Blinkfuer

Linkes Blog aus Ostfriesland

Obamas »Smart Power«

29.12.09

Obamas »Smart Power«

Hintergrund. Vor sechs Monaten putschte in Honduras das Militär gegen den Präsidenten Manuel Zelaya – Washington zog die Fäden

Von Eva Golinger

Henry Kissinger sagte einmal, Diplomatie sei »die Kunst, die Macht zu zügeln«. Offensichtlich bezog sich damit einer der einflußreichsten Ideologen der US-Außenpolitik des 20. Jahrhunderts auf die Notwendigkeit, die Macht und Regierenden anderer Länder »zu zügeln«, um die vorherrschende Stellung der Vereinigten Staaten in der Welt zu bewahren. Präsidenten wie George W. Bush griffen zur »harten Macht« (Hard Power), um dieses Ziel zu erreichen: Waffen, Bomben, Drohungen und Militärinvasionen. Andere, wie William Clinton, nutzten die »weiche Macht« (Soft Power): Kulturkrieg, Hollywood, Ideale, Diplomatie, moralische Autorität und Kampagnen, um »die Hirne und Herzen« der Zivilbevölkerung in den gegnerischen Ländern zu gewinnen. Aber die Administration von Barack Obama hat sich für eine Abwandlung dieser beiden Konzepte entschieden und verbindet die militärische Macht mit der Diplomatie, den politischen und ökonomischen Einfluß mit dem kulturellen und rechtlichen, und nennt dieses Konzept »intelligente Macht« (Smart Power). Dieses Konzept wurde erstmals beim Staatsstreich in Honduras, angewandt, und bis heute funktioniert es fast perfekt.

Während ihrer Anhörung zur Bestätigung vor dem Senat der Vereinigten Staaten sagte Außenministerin Hillary Clinton, »wir müssen das nutzen, was ›Smart Power‹ genannt worden ist: das komplette Arsenal von diplomatischen, wirtschaftlichen, militärischen, politischen, rechtlichen und kulturellen Werkzeugen, die uns zur Verfügung stehen, und für jede Situation jeweils das richtige Werkzeug oder die richtige Kombination von Werkzeugen auswählen. Mit der ›Smart Power‹ wird die Diplomatie die Vorhut unserer Außenpolitik sein.« Später unterstrich Clinton dieses Konzept mit der Aussage, der weiseste Weg sei, zuerst zu überzeugen.

Was ist das Intelligente an dieser Konzep­tion? Sie ist eine Form von Politik, die schwer zu klassifizieren, schwer zu erkennen und schwer zu demontieren ist. Dafür ist der Fall Honduras beispielhaft.

Übergang zur Demokratie blockiert

Es schien ein Déjà-vu zu sein. Ein Staatsstreich gegen einen rechtmäßig gewählten Präsidenten in Lateinamerika, entführt durch die Putschmilitärs. Die offiziellen Medien von den Putschisten geschlossen. Die Sendefrequenzen der internationalen Medien blockiert, damit das Volk die Nachricht nicht vernehmen kann. Die Botschafter befreundeter Länder bedroht und geschlagen, ihre diplomatische Immunität verletzt. Die Regierung in Washington zeigt sich »besorgt«, aber bereit, »mit den demokratischen Kräften zu arbeiten«.

Es erinnerte an Venezuela im April 2002, als es zum Putsch gegen Präsident Hugo Chávez kam. Und nun vor sechs Monaten der Staatsstreich gegen Manuel Zelaya im Morgengrauen des Sonntags, 28. Juni. Soldaten drangen schießend in die Präsidentenresidenz ein, schlugen den Präsidenten und nahmen ihn gefangen. Sie brachten ihn zu dem von den Vereinigten Staaten seit den 50er Jahren besetzten Militärstützpunkt »Coronel Enrique Soto Cano« in Palmerola, 97 Kilometer nördlich der Landeshauptstadt Tegucigalpa, und koordinierten dort sein erzwungenes Exil. Sie setzten ihn in ein Flugzeug, ohne ihm zu sagen, wohin er gebracht werde. Stunden später erreichte er Costa Rica.

Die Koordinatorin einer Oppositionsorganisation in Honduras, Martha Diaz von der Gruppe Frieden und Demokratie, die über die USAID (United States Agency for International Development, Behörde der Vereinigten Staaten für internationale Entwicklung) Finanzmittel der US-Regierung erhält, erklärte am selben Tag im spanischsprachigen Programm von CNN, daß die »Zivilgesellschaft« der Meinung sei, daß es in Honduras keinen Putsch, sondern einen »Übergang zur Demokratie« gegeben habe.

Der Putsch wurde nach Tagen voller Spannung in Honduras vollzogen und war die Antwort auf eine Volksinitiative für ein beratendes – nicht verpflichtendes – Referendum über die Möglichkeit, während der nächsten Wahlen im November auch über die Einberufung einer verfassunggebenden Versammlung abstimmen zu dürfen. Die von Präsident Zelaya gemeinsam mit sozialen Bewegungen und verbündeten Parteien vorgeschlagene Initiative wurde vom Obersten Gerichtshof von Honduras für illegal erklärt, nachdem der von einer gegen Zelaya eingestellten Mehrheit gebildete Kongreß des Landes dort beantragt hatte, die Verfassungsmäßigkeit der Befragung zu überprüfen.

Am 24. Juni hatte Präsident Zelaya den Chef des Generalstabs, General Romeo Vásquez, abgesetzt, nachdem dieser sich einer Order Zelayas, seines obersten Befehlshabers, verweigert hatte, Abstimmungsmaterial im Land zu verteilen. Am folgenden Tag erklärte der Oberste Gerichtshof die Absetzung von General Vásquez für illegal und setzte ihn wieder in sein Amt ein. Inmitten der Aufregung erklärte der Verteidigungsminister Angel Edmundo Orellana seinen Rücktritt.

Am Freitag, 26. Juni, gingen Zelaya und Tausende Mitglieder von Gewerkschaften und sozia­len Bewegungen auf die Straße, um den Staatschef und die Durchführung der für den folgenden Sonntag vorgesehenen Volksbefragung zu unterstützen. Sie erreichten den Militärstützpunkt, in dem die Wahlmaterialien gelagert wurden, holten es heraus und begannen, es im ganzen Land zu verteilen, um die historische Befragung vorzubereiten. Die gegenwärtig gültige Verfassung von Honduras wurde im Jahr 1982 geschrieben, inmitten des von Ronald Reagan entfesselten schmutzigen Krieges gegen das sandinistische Nicaragua, und beschränkte die Beteiligung des Volkes an politischen Angelegenheiten. Die für jenen Sonntag vorgeschlagene Befragung wäre der erste partizipative Prozeß in der Geschichte des zentralamerikanischen Landes gewesen und hätte gezeigt, daß Honduras auf dem Weg gewesen wäre, eine Demokratie mit mehr Mitwirkungsrechten des Volkes aufzubauen.

US-Politik konsolidiert Putsch

Aber all das wurde am Sonntagmorgen des 28.Juni mit der Entführung Zelayas und der sofort einsetzenden Repression auf den Straßen von Honduras gewaltsam gestoppt. Die privaten Massenmedien zeigten Zeichentrickfilme und Telenovelas an Stelle von Nachrichten. Das spanische Programm von CNN und Telesur wurde in den Morgenstunden abgeschaltet, um zu verhindern, daß die Wahrheit über den Staatsstreich an die Öffentlichkeit gelangte. Die Botschafter Venezuelas und Kubas in Honduras wurden entführt, geschlagen und in einem abgelegenen Gebiet außerhalb der Hauptstadt Tegucigalpa ausgesetzt. Außenministerin Patricia Rodas wurde aus ihrer Residenz unter Schlägen entführt und von den Putschmilitärs gefangengenommen.

Die Organisation Amerikanischer Staaten (OAS) berief an jenem Morgen eine Sondersitzung ein und verurteilte einstimmig den Staatsstreich in Honduras. Die Rio-Gruppe wurde einberufen, um eine Erklärung zur Verurteilung des Putsches zu verabschieden, und die Präsidentin von Chile, Michelle Bachelet, die auch zeitweilig Präsidentin der Union Südamerikanischer Nationen (Unasur) war, verurteilte im Namen der südamerikanischen Gemeinschaft ebenfalls den Staatsstreich. Bis hin zur Europäischen Union und zur Generalversammlung der Vereinten Nationen reichte die Verurteilung des Putsches.

Aber die einzige Regierung der Region, die nicht ausdrücklich die Situation in Honduras verurteilte, war die von Barack Obama. Der US-Präsident äußerte seine »Besorgnis« über die Lage in Honduras, nahm jedoch keine feste Haltung der Ablehnung gegenüber den Ereignissen in dem kleinen Land ein. Die Verwicklung Washingtons in den Putsch in Honduras machte in den vergangenen sechs Monaten seine Konsolidierung erst möglich. Die »Smart Power« spielte eine Hauptrolle, um einen Regimewechsel zu erreichen, der letztlich den US-Interessen dient. Das State Department weigerte sich, die Ereignisse in Honduras als Staatsstreich zu bezeichnen. Am 1. Juli erklärten Sprecher des US-Außenministeriums: »Bezüglich dieses Schlages wäre es das Beste, von einer zwischen den Militärs und einigen zivilen Akteuren koordinierten Anstrengung zu sprechen.«

Diese Haltung, das Geschehen als Bruch der verfassungsmäßigen Ordnung, nicht jedoch als Staatsstreich zu definieren und nicht die Wiedereinsetzung des rechtmäßigen Präsidenten zu verlangen, wurde nach einem Treffen von Außenministerin Hillary Clinton mit Zelaya am 7. Juli bekräftigt: »Ich hatte eine produktive Begegnung mit Präsident Zelaya. (…) Ich habe ihm bekräftigt, daß die Vereinigten Staates die Wiederherstellung der verfassungsmäßigen Ordnung in Honduras unterstützen. (…) Wir rufen alle Seiten auf, keine Gewaltakte zu begehen und durch den Dialog eine friedliche, verfassungsmäßige und stabile Lösung für die ernsthaften Spaltungen in Honduras zu erreichen. Mit diesem Ziel haben wir mit unseren Partnern in der Hemisphäre gearbeitet, um Verhandlungen zu etablieren.« Nach diesem Treffen war klar, daß Washington nicht weiter von einer Rückkehr Zelayas an die Macht sprechen würde. Das Interesse der USA war, »Verhandlungen« mit den Putschisten zu befördern, die letztlich ihren Interessen dienen würden. Ohne die Macht Washingtons auf seiner Seite würde die Rückkehr Zelayas erschwert werden. Und so war es auch.

Militärstützpunkt Soto Cano

Im Zentrum des Putsches in Honduras stand außerdem ein weiterer, entscheidender Akteur: das Pentagon. Die Vereinigten Staaten haben im Stützpunkt Soto Cano eine sehr starke Militärpräsenz. In den 80er Jahren wurde Soto Cano von US-Oberst Oliver North als Operationsbasis für die »Contras« genutzt. Diese von der CIA trainierten und finanzierten Paramilitärs hatten den Auftrag, Krieg gegen die linken Bewegungen Zentralamerikas und speziell gegen die sandinistische Regierung Nicaraguas zu führen. Von Soto Cano gingen die Terrorangriffe der »Contras«, die Todesschwadronen und »Sondermissionen« aus, die Tausende Ermordete, Verschwundene, Gefolterte, Verletzte und Traumatisierte in Zentralamerika forderten.

