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Linkes Blog aus Ostfriesland

Wehrbeauftragter: Robbe wird sein Amt aufgeben müssen

Wehrbeauftragter Robbe wird sein Amt verlieren

Reinhold Robbe, SPD-Politiker aus Bunde, wird nach Ablauf der Wahlperiode im April sein Amt als Wehrbeauftragter des Bundestages an die FDP-Abgeordnete Hoff abgeben müssen.
Was wird aus Robbe? Wir erinnern uns an den Februar 2004, als der Seeheimer Robbe der Nordwest-Zeitung ein Interview gab, in dem er Folgendes sagte:
„Wir müssen sehen, dass alle Verantwortlichen endlich in die Hufe kommen. Das Ausland läuft uns davon. Deshalb reden die Sozialpartner doch über flexible Arbeitszeitkonten, weniger Gehalt und weniger Urlaub. Von notwendigen Veränderungen kann niemand ausgenommen bleiben – auch die Manager nicht. Jeder in unserem Wirtschaftssystem muss sich Gedanken machen, wie kann auch ich dazu beitragen, das Land wieder  nach vorn zu bringen – mit gesundem Patriotismus.“
Robbe verteidigte damit die von der rot-grünen Regierung begonnene Umverteilung von unten nach oben nach dem Motto: Wir müssen alles dafür tun, damit die deutschen Kapitalisten ordentlich Profite machen und auf dem Weltmarkt konkurrenzfähig sind, dafür müssen aber die diejenigen, welche die Werte schaffen, die Lohnabhängigen, auf Lohn bzw. Gehalt und Urlaub verzichten sowie mehr arbeiten. So einfach stellt sich der Sozialdemokrat Robbe ein „funktionierendes Wirtschaftssystem“ vor. Der Aufschrei bei den Gewerkschaften war 2004 natürlich groß und selbst Robbes Parteifreunde in Ostfriesland stärkten ihm nicht den Rücken.
2005 wurde der ehemalige Kriegsdienstverweigerer Robbe Wehrbeauftragter. Seit er in den Bundestag gewählt wurde, entwickelte sich Robbe zum Militaristen, der jedem Auslandseinsatz der Bundeswehr im Bundestag zustimmte. Als die Bundeswehr sich am Krieg gegen Jugoslawien beteiligte und der damalige Verteidigungsminister Scharping dies mit falschen Behauptungen begründete, sprang ihm Robbe zur Seite. Er diffamierte damals Gregor Gysi, der während des Krieges in Jugoslawien Friedensverhandlungen führte, als Vaterlandsverräter.
Seinen letzten großen Auftritt hatte Robbe Anfang Januar, als er im Spiegel die Äußerungen von Bischöfin Käßmann zum Afghanistan-Einsatz als unverantwortlich bezeichnete. Käßmann übe populistsische Fundamentalkritik, ohne sich jemals persönlich ein Bild vor Ort verschafft zu haben und vermittle Tausenden von gläubigen Soldaten das Gefühl, in Afghanistan gegen Gottes Gebote zu handeln. Robbe führte aus, es sei naiv, in Afghanistan mit „Gebeten und Kerzen“ Frieden schaffen zu wollen wie vor 20 Jahren die DDR-Opposition. Naiv ist nicht Käßmann, sondern Robbe, der immer noch nicht verstanden, dass man diesen Krieg nicht gewinnen kann. Wer Soldaten in diesen Krieg schickt, um „unsere Sicherheit am Hindukusch zu verteidigen“ (Ex-Verteidigungsminister Struck, SPD), sollte nicht vorgeben, dass es darum geht den AfghanInnen Demokratie und Freiheit zu bringen, sondern klar sagen, dass dieser Krieg in erster Linie aus geostrategischen Gründen erfolgt. „Wir kämpfen in Afghanistan gegen einen nationalen, antiwestlichen Aufstand. Afghanistan ist geostrategisch interessant, weil man dort Russland, Indien, Pakistan und China kontrollieren kann. Auch rohstoffpolitisch ist das ein fabelhafter Standort. Schließlich wollen die Amerikaner eine Ergaspipeline durch Afghanistan bauen.“ (J. Todenhöfer, CDU,  Spiegel, 29.06.09)
Ab 2010 (dem Agendajahr der SPD) steht Robbe seiner Partei wieder zur Verfügung. Wir können jetzt schon prognostizieren, dass er sich auf die Seite der Betonköpfe und Schröderianer stellen wird, denn „Agenda 2010 musste sein“ und wenn die schwarz-gelbe Regierung die Schrödersche „Reform“politik auf dem Rücken der Arbeiterinnen und Arbeiter, der Angestellten, der RentnerInnen  und der sozial Schwachen weiterführt, wird Reinhold Robbe applaudieren und sagen können: „Richtig so. Was Ihr da durchzieht,  habe ich 2004 schon vorgeschlagen.“
Die SPD sollte, will sie sich doch auch programmatisch erneuern, Robbe  ausbremsen, bevor er weiteren politischen Flurschaden in Ostfriesland anrichtet.

