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Linkes Blog aus Ostfriesland

Bolivien: Offener Brief an Evo Morales

Offener Brief an Evo Morales zum Streik des bolivianischen Gewerkschaftsbundes COB

GewerkschafterInnen und linke AktivistInnen aus verschiedenen Ländern haben diesen offenen Brief an Evo Morales anlässlich des Konflikts zwischen dem Gewerkschaftsbund COB und der MAS-Regierung unterschrieben..

Unterschreibt diesen Brief!

Genosse

Evo Morales

Präsident des Plurinationalen Staates Bolivien

Die unterzeichnenden linken GewerkschafterInnen, ArbeiterInnen und AktivistInnen haben den Kampf des bolivianischen Volkes vom Wasserkrieg, an dem Sie beteiligt waren, über den Gaskrieg und die Aufstände von 2003 und 2005 bis zu Ihrem überwältigenden Wahlsieg, der Ausdruck und Ergebnis dieser Kämpfe war, begeistert unterstützt. Auf die gleiche Art und Weise haben wir Ihre Rede über die Notwendigkeit, den Veränderungsprozess zu vertiefen, um den Sozialismus auszurufen, die Sie in der Nacht Ihres Wahlsieges gehalten haben und Ihre wiederholten Aufrufe zur Verteidigung der Mutter Erde, deren Hauptfeind – wie Sie sagten – der Kapitalismus ist, begeistert begrüßt. Wie Sie wissen, ist der Kapitalismus nicht nur ein Feind der Natur, weil er auf Ausbeutung und den Privatbesitz an Ressourcen beruht, sondern  in erster Linie ein Feind der Menschen, denn die Grundlage des Systems ist die Ausbeutung des Menschen durch den Menschen. Die Ereignisse in Griechenland, wo die ArbeiterInnen gezwungen werden mit weiterer Armut zu bezahlen, damit die Profite der Banker und Spekulanten erhalten bleiben, sind ein deutliches Beispiel.

Wir drücken unsere tiefe Besorgnis aus über den Konflikt der zwischen Ihrer Regierung und dem Central Obrera Boliviana, der wichtigsten Organisation unserer arbeitenden Brüder und Schwestern in Bolivien, entbrannt ist. Wir wissen, dass trotz der enormen Bemühungen die Armut zu bekämpfen, mit sehr deutlichen und unbestreitbaren Ergebnissen, viele unserer KollegInnen, ob es nun Berg- oder normale ArbeiterInnen sind, weniger verdienen als sie zum täglichen Leben brauchen. Die meisten bolivianischen ArbeiterInnen arbeiten in prekären Verhältnissen, so dass es für die Großunternehmen leicht ist sie zu erpressen. In vielen, viel zu vielen, Privatunternehmen gibt es keine Gewerkschaften und die KollegInnen müssen bis zu 12 Stunden arbeiten. Die deutlichen Lohnerhöhungen, die Sie in den letzten Jahren als wichtig anerkannt haben, sind von den Unternehmen rückgängig gemacht worden, indem man sie mit den Produktivitätssteigerungen verrechnet wurden, was dazu geführt hat, dass mehr Stunden gearbeitet werden müssen, damit die Lohnerhöhungen in Kraft treten. Leider gibt es in Ihrem Land auch ein System der Beziehungen zwischen Arbeitgebern und Gewerkschaften, bei dem die ArbeiterInnen die Streikgenehmigung beim Staat einholen müssen und Unternehmer bei Streiks aussperren dürfen (Kapitel II des Allgemeinen Arbeitsgesetzes), um so die Gewerkschaften einzuschüchtern.

Angesichts dieser Situation möchten wir unsere volle Sympathie mit unseren Brüdern und Schwestern in der COB und unsere Unterstützung für ihre Forderungen bekunden. Herr Präsident, die ArbeiterInnen, die sich jetzt im Streik befinden, sind die gleichen, die Ihnen während der Klassenauseinandersetzungen  und des Wahlkampfs ihre überwältigende Unterstützung gaben. Ihre Regierung betrachtet sie in richtiger Weise als die Hauptstützen der Wirtschaft und des Staates. Deshalb möchten wir Sie und Ihre Regierung respektvoll bitten, mit den ArbeiterInnen in einen sinnvollen Dialog zu treten, wie es die KollegInnen von Ihnen erwarten, um die Gesamtproblematik der Löhne und der Arbeitsbedingungen der bolivianischen Arbeiterklasse anzugehen und es der Arbeiterbewegung zu gestatten, ihre Beteiligung am Transformationsprozess in Bolivien zu verwirklichen.

Genosse Präsident, wir glauben dass die bolivianische Revolution ein Beispiel und ein Orientierungspunkt für weltweite antikapitalistische und Arbeiterbewegung sein könnte. Diese Möglichkeit wird dramatisch geschmälert, wenn die ArbeiterInnen in der ganzen Welt nicht mehr die reale Möglichkeit eines Weges und einer anderen Welt in Bolivien sehen, in der die Wirtschaft geführt wird, um die menschlichen Bedürfnisse und nicht die Habgier einzelner Individuen zu befriedigen und eine Demokratie, die auf die Beteiligung der arbeitenden Menschen bei Entscheidungen über die Zukunft der Menschheit beruht. Wir vertrauen darauf, dass dieses Anliegen auch von Ihnen geteilt wird und hoffen auf Ihre Fähigkeiten, den laufenden Konflikt optimal zu lösen, um den Veränderungsprozess zu vertiefen und in Richtung Sozialismus fortzuschreiten.

16. Mai 2010 Posted by | Bolivien, Lateinamerika, Sozialismus | , , , | Hinterlasse einen Kommentar

Die Krise des Euro bestätigt marxistische Perspektiven

Die Krise des Euro bestätigt marxistische Perspektiven PDF Drucken E-Mail
Geschrieben von Alan Woods
Tuesday, 11 May 2010
Anlässlich der schweren Krise des Euro veröffentlichen wir einen Artikel von Alan Woods, der Mitte Februar dieses Jahres geschrieben wurde und die derzeitigen Ereignisse in Europa vorhersagte.
„Letztes Jahr waren es die Banken, jetzt sind es ganze Staaten. Die Wirtschaftskrise, die sich Ende des letzten Jahres beruhigt zu haben schien, ist mit den drohenden Staatspleiten wieder voll im Gange.“

Mit diesen Worten begann jüngst ein Leitartikel im „Economist“, sie sind ein angemessener Ausdruck für den wachsenden Pessimismus der herrschenden Klasse. Erst gestern sprachen die Bürgerlichen von „Erholung“ und dem „Ende der Rezession“ Jetzt ringen Europas politische Eliten darum, das zu verhindern, was „Economist“ als „die größte Finanzkatastrophe in der elfjährigen Geschichte des Euro“ beschreibt. Plötzlich schaut die ganze Welt auf Griechenland, das sich mit der Möglichkeit des Staatsbankrotts konfrontiert sieht. Es wäre nicht das erste Mal in Europa: Schon vor einem Jahr wurde Island durch die Finanzkrise in die Zahlungsunfähigkeit getrieben. Das führte zu Demonstrationen und dem Sturz der Regierung. Island ist ein sehr kleines Land am Rande von Europa. Griechenland jedoch ist ein Mitglied der EU und Teil der Eurozone. Es wäre das erste EU-Mitglied, das zahlungsunfähig werden würde. Das ist ein ernstes Alarmsignal für die EU-Spitzen. Die Einführung einer gemeinsamen Währung bedeutet, dass alle Volkswirtschaften in einem unflexiblen System voneinander abhängig sind. Was zuerst als eine Quelle der Stärke gesehen wurde, entpuppt sich jetzt als eine gefährliche Quelle der Schwäche. Die Krise des griechischen Kapitalismus kann eine Krise des Euro verursachen und den Rest von Europa mit in den Abgrund reißen.

Vor über einem Jahrzehnt, zu einer Zeit, wo jeder den Euro anpries und voller Zuversicht einen unaufhaltbaren Trend hin zur europäischen Einigung prognostizierte, schrieben wir ein Dokument mit dem Titel „A Socialist Alternative to the European Union“, in dem wir eine dazu konträre Perspektive aufstellten:

„Das Problem von Maastricht ist, dass die europäischen Kapitalisten versuchen, die Integration voranzutreiben, obwohl die ökonomischen Bedingungen dafür nicht mehr gegeben sind. Bei Wachstumsraten von 5-6 Prozent, wie wir sie während der Phase des langen Wirtschaftsaufschwungs hatten, könnten sie die Währungsunion ohne große Schwierigkeiten über die Bühne bringen. Mit Wachstumsraten von nicht einmal 2-3 Prozent ist dies aber unmöglich.“

„(…) All das bedeutet, dass ein europäischer Bundesstaat auf kapitalistischer Basis ausgeschlossen ist. Besonders unter den Bedingungen einer Weltwirtschaftskrise, die in den nächsten Jahren unvermeidlich ist und die all die Widersprüche zuspitzen wird. Es ist unwahrscheinlich, dass die EU auseinanderbrechen wird, weil es um die Verteidigung des europäischen Marktes gegen die USA und Japan geht. Die europäischen Staaten haben nur die Wahl, gemeinsam oder einzeln zu hängen. Aber der Trend hin zur europäischen Einigung wird in einer Flut von Konflikten und Streitereien untergehen.“ (A Socialist Alternative to the European Union, Alan Woods, 4. Juni 1997)

Das Scheitern des Versuches, eine europäische Verfassung einzuführen, bestätigte diese Perspektive. Und was schrieben wir über den Euro?

„Zwischen Theorie und Praxis eröffnet sich ein tiefer Abgrund. In der Theorie schaut alles ganz nett und logisch aus. Das Problem ist nur, dass das kapitalistische System alles andere als logisch ist. In der Abstraktion ist die Idee einer gemeinsamen europäischen Währung gut. Sie würde viele Kosten reduzieren, den Handel zwischen den Nationalstaaten billiger machen, die langfristige Wirtschaftsplanung und die Investitionsentscheidungen erleichtern und eine Vielzahl unnötiger Vorgänge überflüssig machen. In der kapitalistischen Praxis aber führt sie direkt ins Desaster. In der Theorie bedeutet es, dass alle nationalen Währungen in ein rigides System gezwängt werden. Keine nationale Regierung könnte die Wechselkurse ändern, d.h. keinem Land wäre es mehr gestattet, durch Abwertung einen Weg aus der Krise zu suchen.“

„Der Weg der Abwertung ist versperrt, deshalb müsste jedes Land intern eine Lösung suchen – was eine grausame Politik der Deflation und Arbeitslosigkeit bedeutet, besonders für die schwächeren Ökonomien. Es würden sich auch die Spannungen zwischen den verschiedenen Staaten und die Klassengegensätze innerhalb dieser Staaten enorm zuspitzen. Solch ein unflexibles monetäres System wäre nicht lebensfähig. In der Praxis würde von Anfang an jeder Nationalstaat versuchen, einen Vorteil gegenüber den anderen zu erringen. Dies wird alle nur denkbaren Konflikte hervorrufen, was letztendlich zu einem Zusammenbruch führen würde. Auch der Versuch, ein System der andauernden Sparpolitik einzuführen, würde nicht funktionieren.“

„Um das hauptsächliche Problem auf den Punkt zu bringen: die Idee, so unterschiedliche Volkswirtschaften, die in verschiedene Richtungen tendieren, auf der Grundlage eines gemeinsamen Fonds und einer bindenden Gesetzgebung erfolgreich in eine Währungsunion zu integrieren, kann nicht funktionieren. Die kapitalistische Produktionsweise ist von Natur aus anarchisch. Der Versuch, diese Volkswirtschaften in einer rigiden gemeinsamen Wechselkursrate zusammenzuschließen, wird unverzüglich eine Reihe von Verzerrungen und unerträglichen Widersprüchen mit sich bringen. Wenn die ökonomischen Bedingungen eines Landes einen Anstieg der Zinssätze verlangen, wird es in einem anderen Land gerade umgekehrt sein. Wer entscheidet nun? Es ist nicht allzu schwer, auf diese Frage eine Antwort zu finden. Als die zentrale europäische Wirtschaftsmacht wird Deutschland seine Vorstellungen mittels der Bundesbank durchsetzen, die die anderen Zentralbanken kontrollieren wird. Wir hatten schon jetzt einen Vorgeschmack darauf, als die Bundesbank ohne Konsultation seiner Partner die Zinssätze anhob. Das war sogar schon der Fall, bevor die Wirtschafts- und Währungsunion (WWU) eingeführt wurde. Die WWU würde lediglich dem gegenwärtigen Kräfteverhältnis in Europa einen offiziellen Stempel aufdrücken.“

„In einem fixen Wechselkurssystem müssen einige zwangsläufig verlieren. (…) Auch wenn Spanien und Italien angekündigt haben, schon in der ersten Runde der WWU beizutreten, so sind sie doch zu schwach, um dies zu tun, ohne gewaltige Widersprüche im eigenen Land hervorzurufen. Griechenland ist automatisch ausgeschlossen, obwohl die Regierung Simitis einen bisher noch nicht gesehenen Angriff auf den Lebensstandard in der Hoffnung gestartet hat, sich in ferner Zukunft doch noch dafür zu qualifizieren. Genauso erledigen die portugiesischen SozialistInnen die Drecksarbeit für das Kapital. Das bereitet aber nur den Boden für eine Explosion des Klassenkampfes in all diesen Ländern in den nächsten Jahren auf.“

„(…) Die Einführung der WWU wird den Zyklus von Auf- und Abschwüngen nicht abschaffen. Die kommende Rezession wird zwangsläufig die Finanzen eines jeden Landes, je nach seiner relativen ökonomischen Stärke, unterschiedlich beeinflussen. Das wird ganz einfach zu einem Rückgang der Einnahmen aus Steuern und einem Anstieg der Ausgaben (für steigende Arbeitslosigkeit etwa) führen. Was für Maßnahmen könnte die britische Regierung unter den oben angeführten Bedingungen ergreifen? Dem Maastricht-Vertrag zufolge hätte sie keine Möglichkeit, Kredite aufzunehmen, um das Defizit abzudecken. Der einzige Ausweg wären Ausgabenkürzungen und Steuererhöhungen mitten in einer Rezession.“

„(…) Auf einer kapitalistischen Basis kann eine stabile Währungsunion ohne einen geeinten Staat nicht erzielt werden. Außerdem muss unter den Bedingungen eines alles dominierenden Weltmarktes eine regionale Währung in das globale Wechselkurssystem passen. (…) Wie man aber inmitten eines durch ein flexibles Wechselkurssystem charakterisierten Weltmarktes ein fixes Wechselkurssystem aufrechterhalten soll, bleibt unklar. Ökonomen in den USA stehen dieser Idee offen skeptisch gegenüber. Wie stabil wird der Euro sein? Falls die internationalen Märkte von den Aussagen der europäischen Banker nicht überzeugt werden, dann wird der Euro genauso von Währungskursspekulationen gefährdet sein, wie es heute etwa die italienische Lira ist.“

„(…) Die gesamte Last einer Rezession müssen die Nationalstaaten selber tragen. Die Absicht ist dabei, dass jede Regierung gezwungen ist, mit den guten alten Methoden wie Steuererhöhungen, Ausgabenkürzungen und Privatisierungen ‚gesunde Finanzen‘ aufrecht zu erhalten.“

„Diese Politik lässt außer Acht, dass vor dem Ersten Weltkrieg die Gewerkschaften und Arbeiterparteien relativ schwach waren und die Arbeiterklasse selbst in den meisten Ländern nur eine Minderheit darstellte. (Großbritannien stellt eine Ausnahme dar, weil es viel früher als die anderen Länder in die Phase kapitalistischer Entwicklung eingetreten war.) Seit dem Zweiten Weltkrieg hat sich das Kräfteverhältnis in Europa grundlegend verändert. Die sozialen Reserven der Reaktion, vor allem die Bauernschaft, wurden durch die Industrialisierung stark dezimiert. Die Arbeiterklasse ist zu der dominanten in der Gesellschaft geworden und wird sich die Errungenschaften der letzten Jahrzehnte nicht widerstandslos wegnehmen lassen.“

„Der Versuch, zur ‚klassischen‘ Periode des Kapitalismus zurückzukehren, wird zu einem beispiellosen Aufschwung des Klassenkampfes führen. Aber es gibt keine Garantie, dass er den von den Kapitalisten erwarteten Nutzen bringen wird. Indem sie selbst den schwächsten europäischen Ökonomien eine gewaltige Last auferlegen, laufen sie Gefahr, einen völligen Kollaps zu provozieren. Die Kriterien der vorgeschlagenen Währungsunion setzen voraus, dass jedes Land auf eigenen Füßen stehen muss – um den Ausdruck zu benutzen, der von allen Bankern geliebt wird.“

„Gegenwärtig können die Regierungen auf den internationalen Finanzmärkten Geld leihen, um ihre Schulden zu bedienen und werden (mit der Ausnahme Griechenlands) als sichere Anlagemöglichkeiten betrachtet. Aber Italiens Schuldenrate ist mehr als doppelt so hoch wie die Deutschlands. Wenn Italien keine eigene Währung und Zentralbank mehr hat, wird so eine Schwäche auf jeden Fall zu einer Erhöhung der Kreditkosten führen. New York zahlt manchmal höhere Risikoprämien als Italien, obwohl sein Schuldenanteil weit niedriger ist.“

„Selbst jetzt können sich die wichtigsten Kredit-Rating-Agenturen nicht darauf einigen, wie die zukünftigen in der neuen Währung aufgenommenen Schulden eingestuft werden sollen. Dies lässt vermuten, dass es noch gröbere Divergenzen in den Kreditratings der europäischen Länder nach 1999 gibt. Die Kapitalisten in Italien und anderen schwachen Ländern werden gezwungen sein, höhere Zinsen als andere zu zahlen, was natürlich die Profitrate senkt. Das kann langfristig die Finanzen eines solchen Staates destabilisieren und die Gefahr einer Krise erhöhen. Zum ersten Mal sprechen internationale Investoren (natürlich hinter vorgehaltener Hand) über das Risiko einer Zahlungsunfähigkeit in Europa.“

„Genauso wie Quebec aufgrund der dortigen Sezessionsbestrebungen als hohes Risiko gewertet wird und hohe Prämien zahlen muss, um sich Geld zu leihen, so rechnet das internationale Finanzkapital schon vor der Einführung mit einem Zusammenbruch der WWU. Man kalkuliert damit, dass die Politik der Sparmaßnahmen solche sozialen Unruhen auslösen könnte, dass sie wieder zusammenbrechen würde. Beginnend mit Ländern wie Italien oder Finnland würden die schwächeren Länder der Reihe nach wegbrechen. Bei einer Rezession würde das Ganze dazu tendieren, auseinanderzubrechen.“ (Hervorhebungen durch den Verfasser)

Das schrieben wir 1997. Zu der Zeit war Griechenland noch nicht Mitglied der Eurozone, weswegen wir dachten, dass die schwächsten Glieder in der Kette Italien, Spanien, Portugal und Finnland seien. Aber die generelle Stoßrichtung unserer Argumentation war absolut richtig, obwohl sie im völligen Gegensatz zur allgemein optimistischen Stimmung in Bezug auf den Euro und die europäische Einigung stand, die zu dieser Zeit vorherrschte. Damals standen sogar einige unserer UnterstützerInnen dieser Perspektive skeptisch gegenüber. Jetzt ist sie eine Tatsache.