John Negroponte, der damalige Botschafter der USA in Honduras (1981–1985), leitete diese schmutzigen Operationen gemeinsam mit Oliver North und dem Chef des direkt dem US-Geheimdienst unterstellten Office of Public Diplomacy for Latin America and the Caribbean, Otto Reich.

Die honduranische Verfassung erlaubte keine ausländische Militärpräsenz im Land. Ein Abkommen »per Handschlag« zwischen Washington und Honduras ermöglichte die strategisch wichtige Präsenz Hunderter US-Militärs auf dem Stützpunkt. Das Abkommen wurde 1954 als Teil der Militärhilfe geschlossen, die Washington Honduras anbot. Zuerst wurde die Basis von der CIA genutzt, um im selben Jahr den Putsch gegen Jacobo Arbenz in Guatemala durchzuführen.

Jahr für Jahr genehmigte Washington Hunderte Millionen US-Dollar Wirtschafts- und Militärhilfe für Honduras, eines der ärmsten Länder der Hemisphäre. Aber das Abkommen, daß die US-Militärpräsenz in dem zentralamerikanischen Land genehmigt, konnte von der honduranischen Regierung jederzeit gekündigt werden.

Am 31. Mai 2008 kündigte Präsident Manuel Zelaya an, daß Soto Cano zu einem Flughafen für internationale kommerzielle Flüge umgewandelt werden solle. Der Bau des Zivilterminals wurde aus einem Fond der Bolivarischen Allianz für die Völker Unseres Amerikas (ALBA) finanziert. Offensichtlich sah das Pentagon den möglichen Verlust seiner strategischen Präsenz in Honduras mit großer Sorge.

Auf honduranischer Seite wurden die Militärs in den vergangenen 50 Jahren von der US-Armee finanziert, trainiert, indoktriniert und kommandiert. Ihre Militärdoktrin ist die »Nationale Sicherheit« mit der gegen die Linke gerichteten, antisozialistischen Stoßrichtung. Für die honduranischen Militärs war es leicht und logisch, gegen Zelaya vorzugehen, da sie ihn als die »linke Bedrohung« ansahen, die sie doch schon in den vergangenen Jahrzehnten bekämpft hatten.

Schachzug gegen Zelaya

Die Repression gegen das honduranische Volk war in den vergangenen sechs Monaten brutal. Das Komitee der Familienangehörigen verschwundener Verhafteter in Honduras (COFADEH) hat Tausende Menschenrechtsverletzungen seit dem Staatsstreich registriert. Zwischen dem 28. Juni und dem 10. Oktober zählte das Komitee 21 Morde, mehr als 100 Todesdrohungen, fast 1000 Verletzte, mehr als 3000 illegale Verhaftungen, politische Verfolgung, Razzien, Übergriffe auf Journalisten und die Schließung von gegen den Putsch eingestellten Medien. Die Mehrzahl dieser Verletzungen und Aggressionen wurden von den Sicherheitskräften und Militärs unter dem Befehl des Putschregimes von Roberto Micheletti begangen.

Der Widerstand des honduranischen Volkes hat diese brutale Repression ausgehalten und den Staatsstreich standhaft verurteilt. Am 21. September kehrte Präsident Zelaya heimlich in das Land zurück und suchte in Brasiliens Botschaft in Tegucigalpa Zuflucht. Seither harrt er dort aus und koordiniert mit dem Volk die Anstrengungen der Widerstandsbewegung gegen den Putsch. Michelettis Putschregime erklärte, daß Zelaya sofort festgenommen und eingesperrt werde, sollte er die Botschaft verlassen.

Am 29. November fanden in Honduras Präsidentschaftswahlen statt. Das Datum und die Kandidaten hatten schon seit fast einem Jahr festgestanden. Aber eine Mehrheit der Staaten der Welt erklärte ihre Ablehnung dieser Wahlen, die unter Staatsstreichsbedingungen durchgeführt wurden. Am 30. Oktober reiste Washingtons damaliger Vizeaußenminister Thomas Shannon mit einer Delegation hochrangiger Funktionäre nach Tegucigalpa, wo er ein »Abkommen« zwischen Micheletti und Zelaya »erzielte«. Angeblich sollte es den Putsch beenden und die Wiedereinsetzung Zelayas in sein Amt beinhalten. Aber es war offensichtlich, daß das Abkommen einfach nur ein Versuch war, die Wahlen vom 29. November zu legitimieren.

Am Ende bedeutete das von Washington durchgesetzte und zunächst so gefeierte »Abkommen« nur die Einschaltung des Parlaments, desselben Parlaments, das ein Rücktrittsschreiben Zelayas gefälscht hatte, um den Putsch zu rechtfertigen, und die illegale Übernahme der Präsidentschaft durch Micheletti unterstützt hatte. Dieser Kongreß sollte nun entscheiden, ob Zelaya wieder in die Präsidentschaft eingesetzt werde oder nicht. Und das erst, nachdem die Meinung des Obersten Gerichtshofs eingeholt werden sollte, der ja schon geurteilt hatte, daß Zelaya ein Verräter sei, als er die unverbindliche Volksbefragung über eine mögliche Verfassungsreform betrieben hatte, und der die gewaltsame Verhaftung des Präsidenten angeordnet hatte. Beide Instanzen wiesen die Rückkehr Zelayas ab und ließen so das Abkommen ohne jeden Inhalt zurück.

Aber mit der Unterzeichnung des Abkommens vom 30. Oktober hob Washington zugleich die wenigen Restriktionen auf, die es als Druck gegen das Putschregime verhängt hatte. Die Putschisten bekamen wieder Visa und konnten in den Norden reisen, sie brauchten sich keine Sorgen mehr um die Millionen-Dollar-Hilfen der USAID machen, die in der Zwischenzeit nicht einmal ausgesetzt worden waren. Die US-Militärs in Soto Cano konnten ihre Aktivitäten wieder öffentlich aufnehmen, zumal sie diese nie eingestellt hatten. Washington entsandte seine Beobachterdelegation zu den Wahlen vom 29. November, und das State Department gab zu, daß die USA den Wahlprozeß finanzierten, damit alles »gut ausgehe«.

Das Volk blieb außen vor, kein Wort mehr von den Monaten voller Repression, Gewalt, Verfolgung, Vergewaltigungen, Ausgangssperren, Schließung von Medien, Folterungen und Morden. Wa­shington und seine Anhängsel in der Region – Kolumbien, Costa Rica, Peru und Panama – waren die einzigen, die die Wahlergebnisse anerkannten. Außerhalb der Region stimmte nur Israel der Wahlfarce zu. Nichts davon war überraschend. In den vergangenen sechs Monaten war immer wieder auf die Präsenz israelischer Waffen und Militärausrüstungen in Honduras hingewiesen worden, die von den honduranischen Militärs zur Niederschlagung des Volkes benutzt wurden. Außerdem waren israelische Sondereinheiten vor Ort, die honduranische Soldaten ausbildeten.

Lateinamerika in Gefahr

Auf die Knie gezwungen und an Washington ausgeliefert, wurde die durch den Putsch provozierte Krise in Honduras »gelöst«, die im Norden selbst fabriziert wurde. Nun rücken Paraguay, Nicaragua, Ecuador und Venezuela ins Visier des Imperiums, wo Tag für Tag Subversion und Destabilisierung zunehmen.

Obamas »Smart Power« ist eine geschickte Verkleidung des Unilateralismus der USA. Vom ersten Tag an wurde die Agenda Washingtons durchgesetzt. Aber für die Mehrheit der lateinamerikanischen Völker bedeutet der Sieg dieser »Smart Power« einen sehr dunklen und gefährlichen Schatten, der ihnen näherrückt. Initiativen wie ALBA hatten gerade erst die wirkliche Unabhängigkeit in Lateinamerika erreicht. Zum ersten Mal erhoben sich die Länder und Völker gemeinsam mit Würde und Souveränität, um selbst über ihre eigene Zukunft zu entscheiden. Da kam Obama mit seiner »Smart Power« und schlug ALBA, schwächte die lateinamerikanische Integration und versuchte, jedes Denken über Unabhängigkeit und Souveränität im Hinterhof Washingtons zu ersticken.

Das Volk von Honduras leistet weiter Widerstand. Mit der Einforderung seiner Rechte ist es zu einem Symbol der Würde geworden. Es darf nicht zulassen, daß im Geschichtsbuch die Konsolidierung eines Staatsstreichs seine Zukunft bestimmt. Der einzige Weg, die Aggression des Imperiums zu besiegen, ist die Einheit und Integration der lateinamerikanischen Völker.

Aus dem Spanischen von André Scheer

Die in New York geborene Eva Golinger ist eine US-amerikanische Anwältin und Publizistin venezolanischer Abstammung. Sie führt eine Kanzlei in New York und lebt seit 1997 zeitweilig in Caracas. Bekannt wurde sie, als sie nach dem Putsch 2002 gegen Venezuelas Präsident Hugo Chávez Dokumente der US-Administration veröffentlichen konnte, die eine Verwicklung Washingtons in den Staatsstreich und in die Versuche zum Sturz der venezolanischen Regierung belegen. Diesen Beitrag verfaßte sie exklusiv für jW.

Quelle: www.jungewelt.de

30. Dezember 2009 Posted by | Honduras, International, Israel, Konterrevolution, Lateinamerika, News, Politik, US-Imperialismus | , , , , , , | Hinterlasse einen Kommentar

Honduras: »Gepanzerte Wahl«

Fünf Monate nach dem Putsch befiehlt das Regime in Honduras die Bürger an die Urnen

Von André Scheer
Zehntausende Soldaten und Polizisten sollen am Sonntag jede Störung der Parlaments- und Präsidentschaftswahlen in Honduras verhindern. Fast auf den Tag genau fünf Monate nach dem Putsch und dem Sturz von Präsident Manuel Zelaya sollen die Menschen in dem zentralamerikanischen Land über dessen Amtsnachfolger abstimmen, als ob nichts passiert wäre.

 

Die in der zweitgrößten Stadt des Landes, San Pedro Sula, erscheinende Tageszeitung Tiempo spricht dagegen von »Wahlterrorismus«. Der Staatsapparat lege am Vorabend der Wahlen ein Ausmaß von »Gewalt und Hysterie« an den Tag, wie man es noch nie vor einer Abstimmung erlebt habe. 16000 Soldaten, 14000 Polizisten und 5500 Reservisten des Militärs sollen Proteste der Widerstandsbewegung im Keim ersticken. Zugleich wurde der Ausnahmezustand »für alle Aktivitäten, die im Zusammenhang mit dem Wahlprozeß stehen«, erklärt. Dadurch darf das Militär jede Art von Ausrüstung kaufen, die es für seine Operationen »zur Sicherung der freien Stimmabgabe« zu benötigen meint. Prompt haben die Streitkräfte in den USA unter anderem einen Panzerwagen für zwölf Millionen Dollar, 10 000 Handgranaten und 5000 Tränengasprojektile erworben, informierte die Menschenrechtsorganisation COFADEH. Sie zeigt sich angesichts der »sich Tag für Tag verschlechternden Menschenrechtslage« alarmiert und spricht von einer »neuen Welle der Morddrohungen, politischer Verfolgung, illegaler Verhaftungen und Folterungen«. Außerdem seien Fahrzeuge ohne Kennzeichen mit schwer bewaffneten und vermummten Personen in den Hochburgen der Widerstandsbewegung unterwegs.

Erst am Montag morgen wurde ein pensionierter Lehrer, der als Führungspersönlichkeit der Widerstandsbewegung im Süden des Landes galt, verschleppt. Sein Sohn berichtete gegenüber einem örtlichen Rundfunksender, die Entführer seien Polizisten und Armeeangehörige gewesen. Stunden später wurde die Leiche des Opfers in der Ortschaft Las Casitas, westlich der Hauptstadt Tegucigalpa, aus einem »schwarzen oder dunkelblauen« Auto in den Straßengraben geworfen, wie Zeugen aussagten.