(TK)

Quelle: www.dielinke-leer.de

5. Februar 2010 Posted by | Bundeswehr, CDU/FDP, Die LINKE, News, Politik, SPD | , , , | Hinterlasse einen Kommentar

Niedersachsen: »Das ist vor allem ein Angriff auf die Lehrer«

In Niedersachsen sollen 120000 Landesbeamte zwei Jahre länger arbeiten. Ein Gespräch mit Manfred Sohn

Interview: Gitta Düperthal
Manfred Sohn ist einer der beiden Frak­tionsvorsitzenden der Partei Die Linke im niedersächsischen Landtag

Die Fraktion der Linken im Landtag in Niedersachsen kritisiert den Vorstoß von Ministerpräsident Christian Wulff (CDU), das Pensionsalter niedersächsischer Beamter auf 67 Jahre anheben zu wollen. Welche Argumente setzen Sie dagegen?

Im Kern ist das eine Kürzung –was auch jeder weiß. Hier in Niedersachsen soll sie 120000 Landesbeamte betreffen. Es handelt sich um einen Bruch mit bisherigen Positionen. Im Jahr 2007 hatte der damalige Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble (CDU) eine Debatte über die Pension mit 67 ausgelöst, die 2008 zur entsprechenden Gesetzgebung führte. Damals sagte ein Sprecher des niedersächsischen Innenministeriums, das wolle man nicht, weil die Landesbeamten bereits durch den Wegfall von Urlaubs- und Weihnachtsgeld jährliche Einbußen von insgesamt 450 Millionen Euro hinnehmen hätten müssen – woran sich bis heute nichts geändert hat.

Das ist vor allem ein Angriff auf die Lehrer, die etwa 60 Prozent der niedersächsischen Beamten ausmachen – betroffen sind aber auch Polizei- und Finanzbeamte sowie Feuerwehrleute. Gegen die Lehrer plant die Landesregierung sogar einen Doppelschlag: Sie will außerdem Stellen streichen, die dann durch Mehrarbeit ausgeglichen werden müssen. Dabei zeigen die von der Landesregierung – aufgrund einer Anfrage von uns! – genannten Zahlen, daß Lehrer durchschnittlich mit 61 Jahren in Pension gehen, weil sie einen besonders anstrengenden Beruf haben. Folge der Erhöhung des Rentenalters wird sozialer Abstieg sein – rein rechnerisch ist das eine Rentenkürzung von 7,2 Prozent.

Unter welchem besonderen Streß stehen Lehrer denn?

Zu große Klassen, das Turbo-Abitur zwingt, mehr Stoff in kürzerer Zeit zu bewältigen, und es gibt die zunehmende Perspektivlosigkeit von Jugendlichen in Haupt- und Realschulen. Eine Studie der Universität Lüneburg hat festgestellt, daß es sich um eine psychisch hoch belastete Berufsgruppe handelt. Wer es sich finanziell leisten kann, versucht, früh in Pension zu gehen.

Wie kommt das an, wenn ausgerechnet der wegen eines Luxusfluges in den Weihnachtsurlaub in die Kritik geratene niedersächsische Ministerpräsident sich auf Kosten anderer als Sparbrötchen profilieren will?

Da könnte man sagen: Wer Luxusklasse fliegt, kann sich in die Belastungssituation von Arbeitnehmern nicht mehr hineinversetzen. Man bräuchte aber nur Zahlen sprechen zu lassen. Nur jeder zehnte schafft es, bis zum 65. Lebensjahr berufstätig zu sein. Die Erhöhung des Rentenalters ist ein Schlag ins Gesicht all derer, die weniger angenehme Arbeitsbedingungen als ein Ministerpräsident und weniger Streicheleinheiten von der Wirtschaft zu erwarten haben.