Der Euro brach im Vergleich zum Dollar seit November um 9,9 Prozent ein, was die Sorge verdeutlicht, dass Länder wie Griechenland es nicht schaffen werden, ihre Haushaltsdefizite zu senken. Die Einheitswährung und Wertpapiere in der Region fielen weiter, als die europäischen Politeliten sich trafen, um Pläne zur Verteidigung Griechenlands zu diskutieren. Die Investoren jedoch waren nicht beeindruckt und monierten, dass der Plan nicht detailliert genug sei.

Laut dem Strategen der ‚Societe Generale’ Albert Edwards sind die schwachen kapitalistischen Ökonomien Südeuropas „gefangen in einer überbewerteten Währung und werden durch ihre geringe Wettbewerbsfähigkeit erstickt, eine Situation, die zum Auseinanderbrechen des Euro-Blocks führen wird“ (12. Februar, Bloomberg- Report). Das Problem für Länder wie Portugal, Spanien und Griechenland „ist, dass über Jahre unangemessen niedrige Zinssätze zu Überhitzung und rapider Inflation führten“. Jetzt würde, meint Edwards, sogar wenn die Regierungen „ihre Haushaltsdefizite reduzieren könnten, der Mangel an Wettbewerbsfähigkeit innerhalb der Eurozone dazu führen, dass Jahre der relativen (und wenn man die Aussichten andernorts betrachtet, vermutlich absoluten) Deflation nötig wären. Jede Hilfe an Griechenland würde das unvermeidliche Aufbrechen der Eurozone nur hinauszögern.“ (Hervorhebungen durch den Verfasser)

Gefahr von mehr Staatspleiten

Es ist nicht sicher, dass die derzeitige Krise zu einem schnellen Untergang des Euro führen wird. Es steht zu viel auf dem Spiel für die französische und deutsche Bourgeoisie, die alles tun werden, um die gemeinsame Währung zu stützen. Wenn sich aber die Krise vertieft, wird sich die Situation verändern.

Wir befinden uns in einer sehr ernsten Situation für ganz Europa. Die Gefahr ist, wenn Griechenland der Staatspleite überlassen wird, könnte das eine Welle weiterer Zahlungsunfähigkeiten auslösen, die nicht nur Spanien, Portugal, Italien und Irland betreffen könnten, sondern sogar Großbritannien. Das würde zum sofortigen Zusammenbruch der jetzt schon kraftlosen Wirtschaftserholung in Europa führen und die Auswirkungen wären auf der ganzen Welt zu spüren. Das erklärt die Besorgnis der europäischen Spitzenpolitiker.

Es gab Spekulationen über ein von Deutschland geführtes Rettungsmodell. Dies ist aber problematisch. Wenn es angewandt wird, könnten andere europäische Länder folgen, die unterwürfig um Unterstützung anfragen würden. Die Wertpapiermärkte sind sich dessen bewusst, dass das Problem auf keinen Fall nur auf Griechenland reduzierbar ist. Die internationalen Gläubiger sind in steigendem Maße verunsichert über die Kreditwürdigkeit von Spanien, Irland und Portugal und es gibt Spekulationen über den Zustand der britischen Staatsfinanzen. Es ist eine Sache, das relativ kleine Griechenland zu retten. Aber was wird passieren, wenn Spanien, Portugal, Irland oder sogar Großbritannien an der Reihe sind?

Um den Märkten zu versichern, dass diese Länder fähig und willig sind, ihre Schulden zurückzuzahlen, bestehen die internationalen Kredithaie darauf, dass sie die Steuern erhöhen und die Ausgaben kürzen. Aber so eine Politik ist eine vorprogrammierte Katastrophe für Ökonomien, die immer noch in einer Rezession gefangen sind und eine steigende Arbeitslosigkeit verzeichnen. „Das ist Wahnsinn. Wenn wir jetzt die Ausgaben kürzen, wird das die Erholung auslöschen!“ Aber die Klagelieder der Keynesianer dringen nicht zu den eisigen Herzen der internationalen Banker durch, die nur daran interessiert sind, ihr Geld zurück zu bekommen – mit einer ordentlichen Verzinsung, wie sich versteht.

Europas Probleme sind nicht die einzigen Gründe für Besorgnis. China hat, besorgt über steigende Inflation und Finanzblasen, gerade erst begonnen, die Kreditvergabe einzuschränken. Indiens Zentralbank hat die erforderliche Kapitaldeckung für Banken erhöht und Brasiliens Konjunkturpaket wird eingestellt. Die großen Zentralbanken ziehen sich von der Politik des „quantitative easing“ zurück, sie drucken Geld, um längerfristige Sicherheiten zu kaufen und die auf den Höhepunkt der Krise beschlossenen Liquiditätshilfen laufen jetzt aus.

Nachdem der hauptsächliche (wenn nicht sogar der einzige) Motor der „Erholung“ die Staatsausgaben waren, ruft das Bedenken bei den Investoren hervor, die, wie wir wissen, nicht durch rationale Überlegungen gesteuert werden, sondern durch den selben Herdeninstinkt wie die Gnus der afrikanischen Savannen, die plötzlich in Panik geraten. Es gibt bereits Zeichen einer solchen Veränderung. Die Preise von Anleihen und die Aktienmärkte sind stark gefallen, auch die Konsumgüterpreise sind eingebrochen und es herrscht erhöhte Unsicherheit.

Der MSCI World Index, der Aktien der ganzen Welt umfasst, ist seit seinem Höhepunkt am 14. Januar um 10 Prozent gefallen. Statt des früheren Optimismus über eine V-förmige Erholung werden die internationalen Wirtschaftsmedien nun von Pessimismus über eine W-förmige Rezession dominiert. Die Befürchtungen wachsen, dass die Regierungen gezwungen sein könnten, Liquiditätshilfen zu früh zu streichen und die Erwartungen einer Erholung 2010 sich in einer neuen Krise zerstäuben.

Die Zahlen zum BIP der USA zeigen ein auf das Jahr umgerechnete Wachstum von 5,7 Prozent im vierten Quartal 2009. Aber diese Zahlen sind irreführend, da das Wachstum vor allem durch Firmen, die ihre Lagerbestände auffüllen, verursacht wurde. Die US-Wirtschaft baut immer noch Arbeitsplätze ab (wenn auch langsamer), Aktienkurse fallen und der Immobilienmarkt ist immer noch schwach. Es gibt keinerlei Anzeichen für ein Steigen des Privatkonsums und mit jetzt schon hohen Überkapazitäten werden die Unternehmen höchstwahrscheinlich ihre Investitionen nicht erhöhen.

In Europa und Japan ist die Situation noch viel schlimmer. Obwohl sich Japans Export erholt, rutschte die Wirtschaft zurück in eine Deflation. In der Eurozone zeigte die Erholung schon lange vor der Krise Griechenlands Schwächen.
Offenkundig ist die Erholung nur in einigen der „aufstrebenden“ Ökonomien wie Indien und Brasilien, die starke Binnennachfrage und nur geringe Überkapazitäten hatten. China konnte eine hohe Wachstumsrate durch eine enorme Erhöhung der Direktinvestitionen der Regierung erhalten, aber deswegen ist seine Wirtschaft auch sehr anfällig gegenüber einer plötzlichen Reduzierung der Staatsausgaben. Die Aussichten für die Weltwirtschaft sind deswegen extrem unsicher. Das ist es, was hinter den nervösen Investoren steckt.

Die Wahrheit ist, dass der Aufschwung von Staatshilfen, Krediten und Garantien der Banken sowie von Subventionen für Großunternehmen abhängt. Vergleichbar mit einem klapprigen, alten Mann auf Krücken – so wird der Kapitalismus von staatlichen Anreizen gestützt. Dies trifft vor allem auf schwache kapitalistische Ökonomien wie Griechenland zu. Die Spekulanten kreisen über dem Land wie Geier über einem verendenden Tier. Wenn Griechenland untergeht, werden die Investoren ihr Vertrauen in die anderen, stark verschuldeten Staaten wie Spanien, Portugal oder Irland verlieren, was eine Kettenreaktion auslösen kann, die auch an den robusteren Wirtschaften nicht spurlos vorübergehen wird.

Die Gefahr ist, dass die großen, reichen Ökonomien die Fehler, die 1937 in den USA oder 1997 in Japan begangen wurden, wiederholen werden: Die Regierungen – im Glauben, das Schlimmste wäre vorbei, so dass Steuern wieder erhöht und die Währungspolitik wieder gezügelt werden könne – treiben ihre Ökonomien wieder zurück in die Rezession. Bürgerliche Wirtschaftswissenschafter und Politiker wollen uns weiterhin weismachen, dass sie die „Lektionen aus der Geschichte gelernt“ hätten. Doch die Kapitalisten wiederholen regelmäßig die Fehler der Vergangenheit.

Die Krise der Bourgeoisie

Revolutionen beginnen immer an der Spitze, mit Krisen und Spaltungen innerhalb der herrschenden Klasse. Die steigenden Konflikte in der US-amerikanischen herrschenden Klasse zeigen, dass sie sich in einer Sackgasse befinden. Die Konflikte zwischen Keynesianismus und Monetarismus, zwischen Republikanern und Demokraten, sind ein Zeichen für die Tiefe dieser Krise. Obama versucht, alles und jeden zu befriedigen, zeigt aber in Wirklichkeit totale Ohnmacht. Die ständigen Schwankungen Obamas sind ein Ausdruck von Unsicherheit und dem Fehlen wirklicher Perspektiven für die Bourgeoisie als ein Ganzes. Er ist ein Meister darin, demagogisch Hoffnung auszustrahlen und den einfachen US-AmerikanerInnen Hoffnung zu geben. Aber seine Rhetorik ist frei von jedem echten Inhalt, und diese Leere wurde durch die Ereignisse offengelegt.

Die Spaltungen und Schwankungen der Bourgeoisien in Europa und den USA sind Spiegelbilder der Tiefe der Krise. All ihre Hoffnungen legten sie in eine Wirtschaftserholung. Das ist aber wie eine Fata Morgana, die jedes Mal verschwindet, wenn man ihr näher kommt. Das zentrale Problem sind nicht mangelnde Kredite; sondern die Überproduktion, die sich als Überkapazität darstellt. Die Produktion bleibt weit unter ihrem Potential. Das ist die größte Geißel des Kapitalismus und ein klarer Beweis dafür, dass dieses System seine historische Zweckmäßigkeit überlebt hat.

Die Stagnation der Produktivkräfte und der unerbittliche Anstieg der Arbeitslosigkeit – selbst zu einer Zeit, wo die Rezession beendet sein sollte – sprechen die gleiche Sprache. Die Problematik der enormen und unhaltbaren Defizite von Griechenland, Spanien und Portugal ist nicht der Grund, sondern nur eine Reflexion des wirklichen Problems.

Die bürgerlichen Ökonomen haben nichts vorhergesehen und nichts verstanden. Am 21. Oktober 2009 schrieb die „Financial Times“: „Noch 2006 gab es die Übereinstimmung, dass die Katastrophe, die sich entwickelte, einfach unmöglich sei.“ Sie reagierten auf die Krise, die in ihren Vorstellungen „einfach unmöglich“ war, durch Maßnahmen, die sie ebenso als „einfach unmöglich“ ansahen, nämlich riesige Geldmengen in das Finanzsystem zu pumpen und damit Schuldenberge aufzutürmen, die ohne Beispiel in Friedenszeiten sind.

Jetzt sagen dieselben Bürgerlichen, dass Defizite gefährlich sind und die Regierungen sie durch brutale Angriffe auf die Lebensstandards unter Kontrolle bringen müssen. Vom Standpunkt orthodoxer bürgerlicher Ökonomen ist das unbestreitbar. Aber dann werden sie mit dem Widerspruch im Regen stehen gelassen, dass jeder Versuch, so eine Politik durchzuführen, in Sachen Wirtschaftswachstum den gegenteiligen Effekt haben würde.

Die Bourgeoisie findet sich in einem unlösbaren Dilemma gefangen. Auf dem Treffen der Finanzminister der G7 am 6. Februar dieses Jahres kamen sie zu dem Schluss, dass es zu früh wäre, Staatshilfen zurückzuziehen. Aber sie konnten sich nicht auf einen Plan einigen, um eine finanzielle Katastrophe zu verhindern. Sie kennen nur eine Lösung für die riesigen Defizite, die durch die Rettungsschirme für des kapitalistische System verursacht wurden: eine Politik von brutalen Kürzungen, einem Sparkurs und Konterreformen für eine ganze Generation. Aber sie haben ein kleines Problem: So eine Politik wird auf den Widerstand der Arbeiterklasse stoßen. Griechenland zeigt genau das.

Heutzutage erachten es ArbeiterInnen in vielen Ländern als normal und als ein automatisches Recht, dass sie, wenn sie mit 60 oder 65 zu arbeiten aufhören, etwas Geld vom Staat bekommen. Aber im Kapitalismus ist das nicht normal und auch kein automatisches Recht.

Die Länder der Eurozone haben heute schon rekordverdächtige 110 Mrd. € an den Finanzmärkten ausgeliehen und damit die Kreditkosten für die Länder mit den schwächsten Staatsfinanzen nach oben getrieben, da diese einen hohen Preis für ihre riesigen Schuldenberge zahlen. Die Lösung der Bourgeoisie besteht darin, eher die Ausgaben zu kürzen als die Steuern zu erhöhen. Manche reden sogar davon, die staatlichen Renten komplett abzuschaffen und auf lange Sicht wird das auch auf die Tagesordnung gesetzt werden. Sie wird damit anfangen, die Lage durch Maßnahmen wie die Erhöhung des Renteneintrittsalters zu testen. Frankreich bewegt sich schon in diese Richtung und andere Länder folgen zögernd.

Was nun?

Der Kapitalismus entwickelt sich in Auf- und Abschwüngen. An einem bestimmten Punkt wird die kapitalistische Welt unausweichlich in eine Periode der industriellen Erholung eintreten – In einigen Ländern haben wir schon die ersten Anzeichen dafür gesehen. Das ist ein Naturgesetz in der kapitalistischen Gesellschaft. Jedoch bedeutet eine wirtschaftliche Erholung keineswegs die Wiederherstellung des Gleichgewichts der Klassenverhältnisse in der Gesellschaft. Das wird durch die Krise des griechischen Kapitalismus bewiesen, wie die „Financial Times“ klar erkennt:

„Die Turbulenzen in Griechenland spiegeln die Ungleichgewichte in den 16 Euroländern wider, und jeder wird dazu etwas beitragen müssen, diese Krise wieder unter Kontrolle zu bringen. Konkret haben Griechenland und ein paar andere Länder – besonders Portugal und Spanien – sehr große Leistungsbilanzdefizite, während Deutschland, Europas Exportweltmeister und die größte Ökonomie in der Eurozone, dazu tendiert, große Leistungsbilanzüberschüsse zu erzielen. Das griechische Defizit betrug im dritten Quartal 2009 außerordentliche 12% des BIP, während das Portugals bei 10% lag.“ (FT, 1. Februar 2010)

Die griechische Krise ist ohne Zweifel die gefährlichste in der Geschichte der Eurozone. Die höchsten Amtsträger der EU forderten Griechenland dazu auf, die Lohnkosten zu senken, die Rentenreform voranzutreiben und 10% der Ausgaben einzusparen, um sich aus der derzeitigen misslichen Lage zu befreien. Papandreou hat einen Deal mit den konservativen Oppositionsführern gemacht, um soziale Unruhen zu verhindern. Aber die Aussicht von drei Jahren ökonomischer Entbehrungen ist ein vollendetes Rezept für eine Explosion des Klassenkampfes in Griechenland.

Das verstehen die ernsthaften Strategen des Kapitals wie Edwards, der schreibt: „Anders als Japan oder die USA gibt es in Europa eine bedauerliche Tendenz zu Unruhen im Falle von extremen wirtschaftlichen Leid,“ Die Staaten in Südeuropa mit den schwächsten Finanzen „einer langen Periode von Deflation“ auszuliefern würde „höchstwahrscheinlich eine zu harte Prüfung für diese Staaten darstellen.“

Die herrschende Klasse und die EU üben gewaltigen Druck auf die Führung der PASOK aus, welche, mit der Ausrede von Schulden und Defizit, versuchen wird, ein hartes Sparprogramm durchzudrücken. Das provoziert eine starke Reaktion aus der Arbeiterklasse, die für die PASOK gestimmt hat und jetzt in einen Kampf zur Erhaltung ihres Lebensstandards eintritt. Am 10. Februar legten Beschäftigte im öffentlichen Dienst, von den Lehrern bis zu den Beschäftigten der Müllabfuhr, ihre Arbeit in ganz Griechenland nieder. Proteste griechischer Bauern sind sogar noch militanter. Ihre Traktoren blockieren seit drei Wochen viele griechische Autobahnen und den Hauptgrenzübergang nach Bulgarien.

Die PASOK-Führung versucht, ein Programm von harten Maßnahmen, wie dem Erhöhen von Massensteuern und der Drosselung von Ausgaben, durchzudrücken. Die letzten Oktober abgewählte konservative Opposition unterstützt dies aus vollem Herzen. Ihr Chef, Antonis Samaras, dankte dem Präsidenten der Europäischen Kommission José Manuel Barroso für seine „konstruktive Einstellung“. Aber der Konsens wird nicht halten. Die Lohnkürzungen werden viel Leid verursachen und die Bourgeoisie bereitet sich jetzt auf die „Reform“ des Rentensystems vor, die das durchschnittliche Renteneintrittsalter in Griechenland von 58 auf 63 Jahre anheben soll. Sogar diese Maßnahmen werden nicht genügen, um die „Produktivität und Effizienz“ so zu steigern, wie die Bürgerlichen es verlangen.

Die griechische Regierung hat eine umfassende Überarbeitung des Steuersystems angekündigt, die auch eine verstärkte Besteuerung der Reichen beinhalten soll. Aber für die Reichen bieten sich tausend Wege, dem Zahlen von Steuern zu entgehen – gerade in Griechenland. Das zentrale Problem ist die Tiefe der Rezession, die, trotz aller hoffnungsfrohen Vorhersagen nicht überwunden ist. Die jetzige Erholung ist schwach und instabil.

Die Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (BIZ), die die Bank of England, die US Federal Reserve und die Europäische Zentralbank beinhaltet, befürchtet, dass die Probleme der Banken weltweit noch lange nicht gelöst sind und leicht einen so genannte „double dip“ oder „W-förmigen“ Abschwung auslösen könnten. „Ein erhebliches Risiko ist dabei, dass der jetzige Stimulus nur zu einem vorübergehenden Ansteigen des Wachstums führen wird, gefolgt von einer längerfristigen Stagnation.“ Eine L-förmige Rezession wäre sogar noch schlimmer als die jetzige Situation. Sie würde eine Periode der „Stagflation“ andeuten, wie die, die Japan in den 1990ern erlebt hat.

Die Tinte auf einer Erklärung, die die europäischen PolitikerInnen zur Unterstützung Griechenlands in seinem Kampf um die Fortsetzung der Schuldenbedienung abgegeben hatten, war noch nicht trocken, da gab es schon wieder neue schlechte Nachrichten aus der Eurozone. Zahlen, die am Freitag, dem 12. Februar veröffentlicht wurden, zeigten, dass das BIP in den drei Monaten bis Ende Dezember in den 16 Staaten der gemeinsamen Währung nur um 0,1% gegenüber dem Vorquartal stieg. Dass überhaupt ein Anstieg zu verzeichnen war, ist vor allem Frankreich zu verdanken, wo ein Anstieg der Konsumausgaben die Wirtschaft um 0,6% ansteigen ließ. In den anderen großen Staaten der Region stagnierte das BIP entweder – wie es in Deutschland der Fall war – oder sank sogar, wie in Italien oder Spanien.