Die angespannte Atmosphäre wurde am Donnerstag weiter durch Berichte angeheizt, wonach das Wahlgeheimnis bei der Abstimmung nicht gewährleistet sei. Wie die Agentur Prensa Latina unter Berufung auf Sprecher der Widerstandsbewegung mitteilte, habe das Oberste Wahlgericht (TSE), die für die ordnungsgemäße Durchführung der Abstimmung zuständige Instanz, beschlossen, die den Wähler ausgehändigten Stimmzettel zu numerieren. Die Nummer der Stimmzettel solle in den Wählerverzeichnissen festgehalten werden, so daß bei der Auszählung der Stimmen nachvollziehbar wird, wer für welche Partei gestimmt hat, aber auch, ob jemand mit einer Parole gegen den Putsch seinen Stimmzettel ungültig gemacht hat.

Während das TSE auf die Vorwürfe bislang nicht reagiert hat, bestätigte die den Putschisten verbundene Tageszeitung El Heraldo die Vorwürfe indirekt bereits am 6.November. »Ein neues System der Übertragung der Auszählungs- und Wahlergebnisse, Veränderungen in der Mechanik des Wahlmaterials mit vollkommen sicheren Urnen, numerierte und mit Strichcodes markierte Stimmzettel sind einige der Neuheiten, die eine nationale und internationale Überprüfung dieser Wahlen ermöglichen werden«, schrieb das Blatt unter der Überschrift »Vollkommen gepanzerte Wahlen«.

Trotzdem haben fast alle Aspiranten auf die Präsidentschaft ihre Kandidatur aufrechterhalten, nur der Unabhängige Carlos H. Reyes verzichtete auf seinen Antritt. Auch Zelaya selbst hält die Abstimmung für illegal, wie er vor wenigen Tagen in einem Schreiben an seine Amtskollegen in den anderen Ländern des amerikanischen Kontinents betonte (siehe unten). Die Linkspartei Demokratische Vereinigung (UD) hält hingegen an ihrer Kandidatur fest, wie eine Mehrheit der Delegierten am vergangenen Wochenende bei einem Sonderparteitag entschied. Hintergrund war die Furcht, durch eine Wahlenthaltung den Status als politische Partei zu verlieren. Trotzdem haben zahlreiche Mitglieder der UD entschieden, ihre Kandidatur zurückzuziehen, darunter die bisherige Parlamentsabgeordnete Silvia Ayala. Der chilenischen Tageszeitung Clarín sagte sie, die Beteiligung an der Wahl sei ein »schwerer Fehler«. Trotzdem werde sie die UD nicht verlassen, denn auch diejenigen, die für die weitere Beteiligung an der Wahl gestimmt haben, wollten den Kampf für die Interessen des Volkes und gegen die Putschisten fortsetzen.

Weder die Vereinten Nationen noch die Europäische Union oder die Organisation Amerikanischer Staaten (OAS) haben Wahlbeobachter nach Honduras entsandt, sehr wohl jedoch die Liberale Internationale, deren Chef Hans van Baalen erst vor wenigen Tagen mit Putschistenchef Micheletti Händchen gehalten hat, sowie die Parteistiftungen der Demokraten und der Republikaner in den USA. Auch in der Frage einer Anerkennung der aus dieser Abstimmung hervorgehenden Regierung haben die USA ebenso wie Kolumbien und Panama – entgegen der großen Mehrheit der Länder des Kontinents – mittlerweile ihre Absicht erkennen lassen, diesem »legitimierten« Putschistenregime ihren Segen zu geben.

27.11.09
Quelle: http://www.jungewelt.de

26. November 2009 Posted by | Honduras, International, Konterrevolution, Lateinamerika, News, Politik, US-Imperialismus | , , , , | Hinterlasse einen Kommentar

Honduras: Berta Cáceres über Militarisierung, Wahlfarce und Widerstand

„Ja, Compañera, wir sind wirklich enorm besorgt, denn wir wissen, dass eine Repressions- und Gewaltwelle gegen das honduranische Volk kommt. Es ist unglaublich, wie sich die Armeepräsenz in Tegucigalpa intensiviert und dezentralisiert und bis in unsere Departemente kommt.“

Berta Cáceres leitet den Zusammenschluss von indigenen und Campesinacomunidades COPINH, Mitglied der Widerstandsfront. Das Interview ist vorgestern von Liliana Daunes und Claudia Korol für das argentinische Internetradio La Rosa Blindada aufgenommen worden. Auszüge daraus:

Berta: Der Widerstand hat das honduranische Volk dazu aufgerufen, die Wahlen zu missachten und sie von den Basisorganisationen aus zu boykottieren. Dies wird in verschiedenen Teilen des Landes ausgeführt, mit je eigener Prägung. An jedem Ort entscheidet das Volk aufgrund seiner Fähigkeit und seiner Realität darüber, welche Aktion es mit welcher Strategie machen will. Aber ich will euch sagen, Compañeros und Compañeras, es gibt eine starke Repression. Es beunruhigt uns, dass man im Ausland kaum etwas davon hört. Wir haben eine völlige Militarisierung der Gesellschaft. Die tritt heute unverhüllt auf, zum Beispiel auch in meiner Region, wo ich bin, hier im Südwesten von Honduras, einer indigenen Lenca-Region. Hier ist es zu Besorgnis erregenden putschistischen Aktivitäten gekommen. Zum Beispiel die Versammlung von 800 rechtsextremen Reservisten, die praktisch ein Söldnerheer sein werden. Das war am Samstag.

Wir betonen, dass uns die Situation wirklich sehr besorgt. Sie haben Flugblätter verteilt, um zur Denunziation aufzurufen, um das Spitzeltum anzukurbeln, den Teil der Bevölkerung, der vielleicht mit ihnen sympathisiert, zum Denunzieren zu bringen.
(…)

Claudia: In dieser Situation zeigt sich auch, was für eine Farce die Verhandlungen waren. Wie es darum ging, mit Verhandlungen eine politische Lösung aufzuschieben. Und jetzt haben wir diesen Entschluss des honduranischen Parlaments, über die Wiedereinsetzung von Zelaya am 2. Dezember zu reden, nach den Wahlen. Der gesunde Menschenverstand und die Intelligenz werden hier aufs Korn genommen.
Berta: Natürlich, das war von Beginn weg mit den Gringos abgesprochen. Wir haben das als Organisation von Anfang gesagt, als dieses Abkommen von San Jose, Tegucigalpa oder Guaymura aufkam, wie es je nachdem genannt wird. Es ist klar, die Gringos haben darauf gesetzt und sie wollen die Putschphase mit Wahlen abschliessen, um das dabei herauskommende Regime zu legitimieren, das nur die Fortsetzung des Putschismus ist. Sie setzen alles darauf. Wir prangern an, dass diese Verhandlungen eine Falle waren. Deshalb haben wir in unserem Kampf dieses Manöver der USA standhaft kritisiert, das uns sehr gefährlich scheint. Es ist Teil einer kontinentalen Strategie, vom ersten Tag des Putsches an eine Putschtendenz im ganzen Kontinent einzuführen.

Wir haben auch gesehen, wie sie neben dem Staatsstreich die Militarisierung vorantreiben. Es ist kein Zufall, dass man während dieses Putsches um sieben Militärbasen in Kolumbien und zwei in Panama vorangetrieben hat. Es handelt sich um eine umfassende Destabilisierungsstrategie in Süd-, aber auch hier in Zentralamerika.
(…)

Ja, Compañera, wir sind wirklich enorm besorgt, denn wir wissen, dass eine Repressions- und Gewaltwelle gegen das honduranische Volk kommt. Es ist unglaublich, wie sich die Armeepräsenz in Tegucigalpa intensiviert und dezentralisiert und bis in unsere Departemente kommt. Wir wollen der Welt unsere Besorgnis mitteilen. Es ist nicht möglich, dass es hier zu Morden, zu Verbrechen kommt, und sie bleiben unbestraft. Das honduranische Volk richtet sich an die internationale Gemeinschaft, an die internationale Solidarität, damit ihr uns im Kampf begleitet. Wir brauchen, Compañeras, Compañeros, dass man uns hört. Die Strategie der Streitkräfte ist, das Volk zu töten, vor und während der Wahlen. Sie wollen das honduranische Volk terrorisieren. Uns mit dem Gewehr zur Beteiligung an dieser Wahlfarce zwingen.

Das honduranische Volk wird weiterkämpfen. Wir werden hier nach 143 Tagen harten Widerstands, aber überwältigender Würde weitermachen. Trotz aller Drohungen, denen alle Führungskader und die AktivistInnen ausgesetzt sind. Wir kämpfen weiter und machen uns diese Parole zueigen: „Nos tienen miedo porque no tenemos miedo“ – Sie haben Angst vor uns, weil wir keine Angst haben.

Quelle: http://zas-correos.blogspot.com/

25. November 2009 Posted by | Honduras, International, Konterrevolution, Lateinamerika, News, Politik, US-Imperialismus, Venezuela | , , , , | Hinterlasse einen Kommentar

Honduras: Widerstand – Wir werden ein Steinchen im Schuh der Putschisten sein

17. November 2009, 06:53

Am 29. November wird der Nachfolger des Ende Juni gestürzten honduranischen Präsidenten Manuel Zelaya gewählt. Obwohl die Weltgemeinschaft die Putschisten um Roberto Micheletti darauf hingewiesen hat, dass sie das Ergebnis nicht anerkennen wird, wollen diese den Urnengang durchziehen. Yadira Rodríguez und Iris Oneyda Henríquez erklären im Gespräch mit Berthold Eder, was die Widerstandsbewegung für die Zeit nach den Wahlen plant.

derStandard.at: Am 29. November soll ein neuer Präsident gewählt werden. Haben Sie vor, an der Wahl teilzunehmen?
Yadira Rodríguez: Obwohl in Honduras Wahlpflicht besteht, gehen wir beide nicht hin. Es ergibt keinen Sinn, an einer Abstimmung teilzunehmen, bei der das Ergebnis von vornherein feststeht. Ob jetzt Porfirio Lobo von der Nationalen Partei oder Elvin Santos von den Liberalen gewinnt, macht keinen Unterschied, weil beide Parteien gleich korrupt sind. Egal wie die Wahl ausgeht: unsere Situation wird sich dadurch nicht verändern.

derStandard.at: Wie soll es nach dem 29. weitergehen? Zahlreiche Länder haben angekündigt, dass sie die Wahl nicht anerkennen werden, aber eine Rückkehr Zelayas ins Amt ist dann auch ausgeschlossen. Gibt es Bestrebungen, weiter auf eine Verfassungsreform hinzuarbeiten?

Iris Oneyda Henríquez: Die Nationale Widerstandsfront will eine Verfassungsänderung erreichen, wie sie Präsident Zelaya vor dem Putsch anstrebte. Wir werden auch nach der Wahl auf die Straße gehen, unabhängig davon, wer gewinnt, um unseren Forderungen Nachdruck zu verleihen.

Yadira Rodríguez: Mittlerweile hat die Bevölkerung diese Forderung Zelayas übernommen. Unseren Informationen zufolge unterstützen über 70 Prozent der Honduraner eine Reform der Verfassung, die von den bisherigen Regierungen schon oft gebrochen wurde. Wir werden diese vier Jahre unter einer De-Facto-Regierung überstehen.

derStandard.at: Und dann?