Was halten Sie vom konservativen Argument, es gebe Berufe, in denen ältere Menschen gern länger im Berufsleben verweilten?

Da werden Einzelfälle zitiert. In diesem Fall sollte man zur Kenntnis nehmen, daß Aufrufe der Landesregierung an die Lehrkräfte, ihren Beruf länger auszuüben, bislang verpufft sind.

James Vaupel, geschäftsführender Direktor des Max-Planck-Instituts für demographische Forschung in Rostock, will das Rentenalter ganz abschaffen…

Gewerkschaften haben erkämpft, daß Arbeitnehmer nach langem Erwerbsleben ihre Arbeitskraft nicht weiter zu Markte tragen zu müssen. Von allen Ecken wird jetzt dieses Prinzip angegriffen.

Rechte Experten behaupten, das Rentensystem biete falsche Anreize: Menschen seien eher bereit zu arbeiten, wenn sie das Geld nötiger brauchen …

Diese Argumentation ist hart am Plädoyer für die allgemeine Einführung von Zwangsarbeit. Übersehen wird, daß die Rente ein Lohnbestandteil ist – ein ganzes Arbeitsleben lang einbezahlt! – und keine milde Gabe. Diesen Lohnbestandteil will die rechte Mischpoke vorenthalten.

Was kann man dagegen unternehmen?

Wir hoffen auf einen Effekt wie vor eineinhalb Jahren. Damals haben 11000 Lehrer vor dem Landtag gegen Verschlechterungen an den Schulen demonstriert. DGB, GEW und auch konservative Gewerkschaften haben jetzt ihren Unmut geäußert.
Quelle: jungeWelt 28.01.2010

27. Januar 2010 Posted by | Bildungspolitik, CDU/FDP, Deutschland, Die LINKE, News, Niedersachsen, Politik | , , , | 1 Kommentar

Bock und Gärtner

Bock und Gärtner
19.01.2010
BERLIN
(Eigener Bericht) – Der deutsche Verkehrsminister Peter Ramsauer (CSU) gehört einer studentischen Burschenschaft mit Beziehungen ins Milieu der rechtsextremen NPD an. Dies bestätigen die jüngste Ausgabe der Verbandszeitschrift „Burschenschaftliche Blätter“ sowie neuere Entwicklungen im Dachverband Deutsche Burschenschaft (DB). Zu den Mitgliedern des Verbandes zählen neben Minister Ramsauer zwei Landtagsabgeordnete der NPD. In der gemeinsamen Verbandszeitschrift werden Debatten über angebliche historische Verdienste der NS-Verbrecher Heß und Hitler geführt. Verkehrsminister Ramsauer soll in den kommenden Wochen über Anliegen von NS-Opfern entscheiden, die von seinem Ministerium Restitution für Schäden bei den NS-Deportationen mit der „Deutschen Reichsbahn“ verlangen. Neben dem Regierungsmitglied Ramsauer ist auch der innenpolitische Sprecher der CDU/CSU-Fraktion im Deutschen Bundestag, Hans-Peter Uhl, Mitglied einer Burschenschaft mit NPD-Beziehungen. Zu Uhls Aufgaben gehört die Beobachtung der extremen Rechten.
Im Spektrum des Kabinetts Merkel besetzt Ramsauer weit rechts stehende Positionen. Sein politischer Ziehvater ist Otto Wiesheu (CSU), bis vor kurzem Vorstandsmitglied bei der Deutschen Bahn AG und dort für „politische Beziehungen“ verantwortlich gewesen. Als Aufsicht führender Minister über die DB AG setzt Ramsauer das Wirken von Wiesheu jetzt fort.
NPD-offen

