in Deutschland den gleichen Anteil öffentlicher Beschäftigter an der Gesamtbeschäftigung wie in Schweden, dann gäbe es je nach Rechnung fünf bis sieben Millionen zusätzliche Arbeitsplätze im öffentlichen Dienst.

Auch in Hessen haben wir darüber gestritten, ob Die Linke eine Tolerierungsvereinbarung unterschreiben könne, in der festgelegt war, daß sie keine Mitsprache bei den Bundesratsentscheidungen der hessischen Landesregierung haben soll. Ich war dagegen und hätte eine Tolerierungsvereinbarung, die uns zumuten wollte, eine Regierung zu unterstützen, auf deren Bundesratsentscheidungen wir keinen Einfluß gehabt hätten, nicht mitgetragen.

Auch die bei den Verhandlungen zur Regierungsbildung in Thüringen von uns erhobene Forderung, daß Die Linke dann den Regierungschef stellen muß, wenn sie in einer Koalition die stärkste Partei ist, wird im Osten und im Westen geteilt. Der Kampagnenjournalismus mit dem Tenor im Osten sitzen die »regierungswilligen Pragmatiker« und im Westen die »regierungsunwilligen Chaoten« ist also eine hahnebüchene Verdrehung der Tatsachen und der Wahrheit. Das beweist auch mein wiederholtes Angebot an die SPD in der letzten Legislaturperiode, einen sozialdemokratischen Kanzler zu wählen, wenn die Bundeswehr aus Afghanistan abgezogen und der gesetzliche Mindestlohn eingeführt würde. Darüber hinaus müsse eine armutsfeste Rente beschlossen und Hartz IV generell überarbeitet werden. Das sind genau die Forderungen, die die SPD jetzt zeitverzögert mehr oder weniger erfüllen wird.

Programmatisches

Wenn es darum geht, das baldige Auseinanderfallen der Linken an die Wand zu malen, behaupten die Medien, wir hätten kein Programm, und wenn wir einmal über ein solches diskutierten, dann sei die Spaltung unvermeidlich. Obwohl auch hier die Tatsachen dagegen sprechen, wird diese Platte immer wieder aufgelegt. Dabei haben wir neben dem Gründungsaufruf ein von allen Mitgliedern durch einen Mitgliederentscheid gebilligtes Programm, das sich leider »Programmatische Eckpunkte« nennt. Das Wort Eckpunkte erweckt den Eindruck des Unfertigen und bietet daher Kritikern die Möglichkeit so zu tun, als sei das gar kein richtiges Programm. Es ist aber eine hervorragende Grundlage unserer politischen Arbeit und braucht den Vergleich mit ähnlichen Programmen anderer Parteien nicht zu scheuen. Richtig ist, daß wir noch kein Grundsatzprogramm verabschieden konnten, weil wir im letzten Jahr das Europawahlprogramm und das Bundestagswahlprogramm vorlegen mußten. Die Grundsatzprogrammkommission hat schon Texte erarbeitet und gute Vorarbeit geleistet, so daß der Partei bald ein Diskussionsentwurf vorgelegt werden kann.

Da sich die Grundsatzprogramme der Parteien in der Formulierung allgemeiner Ziele ähneln, kommt es für Die Linke darauf an, die Programmpunkte herauszuarbeiten, durch die sie sich von anderen Parteien unterscheidet. Dazu gehören nach meiner Meinung folgende Punkte:

1. Wir halten daran fest, daß eine Demokratie eine Gesellschaft ist, in der sich die Interessen der Mehrheit durchsetzen.

2. Das parlamentarische Regierungssystem muß deshalb durch Elemente direkter Demokratie ergänzt werden. Der Volksentscheid ist das geeignete Mittel.

3. Parteispenden von Unternehmen, Unternehmerverbänden, Banken und Versicherungen müssen gesetzlich verboten werden. Die Millionenspende an die FDP als Belohnung für die Mehrwertsteuerreduktion im Hotelgewerbe spricht Bände.