Iris Oneyda Henríquez: Vor dem Putsch war der honduranische Widerstand zerstritten. Der gemeinsame Gegner hat die Bewegung gefestigt. Diese Wahl kann man abschreiben, aber wir werden wie ein Steinchen im Schuh der Putschisten sein.

derStandard.at: Gibt es Politiker, die die Forderungen dieser 70 Prozent unterstützen?

Yadira Rodríguez: An der Widerstandsbewegung sind Abgeordnete aller Parteien und zahlreiche Führungspersonen beteiligt. Beispiele sind der Liberale Javier Hall, der aus unserem Distrikt El Progreso stammt, und der Sozialist César Ham, der sich sogar für die Präsidentschaft beworben hat und jetzt gerade mit der Basis Rücksprache hält, ob er diese Kandidatur zurückziehen soll, wie es der Gewerkschafter Carlos H. Reyes getan hat.

derStandard.at: Präsident Zelaya ist selbst Großgrundbesitzer. Nehmen Sie ihm seine Reformabsichten ab?

Yadira Rodríguez: Zelaya stammt aus einer reichen Familie, und am Anfang war seine Regierung nicht besonders beliebt. Aber durch Maßnahmen wie die Anhebung des Mindestlohnes um 60 Prozent, seinen Einsatz für Frauenrechte und die finanzielle Unterstützung für Kleinbauern, damit diese Saatgut und Dünger kaufen können, ist es ihm gelungen, die Sympathie der Bevölkerung zu erringen. Er hat dann auch angefangen, Steuerschulden und jahrelang nicht bezahlte Stromrechnungen von Unternehmen eintreiben zu lassen. Mit seiner Politik hat er natürlich die Reichen in Honduras verärgert. Wir haben da ein Sprichwort: „Die Interessen der Wirtschaftstreibenden zu beeinträchtigen ist wie den Tiger am Bart zu zupfen“, und genau das hat er getan.

derStandard.at: Der populäre Priester Fausto Milla nimmt an Demonstrationen teil, während Kardinal Rodríguez Maradiaga die Putschisten unterstützt. Wie steht die Kirchenbasis zum Staatsstreich?

Yadira Rodríguez: Die katholische Kirche hat einen großen Einfluß. Während die Kirchenführung immer schon zu den Eliten hielt, geht die Basis auf die Straße, weil sie einem Kardinal, der den Putsch offen unterstützt, den Gehorsam verweigert. Viele Kirchenleute tragen diesen Akt des Ungehorsams mit.

derStandard.at: Wie sieht es mit internationaler Unterstützung aus?

Yadira Rodríguez: Vertreter mehrerer internationaler Organisationen und zahlreicher Staaten sind nach Honduras gereist, um uns zu helfen, die Krise zu beenden. Aber die Putschisten haben sich über diese Forderungen einfach hinweggesetzt. Es ist enttäuschend, dass eine Gruppe von Unternehmern, die einen Staatsstreich unterstützt, mehr Einfluss hat als die UNO oder die Organisation Amerikanischer Staaten.

derStandard.at: Einen Tag nach dem Staatsstreich präsentierten die Internetausgaben honduranischer Zeitungen eine „Rücktrittserklärung“ Präsident Zelayas, die drei Tage vor dem Putsch datiert war …

Iris Oneyda Henríquez: Schau mal, der hat sie!

Yadira Rodríguez: Das Original dieses Schreibens, dessen Verlesung alle Fernseh- und Radiostationen bringen mussten, ist offiziell verloren gegangen. Wir haben es aber schon damals nicht geglaubt – wie soll eine Person, die im Pyjama und mit einer Pistole an der Schläfe außer Landes gebracht wird, so eine Rücktrittserklärung abfassen? Die Putschisten haben wohl geglaubt, das Volk wie in den 70er oder 80er Jahren mit gefälschten Dokumenten überzeugen zu können. Aber die Honduraner haben dazugelernt und nehmen so etwas nicht mehr schweigend hin.

Iris Oneyda Henríquez: Dass die Putschisten 15 Tage nach Veröffentlichung dieses Dokuments Präsident Zelaya zum Rücktritt aufgefordert haben, spricht auch nicht gerade dafür, dass diese Leute logisch denken.

derStandard.at: Wird in den Medien über solche Widersprüche berichtet?

Iris Oneyda Henríquez: Praktisch alle honduranischen Zeitungen unterstützen den Staatsstreich, weil ihre Eigentümer den Putschisten nahestehen. Sie manipulieren in ihren Berichten auch immer wieder Teilnehmerzahlen. So haben sie bei dieser Kundgebung gegen den Putsch in San Pedro Sula behauptet, dass lediglich fünf Personen teilgenommen hätten (zeigt ein Foto).

derStandard.at: Haben die von den Militärs geschlossenen Radio- und Fernsehsender mittlerweile wieder den Sendebetrieb aufgenommen? Zumindest im Internet ist Radio Globo weiterhin zu empfangen.

Yadira Rodríguez: Sowohl Radio Globo als auch der Jesuitensender Radio Progreso senden weiterhin, aber am Wahltag werden sie wohl wieder daran gehindert werden, über aktuelle Ereignisse zu berichten.

derStandard.at: Als Präsident Zalaya auf dem Hauptstadtflughafen Toncontín landen wollte, blockierten die Militärs die Landebahn. Warum ist er nicht auf den nahegelegenen Flugplatz Palmerola (die Soto Cano Airbase, auf der US-Joint Task Force-Bravo stationiert ist) ausgewichen?

Yadira Rodríguez: Natürlich hätten ihm die Gringos ermöglichen können, auf ihrem Stützpunkt zu landen. Für mich ist das, was gerade in Honduras geschieht, unter anderem ein Experiment für die zukünftige Lateinamerikapolitik der USA, sie proben hier, wie sie mit Kuba und Venezuela umgehen wollen. Wir sagen hier „Die USA schlagen dich und verstecken dann die Hand hinter dem Rücken“ (gestikuliert). Offiziell schicken sie hohe Vertreter, um eine Verhandlungslösung zu bewirken – aber angesichts der militärischen Überlegenheit der USA und unserer Wirtschaftsabhängigkeit von ihnen (praktisch alle honduranischen Exporte gehen in die USA) hätten sie diesen Putsch binnen Tagen beenden können.

Quelle: derStandard.at/17.11.2009

Zur Person

Die Juristin Yadira Rodríguez und die ehemalige Näherin Iris Oneyda Henríquez sind für das Unabhängige Monitoring-Team Honduras (Equipo de Monitoreo Independiente de Honduras/EMIH) tätig. Die NGO hat es sich zum Ziel gesetzt , die Arbeitsbedingungen in der Exportindustrie Mittelamerikas zu verbessern, wobei sie besonderes Augenmerk auf die Situation von Frauen legt.

25. November 2009 Posted by | Honduras, International, Konterrevolution, Lateinamerika, News, Politik, US-Imperialismus, Venezuela | , , , , , | Hinterlasse einen Kommentar

Honduras:Liberale Internationale kürt Micheletti

Honduras
Montag, den 16. November 2009 um 15:16 Uhr
Putschist Micheletti und Putschistenfreund van BaalenEnde Oktober hat die »Liberale Internationale« (LI), der Zusammenschluss von mehr als 60 liberalen Parteien aus 44 Ländern, in Ägypten ihren alle 18 Monate stattfindenden Weltkongress durchgeführt. Obwohl liberale Politiker sonst kaum einer Kamera aus dem Weg gehen können, blieb dieser Kongress wenig beachtet, selbst die eigenen Medien der deutschen FDP schenkten dem Treffen keine größere Bedeutung. Vielleicht ja auch deshalb, weil die LI sich momentan in der Rolle eines eifrigen Helfers der Putschisten in  Zentralamerika gefällt.
Das erste Signal sendete die LI bereits aus Kairo, als sie den Chef des Putschistenregimes in Honduras, Roberto Micheletti, zu einem Vizepräsidenten der Organisation wählte. Darauf wies jetzt der neue Präsident der Internationale, der niederländische Europaabgeordnete Hans van Baalen, bei einem Besuch in Tegucigalpa hin. Er hoffe, dass Micheletti „nach seiner Zeit als Präsident von Honduras“ eine aktivere Rolle in der LI übernehmen werde: »Wir glauben, daß er den Liberalismus Zentralamerikas der Welt nahebringen und die Demokratie in der Region stärken kann«. Am vergangenen Donnerstag war van Baalen von Micheletti im Präsidentenpalast der honduranischen Hauptstadt empfangen worden. Mit dabei auch zwei Leute, die ihren Job in Honduras deutschen Steuergeldern verdanken: der Zentralamerika-Direktor des FDP-Ablegers Friedrich-Naumann-Stiftung, Christian Luth, und die Honduras-Direktorin dieser Stiftung, Rosalinda Sabillón.

Bereits kurz nach dem Staatsstreich vom 28. Juni hatte die »Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit« begonnen, das Regime international zu verteidigen, indem sie den gestürzten Präsidenten Manuel Zelaya als den eigentlich Verantwortlichen für die Situation ausmachte. Er sei »mehr Täter als Opfer«, hatte die FNF damals geschrieben. Wie der Besuch beim Diktator verdeutlicht, hält die Stiftung dem Regime noch immer die Treue. In einem »Bericht aus aktuellem Anlass« behandelte Stiftungsvertreter und Micheletti-Gast Christian Luth am 6. November das Regime erneut als eine ebenso legitimierte Verhandlungspartei wie die rechtmäßige Regierung, um dann Zelaya mindestens eine Mitverantwortung für das Scheitern des von beiden Seiten unterzeichneten 12-Punkte-Vertrags zuzuweisen: »Micheletti (…) hat seinen Teil des ‚Tegucigalpa-San José-Abkommens‘ erfüllt und den Weg für eine neue Übergangsregierung frei gemacht. Zelaya hingegen steht nun als der Spielverderber des so einmütig gefundenen Kompromisses dar.«

LI-Präsident van Baalen war aus Managua nach Tegucigalpa gekommen. Während er mit Micheletti Eintracht demonstrierte, hatte er im benachbarten Nicaragua die Anhänger der dortigen liberalen Oppositionsparteien zu Straßenprotesten gegen die sandinistische Regierung aufgerufen. Seine Vorwürfe an den nicaraguanischen Präsidenten Daniel Ortega waren die selben, die bereits den Putschisten in Honduras als Rechtfertigung dienten. Ortega in Nicaragua und Zelaya in Honduras hätten sich an der Macht festklammern wollen. Im Fall von Zelaya hatte dafür die geplante Einberufung einer Verfassunggebenden Versammlung gedient, während Ortega ein Urteil des nicaraguanischen Obersten Gerichtshofes zur Last gelegt wird. Die Richter hatten im Oktober eine Gesetzesbestimmung für ungültig erklärt, nach der der amtierende Präsident nicht für eine Wiederwahl kandidieren durfte. So kann sich Ortega bei der nächsten Präsidentschaftswahl 2011 um eine Wiederwahl bewerben.

Für van Baalen bedeutet das: »Es ist im Augenblick sehr eindeutig, dass Daniel Ortega beabsichtigt, das Amt des Präsidenten auf unbegrenzte Zeit zu besetzen. Es wird versucht, dieses mittels der Verfassung zu erreichen oder sie finden andere Wege; ich bin überzeugt, dass die Sandinisten Gewalt anwenden werden, um sich an der Macht zu halten«. Deshalb solle die nicaraguanische Opposition gegen die sandinistische Regierung demonstrieren und dürfe kein Abkommen mit Ortega schließen.