Verkehrsminister Ramsauer wacht nicht nur über die DB AG, sondern ist auch Rechtsnachfolger der „Deutschen Reichsbahn“, die in der NS-Zeit mehr als drei Millionen Menschen in den Tod fuhr. Als juristischer „Reichsbahn“-Erbe soll Ramsauer über das Verlangen ehemaliger NS-Deportierter entscheiden, die die Gründung eines Hilfsfonds für bedürftige Opfer der deutschen Bahndeportationen verlangen.[1] Ramsauer verfügt über einen Etat in Höhe von 26,3 Milliarden Euro – den drittgrößten im Merkel-Kabinett. Bei den Opfer-Forderungen geht es um einen Betrag von mindestens 445 Millionen Euro. Ein Kompromiss mit Ramsauer, dessen Verbandsmitgliedschaft in einer NPD-offenen Organisation bei den internationalen Opferverbänden auf Missbilligung stoßen dürfte, scheint unwahrscheinlich.
Unbeständige Staaten
Bundesverkehrsminister Peter Ramsauer (CSU) gehört seit Jahrzehnten der Burschenschaft Franco-Bavaria München an, einer von rund 120 Burschenschaften aus Deutschland und Österreich, die in dem Dachverband Deutsche Burschenschaft (DB) zusammenschlossen sind. Die DB ist völkisch ausgerichtet; sie setzt sich laut ihren Verfassungsgrundsätzen „für die freie Entfaltung deutschen Volkstums in enger Verbundenheit aller Teile des deutschen Volkes“ ein – und zwar „unabhängig von staatlichen Grenzen“.[2] Im „Handbuch der Deutschen Burschenschaft“ heißt es dazu weiter: „Unter Deutschland verstehen wir den von Deutschen bewohnten Raum in Mitteleuropa einschließlich der Gebiete, aus denen Deutsche widerrechtlich vertrieben worden sind.“[3] Eine „Orientierung des Vaterlandsbegriffs am Staat“ sei „infolge der Kurzlebigkeit und Unbeständigkeit der Staaten häufiger Umdeutung ausgesetzt“ und deshalb nur von relativer Bedeutung. Was daraus folgt, erläutert das „Handbuch“ in völkerrechtlichen Ausführungen zum „Grenzbestätigungsvertrag“ zwischen Deutschland und Polen vom 14. November 1990. Demnach habe Polen in seinen Westterritorien (den „Oder-Neiße-Gebieten“) lediglich das Recht einer „geduldeten Nutzung“, „die möglicherweise eine Art von Gebietshoheit darstellt“, während zugleich „die territoriale Souveränität über die Ostgebiete weiterhin bei Deutschland“ verbleibe.[4]
„Bomben-Holocaust“

Den Bünden der Deutschen Burschenschaft, die in ihrem „Handbuch“ die Souveränität Polens offen in Frage stellt, gehören neben Verkehrsminister Peter Ramsauer sechs weitere Abgeordnete im Deutschen Reichstag an, darunter Patrick Kurth (FDP, Mitglied im Auswärtigen Ausschuss), Peter Roehlinger (FDP, Vorstandsmitglied der Friedrich-Naumann-Stiftung) sowie Hans-Peter Uhl (CSU, innenpolitischer Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion).[5] Zugleich gehören den DB-Burschenschaften seit Jahren NPD-Politiker an, darunter die sächsischen Landtagsabgeordneten Jürgen Gansel und Arne Schimmer.[6] Gansel wurde vor fünf Jahren bekannt, als er die alliierten Luftangriffe auf Dresden vom Februar 1945 „Bomben-Holocaust“ nannte. Die beiden Flügel der DB existieren seit Jahren, sie vermischen sich regelmäßig bei gemeinsamen Veranstaltungen. CSU-Innenpolitiker Uhl war mehrfach für die gesamte DB aktiv – als prominenter Redner bei Verbandsfeierlichkeiten und als Autor in der Verbandszeitschrift „Burschenschaftliche Blätter“.
Mit der NPD

In den „Burschenschaftlichen Blättern“ hat im vergangenen Sommer eine Grundsatzdebatte über die weitere Entwicklung der DB begonnen. In diesem Rahmen veröffentlicht die Verbandszeitschrift in ihrer jüngsten, kürzlich erschienenen Ausgabe ein Streitgespräch, bei der zwei konservative Burschenschafter mit einem NPD-Mann diskutieren. Es sei gelungen, nicht mehr „über“ die NPD, sondern „mit“ einem „Burschenschafter und NPD-Mitglied“ zu debattieren, urteilt das Blatt. „Wir betrachten diese (…) sachliche und direkte Form der Auseinandersetzung als den richtigen Weg, Befürchtungen und vielleicht auch Missverständnisse aufzuklären“, resümieren die beiden konservativen Diskutanten das Gespräch.[7]
„Hitlers Erfolge“

