Vorstand des Kreiselternrats zwang Vorsitzenden nach Westerwelle-Anzeige zum Rücktritt
Elternräte von der Kreisebene aufwärts setzen sich meistens aus Angehörigen des so genannten Bildungsbürgertums zusammen. Ärzte, Rechtsanwälte, Architekten oder deren Ehefrauen lassen sich in dieses Gremium wählen, um das „Beste“ für ihre Kinder zu erreichen. Der Elternrat des Landkreises Leer hatte seit dem 01. November 2009 einen Vorsitzenden, der nicht in dieses gängige Schema passt und kein Angehöriger der lokalen Möchtegernelite ist. Der gelernte Schreiner Gunther Clemens aus Detern, der seinen Beruf als Fernfahrer 2004 aus Krankheitsgründen aufgeben musste, ist Hartz-IV- Empfänger und besaß die „Frechheit“ als Privatperson den FDP-Parteivorsitzenden Guido Westerwelle wegen Beleidigung und Diskriminierung anzuzeigen, nachdem dieser u.a. behauptet hatte, Hartz-IV-Empfänger würden sich faul auf dem Sozialteppich ausruhen. Clemens ist ein sozial engagierter Mensch, der seit dem letzten Sommer ehrenamtlich in einem Jugendcafé in Leer arbeitet und u. a. Vorsitzender des Schulfördervereins ist.
Nachdem Clemens die Anzeige gegen Westerwelle gestellt hatte, wurde er von den übrigen Vorstandsmitgliedern gezwungen, von seinem Amt zurückzutreten. In einer Presserklärung heißt es, dass Clemens sein Amt missbraucht und dem Ansehen des Kreiselternrates schweren Schaden zugefügt habe. Sein Handeln sei „völlig inakzeptabel“ und in keiner Weise mit dem Kreiselternrat abgesprochen. (OZ, 09.03.2010)
Ein Trauerspiel. Da möchten die Damen und Herren BildungsbürgerInnen doch nicht in den Ruf kommen im Vorstand mit einem Hartz-IV-Empfänger zusammenarbeiten zu müssen, der die Frechheit besaß, sich als Privatperson gegen die verleumderischen Beleidigungen des Guido W. zur Wehr zu setzen, denn schließlich ist dieser der Vorsitzende der „Partei der Leistungsträger und Besserverdienenden“. Mit einem „Schmuddelkind“ wie Herrn Clemens in Verbindung gebracht zu werden, könnte doch dem eigenen Image schaden.
Was wäre gewesen, wenn der/die Vorsitzende des Kreiselternrats Westerwelles Äußerungen öffentlich befürwortet hätte? Wäre ihm dann auch von seinen VorstandskollegInnen nahe gelegt worden, sein Amt aufzugeben. Sicher nicht.
DIE LINKE im Kreis Leer solidarisiert sich mit Gunther Clemens und fordert den Kreiselternrat auf, seine Entscheidung rückgängig zu machen. Wir brauchen engagierte Menschen wie Gunther Clemens, welche die Interessen der Kinder aus allen Schichten wahrnehmen und in der Lage sind, über den Tellerrand zu sehen und sich für die sozialen Belange der Mehrheit der Bevölkerung einsetzen.
Quelle: www.dielinke-leer.de
Niedersachsen: »Das ist vor allem ein Angriff auf die Lehrer«
In Niedersachsen sollen 120000 Landesbeamte zwei Jahre länger arbeiten. Ein Gespräch mit Manfred Sohn
Interview: Gitta DüperthalManfred Sohn ist einer der beiden Fraktionsvorsitzenden der Partei Die Linke im niedersächsischen Landtag
Die Fraktion der Linken im Landtag in Niedersachsen kritisiert den Vorstoß von Ministerpräsident Christian Wulff (CDU), das Pensionsalter niedersächsischer Beamter auf 67 Jahre anheben zu wollen. Welche Argumente setzen Sie dagegen?