Frankreich steht vor allem wegen der starken Rolle, die der Staat in der Wirtschaft spielt, gut da. Die Regierungsinvestitionen stiegen im vierten Quartal um 0,7%, nach ähnlichen Raten in den beiden vorherigen Quartalen. Aber Frankreich wird diese Wachstumsraten nicht beibehalten können. Das Budgetdefizit betrug letztes Jahr 8% des BIP: Frankreich ist kaum ein Modell für Finanzdisziplin und könnte damit zu kämpfen haben, seine steigenden Schulden in den Griff zu bekommen.

In Spanien fiel das BIP im vierten Quartal um 3,1%, auf das Jahr umgerechnet, und die Nachfrage wird gedrückt durch die Schulden, die im langen Immobilienboom aufgehäuft wurden. Die Arbeitslosenrate liegt bei knapp 20%. Zapatero hat versucht, Konflikten mit den Gewerkschaften aus dem Weg zu gehen, aber ist jetzt dem mitleidslosen Druck der Anleihenmärkte ausgeliefert. Das bedeutet, dass er zu Kürzungen und Konter-Reformen gezwungen sein wird. Es gibt keine Zweifel, dass die spanischen ArbeiterInnen genauso wie ihre griechischen Kollegen reagieren werden.

Die Finanzkrise in Griechenland hat den Druck auf andere Länder erhöht, ihre Finanzen in den Griff zu bekommen. Das wird zwei Effekte haben: es wird das Wachstum des BIP in der Eurozone bremsen und es wird überall zu einer Intensivierung der Klassenkämpfe führen. Der rapide Anstieg der Arbeitslosigkeit tendiert dazu, vorübergehend als eine Art Bremse für ökonomische Streiks zu wirken, aber der sich anhäufende Unmut in der Gesellschaft steigt und kann plötzlich ausbrechen, wie die jüngsten Streiks in Griechenland zeigen.

Die anfänglichen Auswirkungen der Krise bedeuteten in fast ganz Europa ein erhebliches Absinken der Streikzahlen. Die ArbeiterInnen fürchteten, ihre Jobs zu verlieren und hofften, bis zur nächsten Erholung durchzuhalten. Dieser Dämpfungseffekt hält jedoch nicht ewig an. An einem bestimmten Punkt, an dem sich die ArbeiterInnen bewusst werden, dass die Köpfe einziehen keine Lösung ist, verwandelt er sich ins Gegenteil und aus Angst schlägt die Stimmung der Arbeiter in Wut und das Verlangen um, sich zu wehren. Das ist es, was wir jetzt in einigen Ländern Europas anfangen zu sehen. Und das ist es, was die ernsthaften Strategen des Kapitals international besorgt.

„The Economist“ schreibt:

„Es ist immer noch eine Frage, wie lange die Bereitschaft [Steuererhöhungen zu akzeptieren] anhalten wird, da die GriechInnen die Kosten der Rezession berechnen. Die Banken haben die Kreditvergabe an die KonsumentInnen und kleine Unternehmen abgeklemmt. Die Anzahl der geplatzten Schecks hat Rekordmarken erreicht. In so einer Situation könnte das Gefühl der nervösen Beklemmung einer aufkochenden Unmut weichen.“

Und der Artikel fährt fort:

„[…Papandreou] bewegt sich auf einem Drahtseil. In einem Land, das Europas schwerste Unruhen der letzten Zeit vor gerade mal einem Jahr erlebte, ist der soziale Friede fragil. Aber die größte Gefahr geht von Randgruppen aus, etwa Ultralinken und desillusionierte Jugendlichen, nicht von den etablierten Gewerkschaften oder Parteien.“ („The Economist“, 12. Februar, Hervorhebungen durch den Verfasser)

Diese Äußerungen sind auf jedes Land in Europa zu übertragen. Griechenland ist nur insofern ein Spezialfall, als es eines von mehreren schwachen Gliedern des europäischen Kapitalismus ist. Aber in allen Ländern Europas unterstützen die bürgerlichen Parteien Einschnitte in den Lebensstandard der ArbeiterInnen „um die Krise zu lösen“ und die reformistischen Parteiführungen fügen sich gehorsam, manche widerwillig (Zapatero), manche begeistert (Brown). Die ArbeiterInnen werden nicht ruhig dabei zusehen, wie alle sozialen Errungenschaften der letzten 50 Jahre zerstört werden. Wir sehen bereits den Beginn einer großen Bewegung in Griechenland. In der nächsten Zeit wird sich dies in einem europäischen Land nach dem anderen wiederholen.

London, der 15. Februar 2010

Dieser Artikel erschien erstmals unter dem Titel Euro crisis confirms Marxist perspectives

Quelle: www.derfunke.de

11. Mai 2010 Posted by | Politik, Sozialismus, Uncategorized | , , | Hinterlasse einen Kommentar

Krise der LINKEN nach Lafontaine?

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Geschrieben von Redaktion Der Funke
Sunday, 31 January 2010
Was wird aus der LINKEN nach Lafontaine? Diese bange Frage stellen in diesen Tagen viele Mitglieder und Anhänger der Partei. Bürgerliche Medien, denen Oskar Lafontaine nicht geheuer war und die an ihm kein gutes Haar ließen, freuen sich insgeheim über seine Ankündigung, Mitte Mai nicht mehr für den Posten eines Parteivorsitzenden zu kandidieren und sein Bundestagsmandat abzugeben. Der „SPD-Linke“ und Hartz IV-Befürworter Niels Annen hält nach Lafontaines Rückzug aus Berlin sogar ein „rot-rot-grünes“ Bündnis auf Bundesebene für möglich.

Als Franz Müntefering (SPD) 2007 wegen des Krebsleidens seiner Frau aus dem Bundeskabinett ausschied, zeigte alle Welt Verständnis und Anteilnahme. So viel Mitgefühl wird Oskar Lafontaine jetzt nicht zuteil, wenn er wegen seines eigenen Krebsleidens kürzer treten will. Immerhin möchte er so intensiv wie möglich in den Landtagswahlkampf in Nordrhein-Westfalen eingreifen und sich auch weiterhin zur Bundespolitik zu Wort melden. Wir wünschen Oskar an dieser Stelle noch einmal eine vollständige Genesung und viel Kraft für die kommenden Jahre.

Oskar Latontaine war wegen seines Werdegangs bei der Bildung der Partei DIE LINKE für viele ein entscheidender Bezugspunkt und hat insofern eine historische Rolle beim Zustandekommen einer starken deutschen Partei links von der SPD gespielt. 1999 war er als Bundesfinanzminister aus der neuen SPD-Grüne-Regierung und als Bundesvorsitzender der SPD zurückgetreten, weil er den neoliberalen Kurs von Kanzler Schröder und die Beteiligung am Angriffskrieg gegen Jugoslawien nicht mittragen konnte. Damit war er konsequent und hob sich wohltuend von vielen OpportunistInnen ab, die an ihren Posten klebten und sich anpassten. Als er sich 2005 endlich für den Antritt einer gemeinsamen Linken aus PDS und WASG engagierte, war dies ein entscheidendes Signal für viele langjährige Sozialdemokraten. Die von ihm vertretenen Inhalte waren mit entscheidend für die Erfolge der LINKEN in der Bundestagswahl und in der Landtagswahl im Saarland 2009.

„Der Oskar ist kein Marxist, aber er hat mehr Klassenbewusstsein als viele andere“, brachte es ein Veteran der Bewegung kürzlich auf den Punkt. In der Tat zeigte Oskar Lafontaine gerade auch in den letzten Jahren ein Gespür für entscheidende politische Themen. Bei Fragen wie Hartz IV, Mindestlohn, Rente 67 und Raus aus Afghanistan steht er für klares Profil und gegen eine Verwässerung der Positionen um den Preis der vermeintlichen „Regierungsfähigkeit“. In den letzte Monaten hat er auch den Koalitionsvertrag in Brandenburg kritisiert. Im Sommer 2008 forderte er die Enteignung der Milliardärin Schaeffler, als diese den Continental-Konzern übernehmen wollte. Damit sprach er – im Gegensatz zu vielen anderen in Parteivorstand und Fraktion – Klartext.

Wenn die Herrschenden und ihre Medien Lafontaine als „Populisten“ bezeichnen, dann steckt dahinter das Misstrauen gegenüber einem Politiker, der sich im Gegensatz zur SPD-Führungsriege nicht kaufen lässt, der seinen eigenen Kopf hat und sich auch auf seine alten Tage nicht anpasst, sondern tendenziell radikaler wird. Wenn die Medien zwischen den „guten“ und „modernen“ Reformern in der Linkspartei und den radikalen „Fundamentalisten“ und „Sektierern“ unterscheiden, dann wollen sie damit den Anpassungsdruck so weit erhöhen, dass sich die LINKE nach rechts anpasst und über kurz oder lang problemlos in einer Koalition unter SPD-Führung unterordnet, falls es denn nicht anders ginge.

Nach dem Rückzug Lafontaines erhoffen sie sich dafür bessere Chancen. Für eine Linkspartei, die in einer Regierung Sozialabbau betreibt und Kriege unterstützt, besteht allerdings kein Bedarf. Dies hat Oskar Lafontaine mit eigenen Worten in den letzten Tagen deutlich gemacht:

„Einfache Gemüter kleiden diese Überzeugung in die Formel: Opposition ist Mist. Dass auch Regierung Mist sein kann, hat die SPD bei den letzten Wahlen schmerzlich erfahren. Sie enttäuschte in der großen Koalition ihre Anhängerinnen und Anhänger erneut mit Mehrwertsteuererhöhung und Rente mit 67 und wurde dafür abgestraft. Ähnlich erging es unserer Schwesterpartei, der „Rifondazione Comunista“ in Italien, die entgegen ihren Wahlversprechen in der Regierung die Kriegsbeteiligung Italiens in Afghanistan und die Kürzung sozialer Leistungen befürwortete. Heute ist sie nicht mehr im Parlament vertreten. Ebenso hat eine der beiden Vorläuferparteien der Linken, die PDS, leider mit Regierungsbeteiligungen nicht die besten Erfahrungen gemacht.“ Solche Aussagen dürften auch einigen in der eigenen Partei aufstoßen.

Dabei sind die politischen Differenzen, die nun verstärkt über Personalfragen diskutiert und ausgetragen werden, kein Ost-West-Konflikt. Der Osten ist dem Westen nur insofern etwas voraus, als eine starke Partei in Parlamenten auch unter starkem Anpassungsdruck steht.

Alle Kräfte auf die NRW-Wahl konzentrieren

Dass die Herrschenden und ihre Meinungsmacher jetzt verstärkt DIE LINKE klein und kaputt reden und schreiben wollen, hat mit den Auswirkungen der Wirtschaftskrise und der bevorstehenden Wahl am 9. Mai in Nordrhein-Westfalen (NRW) zu tun. In NRW geht es für alle um sehr viel. Für CDU und FDP um die Verteidigung ihrer Mehrheit im Land und im Bundesrat. Für die SPD um die erhoffte Wiederauferstehung in ihrem einstigen Stammland. Für die NRW-LINKE mit ihrem antikapitalistischen Programm um ein Ergebnis deutlich über den psychologisch entscheidenden fünf Prozent. Für arbeitende und arbeitslose Menschen um eine wichtige Weichenstellung und die Frage, wer für die Lasten und Kosten der Krise aufkommen soll. Darum muss die ganze Partei bundesweit ihre Kräfte in den Wahlkampf in NRW stecken und mit für ein gutes Ergebnis kämpfen. Das Potenzial dafür ist vorhanden. Durch den Wahlkampf können wir die Partei in NRW und darüber hinaus stärken und sozialistische Ideen weiter verankern. Immerhin hat NRW inzwischen mehr Einwohner als die frühere DDR.

Der Rückzug von Oskar Lafontaine aus der Bundespolitik macht deutlich: Pesonen sind wichtig und können entscheidende Impulse geben, aber Inhalte sind entscheidend, vor allem der Kampf für eine demokratisch-sozialistische Gesellschaft. Niemand darf unersetzlich sein.

Jetzt kommt es nicht so sehr auf ein Personaltableau mit genau austariertem Proporz an, sondern auf ein verstärktes Einmischen der Basis. Die Mitglieder, die sich in Stadt und Land ehrenamtlich für den Parteiaufbau einsetzen und aufopfern, müssen sich viel mehr zu Wort melden, eine bessere Kontrolle verlangen und mehr Initiativen von unten ergreifen. Das fängt jetzt an, etwa mit vielen inhaltlichen Anträgen an den Bundesparteitag, die sich dem Anpassungsdruck entgegenstemmen.

Dass es in der Frage „Regierung oder Opposition“ auch anders geht, zeigen wir in unserem Beitrag auf:
Wie soll sich die Linke Hessen gegenüber der SPD verhalten? Mitregieren, Tolerieren oder Opponieren?

1. Februar 2010 Posted by | Deutschland, Die LINKE, Politik, Sozialismus, SPD | , , , | Hinterlasse einen Kommentar

Lafontaines Rede zum Neujahrempfang der LINKEn in Saarbrücken

Im Interesse der Mehrheit

Dokumentiert. Zur Strategie der Partei Die Linke nach der Bundeswahl 2009. Rede von Oskar Lafontaine beim Neujahrsempfang seiner Partei in Saarbrücken

Wir dokumentieren die Rede, die Oskar Lafontaine, Bundesvorsitzender der Partei Die Linke, am 19. Januar beim Neujahrsempfang seiner Partei in Saarbrücken gehalten hat. Die Zwischenüberschriften wurden von der Redaktion eingefügt.
Nach dem Wiedereinzug in den Deutschen Bundestag mit 11,9 Prozent der Stimmen und dem Erfolg bei der saarländischen Landtagswahl ist die Gründungsphase der Partei Die Linke abgeschlossen. Wir sind jetzt nicht nur in sechs ostdeutschen, sondern auch in sechs westdeutschen Landtagen vertreten und haben bei der Bundestagswahl 5155933 Wählerinnen und Wähler für uns gewonnen, mehr als die Grünen und mehr als die CSU.

Mit der Gründung der Partei Die Linke wollten wir vor allem die Außenpolitik und die Wirtschafts- und Sozialpolitik verändern. Diese Veränderungen sind in vollem Gange.

Kernforderungen zeigen Wirkung

Nachdem die Mehrheit der Bevölkerung es ablehnt, Deutschland am Hindukusch zu verteidigen, haben sich in diesen Tagen die beiden christlichen Kirchen erneut gegen den Afghanistankrieg ausgesprochen. Die mit uns konkurrierenden politischen Parteien suchen mit unterschiedlicher Intensität ihre Exitstrategie und führen Rückzugsgefechte. Westerwelle will keine weiteren Kampftruppen und einen Abzug der Bundeswehr in nicht allzu ferner Zukunft. Gabriel will, wie Obama, 2011 mit dem Rückzug der Bundeswehr beginnen. Zu Guttenberg hat erkannt, daß in Afghanistan Krieg ist, und daß dieser Krieg nicht zu gewinnen ist. Ebenso unmöglich sei es, so ließ er verlauten, eine Demokratie nach westlichem Vorbild aufzubauen. Darüber hinaus fordert er, wie einige CSU-Politiker schon vor ihm, einen Weg zu finden, um die Bundeswehr aus Afghanistan abzuziehen. Unser Wahlkampfplakat »Raus auf Afghanistan« zeigt Wirkung.

Bei Hartz IV fordert der Paritätische Wohlfahrtsverband eine »Totalrevision«. Der nord­rhein-westfälische Ministerpräsident Rüttgers weiß, daß ein Einzug der Linken in den nord­rhein-westfälischen Landtag ihn den Kopf kosten kann und wirbt für eine »Grundrevision« von Hartz IV. Gabriel greift unsere Forderung auf, langjährig versicherten Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern länger Arbeitslosengeld zu zahlen. Mittlerweile gibt es fast jeden Tag neue Vorschläge, um Hartz IV zu verändern. Im Kern geht es darum, die zerstörte Arbeitslosenversicherung wieder herzustellen. An ältere Arbeitslose, die jahrzehntelang in die Sozialversicherung eingezahlt haben, muß das Arbeitslosengeld länger gezahlt werden. Die Zumutbarkeitsklausel, die eine Einladung ist, die Löhne zu drücken, muß verändert werden. Unser Wahlplakat »Hartz IV abwählen« findet immer mehr Anhänger. Die anderen Parteien überarbeiten Hartz IV.

Für den gesetzlichen Mindestlohn werben neben der Partei Die Linke und den Gewerkschaften jetzt auch SPD und Grüne. Die Mehrheit der Wählerinnen und Wähler ist ohnehin dafür, bei uns Regeln einzuführen, die in den meisten europäischen Staaten selbstverständlich sind. Leider wurde die Bundestagsmehrheit zur Einführung des gesetzlichen Mindestlohns in der letzten Wahlperiode nicht genutzt, weil die SPD nicht aus der Koalitionsdisziplin ausscheren wollte. Es bleibt daher offen, wann dem mehrheitlichen Willen der Bevölkerung endlich im Deutschen Bundestag Rechnung getragen und das verheerende Lohndumping der letzten Jahre beendet wird. Jetzt wird die Praxis des Unternehmens Schlecker kritisiert, das wie viele andere Unternehmen die Deregulierung des Arbeitsmarktes zum Anlaß nimmt, die Löhne zu drücken. Die Brandstifter rufen nach der Feuerwehr. Der gesetzliche Mindestlohn würde den Schaden begrenzen.

Daß die jetzige Rentenformel nicht zu halten ist, wird immer deutlicher. Die Einführung der kapitalgedeckten Rente erweist sich in der Finanzkrise als eine historische Fehlentscheidung. Die Zerstörung der gesetzlichen Rentenversicherung bleibt ein Skandal. Wer heute 1000 Euro verdient, hat nach 45 Arbeitsjahren einen Rentenanspruch von 400 Euro. CDU/CSU, SPD, FDP und Grüne haben mit den sogenannten Rentenreformen millionenfache Altersarmut programmiert. Unser Wahlplakat »Gegen die Rente ab 67« überzeugt jetzt auch die Sozialpolitiker der anderen Parteien. Sie rücken von ihren bisherigen Beschlüssen ab und suchen einen gesichtswahrenden Ausweg. Es versteht sich von selbst, daß Die Linke weiterhin für die Angleichung des Rentenniveaus Ost eintritt.

Demokratische Erneuerung

Neben den vier Kernforderungen der Partei Die Linke zur Bundestagswahl 2009 »Raus aus Afghanistan«, »Hartz IV abwählen«, »Mindestlohn gerade jetzt« und »Gegen die Rente ab 67« hat sich die Wirtschaftspolitik der Linken in der Finanzkrise bewährt. Die Weltwirtschaft wäre zusammengebrochen, wenn nicht alle Industriestaaten im letzten Jahr eine expansive Geld- und Fiskalpolitik gemacht hätten. Mit Verwunderung müssen viele einräumen, daß die neoliberale Ideologie der Deregulierung die Weltwirtschaft in die Krise geführt hat, und daß der von linken Parteien befürwortete Keynesianismus ihren Zusammenbruch verhindert hat. Da aber die Forderung der Linken nach einer Regulierung des Finanzsektors und der Vergesellschaftung des Bankensektors nirgendwo ernsthaft in Angriff genommen wurde, ist mit dem Geld der Zentralbanken nicht die Realwirtschaft gestärkt, sondern die nächste Finanzblase finanziert worden. In bisher einmaliger Weise wurde deutlich, daß die Finanzindustrie die Politik bestimmt und nicht umgekehrt. Der deregulierte Finanzkapitalismus hat die Demokratie ausgehöhlt.