Ortega reagierte auf diese Einmischung des »schamlosen holländischen Piraten« in die inneren Angelegenheiten Nicaraguas mit der Anklage, van Baalen habe versucht, die nicaraguanischen Streitkräfte zu einem Putsch aufzuhetzen. Van Baalen habe unter dem Vorwand um eine Unterredung mit hohen Offizieren der Armee gebeten, diesen zum 30. Jahrestag ihrer Gründung beglückwünschen zu wollen. »Er wollte herausfinden, wie weit unsere Armee die gleiche Haltung hat, wie die Armee von Honduras, aber er sah sich einer patriotischen, die Einmischung zurückweisenden Haltung gegenüber. Unsere Armee verfolgt die selbe Politik wie der nicaraguanische Staat, die auch von der internationalen Gemeinschaft geteilt wird«, betonte Ortega. Mit Blick auf die Ernennung Michelettis zum LI-Vizepräsidenten erklärte der nicaraguanische Präsident: »Das muss man aufmerksam beobachten, denn von dort kommen die Putsche. Man sieht, wie sich die Liberale Internationale bemüht, die Putschisten zu ermutigen, zu stärken und zu belohnen, aber hier wollte uns dieser Pirat etwas von Demokratie erzählen.«

Quelle: http://www.redglobe.de

19. November 2009 Posted by | CDU/FDP, Honduras, International, Konterrevolution, Lateinamerika, News, US-Imperialismus | , , | Hinterlasse einen Kommentar

Honduras: Das Abkommen wurde als Farce entlarvt – Boykottiert die Wahlen!

Honduras: Das Abkommen wurde als Farce entlarvt – Boykottiert die Wahlen!

von Jorge Martín, 16. November 2009

In unserem vorherigen Artikel haben wir erklärt, dass es sich bei dem  Tegucigalpa/San-Jose-Abkommen, das am 30. Oktober von Vertretern des rechtmäßigen Präsidenten Mel Zelaya und denen des Putschisten-Regimes Micheletti unterzeichnet wurde, in Wirklichkeit um eine Farce handelt.

Der Inhalt des Abkommens war schon ziemlich schlimm, obwohl es von Mel Zelaya und einigen Führern des Widerstands als Sieg präsentiert wurde, aber es enthielt wenigstens einen Passus, der die Wiedereinsetzung von Präsident Zelaya, der am 28. Juni durch einen Militärputsch gestürzt worden war,  beinhaltete, aber die Oligarchie hatte keine Absicht, diese Forderung umzusetzen und begann sehr schnell zu tricksen.

Wir haben bereits davor gewarnt, dass die Wiedereinsetzung von Zelaya dem Nationalkongress überlassen wird, der in dieser Frage den Obersten Gerichtshof um Rat fragen kann. Das war eindeutig eine Falle, da sowohl dem Kongress als auch dem Gerichthof erst durch den Putsch im Juni dieses „Recht“ zugestanden wird. Tatsächlich hat der Präsident des Kongresses, der wegen der am 29. November einberufenen Wahlen nicht tagt, den Gerichtshof und weitere Körperschaften angerufen, um so die Entscheidung über Zelaya zu verzögern. In der Zwischenzeit hat Putschisten-Führer Micheletti seine Regierung zum Rücktritt bewogen und anschließend dieselben Leute in die ‚Regierung der Nationalen Einheit und Versöhnung‘ berufen, in der keine VertreterInnen Zelayas sind. Die Farce ist komplett. Bis zum heutigen Datum hat der Oberste Gerichtshof noch nicht auf die Anfrage des Kongresses reagiert.

Das alles hätte so nicht funktioniert oder hätte nicht den Hauch von Legitimität gehabt, wenn nicht die US-Administration deutlich gemacht hätte, dass sie unabhängig von der Entscheidung des Kongresses über die Frage der Wiedereinsetzung Zelayas, die Wahlen anerkennen wird.

In einem interessanten Artikel von Tomás Andino, einem der führenden Köpfe des Widerstands und Parlamentsmitglied für die linke Demokratische Vereinigungspartei (UD), heißt es: „Das Tegucigalpa-Abkommen, ist weit davon ein Sieg zu sein, es bedeutet in der Tat die Kapitulation Zelayas. Das Abkommen ist im Sinne des Empires geschrieben worden. Es ist schade, dass Mel die Kröte geschluckt und mit seiner Unterschrift das Abkommen beglaubigt hat… Es stellt sich die  Frage, dass, obwohl er unterschrieben hat, das Empire deutlich gemacht hat, dass es jede vom Nationalkongress getroffene Entscheidung akzeptieren wird, und wahrscheinlich die Wiedereinsetzung vor der Wahlfarce vom 29. November nicht akzeptieren wird, um diese nicht zu gefährden.

Boykottiert die Wahlen

Angesicht dieser Situation hat die Nationale Widerstandsfront sich entschieden, die Wahlen vom 29. November zu boykottieren. Der Kandidat der Gewerkschaften, Carlos H. Reyes, hat sich nach Rücksprache mit der Basis entschlossen, bei den Wahlen nicht zu kandidieren und zu einem Boykott aufzurufen. Eine Anzahl von KandidatInnen aus anderen Parteien (Liberale, PINU u.a.) haben ebenfalls ihren Rückzug bekannt gegeben.

Die Lage bei der linken UD ist jedoch etwas komplizierter. Die Parteiführung ist in zwei Flügel gespalten. Der offizielle Flügel, der von Cesar Ham, angeführt wird, nimmt eine opportunistische Haltung ein, und argumentiert, sie müsse am Wahlverfahren teilnehmen, um ihre Wahlregistrierung zu behalten. Außerdem würde die Partei vier Millionen Lempiras aus der staatlichen Parteienfinanzierung verlieren, falls sie die Wahlen boykottiere. Dieses Haltung ist eindeutiger Verrat an der Widerstandsbewegung. Mitglieder und AktivistInnen der UD haben sich aktiv am Widerstand beteiligt und mindestens fünf ihrer Mitglieder sind bei Widerstandsaktionen ermordet worden. Der Ham-Flügel der UD besteht aus heimtückischen Opportunisten, die sich mehr um ihre Arbeitsplätze und ihr Geld sorgen als um die Prinzipien für die sie behaupten zu stehen.

Es gibt auch einen anderen UD-Flügel, der von Renan Valdez und Tomás Andino u.a. angeführt wird, der sich selbst die ‚Wahre Führung der DU‘  nennt und gegen die Wahlen und für den Boykott auftritt. Dieser Flügel hat an die Basis appelliert, zu verhindern, dass die Partei die Wahlfarce unterstützt. Sie argumentieren richtiger Weise, dass „die Teilnahme an den manipulierten Wahlen das Putschisten-Regime legitimiere, schwierigere Bedingungen für die Niederlage der neuen Regierung zu schaffen und die UD zu einem Komplizen der Putschisten machen würde.“

Wir können feststellen, dass die Verhandlungen und das so genannte Abkommen die Rolle gespielt haben, für die sie gedacht waren:  Bei der Widerstandsbewegung für Verwirrung zu sorgen und den von den Putschisten einberufenen Wahlen einen gewissen Grad an Rechtmäßigkeit zu geben. In Washington wurde bereits signalisiert, das Wahlergebnis als rechtmäßig anzuerkennen. Der Flügel der US-Administration, der den Putsch von Anfang an unterstützt hat, hat sich gegen diejenigen durchgesetzt, die zwar mit den Zielen der Putschisten übereinstimmten, nicht aber notwendigerweise deren Methoden für gut hielten.

Jetzt ist die Situation für die Massenbewegung klar: Die Putschisten sind nur durch die Mobilisierung der Massen zu besiegen, nicht durch Verhandlungen. Tomás Andino schreibt richtig: „Es gibt nur eins, was die Lage für den Volkswiderstand retten kann, um das Eis zu brechen. Zuerst einmal müssen wir uns weigern das Tegucigalpa-Abkommen anzuerkennen und die Bevölkerung mobilisieren, um die Wahlfarce der Oligarchie am 29. November verhindern. So würden wir verhindern, dass eines der wichtigsten Ziele zur Umsetzung des Abkommens, nämlich die Legitimierung des Putsches durch Wahlen, nicht erreicht wird und nur so können wir die Bedingungen für die mittelfristige Niederlage des Putschisten-Regimes schaffen und das Ziel unseres Kampfes – die Verfassungsgebende Versammlung – erreichen.

Diese Perspektive ist unserer ähnlich. wir schrieben am 28. Oktober: “ Um den Kampf vorwärts zu bringen und ihn fortzusetzen, ist es unbedingt notwendig, Verhandlungen mit dem Regime abzulehnen und anschließend einen ernsthaften Kampf gegen die Wahlen vom 29. November zu führen. Diese Wahlen sollten allgemein abgelehnt werden, denn sie wurden von einem unrechtmäßigen Regime unter den Bedingungen der brutalen Repression ausgerufen. Der Boykott sollte durch eine massive politische Aufklärungskampagne in den Stadtvierteln organisiert werden und zu Massendemonstrationen sowie einem genau geplanten Generalstreik führen.“

Weiter heißt es in unserem Artikel:“ Die mutige Bewegung der honduranischen Massen ist nicht umsonst gewesen. Sie hat mächtige Organisationsstrukturen und Verbindungen zwischen den aktivsten Gruppen der Massen geschaffen. Die Massenbewegung hat ihr eigene Stärke und Kraft gespürt. Und vor allem hat der Bewusstseinsstand einen riesigen Sprung vorwärts gemacht. Das alles sollte nicht vergebens gewesen sein, was auch immer in den nächsten Wochen passiert. Keines der grundlegenden Probleme der honduranischen Massen ist gelöst worden und sie können nicht unter den Bedingungen eines kapitalistischen System gelöst werden, deshalb gibt es keine Alternative zur Fortsetzung des Kampfes. Es ist notwendig die fortschrittlichsten AktivistInnen der Bewegung in einer marxistischen Organisation zu sammeln. Innerhalb der der honduranischen ArbeiterInnen-Bewegung werden die MarxistInnen darum kämpfen, dem revolutionären Kampfes der Massen eine weitsichtige und entschlossene Führung zu geben, um diese zum Sieg zu führen.“

17. November 2009 Posted by | Honduras, International, Konterrevolution, Lateinamerika, News, Revolution, US-Imperialismus | , , , , | 2 Kommentare

Honduras: Abkommen oder Farce?

Honduras: Abkommen oder Farce?

von Jorge Martin

04.11.2009

Es ist viel Lärm um die so genannte „Wiedereinsetzung Zelayas“ gemacht worden, aber was passiert wirklich? Es hat intensive Verhandlungen gegeben, aber es wurden bisher keinerlei Schritte unternommen, um den rechtmäßigen Präsidenten Zelaya wieder in das Amt einzusetzen. In den nächsten Tagen werden wir sehen, ob das Abkommen tatsächlich umgesetzt wird.

Am Montag, den 26. Oktober, waren die Verhandlungen zwischen den Vertretern Zelayas und denen des Micheletti-Regimes abgebrochen worden. Man stimmte mit den meisten Forderungen der Zelaya-Delegation überein, außer mit der Wiedereinsetzung in das Präsidentenamt. Putschisten-Führer Micheletti rühmte sich damit, nur zurückzutreten, wenn Zelaya sich bereit erklärte auf sein Amt zu verzichten.

Die Ankunft einer hochrangigen Delegation aus den USA unter Führung von Unterstaatssekretär Tom Shannon veränderte alles. Micheletti, der bereits einen Anruf von Hilary Clinton erhalten hatte, wurde eindeutig mitgeteilt, dass die USA die von den Putschisten einberufenen Wahlen vom 29. November nicht anerkennen würden, falls nicht ein Abkommen auf der Grundlage des San-José-Abkommen zustande käme, einschließlich der Wiedereinsetzung Zelayas.