Darin ging es unter anderem um angebliche historische Verdienste der NS-Verbrecher Rudolf Heß und Adolf Hitler. Weil Heß‘ Schicksal „keinen, der noch einen Sinn für Geschichte hat“, „kaltlassen“ könne, finde er es „ganz natürlich, daß Rudolf Heß“, Hitlers Stellvertreter, „neben vielen Gegnern eben auch einige Bewunderer hat“, erklärt der NPD-Politiker Schimmer (Burschenschaft Dresdensia-Rugia zu Gießen) in dem Gespräch. Auch müsse man „die großen Erfolge“ berücksichtigen, die Hitler „in den ersten sieben Jahren seiner Herrschaft feierte“: „Das Ende der alliierten Rheinlandbesetzung“ und die „unter Hitler erfolgte Vereinigung“ Österreichs sowie der „Sudetengebiete“ „mit dem Deutschen Reich“. Die NPD-Forderung „nach einem differenzierten Blick auf das Dritte Reich“ sei ebenfalls „berechtigt“, urteilt Schimmer.[8] Die Burschenschaftlichen Blätter gehen laut ihrer Eigendarstellung den Mitgliedern der DB „im Rahmen ihrer Mitgliedschaft im Regelabonnement“ zu. Dass die DB-Burschenschafter Uhl und Ramsauer davon ausgenommen wären, ist nicht bekannt.
[1] s. dazu Hoheitliche Morde
[2] Kurzportrait der Deutschen Burschenschaft; http://www.burschenschaft.de
[3], [4] Handbuch der Deutschen Burschenschaft. Ausgabe 2005 zum 190. Jahrestag der Burschenschaft
[5] Dem Deutschen Bundestag gehören derzeit folgende Burschenschafter an: Patrick Kurth (FDP, Burschenschaft Germania Jena), Peter Roehlinger (FDP, Burschenschaft Arminia auf dem Burgkeller Jena), Michael Fuchs (CDU, Burschenschaft Germania Erlangen), Paul Lehrieder (CSU, Burschenschaft Adelphia Würzburg), Joachim Pfeiffer (CDU, Burschenschaft Alemannia Stuttgart), Hans-Peter Uhl (CSU, Burschenschaft Arminia-Rhenania München), Peter Ramsauer (CSU, Burschenschaft Franco-Bavaria München).
[6] Jürgen Gansel und Arne Schimmer gehören der Burschenschaft Dresdensia-Rugia zu Gießen an. Michael Hahn (Vorstandsmitglied des NPD-Landesverbandes Niedersachsen) ist Mitglied der Burschenschaft Rheinfranken Marburg. Rigolf Hennig (NPD-Stadtrat in Verden) gehört der Burschenschaft Rugia Greifswald an.
[7], [8] Fragen und Antworten zur NPD: Eine Diskussion mit Verbandsbruder Arne Schimmer (MdL); http://www.burschenschaftliche-blaetter.de 13.01.2010
Quelle:

19. Januar 2010 Posted by | Burschenschaften, CDU/FDP, Deutschland, Faschismus, News, NPD, Politik, Rechter Rand | , , , , | Hinterlasse einen Kommentar

Empörung über Koch

Der Vorstoß des hessischen Ministerpräsidenten und stellvertretenden CDU-Vorsitzenden Roland Koch für die Einführung einer »Arbeitspflicht« für Hartz-IV-Empfänger hat eine Welle der Empörung ausgelöst. Auch seine Parteifreundin, Bundesarbeitsministerin Ursula von der Leyen, ging auf Distanz. Die Probleme der Langzeiterwerbslosen »lösen wir nicht, indem wir sie beschimpfen, sondern gezielt helfen«, betonte die Politikerin am Sonntag in Berlin. Es gebe zwar einige »schwarze Schafe«, aber die große Mehrheit der Betroffenen wolle raus aus »Hartz IV«, könne aber nicht arbeiten, »weil sie keine Kinderbetreuung finden, keine Schulbildung haben oder keinen Beruf«. DGB-Chef Michael Sommer sagte der Welt am Sonntag, es sei »unanständig, mit diesem Vorstoß zu suggerieren, daß die Arbeitslosen arbeitsscheu wären«. Ähnlich äußerte sich SPD-Chef Sigmar Gabriel auf einer Klausurtagung der hessischen SPD in Friedewald: Koch habe ein »repressives Bild vom Menschen«. Er kritisierte ferner den Vorschlag des nordrhein-westfälischen Ministerpräsidenten Jürgen Rüttgers (CDU) zur Ausweitung der Zuverdienstmöglichkeiten von Hartz-IV-Empfängern. Offenbar wolle »Rüttgers den Staat zur dauerhaften Lohnsubvention von Armutslöhnen mißbrauchen«.