Wir haben an der Deregulierung der Finanzmärkte nicht mitgewirkt und ihre Regulierung seit Jahren gefordert. Auch deshalb begreifen wir uns als demokratische Erneuerungsbewegung. Entweder der Staat kontrolliert und reguliert die Banken, oder die Finanzindustrie kontrolliert und reguliert die Politik.

Wer sich als demokratische Erneuerungsbewegung begreift, muß sagen, was er unter Demokratie versteht. Die Linke beruft sich auf die klassische, dem athenischen Staatsmann Perikles zugeschriebene Definition: »Der Name, mit dem wir unsere politische Ordnung bezeichnen, heißt Demokratie, weil die Angelegenheiten nicht im Interesse weniger, sondern der Mehrheit gehandhabt werden.«

Zu den Ursachen, die zur weltweiten Finanzkrise geführt haben, gehört nicht nur die Deregulierung der Finanzmärkte, sondern auch die von Jahr zu Jahr zunehmende ungleiche Verteilung der Vermögen und Einkommen. Diese Ursache der Finanzkrise wird leider auch von denen übersehen, die wie wir in der Deregulierung eine entscheidende Fehlentwicklung sehen. Der Satz Rosa Luxemburgs: »Ohne Sozialismus keine Demokratie und ohne Demokratie kein Sozialismus« sagt nichts anderes, als daß es ohne eine gerechtere Vermögensverteilung keine Demokratie gibt, weil eine ungerechte Vermögensverteilung zu undemokratischen Machtstrukturen führt. Die Linke wirft als einzige politische Kraft die Frage auf, was wem warum gehört. Sie will eine Gesellschafts- und Rechtsordnung, in der das Eigentum dem zugesprochen wird, der es erarbeitet und geschaffen hat. Deshalb fordern wir bei größeren Produktionsunternehmen, den Zuwachs des Betriebsvermögens denen zuzuschreiben, die es erarbeitet haben. Dieses Belegschaftsvermögen bleibt im Betrieb und sichert den Belegschaften die Rechte der Anteilseigner. Nur so kann die Wirtschaft Schritt für Schritt demokratisiert werden und eine Gesellschaftsordnung entstehen, in der sich die Interessen der Mehrheit durchsetzen.

Kampagnenjournalismus

Weil Die Linke eine Eigentumsordnung befürwortet, die das Eigentum denen zuspricht, die es geschaffen haben, wird sie von den Nutznießern der jetzigen Eigentumsverteilung, die auf der Enteignung der Belegschaften beruht, bekämpft. Das gilt auch für die privatwirtschaftlichen Medien, in denen, so der Gründungsherausgeber der FAZ Paul Sethe, 200 reiche Leute ihre Meinung verbreiten. Dabei gehen die Medien bei linken Parteien immer nach dem gleichen Muster vor. Sie unterscheiden zwischen angeblichen Realpolitikern und Pragmatikern auf der einen Seite und sogenannten Chaoten, Populisten und Spinnern auf der anderen Seite. Auf diese Weise nehmen sie Einfluß auf die politische Willensbildung und die Personalentscheidungen der linken Parteien. Bei der SPD hat sich so über viele Jahre der sogenannte Reformerflügel durchgesetzt mit dem Ergebnis, daß sich Wählerschaft und Mitgliedschaft halbierten. Agenda 2010 und Kriegsbefürwortung zerstörten den Markenkern der SPD: Das Eintreten für soziale Gerechtigkeit und Frieden.

Die Grünen, die gerade 30 Jahre alt geworden sind, wurden nach demselben Muster beeinflußt und so zur staatstragenden Partei. Der »Realoflügel« wurde gehätschelt, und die »Chaoten« und »Spinner« wurden immer wieder herunter geschrieben. Wie bei der SPD setzte sich der »Realoflügel« durch. Aus einer Partei, die bei ihrer Gründung soziale Gerechtigkeit, Gewaltfreiheit, Basisdemokratie und Umweltschutz auf ihre Fahne geschrieben hatte, wurde eine Partei, die die Agenda 2010 und Kriege befürwortet. Warum ereilte die Grünen nicht dasselbe Schicksal wie die SPD? Die Antwort ist einfach. Die Grünen sind zur Partei der Besserverdienenden geworden. Ihre Wählerinnen und Wähler wollen alle mehr Umweltschutz. Sie unterstützen aber mehrheitlich Kriege, die verharmlosend humanitäre Interventionen genannt werden. Der Markenkern der Grünen ist das Eintreten für den Umweltschutz. Soziale Gerechtigkeit, Gewaltfreiheit und Basisdemokratie gehören aus Sicht vieler ihrer Anhänger nicht unbedingt dazu. Deshalb blieb den Grünen das Schicksal der SPD erspart.

Bei der neuen, erst zweieinhalb Jahre alten Partei Die Linke versuchen die Medien dasselbe Spiel. Sie preisen unermüdlich die sogenannten Reformer und Pragmatiker und polemisieren ständig gegen angebliche Populisten, Fundamentalisten, Chaoten und Spinner. Unterstützt werden sie dabei selbstverständlich von den »Reformern« und »Pragmatikern« der anderen Parteien, die immer wieder die Litanei von der Regierungsuntauglichkeit der Partei Die Linke herunterbeten. Würden wir auf diese Propaganda, auf diesen Kampagnenjournalismus hereinfallen, dann erginge es uns wie der SPD. Da wir noch weniger »etabliert« sind, würden sich Wählerschaft und Mitglieder noch schneller halbieren.

Linker Markenkern

Unsere Wahlerfolge verdanken wir dem Markenkern, den wir uns gemeinsam in den letzten Jahren erarbeitet haben. Die Linke ist für ihre Anhängerinnen und Anhänger die Partei des Friedens, der sozialen Gerechtigkeit und der wirtschaftlichen Vernunft. Sie stimmt im Bundestag in der Tradition Karl Liebknechts und Willy Brandts gegen Kriegseinsätze. Sie wendet sich im Gegensatz zur Konkurrenz gegen Sozial­abbau, Personalabbau im öffentlichen Dienst und gegen die Privatisierung von Einrichtungen der Daseinsfürsorge. Sie will den Finanzsektor auf seine ursprüngliche Aufgabe beschränken, die Ersparnisse in wirtschaftliche Investitionen zu lenken.

Wenn über die Richtigkeit oder Falschheit einer Strategie geurteilt wird, dann entscheiden nicht Strömungen oder Kommentatoren, sondern die Wählerinnen und Wähler. Der Markenkern der neuen Partei, der in der Bundestagswahl mit den Forderungen »Raus aus Afghanistan«, »Hartz IV abwählen, »Mindestlohn gerade jetzt« und »Gegen die Rente ab 67« beschrieben wurde, begründete den Wahlerfolg der Linken.

Um diese unbestreitbare Tatsache kleinzureden und den Anpassungsdruck zu erhöhen, wird behauptet, Wahlerfolge seien nur dann etwas wert, wenn sie auch zu Regierungsbeteiligungen führen. Einfache Gemüter kleiden diese Überzeugung in die Formel: Opposition ist Mist. Daß auch Regierung Mist sein kann, hat die SPD bei den letzten Wahlen schmerzlich erfahren. Sie enttäuschte in der großen Koalition ihre Anhängerinnen und Anhänger erneut mit Mehrwertsteuererhöhung und Rente mit 67 und wurde dafür abgestraft. Ähnlich erging es unserer Schwesterpartei, der »Rifondazione Comunista« in Italien, die entgegen ihren Wahlversprechen in der Regierung die Kriegsbeteiligung Italiens in Afghanistan und die Kürzung sozialer Leistungen befürwortete. Heute ist sie nicht mehr im Parlament vertreten. Ebenso hat eine der beiden Vorläuferparteien der Linken, die PDS, leider mit Regierungsbeteiligungen nicht die besten Erfahrungen gemacht. Dabei müssen Regierungsbeteiligungen nicht notwendig zu Stimmverlusten bei Wahlen führen. Es gibt viele Beispiele, die das Gegenteil beweisen.

Mitregieren – ja oder nein?

Um keinen Zweifel aufkommen zu lassen: Ich bin für Regierungsbeteiligungen, wenn wir im Sinne unserer Programmatik die Politik verändern. Wer aber behauptet, nur durch die Regierungsbeteiligung könne eine Partei Politik und Gesellschaft verändern, verkennt die Wirkungsweise des parlamentarischen Regierungssystems. Die Sozialgesetze Bismarcks waren beispielsweise nicht das Ergebnis der Einsicht des Eisernen Kanzlers, sondern sie verdanken ihre Entstehung der Absicht, das Erstarken der SPD zu verhindern. Die umlagenfinanzierte Rente und die Einführung der paritätischen Mitbestimmung wurden von Konrad Adenauer auf den Weg gebracht, um eine Regierungsbildung durch die SPD zu verhindern. Die Grünen haben die Programme der anderen Parteien verändert, ohne an der Regierung beteiligt zu sein. Die Linke hat auch nach dem Urteil ihrer schärfsten Kritiker die Agenda der deutschen Politik in der zurückliegenden Wahlperiode mitbestimmt. Nach unserem Erfolg bei der Bundestagswahl überbieten sich, wie bereits erwähnt, die anderen Parteien damit, Strategien zum Abzug der Bundeswehr aus Afghanistan zu entwickeln und Verbesserungen in der Arbeitslosen- und Rentenversicherung vorzuschlagen. Es zeigt sich: Je stärker Die Linke, umso sozialer das Land.

Statt auf diesen Erfolgen aufzubauen und uns auf den Einzug der Partei Die Linke in den nord­rhein-westfälischen Landtag zu konzentrieren, leisten wir uns überflüssige Personalquerelen und genießen die wievielte Auflage der Debatte: Regierungsbeteiligung ja oder nein. Zu den Personalquerelen haben vor allem Gregor Gysi und Klaus Ernst das Notwendige gesagt. Dort, wo Menschen zusammenarbeiten, das gilt für alle Organisationen und Parteien, gibt es Eitelkeiten, Rivalitäten und persönliche Befindlichkeiten. Da nicht alle Akteure einander in tiefer Sympathie und Zuneigung verbunden sind, muß man sich wie im Alltag an Regeln halten, die ein solidarisches Miteinander ermöglichen.

Was die Regierungsbeteiligung angeht, so wird so getan, als gäbe es bei unserer Partei im Osten Regierungswillige und im Westen Fundamentalisten, die eine Regierungsbeteiligung ablehnen. Das ist offenkundig falsch. In Hessen wollte Die Linke Andrea Ypsilanti zur Regierungschefin wählen. Das ist an der SPD gescheitert. Im Saarland wollten wir eine rot-rot-grüne Koalition. Diese scheiterte an den Grünen, die von einem der FDP angehörenden Unternehmer gekauft waren. Und in Hamburg verweigerte nicht Die Linke eine mögliche rot-rot-grüne Regierung, sondern die SPD schloß sie von vornherein aus. Auch die Diskussion in Brandenburg verlief nicht nach dem Muster Regierungsbeteiligung ja oder nein. Vielmehr ging es um den Arbeitsplatzabbau im öffentlichen Dienst. Ich hätte den Koalitionsvertrag so nicht unterschrieben, weil unsere Haltelinien: Kein weiterer Sozialabbau, kein weiterer Personalabbau im öffentlichen Dienst und keine weitere Privatisierung Voraussetzung einer Regierungsbeteiligung sein müssen. In einer Zeit, in der im vereinten Deutschland weniger öffentlich Beschäftigte arbeiten als in der ehemaligen Westrepublik, halte ich einen weiteren Arbeitsplatzabbau im öffentlichen Dienst nicht für vertretbar. Hätten wir in Deutschland den gleichen Anteil öffentlicher Beschäftigter an der Gesamtbeschäftigung wie in Schweden, dann gäbe es je nach Rechnung fünf bis sieben Millionen zusätzliche Arbeitsplätze im öffentlichen Dienst.

Auch in Hessen haben wir darüber gestritten, ob Die Linke eine Tolerierungsvereinbarung unterschreiben könne, in der festgelegt war, daß sie keine Mitsprache bei den Bundesratsentscheidungen der hessischen Landesregierung haben soll. Ich war dagegen und hätte eine Tolerierungsvereinbarung, die uns zumuten wollte, eine Regierung zu unterstützen, auf deren Bundesratsentscheidungen wir keinen Einfluß gehabt hätten, nicht mitgetragen.

Auch die bei den Verhandlungen zur Regierungsbildung in Thüringen von uns erhobene Forderung, daß Die Linke dann den Regierungschef stellen muß, wenn sie in einer Koalition die stärkste Partei ist, wird im Osten und im Westen geteilt. Der Kampagnenjournalismus mit dem Tenor im Osten sitzen die »regierungswilligen Pragmatiker« und im Westen die »regierungsunwilligen Chaoten« ist also eine hahnebüchene Verdrehung der Tatsachen und der Wahrheit. Das beweist auch mein wiederholtes Angebot an die SPD in der letzten Legislaturperiode, einen sozialdemokratischen Kanzler zu wählen, wenn die Bundeswehr aus Afghanistan abgezogen und der gesetzliche Mindestlohn eingeführt würde. Darüber hinaus müsse eine armutsfeste Rente beschlossen und Hartz IV generell überarbeitet werden. Das sind genau die Forderungen, die die SPD jetzt zeitverzögert mehr oder weniger erfüllen wird.

Programmatisches

Wenn es darum geht, das baldige Auseinanderfallen der Linken an die Wand zu malen, behaupten die Medien, wir hätten kein Programm, und wenn wir einmal über ein solches diskutierten, dann sei die Spaltung unvermeidlich. Obwohl auch hier die Tatsachen dagegen sprechen, wird diese Platte immer wieder aufgelegt. Dabei haben wir neben dem Gründungsaufruf ein von allen Mitgliedern durch einen Mitgliederentscheid gebilligtes Programm, das sich leider »Programmatische Eckpunkte« nennt. Das Wort Eckpunkte erweckt den Eindruck des Unfertigen und bietet daher Kritikern die Möglichkeit so zu tun, als sei das gar kein richtiges Programm. Es ist aber eine hervorragende Grundlage unserer politischen Arbeit und braucht den Vergleich mit ähnlichen Programmen anderer Parteien nicht zu scheuen. Richtig ist, daß wir noch kein Grundsatzprogramm verabschieden konnten, weil wir im letzten Jahr das Europawahlprogramm und das Bundestagswahlprogramm vorlegen mußten. Die Grundsatzprogrammkommission hat schon Texte erarbeitet und gute Vorarbeit geleistet, so daß der Partei bald ein Diskussionsentwurf vorgelegt werden kann.

Da sich die Grundsatzprogramme der Parteien in der Formulierung allgemeiner Ziele ähneln, kommt es für Die Linke darauf an, die Programmpunkte herauszuarbeiten, durch die sie sich von anderen Parteien unterscheidet. Dazu gehören nach meiner Meinung folgende Punkte:

1. Wir halten daran fest, daß eine Demokratie eine Gesellschaft ist, in der sich die Interessen der Mehrheit durchsetzen.

2. Das parlamentarische Regierungssystem muß deshalb durch Elemente direkter Demokratie ergänzt werden. Der Volksentscheid ist das geeignete Mittel.

3. Parteispenden von Unternehmen, Unternehmerverbänden, Banken und Versicherungen müssen gesetzlich verboten werden. Die Millionenspende an die FDP als Belohnung für die Mehrwertsteuerreduktion im Hotelgewerbe spricht Bände.

4. Kein Parlamentsmitglied darf während der Ausübung des Mandats auf der Lohnliste eines Unternehmens oder Wirtschaftsverbandes stehen.

5. Der politische Streik ist für Die Linke, wie in vielen Staaten Europas, ein Mittel um Fehlentscheidungen des Gesetzgebers wie Rente mit 67 oder Hartz IV zu korrigieren.

6. Die Linke nimmt keine Spenden von großen Unternehmen und Wirtschaftsverbänden und verlangt von ihren Mandatsträgerinnen und Mandatsträgern während der Ausübung des Mandates nicht auf der Lohnliste von Unternehmen und Wirtschaftsverbänden zu stehen. Für wichtige politische Fragen und Richtungsentscheidungen sieht die Satzung den Mitgliederentscheid vor.

7. Krieg ist kein Mittel der Politik. Das Völkerrecht ist die Grundlage der Außenpolitik.

8. Die Eigentumsfrage ist die Grundfrage der Demokratie. Das Eigentum soll dem zugesprochen werden, der es geschaffen hat. Das Bürgerliche Gesetzbuch (BGB) legt fest: »Wer durch Bearbeitung oder Umbildung eines oder mehrerer Stoffe eine neue bewegliche Sache herstellt, erwirbt das Eigentum an der neuen Sache.« Die Mitarbeitergesellschaft ist das Unternehmen der Zukunft.

9. Alle Bürgerinnen und Bürger sind vor dem Gesetz gleich. Der Rechtsstaat muß sozial werden. Ein Gerichtsverfahren über einen höheren Streitwert kann die Mehrheit der Bevölkerung wegen der geltenden Gebührenordnung nicht bezahlen. Heute gilt: Das unerlaubte Aufessen eines Brötchens führt zur Kündigung, die Veruntreuung von Milliarden wird mit Millionenabfindungen belohnt.

10. Die sozialen Sicherungssysteme müssen in staatlicher Regie bleiben. Die Beitragsbemessungsgrenzen sind aufzuheben. Generaldirektor und Pförtner müssen von ihrem Einkommen prozentual den gleichen Beitrag zur Sozialversicherung leisten.

11. Das Steuerrecht muß sozial werden. Beispiel: Pendlerpauschale. Wir fordern eine zu versteuernde Direktzahlung an alle Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, um auch die Niedrigverdiener zu unterstützen, die keine Steuern zahlen.

Im Zusammenhang mit den Personaldiskussionen der letzten Wochen wurde auch darüber philosophiert, wer von den Mitgliedern der Parteiführung »unersetzlich« sei. Solche Debatten sind überflüssig. Auch für Die Linke gilt: Niemand ist unersetzlich. Unersetzlich sind nur eine Politik und eine Strategie der Linken, die von immer mehr Wählerinnen und Wählern akzeptiert werden.

Die Linke wird ihre Stellung im Parteiensystem der Bundesrepublik festigen und weiter ausbauen, wenn sie sich klar von den Parteien, die Kriege befürworten und Hartz IV und die Agenda 2010 zu verantworten haben, unterscheidet.

Nach unseren Erfolgen im letzten Jahr müssen wir uns jetzt auf die Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen konzentrieren. Im Mittelpunkt dieser Auseinandersetzung steht ein zentrales Thema unserer Bundestagswahlkampagne: Wer bezahlt die Folgen der Finanzkrise? CDU und FDP wollen die Wählerinnen und Wähler betrügen, in dem sie die sozialen Kürzungen, die sie vorbereitet haben, vor dieser entscheidenden Wahl verschweigen. Es ist unsere Aufgabe, dieses Spiel zu durchkreuzen. Der Einzug der Linken auch in den nordrhein-westfälischen Landtag würde dazu führen, daß die Lasten der Finanzkrise gerechter verteilt werden. Dafür lohnt es sich zu streiten.