Wir haben bereits mehrfach erwähnt, dass die Bedingungen des San-José-Abkommens die Putschisten bereits durch die Errichtung einer Regierung der nationalen Einheit und der Amnestie für die Putschisten eindeutig bevorzugen würden und Zelaya seine Vorstellung von einer Verfassungsgebenden Versammlung aufgeben müsste, die Wiedereinsetzung des rechtmäßigen Präsidenten nur für einige Monate sein würde und er die Macht am 28. Januar 2010 einer neu gewählten Regierung übergeben müsste.

Warum sperrte sich Micheletti solange gegen die Unterzeichnung dieser Bedingungen? Er befürchtete zu Recht, dass wenn Zelaya wieder an der Macht wäre, selbst geknebelt und gefesselt, dies als Sieg der Widerstandsbewegung des honduranischen Volkes angesehen würde. Das wäre sehr gefährlich und könnte zu einem Wahlsieg eines vom Widerstand unterstützten Kandidaten führen. Wenn die Wahlen frei und fair ablaufen würden, stände die Widerstandsbewegung einmütig hinter dem Gewerkschaftsführer Carlos H. Reyes und könnte die Wahlen gewinnen. Meinungsumfragen weisen darauf hin, dass es eine starke Unterstützung für den Kandidaten der Demokratischen Vereinigungspartei, bei der Wahl zum Bürgermeister in der Hauptstadt Tegucigalpa, gibt.

Die Oligarchie war in dieser Frage eindeutig gespalten. Während eine Gruppe die Verhandlungen als Verzögerungstaktik betrachtete, welche die „internationale Gemeinschaft“ letztlich zwingen sollte, die Ergebnisse ihrer Wahlen vom 29. November anzuerkennen, fürchtete die andere Gruppe, dass ein massiver Wahlboykott, diese für unrechtmäßig erklären könnte. Washington drohte daraufhin, den Druck auf die Oligarchie – einschließlich deren Bankkonten – zu erhöhen.

Es scheint, als ob es zu einem Geheimabkommen zwischen Shannon und dem Kandidaten der Nationalen Partei Pepe Lobo gekommen ist, obwohl beide heftig bestreiten, sich jemals getroffen zu haben. Es wurde abgemacht, Zelayas Wiedereinsetzung an den Nationalkongress zu verweisen, wo die Stimmen der Anhänger Zelayas Liberalen Partei – die mittlerweile gespalten ist in Zelayistas und Putschanhängern – zusammen mit den Stimmen der Mitglieder der Nationalen Partei eine Mehrheit hätten. Dafür würden Zelaya und die „internationale Gemeinschaft“ die Wahlen vom 29. November anerkennen, die Lobo zu gewinnen hofft, falls nötig, durch Wahlbetrug.

Zelaya begrüßte das Abkommen als Sieg. „Es ist ein Triumph für die honduranische Demokratie“ , sagte er, „es bedeutet meine Rückkehr ins Amt in den nächsten Tagen und Frieden für Honduras.“

Eine Verlautbarung der Nationalen Widerstandsfront begrüßte das Abkommen ebenfalls als Sieg des Volkes. Ohne den heldenhaften Widerstand der ArbeiterInnen, der Bäuerinnen und Bauern sowie der Jugend Honduras seit über mehr als vier Monate wäre der Putsch zweifelsohne erfolgreich verlaufen und das Putschisten-Regime wäre früher oder später von der internationalen Gemeinschaft als rechtmäßig anerkannt worden. Wir müssen uns aber fragen, was sind die im Abkommen vereinbarten Bedingungen und können diese überhaupt in die Praxis umgesetzt werden?

Das ‚Tegucigalpa/San-José-Abkommen‘, wie es bezeichnet wird,  erwägt die Bildung einer Regierung der „Einheit und der nationalen Versöhnung“. In der Praxis sähe das so aus, dass sich die Putschisten und die Zelaya-Anhänger die Macht teilen müssten, was eindeutig zu einer Lähmung führen wird. Der Haushalt, auf dessen Grundlage die Regierung handelt würde, müsste von dem Kongress in seiner Zusammensetzung nach dem Putsch bewilligt werden.

Der zweite Punkt des Abkommens schließt jeglichen „direkten oder indirekten“ Aufruf zur Einberufung der Verfassungsgebenden Versammlung und jeden Versuch zur Förderung und Unterstützung einer Volksbefragung mit dem Ziel der Verfassungsänderung aus. Der unmittelbare Grund für den Putsch durch die Oligarchie war es, eine Volksabstimmung zur Einberufung einer Verfassungsgebenden Versammlung zu verhindern. Mit diesem im Abkommen aufgeführten Punkt werden die Gründe für den Staatsstreich gerechtfertigt.

In Punkt drei werden die von den Putschisten einberufenen Wahlen am 29. November anerkannt und das Volk wird aufgerufen, daran teilzunehmen.

Im vierten Punkt wird festgestellt, dass Polizei und Armee zur Organisation und Überwachung der Wahlen für den Zeitraum von einem Monat vor der Wahl unter die Kontrolle des obersten Wahlgerichts gestellt werden. Da die Wahlen am 29. November abgehalten werden,  bedeutet das, dass Polizei und Armee sich außerhalb der Kontrolle des Präsidenten befinden.

Der fünfte Punkt behandelt die Wiedereinsetzung des Präsidenten. Hier wird tatsächlich ausgesagt, dass die Verhandlungskommission den Nationalkongress „respektvoll“ bittet, nach Beratungen mit dem Obersten Gerichtshof und anderen für nötig gehaltenen Instanzen, die Exekutive in den Zustand von vor dem 28. Juni bis zum Ende der Amtszeit am 27. Januar zu versetzen. Die Entscheidung, Zelaya ins Präsidentenamt zu berufen, wird dem demselben Kongress überlassen, der ihn aus dem Amt entfernt hat, nachdem der oberste Gerichthof die „Rechtmäßigkeit“ seiner Entfernung bestätigt hatte.

Wir haben es mit einer Situation zu tun, in der Zelaya alle möglichen Zugeständnisse macht, ohne dass seine Wiedereinsetzung überhaupt klargestellt ist. In dem Abkommen sind noch weitere Punkte, u. a. der Aufruf an die internationale Gemeinschaft, die Wahlen anzuerkennen und alle Sanktionen aufzuheben. Es endet mit einer Danksagung, in der besonders die Rolle der Organisation Amerikanischer Staaten, von US-Präsident Obama und Außenministerin Clinton betont werden.

Aber dieses Abkommen, so schlecht es auch ist, ist nicht das Ende der Fahnenstange. Der Kongress ist eigentlich des Amtes enthoben und müsste zu einer Sondersitzung einberufen werden, um über die Wiedereinsetzung Zelayas, der sich immer noch in der brasilianischen Botschaft verstecken muss, abzustimmen. Beim Treffen am 03. November haben sich die Kongress-Vorsitzenden für die Annahme des Abkommens entschieden. Sie haben den Obersten Gerichtshof, den Generalstaatsanwalt und weitere Körperschaften um deren Meinung zur Wiedereinsetzung Zelayas gefragt, bevor sie eine endgültige Entscheidung treffen. Micheletti hat zwischenzeitlich die Bildung einer Regierung der nationalen Einheit auf seine Art interpretiert. In einem Brief an Zelaya hat er diesen gebeten, ihm eine Liste mit zehn Namen zukommen zu lassen, aus der die Mitglieder der neuen Regierung ausgewählt werden sollen, was bedeutet, dass er diese selbst aussucht. Tom Shannon hat erklärt, dass die Entscheidung des Kongress respektiert werden muss, unabhängig davon, wie diese aussieht, selbst wenn entschieden wird, dass Zelaya nicht wieder in sein Amt eingesetzt wird. Er fügte hinzu, dass die USA die Wahlen vom 29. November anerkennen werden, selbst wenn der Kongress Zelaya nicht wiedereinsetzt.

Aus der Sicht Zelayas und der Widerstandsbewegung hat sich deshalb nicht viel geändert. Der rechtmäßige Präsident befindet sich immer noch in der Obhut der brasilianischen Botschaft, die von Bereitschaftspolizei und Armee umzingelt ist. Polizei und Armee prügeln weiter auf friedliche DemonstrantInnen ein und die Putschisten sind immer noch an der Macht.

Washington feiert das Abkommen als Sieg seiner diplomatischen Strategie, die Oligarchie ist ihrem Ziel näher gekommen, dass die Wahlen am 29. November international anerkannt werden und der Putschisten-Führer Micheletti ist noch Präsident.

Es ist schwer vorherzusagen, was in den nächsten Tagen passieren wird. Ein zusätzlicher Druck aus Washington könnte zur kurzzeitigen Wiedereinsetzung eines machtlosen Zelaya führen, die Oligarchie könnte aber auch zusätzliche Tricks anwenden, um das weiter hinauszuzögern.

Es gibt nur einen wirklichen Ausweg aus dieser Sackgasse. Die Massen müssten wieder aktiv werden und das Geschehen in ihre eigenen Hände nehmen. Sie können nur auf ihrer eigenen Kraft vertrauen, nicht auf die anderer.

Quelle: http://www.marxist.com   Übersetzung: Tony Kofoet

6. November 2009 Posted by | Honduras, International, Konterrevolution, Lateinamerika, Politik, Revolution, US-Imperialismus | , , , , | Hinterlasse einen Kommentar

Der Fall der Berliner Mauer: 20 Jahre danach

Der Fall der Berliner Mauer: Zwanzig Jahre danach

von Alan Woods

Im Jahr 2009 haben wir es mit vielen Jahrestagen zu tun, u. a. der Ermordung von Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht, der Gründung der Kommunistischen Internationale und der Asturischen Kommune. Keines dieser Ereignisse findet in der kapitalistischen Presse ein Echo. Aber es gibt einen Jahrestag, den sie nicht vergessen: Am 09. November 1989 wurde die Mauer, welche die Bundesrepublik von der DDR trennte, geöffnet.

Der Fall der Berliner Mauer ist als Synonym für den Zusammenbruch des „Kommunismus“ in die Geschichte eingegangen. In den letzten zwanzig Jahren seit diesem bedeutsamen Ereignis haben wir weltweit eine bisher nie dagewesene ideologische Offensive gegen den Marxismus erlebt. Der Mauerfall wird als der entscheidende Beweis für den Tod des Kommunismus, des Sozialismus und des Marxismus gehalten. Vor nicht zu langer Zeit wurde er sogar als das Symbol für das Ende der Geschichte präsentiert. Aber seit diesem Zeitpunkt hat sich das Rad der Geschichte mehrmals gedreht.

Das Argument, dass seither das kapitalistische System die einzige Alternative für die Menschheit ist, hat sich als unglaubwürdig erwiesen. Am 20. Jahrestag des Zusammenbruchs des Stalinismus befindet sich der Kapitalismus selbst in der schlimmsten Rezession seit der Weltwirtschaftskrise. Vielen Menschen sehen sich mit einer Zukunft konfrontiert, in der Arbeitslosigkeit, Armut, Kürzungen und Entbehrung das tägliche Leben bestimmen.

Die bösartige antikommunistische Kampagne wird momentan noch verstärkt. Der Grund dafür ist leicht zu verstehen. Die weltweite Krise des Kapitalismus führt dazu, dass die „Marktwirtschaft“ immer häufiger in Frage gestellt wird. Das Interesse an marxistischen Konzepten lebt wieder auf, was die Bourgeoisie natürlich beängstigt. Die neue Verleumdungskampagne ist eine Widerspiegelung ihrer Angst.