Im Kern ist das eine Kürzung –was auch jeder weiß. Hier in Niedersachsen soll sie 120000 Landesbeamte betreffen. Es handelt sich um einen Bruch mit bisherigen Positionen. Im Jahr 2007 hatte der damalige Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble (CDU) eine Debatte über die Pension mit 67 ausgelöst, die 2008 zur entsprechenden Gesetzgebung führte. Damals sagte ein Sprecher des niedersächsischen Innenministeriums, das wolle man nicht, weil die Landesbeamten bereits durch den Wegfall von Urlaubs- und Weihnachtsgeld jährliche Einbußen von insgesamt 450 Millionen Euro hinnehmen hätten müssen – woran sich bis heute nichts geändert hat.
Das ist vor allem ein Angriff auf die Lehrer, die etwa 60 Prozent der niedersächsischen Beamten ausmachen – betroffen sind aber auch Polizei- und Finanzbeamte sowie Feuerwehrleute. Gegen die Lehrer plant die Landesregierung sogar einen Doppelschlag: Sie will außerdem Stellen streichen, die dann durch Mehrarbeit ausgeglichen werden müssen. Dabei zeigen die von der Landesregierung – aufgrund einer Anfrage von uns! – genannten Zahlen, daß Lehrer durchschnittlich mit 61 Jahren in Pension gehen, weil sie einen besonders anstrengenden Beruf haben. Folge der Erhöhung des Rentenalters wird sozialer Abstieg sein – rein rechnerisch ist das eine Rentenkürzung von 7,2 Prozent.
Unter welchem besonderen Streß stehen Lehrer denn?
Zu große Klassen, das Turbo-Abitur zwingt, mehr Stoff in kürzerer Zeit zu bewältigen, und es gibt die zunehmende Perspektivlosigkeit von Jugendlichen in Haupt- und Realschulen. Eine Studie der Universität Lüneburg hat festgestellt, daß es sich um eine psychisch hoch belastete Berufsgruppe handelt. Wer es sich finanziell leisten kann, versucht, früh in Pension zu gehen.
Wie kommt das an, wenn ausgerechnet der wegen eines Luxusfluges in den Weihnachtsurlaub in die Kritik geratene niedersächsische Ministerpräsident sich auf Kosten anderer als Sparbrötchen profilieren will?
Da könnte man sagen: Wer Luxusklasse fliegt, kann sich in die Belastungssituation von Arbeitnehmern nicht mehr hineinversetzen. Man bräuchte aber nur Zahlen sprechen zu lassen. Nur jeder zehnte schafft es, bis zum 65. Lebensjahr berufstätig zu sein. Die Erhöhung des Rentenalters ist ein Schlag ins Gesicht all derer, die weniger angenehme Arbeitsbedingungen als ein Ministerpräsident und weniger Streicheleinheiten von der Wirtschaft zu erwarten haben.
Was halten Sie vom konservativen Argument, es gebe Berufe, in denen ältere Menschen gern länger im Berufsleben verweilten?
Da werden Einzelfälle zitiert. In diesem Fall sollte man zur Kenntnis nehmen, daß Aufrufe der Landesregierung an die Lehrkräfte, ihren Beruf länger auszuüben, bislang verpufft sind.
James Vaupel, geschäftsführender Direktor des Max-Planck-Instituts für demographische Forschung in Rostock, will das Rentenalter ganz abschaffen…
Gewerkschaften haben erkämpft, daß Arbeitnehmer nach langem Erwerbsleben ihre Arbeitskraft nicht weiter zu Markte tragen zu müssen. Von allen Ecken wird jetzt dieses Prinzip angegriffen.
Rechte Experten behaupten, das Rentensystem biete falsche Anreize: Menschen seien eher bereit zu arbeiten, wenn sie das Geld nötiger brauchen …
Diese Argumentation ist hart am Plädoyer für die allgemeine Einführung von Zwangsarbeit. Übersehen wird, daß die Rente ein Lohnbestandteil ist – ein ganzes Arbeitsleben lang einbezahlt! – und keine milde Gabe. Diesen Lohnbestandteil will die rechte Mischpoke vorenthalten.
Was kann man dagegen unternehmen?
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