Quelle: jungeWelt 20.01.2010

19. Januar 2010 Posted by | Afghanistan, Antimilitarismus, Bundeswehr, Deutschland, Die LINKE, News, Politik, Sozialismus, Sozialpolitik, SPD | , , , , , , | Hinterlasse einen Kommentar

Rede von Hugo Chávez in Kopenhagen

Übersetzung: Klaus E. Lehmann, M. Daniljuk

www.amerika21.de

XV. Internationale Konferenz der Organisation der Vereinten Nationen über den Klimawechsel, Kopenhagen, Königreich Dänemark, Mittwoch, 16. Dezember 2009

Herr Präsident, meine Damen und Herren, liebe Freundinnen und Freunde, ich verspreche Ihnen, dass ich nicht länger reden werde als derjenige, der hier heute Nachmittag am längsten gesprochen hat. Erlauben Sie mir einen Kommentar zu Beginn, den ich gerne zum vorangegangenen Tagesordnungspunkt gemacht hätte, der von den Delegationen Brasiliens, Chinas, Indiens und Boliviens wahrgenommen worden ist. Wir waren auch da und haben ums Wort gebeten, aber es war nicht möglich, an die Reihe zu kommen. Die Vertreterin von Bolivien hat gesagt… Grüße bei dieser Gelegenheit natürlich an den Compañero Evo Morales, der auch hier anwesend ist, den Präsidenten der Republik Bolivien… [Beifall bei den Anwesenden]

… sie sagte unter anderem das Folgende, beachten Sie dies, sie sagte: Der vorgelegte Text ist nicht demokratisch, er bezieht nicht alle mit ein. Ich war gerade erst angekommen und wir waren dabei uns hinzusetzen, als wir die Präsidentin der vorherigen Sitzung, die Ministerin, sagen hörten, dass da ein Dokument aufgetaucht sei, aber eins, das keiner kennt. Ich habe nach dem Dokument gefragt, wir haben es noch nicht vorliegen, ich glaube niemand hier weiß etwas von diesem Top-Secret-Dokument. Nun ist das gewiss nicht demokratisch, die bolivianische Genossin hat es gesagt, es bezieht nicht alle mit ein, also, meine Damen und Herren: Ist das vielleicht nicht genau die Realität dieser Welt? Befinden wir uns etwa in einer demokratischen Welt? Bezieht denn etwa das weltweite System alle mit ein? Können wir denn überhaupt irgendetwas Demokratisches vom gegenwärtigen weltweiten System erwarten? Was wir auf diesem Planeten erleben, ist doch eine imperiale Diktatur und so fahren wir von diesem Platz aus zu fort öffentlich zu bekunden: Nieder mit der imperialen Diktatur! Es leben die Völker und die Demokratie und die Gleichheit auf diesem Planeten! [Beifall bei den Anwesenden]

Und das, was wir hier sehen, spiegelt genau dies wieder: den Ausschluss. Es gibt eine Gruppe von Ländern, die sich für überlegen halten, gegenüber uns, die wir aus dem Süden sind, uns, die wir aus der Dritten Welt sind, die wir unterentwickelt sind, oder wie unser großer Freund Eduardo Galeano sagt: Wir sind die abgewickelten, die überfahrenen Länder, als ob uns ein Zug der Geschichte überfahren hätte. Wir sind also nicht gerade erstaunt, nicht verwundert darüber, dass es keine Demokratie gibt auf der Welt und so sehen wir uns einmal mehr einer offensichtlichen weltweiten imperialen Diktatur gegenüber. Später sind zwei junge Leute hier heraufgekommen, glücklicherweise haben sich die Ordnungsbeamten zurück gehalten, haben nur ein bisschen geschubst und die beiden haben sich gefügt, oder? Dort draußen sind eine Menge Leute, wissen Sie? Klar, die passen nicht alle hier in den Saal, so viele Leute. Ich habe in der Presse gelesen, dass es ein paar Verhaftungen gegeben hat, ein paar heftige Proteste, dort in den Straßen von Kopenhagen und ich möchte all diese Menschen da draußen grüßen, zumeist junge Leute. [Beifall bei den Anwesenden]

Klar, es sind die jungen Leute, die sich Sorgen machen, ich glaube, sie machen sich zu Recht viel mehr Sorgen um die Zukunft der Welt als wir; wir hier – wenigstens die Meisten von uns, die hier sind – wir haben die Sonne ja schon im Rücken, während sie die Sonne noch von vorne sehen und sehr besorgt sind. Man könnte sagen, Herr Präsident, dass ein Gespenst umgeht in Kopenhagen, um es mit Karl Marx auszudrücken, dem großen Karl Marx, ein Gespenst geht durch die Straßen von Kopenhagen und ich glaube, dass dieses Gespenst im Stillen auch durch diesen Saal geht, es läuft hier herum, mitten unter uns, es schleicht durch die Gänge, schlüpft unten durch, steigt wieder hoch, dieses Gespenst ist ein schreckliches Gespenst, das fast niemand beim Namen nennen will: Der Kapitalismus ist dieses Gespenst, das fast niemand beim Namen will. [Beifall bei den Anwesenden]

Es ist der Kapitalismus und dort lärmen die Völker, dort draußen kann man sie hören. Ich habe einige von den Parolen gelesen, die auf den Straßen zu sehen sind, und ich glaube das sind die Parolen von diesen jungen Leuten, ein paar davon habe ich gehört, als vorhin der Junge und das Mädchen da waren und zwei davon habe ich mir gemerkt. Unter anderem hört man zwei besonders mächtige Parolen. Die eine: Ändert nicht das Klima, ändert das System. [Beifall bei den Anwesenden]

Und die nehme ich für uns in Anspruch: Lasst uns nicht das Klima ändern! Lasst uns das System ändern! Und als Schlussfolgerung daraus fangen wir an, den Planeten zu retten. Der Kapitalismus, das Modell der zerstörerischen Entwicklung, ist dabei das Leben zunichte zu machen, er droht die Gattung Mensch endgültig zu vernichten.

Und die andere Parole regt zum Nachdenken an. Sehr passend zur Bankenkrise, die um die Welt gegangen ist und diese noch immer heimsucht, und zu der Art und Weise, in der die reichen Länder des Nordens den Bankiers und den großen Banken geholfen haben, allein was dabei die Vereinigten Staaten getan haben – man hat die Zahlen aus den Augen verloren, das ist einfach astronomisch – um die Banken zu retten. Dazu heißt es auf den Straßen folgendermaßen: Wenn das Klima eine Bank wäre, dann hätten sie es schon gerettet. [Beifall bei den Anwesenden]

Und ich glaube, das ist wahr. Wenn das Klima eine von den größten kapitalistischen Banken wäre, dann hätten es die reichen Regierungen schon gerettet. Ich glaube, Obama ist noch nicht da. Er hat den Friedensnobelpreis fast am selben Tag bekommen als er weitere dreißigtausend Soldaten losgeschickt hat, um in Afghanistan unschuldige Menschen zu töten, und jetzt kommt er her, um sich hier mit dem Friedensnobelpreis zu präsentieren, der Präsident der Vereinigten Staaten. Aber die Vereinigten Staaten haben ja das Maschinchen, um Geldscheine herzustellen, um Dollars zu drucken und sie haben so die Banken und das kapitalistische System gerettet, oder glauben zumindest sie hätten es getan. Na gut, das war das – ein Kommentar am Rande, was ich dort hatte anmerken wollen. Wir waren dabei die Hand zu heben, um Brasilien, Indien, Bolivien und China in ihrer interessanten Position zu unterstützen, die von Venezuela und von den Ländern der Bolivarischen Allianz (ALBA) mit ganzem Nachdruck geteilt wird; aber gut, man hat uns nicht das Wort erteilt, rechnen Sie mir also bitte diese Minuten nicht an, Herr Präsident. [Beifall bei den Anwesenden]

Stellen Sie sich vor, da hatte ich neulich das Vergnügen, diesen französischen Schriftsteller, Hervé Kempf, kennen zu lernen. Ich empfehle Ihnen dieses Buch, ich empfehle es wirklich, es ist auf Spanisch erhältlich und es gibt Hervé auch auf Französisch, und auf Englisch ganz sicher auch: Cómo los ricos destruyen el planeta. Hervé Kempf: Wie die Reichen den Planeten zerstören. Deswegen hat schon Christus gesagt: Eher geht ein Kamel durch ein Nadelöhr als das ein Reicher in den Himmel kommt. So sprach Christus, unser Herr. [Beifall bei den Anwesenden]

Die Reichen sind dabei, den Planeten zu zerstören. Ob sie wohl vorhaben sich auf einen anderen zu begeben, wenn sie diesen hier zerstört haben? Ob sie wohl Pläne haben auf einen anderen Planeten abzuhauen? Bis jetzt ist jedenfalls noch keiner am Horizont der Galaxie zu sehen. Das Buch ist mir gerade erst in die Hände gekommen, Ignacio Ramonet, der auch hier in diesem Saal ist, hat es mir geschenkt; und wenn man ans Ende des Prologs oder des Vorwortes kommt, dann stößt man auf diesen sehr wichtigen Satz, in dem Kempf folgendes sagt, ich zitiere: “Wir werden den materiellen Konsum auf globaler Ebene nicht reduzieren können, wenn wir nicht dafür sorgen, dass die Mächtigen mehrere Stufen herunter kommen und wenn wir die Ungleichheit nicht bekämpfen. Es ist notwendig, dem im Augenblick der Bewusstwerdung so nützlichen ökologischen Prinzip des globalen Denkens und des lokalen Handelns, das Prinzip hinzuzufügen, das die Situation erfordert: Weniger konsumieren und besser verteilen.” Ich glaube das ist ein guter Rat, den uns dieser französische Schriftsteller Hervé Kempf da gibt. [Beifall bei den Anwesenden]

Nun gut, Herr Präsident, der Klimawechsel ist ohne Zweifel das verheerendste Umweltproblem des gegenwärtigen Jahrhunderts: Überschwemmungen, Trockenheiten, schwere Unwetter, Hurrikans, Tauwetter, der Anstieg des durchschnittliches Meeresspiegels, die Übersäuerung der Ozeane und Hitzewellen, alles das verschärft die schweren Schläge der globalen Krisen, die uns heimsuchen.

Die gegenwärtige menschliche Aktivität überschreitet die Schwellen der Nachhaltigkeit und bringt das Leben auf dem Planeten in Gefahr, aber auch in dieser Hinsicht sind wir zutiefst ungleich. Ich möchte daran erinnern: die 500 Millionen der reichsten Leute, 500 Millionen, das sind sieben Prozent, sieben Prozent der Weltbevölkerung, diese sieben Prozent, diese fünfhundert Millionen der reichsten Leute sind verantwortlich für fünfzig Prozent der Schadstoffemissionen, während die fünfzig Prozent Ärmsten nur für fünf Prozent der Schadstoffemissionen verantwortlich sind. Deshalb macht es mich stutzig und ist es ein wenig seltsam, hier die Vereinigten Staaten und China auf eine Stufe zu stellen. Die Vereinigten Staaten kommen gerade mal auf 300 Millionen Einwohner, während China fast fünfmal soviel an Bevölkerung hat wie die USA.

Die USA verbrauchen mehr als 20 Millionen Barrel Öl am Tag, während China auf kaum 5,6 Millionen Barrel täglich kommt und da kann man doch von den Vereinigten Staaten und China nicht dasselbe verlangen. Es gibt hier einige Themen, die zu diskutieren sind und hoffentlich können wir Staats- und Regierungschefs uns hier zusammensetzen und wirklich und wahrhaftig über diese Dinge diskutieren. Darüber hinaus, Herr Präsident, sind 60 Prozent der Ökosysteme des Planeten geschädigt, 20 Prozent der Erdkruste ist geschwächt; wir sind zu gleichgültigen Zeugen der Entwaldung, der Umwandlung von Böden, der Wüstenbildung, der Störungen der Süßwassersysteme, des Raubbaus an den Meeresressourcen, sowie der Vergiftung und des Verlustes der biologischen Diversität geworden.

Die verschärfte Nutzung des Bodens überschreitet seine Regenerationssfähigkeit um 30 Prozent. Der Planet ist dabei zu verlieren, was die Fachleute die Fähigkeit zur Selbstregulierung nennen, jeden Tag werden mehr Abfallstoffe freigesetzt als verarbeitet werden können. Das Überleben unserer biologischen Art quält das Bewusstsein der Menschheit. Trotz aller Dringlichkeit sind zwei Jahre der Verhandlungen vergangen, um eine zweite Verpflichtungsperiode für das Kyoto-Protokoll zu beschließen und wir wohnen nun diesem Treffen bei, ohne dass es bisher zu einer wirklichen und bedeutsamen Vereinbarung gekommen wäre.

Und was im Übrigen nun diesen Text angeht, der da aus dem Nichts kommt, wie es einige bezeichnet haben, sagt der chinesische Vertreter, sagt Venezuela und sagen wir als ALBA-Länder, die Länder der Bolivarischen Allianz, dass wir, wie bereits zum Ausdruck gebracht, keinen anderen Text akzeptieren, der nicht aus den Arbeitsgruppen des Kyoto-Protokolls und des gleichnamigen Abkommens stammt, aus den legitimen Texten, die in all den letzten Jahren mit so großer Intensität diskutiert worden sind. [Beifall bei den Anwesenden]

Und in den letzten Stunden haben Sie, glaube ich, nicht geschlafen, außer dass Sie nicht zu Mittag gegessen haben, haben Sie auch nicht geschlafen. Es erscheint mir nicht logisch, dass jetzt ein Dokument aus dem Nichts auftaucht, wie es heißt. Das wissenschaftlich gestützte Ziel, den Ausstoß schädlicher Gase zu reduzieren und auf jeden Fall eine langfristige Kooperationsvereinbarung zu erreichen, heute, zu diesem Zeitpunkt, scheint gescheitert zu sein, vorerst (1).

Was ist der Grund dafür? Da haben wir keinen Zweifel. Der Grund ist die unverantwortliche Haltung und der Mangel an politischem Willen auf Seiten der mächtigsten Nationen dieses Planeten. Niemand sollte sich beleidigt fühlen, ich verweise auf der großen José Gervasio Artigas, wenn ich sage: „Mit der Wahrheit beleidige ich weder noch fürchte ich sie.“ Aber tatsächlich ist es eine unverantwortliche Haltung, des Ausschlusses, auf eine elitäre Weise, gegenüber einem Problem, das eines von allen Menschen ist und dass wir nur gemeinsam lösen können.

Politischer Konservatismus und der Egoismus der großen Konsumenten, aus den reichsten Ländern, bedeuten ein hohes Maß an Teilnahmslosigkeit und Mangel an Solidarität mit den Ärmsten, mit den Hungernden, mit den Hauptbetroffenen von Krankheiten, von Naturkatastrophen, Herr Präsident. Es ist unerlässlich, einen neuen und gemeinsamen Vertrag zu treffen, zwischen absolut ungleichen Seiten, in Hinsicht auf die Größe ihrer Beiträge und ihrer wirtschaftlichen, finanziellen und technischen Kapazitäten, und dass dieser Vertrag auf der unbeschränkten Anerkennung der in der [Kyoto-] Vereinbarung enthaltenen Prinzipien basiert.

Die entwickelten Länder sollten zu verbindlichen Kompromissen finden, klar und konkret, was eine wesentliche Verringerung ihrer Emissionen betrifft und Verantwortung für finanzielle und technische Hilfen für die ärmsten Länder übernehmen, um den zerstörerischen Gefahren des Klimawandels zu begegnen. In diesem Sinne sollte die einzigartige Stellung der Inselstaaten und der weniger entwickelten Länder allgemein anerkannt werden.

Herr Präsident, der Klimawandel ist nicht das einzige Problem, das heute die Menschheit betrifft. Andere Plagen und Ungerechtigkeiten bedrängen uns: Die Kluft, welche reiche und arme Länder trennt, hat nicht zu wachsen aufgehört, trotz aller Milleniumsziele, trotz des Finanzgipfels in Monterrey, all dieser Gipfel, wie der Präsident von Senegal hier feststellte, als er eine große Wahrheit aussprach: Uneingelöste Versprechen über Versprechen, während die Welt ihren zerstörerischen Weg fortsetzt.

Das Einkommen der reichsten 500 Individuen auf der Welt liegt zusammen über dem Gesamteinkommen der ärmsten 416 Millionen Menschen. Die 2, 8 Milliarden Menschen, die mit weniger als 2 Dollar am Tag in Armut leben, machen 40 Prozent der Weltbevölkerung aus. Sie erhalten nur fünf Prozent der der weltweiten Einkommen. Heute sterben im Jahr 9,2 Millionen Kinder, bevor sie das fünfte Lebensjahr erreichen und 99,9 Prozent dieser Toten fallen in den ärmsten Ländern an. Die Kindersterblichkeit liegt im Durchschnitt bei 47 Toten auf eintausend Lebendgeborene, aber nur bei 5 auf Tausend in den reichen Ländern. Die Lebenserwartung liegt weltweit bei 67 Jahren, in den reichen Ländern sind es 79 Jahre, während es in einigen armen Ländern nur 40 Jahre sind. Zusammengerechnet leben 1,1 Milliarden Menschen ohne Zugang zu Trinkwasser, 2,6 Milliarden Menschen ohne Sanitärservice, mehr als 800 Millionen Analphabeten und 1,02 Milliarden Personen hungern. Das ist das Szenario der Welt.

Aber jetzt zu den Gründen? Was ist der Grund? Sprechen wir von den Gründen, weichen wir der Tiefe dieses Problems nicht aus. Der Grund ist ohne Zweifel – ich kehre zu diesem katastrophalen Thema zurück – das notwendigerweise zerstörerische System des Kapitals und seines fleischgewordenen Modells: Der Kapitalismus.

Ich habe hier ein Zitat, das ich Ihnen kurz vorlesen möchte, von diesem großen Befreiungstheologen, Leonardo Boff, wie wir wissen ein Brasilianer, aus unserem Amerika. Leonardo Boff sagt folgendes zum Thema: „Was ist der Grund? Ah, der Grund ist, Glück zu suchen durch die materielle Akkumulation und Fortschritt ohne Ende. Dafür werden Wissenschaft und Technik benutzt, um mit ihrer Hilfe unbegrenzt alle Vorkommen der Erde auszubeuten.“ Und er zitiert dafür Charles Darwin und seine „natürliche Auslese“, das Überleben der Stärksten. Aber wir wissen, dass die Stärksten in der Asche der Schwächsten überleben.

Jean-Jacques Rousseau, immer wieder sei daran erinnert, sagte dieses: Zwischen dem Stärksten und dem Schwachen wird die Freiheit zerdrückt. Deshalb spricht das Imperium von Freiheit, es ist die Freiheit zu unterdrücken, einzumarschieren, umzubringen, zu vernichten, auszubeuten. Darin besteht seine Freiheit und Rousseau prägte den sparsamen Satz: Nur das Gesetz befreit.