Der Sprecher des Erwerbslosenforums, Martin Behrsing, erklärte am Sonntag, Koch sei für »brutalstmögliche« Vorschläge und Hetze gegen bestimmte Gruppen bekannt. Er sei ein »höchst gefährlicher Brandstifter von sozialen Unruhen«.

In einem vorab veröffentlichten Interview mit der am heutigen Montag erscheinenden Wirtschaftswoche wird Koch mit den Worten zitiert: »In Deutschland gibt es Leistungen für jeden, notfalls lebenslang. Deshalb müssen wir Instrumente einsetzen, damit niemand das Leben von Hartz IV als angenehme Variante ansieht.« Man müsse daher »jedem Hartz-IV-Empfänger abverlangen, daß er als Gegenleistung für die staatliche Unterstützung einer Beschäftigung nachgeht, auch niederwertiger Arbeit«. Es könne kein »funktionierendes Arbeitslosenhilfe-System geben, das nicht auch ein Element von Abschreckung enthält«, so Koch weiter.

Derweil mahnte IG-Metall-Chef Berthold Huber in einem Interview mit der Nachrichtenagentur DAPD eine umfassende Reform der Hartz-Arbeitsmarktgesetze an. Dringend nötig sei eine verlängerte Bezugsdauer von Arbeitslosengeld I für diejenigen, die jahrzehntelang in die Sozialkasse einbezahlt und ohne eigenes Verschulden ihren Arbeitsplatz verloren hätten. Zugleich müsse das Schonvermögen erhöht werden, das Langzeitarbeitslose behalten dürfen, um etwa fürs Alter vorzusorgen. Dagegen sprach sich im Spiegel der Chef der Bundesagentur für Arbeit (BA), Frank-Jürgen Weise, aus. Die Grundsicherung sei eine staatliche Fürsorgeleistung, die auch Geringverdienende mit ihren Steuern finanzierten. Es sei kein »Ausweis besonderer Gerechtigkeit, wenn künftig die Friseurin den wohlhabenden Eigentümer mehrerer Immobilien mitfinanzieren würde«, so Weise.

Laut BA-Daten werden aber im Durchschnitt nur 0,2 Prozent der Anträge auf Grundsicherung wegen »zu hoher« Vermögenswerte abgelehnt. Der Hauptgeschäftsführer des Deutschen Paritätischen Wohlfahrtsverbandes, Ulrich Schneider, sprach daher in der Thüringer Allgemeinen (Montagausgabe) von einer »reinen Placebo-Diskussion, die von den eigentlichen Problemen bei Hartz IV ablenkt«. Nötig sei vielmehr eine »Totalreform«.

jW-Bericht www.jungewelt.de 18.01.2010

17. Januar 2010 Posted by | CDU/FDP, Deutschland, News, Politik, Sozialpolitik | , , | 1 Kommentar

Agenda 2010: Zunehmende Polarisierung


Hintergrund. Agenda 2010 – Im Jahr der Offenbarung

Von Christian Christen

Im kommenden März ist es sieben Jahre her, daß der damalige Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) in der Regierungserklärung »Agenda 2010 – zum Frieden und Mut zur Erneuerung« die sozial- und wirtschaftspolitischen Leitlinien seiner zweiten Amtszeit präsentierte. Profitierte die erste Bundesregierung von SPD und Bündnis 90/Die Grünen ab 1998 bis 2001 noch von der hohen Exportnachfrage und einem daraus resultierenden Wachstum der Ausrüstungsinvestitionen der produzierenden Wirtschaft, in deren Folge die ausgewiesene Zahl der Arbeitslosen stetig sank und die Steuereinnahmen wie Einnahmen der Sozialversicherungen stiegen, änderte sich 2002 die Situation grundlegend. Weitgehend konzeptionslos nahm »Rot-Grün« Ende 2001 den Konjunktureinbruch zur Kenntnis, und es wurde offenkundig, daß ein progressives wirtschafts- und sozialpolitisches Projekt dieser Koalition nie existierte. Statt dessen fabulierte man lange Zeit vom stetigen, inflationsfreien und stabilen Wachstum einer »New Economy«-Ära. Nach dem Platzen der Träume im Finanzcrash um die »Dot com«-Aktien stieg Anfang 2002 die Zahl der registrierten Arbeitslosen schnell auf über vier Millionen, und wie 1998 fehlten mehr als sieben Millionen Arbeitsplätze, um Vollbeschäftigung zu erreichen. Logischerweise sanken im Abschwung die Einnahmen von Bund, Ländern, Kommunen und der Sozialversicherung, während die Ausgaben und Defizite wuchsen.