Karikatur des Sozialismus

In Russland und Osteuropa scheiterte nicht der Kommunismus oder Sozialismus, wie ihn Marx oder Lenin sich vorgestellt hatten, sondern eine bürokratische und totalitäre Karikatur. Lenin erklärte, dass die Entwicklung  in Richtung Sozialismus eine demokratische Kontrolle von Industrie, Gesellschaft und Staat durch das Proletariat erfordert. Ein wirklicher Sozialismus ist unvereinbar mit der Herrschaft einer privilegierten bürokratischen Elite, die von einer kolossalen Korruption, Vetternwirtschaft, Verschwendung, Misswirtschaft und von Chaos begleitet wird.

Die verstaatlichten geplanten Ökonomien in der UdSSR und Osteuropa erreichten in den Bereichen der Industrie, der Wissenschaft, der Gesundheit und der Bildung erstaunliche Ergebnisse. Aber wie Trotzki bereits 1936 vorhersagte, würde das bürokratische Regime die verstaatlichte geplante Wirtschaft endgültig untergraben und den Weg für deren Zusammenbruch und die Rückkehr des Kapitalismus vorbereiten.

In den 1980ern hatte die UdSSR mehr WissenschaftlerInnen als die USA, Japan, Britannien und die BRD zusammen und war trotzdem nicht in der Lage, die gleichen Ergebnisse zu erzielen wie der Westen. In den lebenswichtigen Bereichen der Produktivität und des Lebensstandards hinkte die UdSSR hinter dem Westen her. Der Hauptgrund dafür war die enorme Last, die der sowjetischen Wirtschaft von der Bürokratie aufgebürdet wurde, d.h. von den Millionen gierigen und korrupten Funktionären, welche die UdSSR regierten, ohne von der Arbeiterklasse kontrolliert zu werden.

Die erdrückende Rolle der Bürokratie führte schließlich zu einem Niedergang der Wachstumsraten in der UdSSR und das Zurückfallen des Landes hinter dem Westen. Die Kosten für die Aufrechterhaltung der Militärausgaben und die Knebelung Osteuropas belasteten die sowjetische Wirtschaft zusätzlich.

Gorbatschow repräsentierte den Flügel der Sowjetbürokratie, der für Reformen von oben stand, um das Regime als Ganzes zu erhalten. Die Situation verschlechterte sich aber unter Gorbatschow und führte unmittelbar zu einer Krise, welche unmittelbare Auswirkungen auf Osteuropa hatte, wo die Krise des Stalinismus durch die nationale Frage verschärft wurde.

Gärung in Osteuropa

Im Jahre 1989 verbreitete sich eine Welle der Rebellion von einer Hauptstadt in die nächste und stürzte ein stalinistisches Regime nach dem anderen. In Rumänien wurde Ceausescu von der Revolution gestürzt und hingerichtet. Ein Schlüsselfaktor für die Volksaufstände war die Krise in der UdSSR. In der Vergangenheit hatte Moskau die Rote Armee geschickt, um Aufstände in der DDR (1953), Ungarn (1956) und der CSSR (1968) niederzuschlagen. Aber Gorbatschow war klar, dass diese Option nicht mehr möglich war.

Die Massenstreiks in Polen zu Beginn der 1980er waren ein früher Ausdruck für die Sackgasse, in dem sich das Regime befand. Wenn diese hervorragende Bewegung von echten MarxistInnen angeführt worden wäre, hätte sie den Boden für eine politische Revolution bereiten können, und das nicht nur in Polen, sondern in ganz Osteuropa. Aber da eine derartige Führung fehlte, wurde die Bewegung von konterrevolutionären Elementen wie Lech Walesa in die Irre geführt.

Anfangs versuchten die polnischen Stalinisten die Bewegung mit Repressionsmaßnahmen niederzuhalten, aber schließlich wurde die Solidarnosc legalisiert und es wurde ihr gestattet an den Parlamentswahlen vom 04. Juni 1989 teilzunehmen. Es folgte ein politisches Erdbeben. Die Kandidaten der Solidarnosc gewannen allen ihnen zugestandenen Sitze. Dies hatte eine starke Auswirkung auf die Nachbarstaaten.

In Ungarn hatte man frühzeitig erkannt, was bevorstand und Janos Kadar wurde 1988 als Generalsekretär der KP abgelöst und das Regime akzeptierte ein „Demokratiepaket“ einschließlich Wahlen. Die CSSR war kurze Zeit später betroffen und die Zahl der Demonstranten stieg von 200.000 am 19. November 1989 auf eine halbe Millionen am folgenden Tag. Am 27. November kam es zu einem zweistündigen Generalstreik.

Diese dramatischen Ereignisse markierten einen bedeutenden Wendepunkt in der Geschichte. Fast ein halbes Jahrhundert hatten die Stalinisten nach dem 2. Weltkrieg Osteuropa mit einer eisernen Hand regiert. Ihre monströsen Parteien wurden von einem mächtigen Unterdrückungsapparat von Armee, Polizei, Geheimpolizei, und Spitzel in jedem Häuserblock, jeder Schule und Universität sowie jeder Fabrik gestützt. Es schien fast unmöglich, dass Volksaufstände jemals in der Lage sein könnten, die Macht eines totalitären Staates und seiner Geheimpolizei erfolgreich zu stürzen. Aber im Augenblick der Wahrheit erwiesen sich die scheinbar unbesiegbaren Regimes als Riesen auf tönernen Füßen.

Die DDR

Die DDR war von allen osteuropäischen Regimes industriell und technologisch am höchsten entwickelt. Der Lebensstandard war gut, obwohl er niedriger lag als in der BRD. Es gab eine Vollbeschäftigung und jeder hatte Zugang zu günstigem Wohnraum, kostenloser medizinischer Versorgung und einer qualitativ hohen Bildung.

Jedoch war die Herrschaft eines totalitären Einparteienstaats mit seiner allgegenwärtigen Geheimpolizei, der berüchtigten Stasi, seiner Armee von InformantInnen, seinen korrupten Funktionären und den Privilegien der Elite eine Quelle der Unzufriedenheit. Vor der Errichtung der Berliner Mauer waren ungefähr 2,5 Millionen DDR-BürgerInnen in die BRD übergesiedelt, viele davon über die Grenze zwischen Ost- und Westberlin. Um dieses Ausbluten aufzuhalten, baute das Regime die Berliner Mauer.

Durch die Mauer und weitere Grenzbefestigungen entlang der 1378 km langen Grenze zwischen der DDR und der BRD wurde der Exodus eingedämmt. Diese Maßnahme trug wahrscheinlich zur Förderung des ökonomischen Wachstums in der DDR bei, verursachte andererseits Leid und Not bei den Familien, die von der Teilung betroffen waren, und war schließlich ein Propaganda-Geschenk für den Westen, der die Mauer als ein weiteres Beispiel für die „kommunistische Tyrannei“ präsentierte.

Am Ende der 1980er war die Lage in der DDR explosiv. Der Altstalinist Erich Honecker war ein unerbittlicher Gegner von Reformen. Sein Regime verbot sogar die Verbreitung „subversiver“ Publikationen aus der UdSSR. Am 06. und 07. Oktober besuchte Gorbatschow die DDR , um den 40. Jahrestag des Landes zu begehen, dabei übte er Druck auf die SED-Führung, um Reformen zu akzeptieren. Er sagte damals: „Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben.“

Zu diesem Zeitpunkt bestand unter den BürgerInnen der DDR eine unverblümte rebellische Stimmung. Oppositionelle Gruppen sprossen wie Pilze aus dem Boden. Dazu gehörten das ‚Neue Forum‘, der ‚Demokratische Aufbruch‘ und ‚Demokratie Jetzt‘. Die größte Oppositionsbewegung entstand bei einem protestantischen Gottesdienst in der Nicolai-Kirche in Leipzig, wo sich BürgerInnen montags nach dem Gottesdienst versammelten und Veränderungen in der DDR forderten. Diese Bewegungen waren jedoch konfus und politisch naiv.

Eine Welle von Massendemonstrationen fegte durch die ostdeutschen Städte und erlangten besonders in Leipzig eine enorme Stärke. Hunderttausende Menschen schlossen sich den Demonstrationen an. Das Regime geriet in eine Krise, die zur Ablösung des stalinistischen Betonkopfes Erich Honecker und zum Rücktritt des gesamten Kabinetts führte. Unter dem Druck der Massenbewegung rief der neue SED-Führer Egon Krenz demokratische Neuwahlen aus. Aber die vom Regime vorgeschlagenen Reformen waren zu gering und kamen zu spät.

Die „kommunistischen“ Führer erwägten Gewalt anzuwenden, änderten aber nach einer Intervention Gorbatschows ihre Meinung. Die Ereignisse gerieten nun außer Kontrolle. In den nächsten Tagen herrschten beinahe anarchische Verhältnisse: Die Geschäfte blieben Tag und Nacht geöffnet und ein DDR-Pass diente als Freifahrtschein für den öffentlichen Personenverkehr. Ein Beobachter drückte es wie folgt aus:“Im Allgemeinen gab es in jenen Tagen mehr Ausnahmen als Regeln.“ Die Macht lag auf der Straße, aber es gab niemanden, der sie aufheben wollte.

Angesichts der Massendemonstrationen brach der scheinbar allmächtige DDR-Staat wie ein Kartenhaus zusammen. Nach einigen Woche der Massenunruhe kündigte die DDR-Regierung am 09. November 1989 an, dass alle BürgerInnen die BRD und Westberlin besuchen konnten.  Dies war das Signal für eine neue Masseneruption. Spontan kletterten die Menschen massenhaft auf die Mauer und überquerten sie, wobei sich ihnen Westberliner auf der anderen Seite anschlossen.

Konterrevolution

Die Berliner Mauer war ein Symbol und ein Kristallisationspunkt für alles, was am DDR -Regime gehasst wurde. Die Zerstörung der Mauer begann ziemlich spontan. In den folgenden Wochen wurden Teile der Mauer abgemeißelt. Später wurde schweres Gerät eingesetzt, um die letzten Reste zu entfernen. Es herrschte eine Feiertagsatmosphäre, eine euphorische Stimmung, die mehr an Karneval erinnerte als an eine Revolution. Aber das hat bisher auch auf die frühen Stadien aller Revolutionen seit 1789 zugetroffen.

Im November 1989 war die Bevölkerung der DDR von einer emotionalen Stimmung überwältigt – ein Gefühl der Befreiung, das von einem allgemeinen Gefühl des Stolzes durchsetzt war. Es war so, als ob eine ganze Nation sich in einem Rausch befand und aus diesem Grund für Anregungen und plötzliche Impulse offen war. Der Sturz des alten Regimes war einfacher gewesen als man zu glauben gewagt hatte. Aber nach Sturz stellte sich die Frage, was an seine Stelle treten sollte. Die Massen hatten das alte Regime gestürzt und wussten genau, was sie nicht wollten, hatten aber auch keine genauen Vorstellungen, was sie wollten und niemand zeigte ihnen einen Ausweg.

Alle objektiven Bedingungen für eine politische Revolution lagen nun vor. Die große Mehrheit der Bevölkerung wollte keine Restauration des Kapitalismus. Sie wollte einen echten Sozialismus mit demokratischen Rechten, ohne Stasi, ohne korrupte Bürokraten und ohne die Diktatur eines Einparteienstaats. Wenn es eine wirkliche marxistische Führung gegeben hätte, hätte es zu einer politischen Revolution und der Errichtung einer Arbeiterdemokratie kommen können.