Es gibt einige Länder, die dabei sind, Spielchen zu spielen, damit hier kein Dokument zustande kommt, weil sie genau kein Gesetz wollen. Sie wollen keine Vorschrift, weil die Inexistenz dieser Norm es ihnen erlaubt, ihre ausbeuterische Freiheit auszuspielen, ihre überwältigende Freiheit. Strengen wir uns an und machen wir Druck, hier und auf den Straßen, damit hier eine Vereinbarung getroffen wird, damit ein Dokument zustande kommt, das die mächtigsten Länder der Erde in die Pflicht nimmt. [Beifall bei den Anwesenden]

Leonardo Boff stellt gute Fragen, Präsident, Haben Sie Boff kennengelernt? Ich weiß nicht, ob Leonardo kommen konnte. Ich habe ihn vor kurzem in Paraguay kennengelernt. Immer haben wir seine Texte gelesen: Kann eine begrenzte Erde ein unbegrenztes Projekt aushalten? Die Hypothese des Kapitalismus, die unbeschränkte Entwicklung, ist ein zerstörerisches Modell. Akzeptieren wir das! Danach fragt uns Boff: Was könnten wir von Kopenhagen erwarten? Gerade dieses einfache Eingeständnis: So wie es ist, können wir nicht weitermachen, und ein einfacher Vorschlag: Wir werden den Kurs wechseln, lass es uns tun, aber ohne Zynismus, ohne Lüge, ohne doppelte Agenda, ohne Dokumente, die nirgendwohin führen, mit der Wahrheit nach vorne.

Wie lange noch, fragen wir aus Venezuela uns, Herr Präsident, meine Damen und Herren, wie lange noch werden wir diese Ungerechtigkeiten und Ungleichheiten zulassen; wie lange noch werden wir die aktuelle Weltwirtschaftsordnung und die geltenden Marktmechanismen tolerieren; wie lange noch werden wir erlauben, dass große Epidemien HIV-AIDS ganze Bevölkerungen ausrotten; wie lange noch werden wir es hinnehmen, dass die Hungernden sich weder selbst ernähren können, noch ihre Kinder versorgen können; wie lange wollen wir erlauben, dass Millionen Kinder an heilbaren Krankheiten sterben; wie lange wollen wir bewaffnete Konflikte hinnehmen, in denen Millionen unschuldiger Menschen massakriert werden, mit dem Ziel, dass die Mächtigen sich die Ressourcen anderer Völker aneignen.

„Beendet die Aggressionen und Kriege, die darauf abzielen, weiterhin die Welt zu dominieren und uns auszubeuten!“ Das fordern die Völker der Welt von den Imperien. Keine weiteren imperialen Militärstützpunkte, keine Staatsstreiche! Bauen wir eine gerechtere und ausgewogenere Sozial- und Wirtschaftsordnung, löschen wir die Armut aus, senken wir sofort den Spitzenausstoß an Schadstoffen, bremsen wir die Umweltzerstörung und vermeiden wir die große Katastrophe, die der Klimawechsel bedeutet, stellen wir uns hinter das uneigennützige Ziel, gemeinsam freier und solidarischer zu sein.

Herr Präsident, vor fast zwei Jahrhunderten lieferte ein universeller Venezolaner, der Befreier der Völker und Wegbereiter unseres Denkens, eine absichtsvolle Aussage: „Wenn die Natur sich uns entgegenstellt, kämpfen wir und sorgen dafür, dass sie uns gehorcht…“ Das war Simón Bolívar der Befreier. Aus Venezuela, wo uns an einem Tag wie heute, allerdings vor 10 Jahren, die größte Klimakatastrophe in unserer Geschichte ereilte: die Tragödie von Vargas, wie sie genannt wird, in Venezuela dessen Revolution eine größere Gerechtigkeit für seine gesamt Bevölkerung erreichen will.

Dies ist nur möglich über den Weg des Sozialismus. Der Sozialismus, ein anderes Gespenst, von dem Karl Marx sprach, das geht hier auch um, mehr als ein Gegen-Gespenst. Der Sozialismus, das ist die Richtung, um den Planeten zu schützen, daran habe ich nicht den geringsten Zweifel, und der Kapitalismus ist der Weg ins Verderben, zur Zerstörung der Welt. Der Sozialismus aus diesem Venezuela widersetzt sich den Drohungen des nordamerikanischen Imperiums.

Als die Ländern, mit denen wir das ALBA, die Bolivarianische Allianz, bilden, fordern wir, ich sage das mit Respekt, aber aus tiefster Seele, fordern wir – Simón Bolívar, den Befreier umschreibend – im Namen von Vielen auf diesem Planeten die Regierungen und Völker der Welt auf: Wenn der zerstörerische Charakter des Kapitalismus sich uns entgegenstellt, dann kämpfen wir gegen ihn und sorgen dafür, dass er uns gehorcht. Wir warten nicht mit vor der Brust verschränkten Armen den Tod der Menschheit ab.

Die Geschichte ruft uns zum Zusammenschluss und zum Kampf. Wenn sich der Kapitalismus widersetzt, sind wir gezwungen gegen ihn in den Kampf zu ziehen und Wege zum Schutz der Menschheit zu öffnen. Wir sind an der Reihe, wir erheben die Fahnen von Christus, von Muhammad, der Gleichheit, der Liebe, der Gerechtigkeit, des Humanismus – des tatsächlichen und grundlegenden Humanismus. Wenn wir das nicht tun, wird die wundervollste Schöpfung des Planeten – ein Mensch zu sein – verschwinden, sie wird verschwinden.

Dieser Planet ist tausende von Millionen Jahre alt, und dieser Planet lebte tausende von Millionen Jahre ohne uns – die menschliche Spezies, das heißt, zum Überleben wir werden ihm nicht fehlen. Jetzt sind wir, die wir ohne diesen Planeten nicht leben können, dabei die Mutter Erde [Pachamama] zu zerstören, wie Evo sagte, wie unsere Brüder, die Ureinwohner von Südamerika sagen.

Schließlich, Herrr Präsident, um schon zum Schluss zu kommen, hören wir auf Fidel Castro, wenn er sagt: Eine Gattung ist in Gefahr ausgerottet zu werden: der Mensch. Hören wir auf Rosa Luxemburg, wenn sie sagt: Sozialismus oder Barberei. Hören wir auf Christus, den Erlöser, wenn er sagt: Geseligt seien die Armen, denn sie werden die Könige im Himmelsreich. Herr Präsident, meine Damen und Herren, seien wir in der Lage, dafür zu sorgen, dass diese Erde die Menschheit nicht beerdigt, machen wir diese Erde zu einem Himmel, einem Himmel für das Leben, für den Frieden, einen Frieden in Brüderlichkeit für die gesamt Menschheit, für die Gattung Mensch. Herr Präsident, meine Damen und Herren, vielen Dank und Guten Appetit. [Beifall bei den Anwesenden]


  1. mit dem Ausspruch „por ahora“ (vorerst) wurde Chávez 1992 berühmt, als er die Verantwortung für das Scheitern eines von ihm geführten Militäraufstandes bekannt gab und ergänzte „…., vorerst.“

21. Dezember 2009 Posted by | International, Klimapolitik, Lateinamerika, News, Politik, Revolution, Sozialismus, Umweltpolitik, Venezuela | , , , , | Hinterlasse einen Kommentar

Kapitalismus, Emissionshandel und Kopenhagen

von Adam Booth

29. November 2009

Vom 07. bis 18. Dezember 2009 werden sich Delegierte aus 192 Ländern in Kopenhagen treffen, um ein neues „gerechtes und bindendes Klimaschutzabkommen“ zu verabschieden. Die UN-Klimakonferenz in der dänischen Hauptstadt (COP15) soll das Kyoto-Protokoll ab 2012 erweitern.

Abkommen zum weltweiten Klimawandel, wie das Kyoto-Protokoll, basieren auf der Annahme, dass der Markt die Probleme des Klimawandels lösen kann, wenn die richtigen Verordnungen und Anreize vorhanden sind. Grundlage des Kyoto-Vertrags war der so genannte „Clean Development Mechanism“ (CDM), der es Ländern ermöglicht Kohlendioxidemissionen als Ware zu betrachten, mit der man wie mit jeder anderen Ware Handel treiben kann. Den Ländern werden CO2-Höchstgrenzen vorgegeben, die sie einzuhalten haben, jedoch kann jedes Land, das diese Grenzen überschreitet, Emissionszertifikate von einem Land kaufen, das unter seinen Grenzwerten bleibt.

Dieses „Cap-and-Trade (Beschränken und Handeln)-Prinzip existiert bereits seit einiger Zeit auf verschiedene Art und Weise und hat sich bestenfalls als ineffektiv, schlimmstenfalls als extrem schädlich erwiesen. Das Modell Reducing Emissions from Deforestation and Degradation ( REDD) macht es reichen Industriestaaten möglich ihre Grenzwerte zu überschreiten, indem sie ärmere, waldreiche Länder dafür bezahlen, dass diese weniger Wälder abholzen. In vielen Fällen ist daraus eine neue Form von an Bedingungen geknüpfter bilateraler Hilfe geworden, welche The Economist als „Washington-Baum-Consensus“ (1) bezeichnet, mit einer Reihe bewährter baumbezogener politisch-ökonomischer Rezepte.

Cap-and-Trade

Die EU hat ebenfalls ein Cap-and-Trade-System aufgebaut, das besser bekannt ist als Emissionszertifikatehandel. Dieses wurde geschaffen, um CO2-Emissionen mit einem Preis zu belegen, um die Industrie zu ermutigen in CO2-arme Technologien zu investieren. Auf Druck der Großunternehmen befreite die EU jedoch Firmen, die große Mengen CO2 ausstoßen, wie die Luftfahrt, vom Emissionszertifikatehandel und schuf einen großen Überschuss an CO2-Zertifikaten, der zu einem Preisverfall bei den Zertifikaten und zu einer Fortsetzung der bisherigen Praxis führte. Andrew Simms, Direktor der New Economics Foundation beschrieb diese  Situation perfekt: “ Der Emissionszertifikatehandel gab ursprünglich mehr Zertifikate aus als Schadstoffemissionen vorhanden waren und jetzt während der Rezession werden Emissionen gehandelt, die gar nicht existieren – so genannte heiße Luft.“

Die USA sind das jüngste Land, das versucht das CO2-Handelssystem einzuführen, aber dieses Mal ist es dem Großkapital gelungen, frühzeitig einen Fuß in die Tür zu bekommen, in dem es den Senatoren „Spenden“ zukommen lässt, um dafür als Gegenleistung ein verwässertes Cap-and-Trade-Gesetz zu erhalten. Als Ergebnis enthält der jüngste Gesetzesvorschlag, der durch den Senat geht, Subventionen für die Nuklearindustrie, zusätzliche Unterstützung für die US-amerikanische Öl- und Gasindustrie (unter dem Deckmantel der „Energiesicherheit“) und eine mögliche „Grenzsteuer“ auf Waren aus Ländern mit laschen Umweltstandards – hauptsächlich eine CO2-Zollgebühr.

Das International Institute for Environment and Development, eine britische Ideenfabrik, behauptet, der weltweite CO2-Markt könnte einen Wert von 118 Milliarden Dollar haben, während andere schätzen, der CO2-Handel sei mehrere Billiarden Dollar wert. Wie die meisten anderen Transaktionen im Finanzsektor handelt es sich beim CO2-Handel um – wie Marx es nannte – „fiktives Kapital“ – Kapital ohne reellen Wert, das nur dazu dient Vermögensblasen zu schaffen, die den Bankern und Devisenhändlern zeitweilig helfen, ordentliche Profite zu machen. New Scientist (2) berichtet dazu: „Die Möglichkeit mit dem Kauf und Verkauf von Emissionszertifikaten Profite zu machen, hat eine ganze Reihe von Spekulanten, Hedgefonds, Zertifikathändler und komplexe Finanzinstrumente ermutigt in Aktion zu treten.(…) Wenn wir schon den Finanzexperten bei einfachen Dingen wie dem Immobilienmarkt nicht trauen, wie sollen wir uns dann vorstellen, dass sie bei der Kontrolle der weltweiten Umweltverschmutzung Erfolg haben?“  In einem Artikel mit der Überschrift „Eine gefährliche Zwangsvorstellung“ kommt die britische Umweltorganisation „Friends of the Earth“ zu der Feststellung: „Die Komplexität des CO2-Marktes und das Engagement von Finanzspekulanten und komplizierten Finanzprodukten, beinhaltet das Risiko, dass der CO2-Handel sich zu einer spekulativen Warenblase entwickelt, welche zu einem weltweiten finanziellen Fiasko werden könnte, das in seinem Ausmaß und seinem Wesen der letzten Finanzkrise ähnelt.

Obwohl New Scientist als auch die „Friends of the Earth“ die Mängel beim CO2-Handel korrekt beschreiben, so sind sie keine revolutionären Organisationen und beide verweisen auf „Regulierungen“ und „Interventionen“ seitens der Regierung als Lösung für den Klimawandel. Die britische Regierung hat jedoch bisher keinen Willen zur Regulierung und Intervention gezeigt und wird dies auch nicht tun, solange sie das Großkapital unterstützt. Die Regierung verstaatlichte die Banken, um die Banker zu schützen und nicht als direkte Investition in umweltfreundliche Technologien, so wurden z.B. 20% des BIP Britanniens ausgegeben, um den Finanzsektor zu stützen, im Vergleich dazu nur 0,0083% als ökologische Anreize. Anstatt wichtige Industrien, wie das Kartell der Energiekonzerne, zu regulieren, die Riesenprofite durch den Verkauf von Strom und Gas zu überhöhten Preisen erwirtschaften, hat die Regierung beschlossen diese Märkte weiter zu liberalisieren.

CO2-Steuern

Friends of the Earth und andere Umweltorganisationen propagieren eine CO2-Steuer, um die Emissionen zu reduzieren. Wir Sozialisten lehnen einen solchen Vorschlag ab, da es sich bei der CO2-Steuer um eine regressive Steuer handeln würde, welche die Energiepreise für die Arbeitslosen, die Rentner und die sozial Schwachen, die jetzt schon bis zu 19% ihres Einkommens für Energiekosten ausgeben, in die Höhe treiben würde.

Es ist klar, dass der Klimawandel  eine große Gefahr für den Planeten und die Menschheit bedeutet. Laut dem letzten Bericht des Zwischenstaatlichen Ausschusses für Klimaveränderungen (IPCC) „ist es zu mehr als 90% wahrscheinlich, dass der Mensch für den gegenwärtigen Klimawandel verantwortlich ist“. Wir Sozialisten sollten jedoch klarstellen, dass wie alle Ungleichheiten, die vom Kapitalismus geschaffen wurden, auch der Klimawandel durch eine reiche Minderheit verursacht wurde und die arme Mehrheit der Weltbevölkerung schädigt. Die Entwicklungsländer werden weltweit durch den Klimawandel durch Überschwemmungen, Dürre und Krankheiten stärker in Mitleidenschaft gezogen, während in den reicheren Ländern die schwächsten Gruppen der Bevölkerung, wie die Arbeitslosen, Rentner und die sozial Schwachen, die nicht in Lage sind, in kälteren Perioden, die Folgen des Klimawandels sind, z. B. durch das Versiegen des Golfstroms,  ihre Häuser heizen können.

Viele Politiker und Umweltschützer in der ganzen Welt setzen große Hoffnungen in die Kopenhagener Gespräche und sehen einen Weltklimavertrag als einzige Lösung für den Klimawandel. Die meisten Menschen haben jedoch die Hoffnung aufgegeben, dass es in Kopenhagen zu einem Vertrag kommt, und prophezeien, dass die Gespräche wegen der Widersprüche zwischen den Forderungen der reichen Länder, wie der USA, und denen der Entwicklungsländern, wie China und Indien, scheitern werden. Sie haben aber erkannt, dass das Problem mit den Klimaverträgen wesentlich tiefer liegt und seine Ursachen in den inneren Widersprüchen des Kapitalismus hat.

Ein Profitsystem

Beim Kapitalismus handelt es sich um ein System, bei dem es einzig und allein um kurzfristige Profite geht und Werten wie der Umwelt und dem Planeten keine Bedeutung zugemessen wird. Der Klimawandel ist ein langfristiges Problem, das nicht durch marktwirtschaftliche Lösungen, wie den CO2-Handel gelöst werden kann oder durch Regierungen, wie New Labour, die an den Kapitalismus glauben. Wenn man den Kapitalismus akzeptiert, muss die Logik des Kapitalismus akzeptieren. Diese Logik besagt, dass man den Kapitalismus nicht regulieren und versuchen kann eine grünere, sozialere Version des System zu schaffen. Jeder Versuch, den Schaden, den der Kapitalismus auf diesem Planeten verursacht, einzudämmen, wird auf unvermeidliche Weise den Profit schmälern und deshalb für das kapitalistische System nicht akzeptabel sein. Wenn man aus Kohlendioxid eine Ware macht, wird die Umwelt der gleichen Anarchie des Marktes unterworfen, welche die jüngste tiefe Rezession und alle vorherigen verursacht hat.

Der Klimawandel kann nur im Sozialismus gelöst werden, in einem System, das  entsprechend den Bedürfnissen der Menschen und des Planeten demokratisch geplant wird und die Verstaatlichung der wichtigsten Wirtschafts- und Industriesektoren, wie die Banken, die Energiewirtschaft und das Transportwesen, unter Arbeiterkontrolle beinhaltet. Der Klimawandel ist ein internationales Problem und der internationale Sozialismus die einzige Lösung.

(1) Der Begriff Washington Consensus bezeichnet eine Anzahl von wirtschaftspolitischen Maßnahmen, die Regierungen zur Förderung von wirtschaftlicher Stabilität und Wachstum durchführen sollten. Das Konzept wird von IWF und Weltbank propagiert und gefördert.

(2) New Scientist ist eine wöchentlich erscheinende britische poulärwissenschaftliche Fachzeitschrift

Quelle: www.derfunke.de Übersetzung: Tony Kofoet

20. Dezember 2009 Posted by | International, Klimapolitik, News, Politik, Sozialismus, Umweltpolitik | , , , , | Hinterlasse einen Kommentar

„Floppenhagen“: Das Scheitern des Klimagipfels – Wie geht es weiter?

Fredrik Ohsten

18.12.09

Das  dramatische Scheitern der Gespräche beim Klimagipfel in Kopenhagen ist ein gutes Beispiel um eins hervorzuheben: Die kapitalistischen Regierungen dieser Welt können solche brennenden Fragen, wie die Zerstörung der Umwelt, die durch die Anarchie des Marktes verursacht wurde, nicht lösen. Der Hunger nach Profit steht in einem direkten Widerspruch zu den Interessen der ArbeiterInnenklasse weltweit. Die soziale Revolution im globalen Maßstab ist die einzige Antwort auf das Problem.

Der UN-Klimagipfel in Kopenhagen endete in einem totalen Chaos. Die dänische Präsidentschaft bei der Konferenz hat einfach aufgegeben und das Handtuch geworfen. Das hat jedoch nicht überrascht und kein anderes Ergebnis war zu erwarten. Der Kapitalismus ist von seinem Wesen her nicht in der Lage, mit einem solchen weltweiten Problem fertigzuwerden, besonders wenn wir die enormen entgegengesetzten Interessen der Kapitalisten im globalen Maßstab und die riesige Last der gegenwärtigen Wirtschaftskrise in Betracht ziehen. Delegierte des Gipfels beschrieben die Lage als „verwirrend“ und „verzweifelt“.