4. Kein Parlamentsmitglied darf während der Ausübung des Mandats auf der Lohnliste eines Unternehmens oder Wirtschaftsverbandes stehen.

5. Der politische Streik ist für Die Linke, wie in vielen Staaten Europas, ein Mittel um Fehlentscheidungen des Gesetzgebers wie Rente mit 67 oder Hartz IV zu korrigieren.

6. Die Linke nimmt keine Spenden von großen Unternehmen und Wirtschaftsverbänden und verlangt von ihren Mandatsträgerinnen und Mandatsträgern während der Ausübung des Mandates nicht auf der Lohnliste von Unternehmen und Wirtschaftsverbänden zu stehen. Für wichtige politische Fragen und Richtungsentscheidungen sieht die Satzung den Mitgliederentscheid vor.

7. Krieg ist kein Mittel der Politik. Das Völkerrecht ist die Grundlage der Außenpolitik.

8. Die Eigentumsfrage ist die Grundfrage der Demokratie. Das Eigentum soll dem zugesprochen werden, der es geschaffen hat. Das Bürgerliche Gesetzbuch (BGB) legt fest: »Wer durch Bearbeitung oder Umbildung eines oder mehrerer Stoffe eine neue bewegliche Sache herstellt, erwirbt das Eigentum an der neuen Sache.« Die Mitarbeitergesellschaft ist das Unternehmen der Zukunft.

9. Alle Bürgerinnen und Bürger sind vor dem Gesetz gleich. Der Rechtsstaat muß sozial werden. Ein Gerichtsverfahren über einen höheren Streitwert kann die Mehrheit der Bevölkerung wegen der geltenden Gebührenordnung nicht bezahlen. Heute gilt: Das unerlaubte Aufessen eines Brötchens führt zur Kündigung, die Veruntreuung von Milliarden wird mit Millionenabfindungen belohnt.

10. Die sozialen Sicherungssysteme müssen in staatlicher Regie bleiben. Die Beitragsbemessungsgrenzen sind aufzuheben. Generaldirektor und Pförtner müssen von ihrem Einkommen prozentual den gleichen Beitrag zur Sozialversicherung leisten.

11. Das Steuerrecht muß sozial werden. Beispiel: Pendlerpauschale. Wir fordern eine zu versteuernde Direktzahlung an alle Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, um auch die Niedrigverdiener zu unterstützen, die keine Steuern zahlen.

Im Zusammenhang mit den Personaldiskussionen der letzten Wochen wurde auch darüber philosophiert, wer von den Mitgliedern der Parteiführung »unersetzlich« sei. Solche Debatten sind überflüssig. Auch für Die Linke gilt: Niemand ist unersetzlich. Unersetzlich sind nur eine Politik und eine Strategie der Linken, die von immer mehr Wählerinnen und Wählern akzeptiert werden.

Die Linke wird ihre Stellung im Parteiensystem der Bundesrepublik festigen und weiter ausbauen, wenn sie sich klar von den Parteien, die Kriege befürworten und Hartz IV und die Agenda 2010 zu verantworten haben, unterscheidet.

Nach unseren Erfolgen im letzten Jahr müssen wir uns jetzt auf die Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen konzentrieren. Im Mittelpunkt dieser Auseinandersetzung steht ein zentrales Thema unserer Bundestagswahlkampagne: Wer bezahlt die Folgen der Finanzkrise? CDU und FDP wollen die Wählerinnen und Wähler betrügen, in dem sie die sozialen Kürzungen, die sie vorbereitet haben, vor dieser entscheidenden Wahl verschweigen. Es ist unsere Aufgabe, dieses Spiel zu durchkreuzen. Der Einzug der Linken auch in den nordrhein-westfälischen Landtag würde dazu führen, daß die Lasten der Finanzkrise gerechter verteilt werden. Dafür lohnt es sich zu streiten.

Quelle: jungeWelt 20.01.2010

19. Januar 2010 Posted by | Afghanistan, Antimilitarismus, Bundeswehr, Deutschland, Die LINKE, News, Politik, Sozialismus, Sozialpolitik, SPD | , , , , , , | Hinterlasse einen Kommentar