Der Fall der Berliner Mauer endete jedoch nicht mit einer politischen Revolution, sondern mit einer Konterrevolution in Form der Vereinigung mit der BRD. Diese Forderung hatte zu Beginn der Demonstrationen keine herausragende Bedeutung. Da jedoch die Führung kein klares Programm besaß, wurde der Ruf nach der Vereinigung laut und nahm allmählich die zentrale Rolle an.

Die meisten OppositionsführerInnen hatten kein klares Programm oder politische Perspektiven, außer dem Wunsch nach Demokratie und Bürgerrechten. Wie die Natur verabscheut die Politik ein Vakuum. BRD-Kanzler Helmut Kohl war ein aggressiver Repräsentant des Imperialismus. Er wandte die perfideste Bestechungsmethode an, um von der DDR-Bevölkerung die Zustimmung für eine sofortige Vereinigung zu erhalten, als er ihnen den Umtausch der Ostmark in D-Mark zu einem Kurs von 1:1 anbot. Kohl aber sagte den Menschen in der DDR nicht, dass die Vereinigung nicht bedeutete, dass sie denselben Lebensstandard haben würden wie die Westdeutschen.

Im Juli 1990 wurden die letzten Hindernisse für die deutsche Vereinigung beiseite geräumt, als Gorbatschow zustimmte, die sowjetischen Vorbehalte für ein vereinigtes Deutschland als NATO-Mitglied fallenzulassen und dafür im Gegenzug substanzielle ökonomische Hilfe für die UdSSR erhielt. Die Vereinigung wurde formal am 03. Oktober 1990 vollzogen.

Die Massen wurden betrogen

Die Bevölkerung der DDR wurde betrogen. Ihr wurde nicht gesagt, dass die Einführung einer Marktwirtschaft Massenarbeitslosigkeit, Fabrikschließungen und die faktische Zerstörung großer Teile der industriellen Basis der DDR, einen generellen Preisanstieg und die Entmutigung großer Teile der Jugend zur Folge haben würde, oder dass sie als BürgerInnen zweiter Klasse in ihrem eigenen Land betrachtet würde. Das alles wurde den Menschen nicht mitgeteilt, sie mussten es durch bittere Erfahrungen herausfinden.

Die Vereinigung führte zu einem katastrophalen Zusammenbruch des ostdeutschen Bruttoinlandsprodukts (BIP), das 1990 um 15,6% und 1991 um 22,7% und schließlich um ein Drittel fiel. Millionen Arbeitsplätze gingen verloren. Viele DDR-Fabriken wurden von westdeutschen Konkurrenten aufgekauft und dicht gemacht. Ab 1992 folgten vier Jahre wirtschaftliche Erholung, danach schloss sich eine Stagnationsphase an.

Vor dem 2.Weltkrieg lag das ostdeutsche BIP pro Person leicht über dem deutschen Durchschnitt und damals wie auch zu DDR-Zeiten war Ostdeutschland wohlhabender als die anderen ostdeutschen Staaten. Aber 20 Jahre nach der Vereinigung liegt der Lebensstandard in Ostdeutschland weit hinter dem Westdeutschlands zurück. Die Arbeitslosigkeit ist doppelt so hoch wie im Westen und die Löhne sind bedeutend niedriger.

In der DDR war die Arbeitslosigkeit praktisch unbekannt. Aber die Zahl der Arbeitsplätze sank von 1989 bis 1992 um 3,3 Millionen. Das BIP liegt nicht wesentlich über dem von 1989 und die Beschäftigtenzahlen liegen bei 60% von 1989. Gegenwärtig liegen die Arbeitslosenzahlen für die gesamte BRD bei 8%, für Ostdeutschland jedoch bei 12%. Nichtamtliche Statistiken sprechen sogar von 20% und 50% bei den Jugendlichen. Frauen, die in der DDR einen hohen Grad an Gleichheit erreicht hatten, haben, wie auch in den anderen osteuropäischen Staaten, am meisten gelitten. Soziökonomische Daten für Mitte der 1990er Jahre besagen, dass 15% der weiblichen und 10% der männlichen Bevölkerung in der ehemaligen DDR arbeitslos waren.

1990 versprach Einheitskanzler Kohl: „Durch eine gemeinsame Anstrengung wird es uns gelingen, Mecklenburg-Vorpommern und Sachsen-Anhalt, Brandenburg, Sachsen und Thüringen schon bald wieder in blühende Landschaften zu verwandeln (…).“ Fünfzehn Jahre später musste ein BBC-Bericht zugeben, „dass die Statistik trostlos ist“. Trotz einer Kapitalspritze von 1,25 Billiarden Euros lag die Arbeitslosenrate im Osten 2005 immer noch bei 18,6% (d. h. vor der gegenwärtigen Wirtschaftskrise) und in vielen Regionen bei über 25%.

Halle in Sachsen-Anhalt, das einst ein Zentrum der chemischen Industrie mit mehr als 315.000 Einwohnern war, hat fast ein Fünftel seiner BürgerInnen verloren. Vor dem Mauerfall arbeiteten im „Chemie-Dreieck“ Leuna-Halle-Bitterfeld 100.000 Menschen, heute gibt es gerade noch 10.000 Arbeitsplätze. In Gera waren vor der Wende eine bedeutende Textil- und Waffenindustrie und der Uranabbau angesiedelt. All das gibt es nicht mehr und beinahe alle ehemaligen staatseigenen Betrieb sind seit 1989 stillgelegt worden.

Das pro Kopf BIP  von 49% des Westniveaus 1991 stieg 1995 auf 66%, seit diesem Zeitpunkt gab es keine weitere Annäherung. Die Wirtschaft wuchs jährlich um 5,5%, aber das führte nicht zur Schaffung neuer Arbeitsplätze. Infolge dessen verlassen immer Menschen die ehemalige DDR, seit der Vereinigung sind 1,4 Millionen nach Westdeutschlang gezogen, in der Mehrheit junge und gebildete. Die Auswanderung und ein starker Rückgang bei der Geburtenrate haben dazu geführt, dass die Bevölkerungszahlen in Ostdeutschland seit 1989 zurückgegangen ist.

Es ist eine höchste Ironie der Geschichte, dass 20 Jahre nach der Vereinigung die Menschen aus Ostdeutschland nicht vor der Stasi fliehen, sondern um der Arbeitslosigkeit zu entkommen. Natürlich gibt es auch einige, die vermögend geworden sind. Im BBC-Bericht heißt es: „Großbürgerliche Häuser, von denen viele bis 1989 Munitionslöcher aus dem 2. Weltkrieg aufwiesen, haben ihre alte Pracht wiedererlangt.“

Der Marxismus wird zu neuem Leben erweckt

Wie viele andere ehemalige DDR-Bürger sagt Ralf Wulff, dass er über den Fall der Mauer und die Ablösung des Kommunismus durch den Kapitalismus erfreut gewesen sei. Die Euphorie habe aber nicht lange angehalten. „Es dauerte nur einige Wochen, um festzustellen, worum es bei der freien Marktwirtschaft ging“, sagte Wulff. „Sie bedeutet ungezügelten Materialismus und um Ausbeutung. Menschen bleiben auf der Strecke. Wir hatten nicht die materiellen Annehmlichkeiten. aber der Kommunismus bot doch einiges, was wertvoll war.“ (Reuters)

Hans-Jürgen Schneider, ein 49-jähriger ausgebildeter Ingenieur, ist seit Januar 2004 arbeitslos. Er hat seitdem 286 Bewerbungen abgeschickt, ohne bisher Erfolg gehabt zu haben. „Die Marktwirtschaft kann unsere Probleme nicht lösen“, sagt er. Das Großkapital reißt die Profite an sich, ohne Verantwortung zu übernehmen.“ Mit seiner Meinung steht er nicht allein. ‚Der Spiegel‘ schreibt, dass 73% aller Ostdeutschen glauben, dass Karl Marx‘ Kritik am Kapitalismus immer noch seine  Gültigkeit hat.

Eine weitere Umfrage, die im Oktober 2008 in der Zeitschrift ‚Super Illu‘ veröffentlicht wurde, besagt, dass 52% der Ostdeutschen glauben, dass die Marktwirtschaft „ungeeignet“ und „heruntergewirtschaftet“ ist. 43% würden ein sozialistisches Wirtschaftssystem vorziehen, denn es „schützt die kleinen Leute vor Finanzkrisen und andere soziale Ungerechtigkeiten“. 55%  lehnen Rettungsaktionen für die Banken ab.

Von den jungen Leuten zwischen 18 und 28 Jahre, die nie oder nur kurz in der DDR lebten, wollten 51% den Sozialismus. Die Zahl bei den 30- bis 49-jährigen liegt bei 35%, bei den über 50-jährigen bei 46%. Diese Ergebnisse werden immer wieder bei Interviews mit normalen ostdeutschen BürgerInnen bestätigt. „Wir lasen über die Gräueltaten des Kapitalismus in der Schule. Das hat sich als richtig herausgestellt. Marx hatte absolut Recht“, sagte Thomas Pivitt, ein 46-jähriger Computerspezialist aus Ostberlin. ‚Das Kapital‘ war für den Karl-Dietz-Verlag ein absoluter Bestseller, von dem 2008 über 1500 Exemplare verkauft wurden, drei Mal so viel wie 2007.

„Jeder dachte, es gäbe nie wieder eine Nachfrage nach ‚Das Kapital‘, “ sagte der geschäftsführende Direktor Jörn Schütrumpf Reuters. „Sogar Banker und Manager lesen ‚Das Kapital‘, um zu verstehen, was sie uns angetan haben. Marx ist momentan definitiv aktuell.“ Die Krise hat viele Deutsche sowohl im Westen als auch im Osten überzeugt, dass das System versagt hat. „Ich glaubte der Kommunismus sei Mist, aber der Kapitalismus ist wesentlich schlimmer,“ erklärte der 76-jährige ehemalige Hufschmied Hermann Haibel. „Der freie Markt ist brutal. Der Kapitalist will immer mehr herausquetschen. Mir ging es ganz gut vor dem Mauerfall“, fügte er hinzu. „Niemand macht sich Sorgen um Geld, denn Geld war nicht, was wirklich zählte. Du hattest einen Arbeitsplatz, selbst wenn du keinen wolltest. Die Idee vom Kommunismus war im Nachhinein betrachtet gar nicht so schlecht.“

„Ich glaube nicht, dass der Kapitalismus für uns das richtige System ist“, sagte Monika Weber, eine 46-jährige städtische Angestellte. „Die Verteilung des Wohlstands ist ungerecht. Das sehen wir jetzt. Die kleinen Leute, wie ich, müssen wegen der gierigen Banker für das Finanzchaos mit höheren Steuern bezahlen.“

Viel bedeutender als Meinungsumfragen waren die Ergebnisse der letzten Bundestagswahlen. Die Partei ‚Die Linke‘ erzielte einen deutlichen Stimmenzuwachs und erreichte fast 30% der Stimmen im Osten. Die bürgerlichen Parteien haben hier jetzt keine Mehrheit mehr. Das zeigt, dass die Menschen im Osten keinen Kapitalismus mehr wollen, sondern einen Sozialismus, jedoch nicht die bürokratische und totalitäre Karikatur, die sie hatten, aber einen echten demokratischen Sozialismus, den Sozialismus von Marx, Engels, Liebknecht und Luxemburg.

Quelle: http://www.marxist.com   Übersetzung: Tony Kofoet

 

5. November 2009 Posted by | DDR, Deutschland, Konterrevolution, Politik, Revolution, Sozialismus | , , , | 1 Kommentar