Die armen Länder forderten, dass die entwickelten kapitalistischen Länder fünf Prozent ihres BIP für Klimaschutzmaßnahmen ausgeben. Das Problem aber ist, dass diese Länder riesige Geldsummen ausgegeben haben, um ihre zusammenbrechenden Banksysteme zu retten und deshalb schwer verschuldet sind. Als Folge kämpfen die Regierungen überall darum, die öffentlichen Ausgaben zu kürzen. Die weltweite Krise des Kapitalismus erlaubt es ihnen nicht einmal die Ausgaben auf dem Niveau der letzten Jahre zu belassen. Wie sollen sie nun in der Lage sein, finanzielle Mittel für klimafreundliche Maßnahmen abzuzweigen?

Wir wollen auf diese Frage eins klarstellen: Die Ressourcen, der Wohlstand, die Arbeitskräfte, die Wissenschaft und die Technologie existieren nicht, um die vom Kapitalismus verursachten Umweltschäden  auf diesem Planeten zu bekämpfen. Das Problem ist, dass diese Ressourcen zum Vorteil der Reichen genutzt werden, die nicht bereit sind, Profitkürzungen hinzunehmen. Die Wahrheit ist, wie Hugo Chávez es in seiner Rede ausdrückte, dass “ der Kapitalismus, das Modell der zerstörerischen Entwicklung, dabei ist das Leben zunichte zu machen, er droht die Gattung Mensch endgültig zu vernichten. „.

Die kapitalistische Krise

Alle entwickelten kapitalistischen Länder sitzen in der Tinte. Bis jetzt ist es ihnen gelungen einen Zusammenbruch wie während der Wirtschaftskrise von 1929 zu verhindern. Der Preis dafür ist eine hohe Staatsverschuldung. Der deutsche Finanzminister Schäuble erklärte am Mittwoch, laut der Financial Times,  dass die Kontrolle des steigenden Haushaltsdefizits nicht „mit den konventionellen Instrumenten zu erreichen ist“. Mit anderen Worten bedeutet das, dass sie einen brutalen Klassenkrieg gegen die ArbeiterInnenklasse führen werden, um den deutschen Kapitalismus aus der Krise zu befreien. Die Kapitalisten in der BRD und anderen Ländern werden alles daran geben, Kürzungen bei den Renten, der Bildung, im Gesundheitswesen und in anderen Bereichen, die Bestandteil einer Zivilgesellschaft sein sollten, durchzusetzen

Wie kann man dann noch erwarten, dass sie sich um die Klimaveränderung und Katastrophen in ärmeren Ländern Sorgen machen?  Diese Probleme werden in Wahrheit niemals im Kapitalismus gelöst.

Der bolivianische Präsident Evo Morales gab dem Kapitalismus eindeutig die Schuld für die Klimaprobleme: „Die wirkliche Ursache für den Klimawandel ist das kapitalistische System. Wenn wir die Erde retten wollen, müssen wir dieses Wirtschaftssystem beenden. Der Kapitalismus will den Klimawandel mit Karbonmärkten bekämpfen. Wir prangern diese Märkte und die Länder, welche diese fördern,  an. Es ist an der Zeit, aufzuhören Geld mit der Schande zu verdienen, die sie selbst angerichtet haben.“ Hugo Chávez verurteilte das kapitalistische System in seiner Rede und sagte, es gäbe nur eine Alternative, den Sozialismus. Er fügte hinzu: „Wäre das Klima eine Bank, dann wäre es schon gerettet worden.“

Die enorme Anhäufung von Widersprüchen führte schließlich dazu, dass die dänische Präsidentschaft einfach aufgab und danach erklärte, dass es auf diesem Gipfel zu keinem wirklichen Klimaabkommen komme. Die Vertreter der entwickelten kapitalistischen Länder hatten die Lage vollkommen falsch eingeschätzt. Sie hatten angenommen, sie könnten das übliche Abkommen treffen, ohne dass sich etwas ändert und dieses als großen Schritt nach vorne präsentieren. Aber nicht einmal das ist ihnen gelungen. Das Wall Street Journal kommentierte dies am Freitag:

„Jegliches Abkommen wird erwartet, am besten aber eines,das Emissionsreduzierungen bei den reichen Nationen vorsieht und zusätzliche Milliarden, um den armen Ländern zu helfen, ohne aber ein rechtsgültiges Abkommen zu erzielen. Die politische Übereinkunft würde von vielen als Rückschlag betrachtet, nachdem zwei Jahre lang intensiv verhandelt wurde , um sich auf die Reduzierung der Kohlendioxidemissionen, die in erster Linie für die globale Erwärmung verantwortlich sind, zu einigen.“

Repression

Der Gipfel in Kopenhagen sorgte weltweit auch wegen der Repressionsmaßnahmen der Polizei auf den Straßen für Schlagzeilen. Am 12. Dezember bewegte sich eine Menschenflut durch Kopenhagen. Diese Demonstration mit über 100.000 Teilnehmern war ein Protest gegen die vom Kapitalismus verursachte Zerstörung unseres Planeten. Die Polizei ging bei dieser, wie auch bei anderen Demonstration brutal gegen die Protestierenden vor. Alle, die geglaubt hatten, die skandinavischen Ländern seien nette, friedliche und harmonische Gesellschaften, müssen dies überdenken, nachdem sie miterleben konnten, wie Hunderte Jugendliche eingekreist und wie Tiere zusammengepfercht wurden.

Vom 11. bis zum 13. Dezember machte die Polizei 133 „Präventiv-Festnahmen“, erhob aber anschließend nur gegen vier Demonstranten Anklage, was beweist, dass es sich bei den übrigen Festnahmen um reine Willkürmaßnahmen handelte. Es waren eindeutig Polizeistaatsmethoden mit dem Ziel, die Jugendlichen und die Arbeiterklasse einzuschüchtern, den Kopf zu senken und die Angriffe auf den Lebensstandard und andere kapitalistische Maßnahmen zu akzeptieren. Die Polizei hatte sogar an alle 14 – 15jährigen SchülerInnen in Kopenhagen Postkarten verteilt, um diese vor einer Teilnahme an den Demonstrationen zu warnen.

In seiner Rede beim Gipfel verurteilte Präsident Chávez diese Unterdrückungsmaßnahmen, spendete den DemonstrantInnen Applaus und hob einen Slogan besonders hervor: „Lasst uns nicht das Klima ändern – Lasst uns das System ändern!“. Er betonte, dass die sozialistische Umwandlung der Gesellschaft die einzige Alternative zum Kapitalismus sei. „Unsere Revolution strebt nach Gerechtigkeit für alle Menschen. Dieser Pfad ist der Sozialismus. Der Kapitalismus ist die Straße in Richtung Hölle. Die Geschichte ruft uns zum Kampf.“

Der Konflikt zwischen den USA und China

Die USA haben gefordert, dass China seine Emissionen zu reduziert und „einem umfassenderen Abkommen zustimmt, welches die Transparenz chinesischer Maßnahmen zur Begrenzung von Treibhausgasen beinhaltet“, wie das Wall Street Journal erklärte. Was bedeutet das?  Es handelt sich einfach nur um einen schlecht getarnten protektionistischen Schritt seitens des US-Imperialismus und bedeutet, dass die USA darauf bestehen, dass China aufhören muss, den Weltmarkt mit billigen Waren zu überfluten, welche die amerikanischen Kapitalisten vom Markt drängen. Weiterhin wollen sie, dass China seine Grenzen für Spione öffnet. Die chinesischen Führer haben natürlich kein Interesse, ein solches Abkommen zu unterzeichnen, im Gegenteil, sie bestehen darauf, dass ihre „freiwilligen Emissionsziele“ nicht verhandelbar sind.

Die diplomatische Konfrontation zwischen China und den USA hat nichts mit CO2-Emissionen und dem Klimawechsel zu tun, sondern mit Profiten und dem Schutz von Märkten. Aus diesem Grund kommt auch nicht zu einer echten Übereinkunft. Sie können politische Stellungnahmen in schöne Wörter verpacken, ohne konkrete Versprechen abzugeben – und diese Versprechen werden sowieso gebrochen. So funktioniert die kapitalistische Diplomatie.

Die gegenwärtige Wirtschaftskrise hat tatsächlich die Bedrohung durch den Protektionismus verschlimmert. Überall versuchen Regierungen die Arbeitslosigkeit zu exportieren, indem sie importierte Waren mit Zöllen belegen, um ihre einheimischen Kapitalisten zu subventionieren. Die verschiedenen kapitalistischen Mächte versuchen verzweifelt, die Märkte ihrer Mitbewerber zu erobern, während sie ihre eigenen schützen. Dies widerspiegelt sich auch in den Widersprüchen zwischen Ländern wie China und den USA, aber auch zwischen anderen kapitalistischen Mächten, so z.B. zwischen der EU und den USA.

Ein Plan ist notwendig

Während die USA und die EU 4,1 Billionen US-Dollar ausgeben, um die Banken zu retten, bieten sie Peanuts für ein Programm zum Klimawechsel an. Während die USA 3,6 Milliarden Dollar ausgeben, um arme Menschen in Afghanistan zu töten, sind 12% der US-amerikanischen Bevölkerung von Lebensmittelmarken abhängig, um zu überleben. Das Gesamteinkommen der 500 reichsten Menschen in der Welt ist größer als das der 450 Millionen ärmsten, die von zwei Dollar am Tag leben müssen. Der Kapitalismus bedeutet im 21. Jahrhundert für die große Mehrheit der Weltbevölkerung ein Schrecken ohne Ende. Die weitere Existenz des Kapitalismus ist eine tödliche Bedrohung für Millionen Menschen weltweit.

Auf einer öffentlichen Versammlung mit 3000 Teilnehmern in Kopenhagen, die von verschiedenen Gewerkschaften, politischen Organisationen und Solidaritätsgruppen, einschließlich ‚Hände weg von Venezuela‘, organisiert wurde, betonte Präsident Hugo Chávez zutreffend, dass eine sozialistische Revolution die einzige Lösung für die Probleme der Menschheit sei. Er betonte die Notwendigkeit für eine sozialistische Revolution und wiederholte seinen Vorschlag für eine Fünfte Internationale. Wenn Chávez seine Worte in Venezuela in die Tat umsetzen würde und mit dem Prozess der sozialistischen Umwandlung, d. h. mit der Enteignung des Eigentums der einheimischen Oligarchie und der Imperialisten, beginnen würde, bedeutete das den Beginn der Revolution in ganz Lateinamerika, welche wiederum einen großen Einfluss auf den Klassenkampf weltweit hätte.

Es ist Fakt, dass es niemals auf der Grundlage kapitalistischer Produktionsverhältnisse zu einer Lösung von Klimaproblemen, Hunger, Krankheiten, Analphabetismus, Arbeitslosigkeit, Kriegen und Hunger kommen wird. Die weitere Existenz des Kapitalismus wird diese Probleme in den nächsten Jahren noch verschlimmern. Man kann den Kapitalismus nicht von innen reformieren, er muss durch die bewussten Aktionen der ArbeiterInnenklasse gestürzt werden.  Nur die Arbeiterklasse, die Klasse welche die Zukunft repräsentiert, kann echte Veränderungen und eine sozialistische Umwandlung der Gesellschaft umsetzen, wenn sie für einen revolutionären Marxismus in der Arbeiterbewegung weltweit kämpft.

Das Scheitern der Kopenhagener Gipfels ist ein weiterer Beweis für die ernsthafte Krise, in der wir uns befinden. Aber dieses Scheitern wird einen Zweck erfüllen: Es wird die Augen vieler ArbeiterInnen und Jugendlichen öffnen, welche die Illusion hatten, das solche Gipfel die gravierenden Probleme, mit den wir konfrontiert werden, lösen können. Das Scheitern des Gipfels stärkt z. B. uns MarxistInnen, die wir behaupten, dass zur Rettung des Planeten, das bestehende Wirtschaftssystem – der Kapitalismus – als Ursache des Problems abgeschafft werden muss.

Quelle: www.marxist.com Übersetzung: Tony Kofoet

20. Dezember 2009 Posted by | Bolivien, Klimapolitik, News, Politik, Sozialismus, Umweltpolitik, Venezuela | , , , , , , , | 1 Kommentar

Bolivien: Ein grandioser Sieg für Evo und ein Votum für den Sozialismus

von Jorge Martin

16.12.2009

Evo Morales und die MAS (Movimiento al Socialismo) errangen in Bolivien bei den Wahlen vom 06. Dezember einen überragenden Sieg. Die Menschenmenge in der Hauptstadt La Paz begrüßte Morales‘ Siegesrede mit den Rufen „Sozialismus, Sozialismus“.

Die offiziellen Ergebnisse zeigen das Ausmaß des Sieges: Mehr als 64% der WählerInnen (2,9 Millionen) stimmten bei einer Wahlbeteiligung von 94% für Evo Morales. Die MAS gewann in sechs Departamentos (La Paz, 80%; Torero, 79%; Potosí, 78%; Cochabamba, 68%; Chuquisaca, 56%; und Tarija, 51%). In der ArbeiterInnen-Hochburg El Alto, dem Zentrum der revolutionären Bewegungen von 2003 und 2005, stimmten 87% für Evo Morales. Es ist wichtig herauszustellen, dass Tarija ein Teil der Media-Luna-Provinzen im Osten des Landes ist, wo es der reaktionären Opposition bei früheren Wahlen immer gelungen war, die Massen zu mobilisieren. Der rechten Opposition, die vom vielgehassten früheren Bürgermeister von Cochabamba, Manfred Reyes,  angeführt wird, gelang es die Departamentos Santa Cruz (52% gegenüber 40% für die MAS), Pando (51% gegenüber 44% für die MAS) und Beni (53% gegenüber 37% für die MAS) zu gewinnen.

Selbst im reaktionären Santa Cruz schaffte es die MAS 9 von 15 Provinzen zu holen. Die Opposition gewann in der Hauptstadt ihre Stimmen im Stadtzentrum, während die MAS massenhaft WählerInnen in den ArbeiterInnenvierteln außerhalb des Zentrums für sich gewinnen konnte. Der offizielle Wahlkampf der MAS fand relativ wenig Gegenliebe bei den AktivistInnen der MAS, weil er darauf abzielte, „die Mittelschichten anzusprechen“, was zur Verwässerung der politischen Ziele und sogar zu Bündnissen mit Mitgliedern der reaktionären UJC führte, die faschistische Banden organisiert hatte, welche am Staatsstreich gegen Morales im September 2008 beteiligt waren. Diese Politik hat sich als falsch erwiesen, da die Stimmenanteile in den ArbeiterInnenvierteln der Hauptstadt solide blieben, während sie in der Innenstadt zurückgingen.

Morales hat bei diesen Wahlen annähernd doppelt so viele Stimmen bekommen wie 2005 als er mit 53% und 1,5 Millionen Stimmen erstmals zum Präsidenten gewählt wurde. Damals waren 3,5 Millionen BolivierInnen wahlberechtigt, diese Zahl lag bei der aktuellen Wahl bei 5,1 Millionen. Hunderttausende BürgerInnen, vor allem Arme aus den Städten und auf dem Lande, die es in der Vergangenheit nicht einmal für nötig gehalten hatten sich zu registrieren, sind jetzt in den politischen Kampf mit einbezogen worden. Das ist eine Folge der vielen Kämpfe, die Bolivien seit Beginn des Jahrtausends erschüttert haben und zur Wahl Evo Morales‘ 2005 führten.

Die Hoffnungen und Bedürfnisse der Masse der ArbeiterInnen und der Bauern Boliviens fanden ihren Ausdruck in der massiven Stimmabgabe für Morales, dessen Wahlkampf auf der Vorstellung basierte, eine Zweidrittelmehrheit im Parlament zu erreichen, um in Richtung Sozialismus voranzuschreiten. Der frühere Vorsitzende der MAS-Gruppe in der verfassungsgebenden Versammlung und linke Bauernführer Ramon Loayza spaltete sich von der MAS ab und kritisierte die Regierung von links. Er hatte gehofft, die Stimmen von denen zu bekommen, die der Meinung sind, dass Evo Morales sein Programm der sozialen Umgestaltung nicht schnell genug umsetzt. Da er aber ein Bündnis mit kleinen Geschäftsleuten in Santa Cruz einging, war nicht länger klar, ob er Morales von links oder rechts kritisierte. Er erhielt nur 0,33% der Stimmen. Die bolivischen Massen betrachten die MAS eindeutig als politischen Ausdruck ihres Kampfes für eine Veränderung.

Morales drückte es in seiner Rede an seine Anhänger am Wahlabend sehr klar aus, als er sagte, der Sieg bedeute: „dass wir jetzt eine enorme Verantwortung für Bolivien und die Menschheit haben, um den Prozess der Veränderung in Richtung Sozialismus zu vertiefen und zu beschleunigen.“ Einer seiner ersten Schritte war die Enteignung des Grundbesitzes von Branko Marinkovic, einem reichen Großgrundbesitzer in Santa Cruz, der hinter dem Putschversuch im letzten Jahr stand. Jedoch gibt es auch die anderen Kräfte in der Regierung und der MAS, die meinen, es sei an der Zeit für eine Versöhnung mit der Opposition!

Evo Morales wird unter einem starken Druck von Seiten der organisierten ArbeiterInnen und Bauern stehen, die diesen Wahlsieg garantiert haben, um Lösungen in allen wichtigen Fragen, wie der Landreform, der Verstaatlichung der Bodenschätze, dem Gesundheits- und Bildungswesen zu finden. Das kann nur durch die Verstaatlichung der wichtigsten einheimischen und ausländischen Großkonzerne, der Banken und der Enteignung des Großgrundbesitzes gehen, so dass die Wirtschaft der Kontrolle der ArbeiterInnen unterliegt und zum Wohle der Mehrheit der BolivierInnen geplant wird und nicht mehr von den 50 Familien, die das Land über Jahrzehnte dominiert haben.

Wie wir in Honduras, aber auch in Bolivien selbst, gesehen haben, zögert die Oligarchie nicht zu illegalen und gewalttätigen Mitteln zu greifen, um ihre wirtschaftliche und politische Vorherrschaft zu verteidigen. Jeder Versuch, dem Volk zu dienen und gleichzeitig die Macht der Oligarchie unverändert zu lassen, ist zum Scheitern verurteilt. Wenn Evo Morales sich auf den Weg macht, die Oligarchie entschieden zu zerschlagen, wird er die volle Unterstützung der Massenbewegung der ArbeiterInnen und Bauern haben, welche die überwältigende Mehrheit der Bevölkerung repräsentieren.

Übersetzung: Tony Kofoet

Quelle: www.marxist.com

16. Dezember 2009 Posted by | Bolivien, International, Lateinamerika, Politik, Revolution, Sozialismus | , , , | Hinterlasse einen Kommentar

Venezuela: PSUV-Kongress – Chávez fordert Fünfte Internationale

Erster außerordentliche Kongress der PSUV – Chavez fordert die Fünfte Internationale

 

von Alan Woods vom Kongress der PSUV

23.11.09

 

Bei der Eröffnungssitzung des PSUV-Kongresses hielt der venezolanische Präsident Chavez eine radikale, linke Rede und forderte die Gründung einer neuen Internationale. Er erklärte, es sei notwendig, den bürgerlichen Staat zu zerschlagen und ihn durch einen revolutionären zu ersetzen, er bezog sich dabei auch auf die Bürokratie innerhalb der bolivarischen Bewegung selbst. In dieser Rede spiegelte sich der enorme Druck der Massen wider, die das Gerede vom Sozialismus allmählich satt haben, während ihnen der wirkliche Fortschritt in Richtung echter Veränderungen frustrierend langsam vorkommt.

Am Samstag, den 21. November, begann der erste außerordentliche Parteitag der Vereinigten Sozialistischen Partei Venezuelas (PSUV) seine Sitzungen, an denen über 772 Delegierte teilnehmen, in der  Mehrheit ArbeiterInnen, Bauern und Bäuerinnen sowie StudentInnen, die von 2,5 Millionen PSUV-Mitgliedern gewählt wurden. Es herrschte eine Atmosphäre der Begeisterung und der Hoffnung.

Die Eröffnungssitzung begann mit revolutionären Liedern und einer Reihe von Eröffnungsansprachen von Ehrengästen aus Nicaragua und El Salvador. Danach eröffnete Hugo Chavez die offizielle Tagung mit einer fünfstündigen Rede, die kurz nach Mitternacht endete.

Im ersten Teil seiner Rede lag der Schwerpunkt auf der Notwendigkeit der Schaffung einer neuen revolutionären Internationale, die er als die Fünfte Internationale bezeichnete. Chavez führte aus, dass Marx die Erste Internationale gegründet habe, Engels sei an der Gründung der Zweiten Internationale beteiligt gewesen, Lenin habe die Dritte und Trotzki die Vierte Internationale gegründet, aber aus den verschiedensten Gründen existiere keiner dieser Internationalen heute mehr.

Chavez erklärte, dass sämtliche Internationalen ihren Ursprung in Europa gehabt und die damaligen Klassenkämpfe in Europa widerspiegelt hätten, dass aber heute das Epizentrum der Weltrevolution in Lateinamerika und besonders in Venezuela liege. Er wies darauf hin, dass an diesem Kongress 55 linke Parteien aus 39 Ländern teilnähmen, die ein Dokument namens Caracas-Abkommen( El Compromiso de Caracas) unterzeichnet hätten, das auf den Ideen eines weltweiten Kampfes gegen den Imperialismus und den Kapitalismus und für den Sozialismus basiere.

Er betonte diese Idee mehrere Male im Verlauf seiner Rede, die auch viele radikale Vorstellungen und Attacken gegen den Kapitalismus enthielt, der, wie er sagte, eine Bedrohung für die Zukunft der menschlichen Rasse sei. Er spielte auf die gegenwärtige weltweite Krise des Kapitalismus an und verurteilte die Versuche der westlichen Regierungen das System mit verschwenderischen staatlichen Maßnahmen zu retten. Unsere Aufgabe sei es nicht, so Chavez, den Kapitalismus zu retten, sondern ihn zu zerstören.

In Bezug auf die Situation in Venezuela sagte er, dass es noch nicht gelungen sei den Kapitalismus zu beseitigen, aber man sich in diese Richtung bewege. Seine Ankündigung, sieben Banken zu verstaatlichen, wurde mit begeisterten Beifallsbekundungen begrüßt. Er verurteilte die venezolanische Oligarchie als fünfte Kolonne, die sich an den Imperialismus verkauft habe.

Chavez erklärte, dass der Staat in Venezuela ein kapitalistischer Staat geblieben sei und dies ein zentrales Problem für die Revolution darstelle. Er hielt ein Exemplar von Lenins Staat und Revolution, das er den Delegierten empfahl, in die Höhe und sagte, er akzeptiere Lenins Ansicht, dass es notwendig sei, den bürgerlichen Staat zu zerschlagen und diesen durch einen revolutionären zu ersetzen, diese Aufgabe müsse noch ausgeführt werden.

Chavez widmete sich auch dem Problem mit der Bürokratie, er warnte, dass ihm bewusst sei, dass einige der anwesenden Delegierten mit irregulären Mitteln gewählt worden seien und einige Leute nur daran interessiert seien ins Parlament oder als Gouverneure oder Bürgermeister gewählt zu werden, was er als nichtannehmbar bezeichnete.

Zum derzeitigen Konflikt mit Kolumbien wiederholte er seine Forderung nach der Schaffung einer Volksmiliz, jeder Arbeiter, jeder Bauer, jeder Student, jeder Mann und jede Frau sollten eine militärische Ausbildung erhalten und das solle nicht nur auf dem Papier festgehalten, sondern auch in die Praxis umgesetzt werden.

„Ich schreibe diesem Kongress große Bedeutung zu“, erklärte Chavez, „und ich beabsichtige in seinem Verlauf eine aktive Rolle zu spielen.“ Er bestand darauf, dass dieser Kongress nicht am folgenden Tag enden solle, sondern in den nächsten Monaten regelmäßig weiter tagen solle, um all diese Fragen gründlich zu diskutieren. Er verlangte, dass die Debatten demokratisch sein, verschiedene Meinungen berücksichtigt werden und die Delegierten der Basis Bericht erstatten und mit ihr die verschiedenen Vorschläge und Dokumente diskutieren sollten.

Der Präsident betonte, dass das kommende Jahr ein sehr schwieriges werden würde. Die Opposition würde alles Mögliche anstellen, um im September 2010 die Wahlen zur Nationalversammlung zu gewinnen. „Danach werden sie auf mich losgehen“, sagte er. An diesem Punkt rief ein Delegierter: „Sie werden auf uns alle losgehen.“

Das alles beleuchtet ein zentrales Problem. Nach elf Jahren gibt es Anzeichen, dass die Massen über das langsame Tempo der Revolution ungeduldig und frustriert werden. Die Krise des Kapitalismus zeigt seine Auswirkungen und viele sind empört über die Bürokratie und die Korruption, die sie überall, auch in der Bolivarischen Bewegung selbst, wahrnehmen.

Diese Bitterkeit wird manchmal in Streiks zum Ausdruck gebracht. Der Präsident zeigte sich über manche Streiks enttäuscht, obwohl er sich für einen Dialog mit den ArbeiterInnen einsetzte. Dahinter steht aber ein allgemeines Befinden, dass die RevolutionsführerInnen den Kontakt zur Basis verloren haben und nicht auf die Massen hören und deren Probleme verstehen.

Während seiner Rede betonte Chavez auch die Notwendigkeit die Traditionen revolutionärer Gewerkschaften neu zu beleben, da die Arbeiterklasse die führende Rolle in der Revolution habe. „Das Bewusstsein der Arbeiterklasse ist der Schlüssel zum Aufbau des Sozialismus“; sagte er und fügte hinzu, dass zwischen der Partei und den ArbeiterInnen ein enges Bündnis bestehen müsse.

Es ist klar, dass Chavez versucht, den Kongress zu nutzen, um der Revolution neues Leben einzuhauchen. Es bleibt zu hoffen, dass dies ein Neubeginn für das Voranschreiten der Bolivarischen Revolution sein wird, die nur erfolgreich sein kann, wenn sie in die Offensive geht, radikal mit dem Kapitalismus bricht, der Oligarchie entscheidende Schläge versetzt und einen echten ArbeiterInnen-Staat errichtet als notwendige Bedingung für das Vorwärtskommen des Sozialismus und dem Beginn einer revolutionären Welle in ganz Amerika und auf der ganzen Welt.

24. November 2009 Posted by | International, Lateinamerika, Politik, Revolution, Sozialismus, US-Imperialismus, Venezuela | , , , , | Hinterlasse einen Kommentar

ERSTER SCHRITT FÜR EINE DEMOKRATISCHE LÖSUNG DES BASKISCHEN KONFLIKTS

14.11.2009

Die baskische abertzale Linke veröffentlichte heute eine neue Initiative für eine demokratische und friedliche Lösung des Konfliktes zwischen dem spanischen und dem französischen Staat auf der einen und dem Baskenland auf der anderen Seite. Das Dokument “ERSTE SCHRITT FÜR EINE DEMOKRATISCHE LÖSUNG DES BASKISCHEN KONFLIKTS – PRINZIPIEN DER BASKISCHEN ABERTZALEN LINKEN” wurde heute zeitgleich in Venedig und in Altsasu der Öffentlichkeit vorgestellt.

Die Initiative fällt auf den 5. Jahrestag der Deklaration von Anoeta, mit der Arnaldo Otegi, Sprecher der baskischen abertzalen Linken, den letzten Versuch eines Konfliktlöungsprozesses startete. Arnaldo Otegi befindet sich in Untersuchungshaft, seit er mit anderen Führungspersönlichkeiten der abertzalen Linken am 13. Oktober von Balthasar Garzon verhaftet wurde. Die Verhaftungen konnten die neue Konfliktlösungsinitiative der abertzalen Linken nicht verhindern.

In Venedig wurde das Dokument im Rahmen einer Konferenz für Konfliktlösung vorgestellt, auf der Lehren aus südafrikanischer und irischer Erfahrungen gezogen und ihre Anwendung auf den kurdischen und den baskischen Konflikt diskutiert wurden. Im baskischen Altsasu versammelten sich mehr als hundert führende Aktivisten der abertzalen Linken, um gemeinsam das Dokument der baskischen Öffentlichkeit vorzustellen. In Altsasu wurde vor 31 Jahren Herri Batasuna gegründet.

Im folgenden dokumentieren wir den vollständigen Wortlaut des Dokuments in deutscher Übersetzung:

ERSTER SCHRITT FÜR EINE DEMOKRATISCHE LÖSUNG DES BASKISCHEN KONFLIKTS

PRINZIPIEN DER BASKISCHEN ABERTZALEN LINKEN

Wir sind Männer und Frauen verschiedener Generationen, die für eine soziale Befreiung und die Unabhängigkeit des Baskenlandes gearbeitet haben und weiterhin eintreten. Unser Ziel ist die Bildung eines eigenen Staates, weil wir davon ausgehen, dass dies die einzige Form ist, um das Überleben und die Entfaltung des Baskenlandes in Einklang und in Solidarität mit den anderen Völkern Europas und der Welt zu garantieren. Dies ist unser legitimes politisches Projekt, das wir mit Unterstützung der Mehrheit der baskischen Bevölkerung erreichen wollen.

Die aktuelle politische Aufteilung, die das Baskenland in zwei Autonomieregionen (Euskadi und Navarra) und einen französischen Teil aufteilt und unsere Rechte als Bürgerinnen und Bürger beschränkt, hat sich als Rahmen erwiesen, der den politischen und bewaffneten Konflikt in unserem Land perpetuiert.

Er verhindert, dass die Bürgerinnen und Bürger im Baskenland selbst über ihre Zukunft entscheiden können. In diesem Sinne ist der gewalttätige bewaffnete Konflikt, mit den allgemein bekannten menschlichen und politischen Kosten, über Jahrzehnte verlängert worden. Unser wichtigstes Ziel ist heute, diese Situation zu überwinden.

Die letzten drei Jahrzehnte des Konflikts eröffnen ein anderes Panorama: Wir sind eine politische Bewegung, der die Geschichte immer wieder Recht gegeben hat – angefangen mit der Forderung nach einem demokratischen Bruch mit dem franquistischen Regime 1976 über das NEIN der Baskinnen und Basken zur spanischen Verfassung 1978, die Verhinderung des AKW Lemoiz 1976-83 und das NEIN zur NATO 1986. Das zeigt sich aber auch in unseren Anstrengungen, den Betrug des Autonomiestatuts sichtbar zu machen, und in unserer grundsätzlichen Opposition gegen den neoliberalen Kapitalismus.

Die Unabhängigkeitsbewegung hat aber nicht nur auf dem Feld der Opposition und des Protestes politische und ideologische Kämpfe gewonnen. Die von der baskischen abertzalen Linken unterbreiteten Lösungsvorschläge sind von wichtigen Teilen der Gesellschaft, oft auch der Mehrheit aufgegriffen worden. Die Initiativen für eine Verhandlungslösung und für den Aufbau nationalstaatlicher Institutionen und die von uns unterbreiteten Demokratisierungsvorschläge haben den politischen Prozess im Baskenland ohne jeden Zweifel vorangebracht.

In den letzten Jahren hat es in wichtigen Fragen Entwicklungen gegeben, die einen grundlegenden Wandel der politischen Situation nicht nur wünschenswert, sondern auch möglich machen: In der politischen Debatte sind im letzten Jahrzehnt die Schlüsselprobleme klar benannt worden, die es zu lösen gilt; die unermüdliche Arbeit Tausender Personen und gesellschaftlicher Akteure haben uns nah an die ersehnte Verhandlungslösung herangeführt. Die Notwendigkeit, die fatalen Konsequenzen des Konflikts hinter uns zu lassen, ist allgemein deutlich geworden. Ein Ende des bewaffneten Konflikts und der politischen Blockade sind heute ebenso wie eine gerechte, stabile und dauerhafte Verhandlungslösung möglich.

Wir haben auf dem Weg zur Befreiung Manches richtig, Anderes falsch gemacht und stehen an der Schwelle eines politischen Wandels. Heute geht es darum, diesen Wandel unumkehrbar zu machen. Um diese Veränderung zu verwirklichen, müssen wir auch uns selbst verändern. Eine grundlegende Selbstkritik war notwendig, und wir haben sie geleistet.

Die baskische abertzale Linke wird nicht darauf warten, was andere politische Akteure zu tun bereit sind. Für uns klar, dass wir selbst handeln müssen. In der neuen politischen Phase sind neue Strategien, neue politische Bündnisse und neue Instrumente nötig.

In der neuen Phase geht es darum, eine nationale Anerkennung des Baskenlands und seines Selbstbestimmungsrechtes zu erreichen. Dafür müssen wir Kräfte sammeln und die Konfrontation mit dem spanischen und französischen Staat auf jenes Terrain zu führen, auf dem diese am schwächsten sind: auf das Terrain der Politik. Massenmobilisierung, die Arbeit in demokratischen Institutionen, ideologischer Kampf und die Suche nach internationaler Unterstützung – das werden die zentralen Säulen der neuen Strategie sein müssen.

Das grundlegende Instrument dieser neuen politischen Phase ist der Demokratisierungsprozess. Dass wir ihn in Angriff nehmen, ist eine unilaterale Entscheidung der baskischen abertzalen Linken. Zu seiner Umsetzung und zur Überwindung des Konflikts werden wir uns um bilaterale und multilaterale Vereinbarungen bemühen: mit den politischen Akteuren im Baskenland, der internationalen Gemeinschaft und den Staaten. Anders ausgedrückt: Die baskische abertzale Linke setzt auf die Demokratisierung, um den politischen und sozialen Wandel zu erreichen.

Diese Entscheidung ist in den Reihen der baskischen abertzalen Linken mi Rahmen einer breiten und verantwortungsvoll geführten Diskussion gereift. In dieser Debatte haben sich die soziale Basis und die Aktivisten der baskischen abertzalen Linken auf folgende Prinzipien verständigt, die wir der Bevölkerung des Baskenlandes, den politischen, gewerkschaftlichen und gesellschaftlichen Akteuren des Landes sowie der Internationalen Gemeinschaft hiermit bekannt geben wollen:

1. Der auf friedlichem und demokratischem Weg ausgedrückte Wille der Bevölkerung ist der einzige Bezugspunkt für eine demokratische Lösung. Das gilt sowohl für den Beginn und die Entwicklung des Demokratisierungsprozesses als auch für die Vereinbarungen, die einer freien Abstimmung der Bevölkerung unterzogen werden sollten. Die baskische abertzale Linke verpflichtet sich dazu, so wie es auch die anderen Akteure tun sollten, in jeder Etappe des Prozesses die von den baskischen Bürgerinnen und Bürgern frei, friedlich und demokratisch getroffenen Entscheidungen anzuerkennen.

2. Die politisch-territoriale Ordnung des Baskenlandes muss Ergebnis des demokratischen Volkswillens sein und die Rechte aller Bürgerinnen und Bürgern gewährleisten. Der heute bestehende gesetzliche Rahmen darf den freien und demokratischen Entscheidungen der Bevölkerung nicht im Weg stehen, sondern muss die Ausübung der demokratischen Rechte sicherstellen.

3. Die Vereinbarungen, die im Verlauf eines Demokratisierungsprozesses getroffen werden, müssen die allgemeinen – individuellen oder kollektiven – Rechte gewährleisten, wie sie in der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte, im UNSozialpakt und im UN-Zivilpakt sowie in den anderen internationalen Menschenrechtsvereinbarungen festgehalten sind.

4. Der gleichberechtigte politische Dialog zwischen allen politischen und gesellschaftlichen Akteuren ist das wichtigste Werkzeug, um zu einer Übereinkunft zwischen den unterschiedlichen politischen und kulturellen Identitäten im Baskenland zu kommen. Die baskische abertzale Linke bekräftigt ihren Wunsch, sich an diesem Dialog zu beteiligen.

5. Aus dem Dialog zwischen den politischen Akteuren im Baskenland sollte eine Vereinbarung hervorgehen, die einem allgemeinen Referendum unterzogen wird. Dieses Abkommen sollte nicht nur gewährleisten, dass alle politischen Projekte unter gleichen Voraussetzungen und ohne jede gewalttätige Beschränkung verteidigt werden können. Es sollte auch beinhalten, dass alle Projekte umgesetzt werden können, wenn diese von einer Bevölkerungsmehrheit im Baskenland erwünscht und unterstützt werden.

6. Der Demokratisierungsprozess muss sich ohne jede Gewalt, Zwang und Einmischung entfalten können und ausschließlich auf politische und demokratische Mittel stützen. Wir sind davon überzeugt, dass diese politische Strategie Fortschritte bei der Demokratisierung ermöglichen wird. Südafrika und Irland sind Beispiele hierfür.

7. Wir bleiben dem Friedensvorschlag von Anoeta verpflichtet. Ihm zufolge sollten alle politische Kräfte des Baskenlandes unter gleichen Voraussetzungen in einen Dialogprozess treten, um einen demokratischen Mechanismus zu vereinbaren, mit dem die Bürgerinnen und Bürger frei über ihre Zukunft entscheiden können. Dieser Prozess sollte auf den Prinzipien beruhen, die der US-Senator Mitchell für den irischen Konflikt ausgearbeitet und vorgelegt hat.
Auf der anderen Seite sollten ETA und der spanische Staat Verhandlungen über die Demilitarisierung des Landes, die Freilassung der baskischen politischen Gefangenen, die Rückkehr der Flüchtlinge und eine gerechte und gleiche Behandlung aller Opfer des Konflikts aufnehmen.

Wir bekräftigen unsere bedingungslose Unterstützung eines friedlichen und demokratischen Prozesses, damit das baskische Volk frei und ohne jede Einschüchterung über seine Zukunft entscheiden kann.

Baskenland, 14. November 2009


Anmerkung zum baskischen Begriff “Abertzale”: Die Bedeutung des baskischen Begriffs “Abertzale” ist eng verknüpft mit der speziellen Ausprägung der baskischen Unabhängigkeitsbewegung als progressive und internationalistische Bewegung. Als solche umfasst sie ein breites Spektrum von Organisationen, wie zum Beispiel politische Parteien, Gewerkschaften und kulturelle Organisationen, sowie bedeutende Teile der Frauen- , Umwelt- und Internationalismusbewegungen, die das gemeinsame Ziel der Befreiung des Baskenlandes haben. So wie Republikanismus eine besondere Bedeutung im irischen Kontext besitzt, kann der Begriff Abertzale nicht nur einfach als Unabhängigkeitsbewegung übersetzt werden, ohne seine progressive Bedeutung zu betonen.

 

15. November 2009 Posted by | Baskenland, EU, International, Politik, Sozialismus, Spanien | , , | Hinterlasse einen Kommentar