Vor diesem Hintergrund mahnte der Kanzler im März 2003 den politischen Aufbruch an und lieferte mit der Agenda 2010 seine Blaupause. Wie seit den 70er Jahren jede Regierung setzte auch »Rot-Grün« zur Überwindung der sozioökonomischen Krise primär auf die Exportwirtschaft, und dazu sollten die Kosten der Arbeit sinken, um in Kombination mit der hohen deutschen Produktivität auf den internationalen Märkten absolute wie relative Wettbewerbserfolge zu erzielen. Diese Strategie basierte stets auf der Reduktion der sogenannten Lohnnebenkosten, da ein frontaler Eingriff in die Tarifautonomie und somit die Primärverteilung zwischen Profit und Lohn politisch unmöglich war. Mit der Regierungserklärung machte sich Schröder nun vollends die These zu eigen, daß das Wirtschaftswachstum zu gering sei, weil der Arbeitsmarkt überreguliert, das Sozialnetz ineffizient und die »Lohnnebenkosten« zu hoch seien. Allenthalben müßten »verkrustete« Strukturen aufgebrochen werden, um Wettbewerb und Wachstumskräfte zu stärken, um Innovationen zu fördern und zukünftige Generationen zu entlasten, um signifikant weniger Arbeitslose und »wetterfeste« Sozialsysteme zu bekommen.

Für die damalige Regierung markierte diese Positionsbestimmung eine doppelte Wende: Zum einen hatte sie die Bundestagswahlen wenige Monate zuvor mit einer anderen Programmatik gewonnen. Die fehlende Legitimation der Agenda-Politik an der Wahlurne erklärt, warum bis zu den vorgezogenen Neuwahlen 2005 alle Reformen im Jargon des Notstands präsentiert und sogar mit breiter Unterstützung der Opposition (Ausnahme PDS) durchgesetzt wurden. Zum anderen manifestierte sich über die Agenda 2010 ein radikaler Kurswechsel in zentralen Politikfeldern der SPD, ohne offen und dezidiert vorher über Sinn und Inhalt zu diskutieren. Von dieser »Top down«-Strategie mit der zugehörigen »Basta-Ideologie« und dem späteren Abnicken der Reformen über alle Parteigremien hinweg hat sich die SPD seither nicht erholt.

Vom Stückwerk zum Konzept

Zumindest bei der SPD sind die Effekte der Agenda 2010 bei den folgenden Wahlen und der Mitgliederentwicklung klar abzulesen. Viel schwieriger ist aber die Bewertung der sozial- und wirtschaftspolitischen Folgen der im Namen dieses Konzepts durchgesetzten Reformen. Im Bereich der sozialen Sicherung bilden dabei die Arbeitsmarktreformen den Kern, die in der Kommission »Moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt« unter dem damaligen Volkswagen-Vorstandsmitglied Peter Hartz (SPD) formuliert und öffentlich als Hartz I bis IV bekannt wurden. Die von der Bertelsmann Stiftung moderierte und beeinflußte Hartz-Kommission tagte von Februar bis August 2002, so daß Hartz I (u. a. Ausweitung der befristeten Arbeit und der Leiharbeit, Verschärfung der Zumutbarkeitsregeln, Ausbau der Personal-Serviceagenturen) und Hartz II (Ich-AG, Ausbau der Minijobs, Kombilohnmodelle für Ältere etc.) vor Schröders Regierungserklärung in Kraft getreten sind. Danach gab es Änderungen des Kündigungsschutzes, Hartz III (Umbau der Bundesanstalt der Arbeit und Veränderungen der Zuständigkeiten) und schließlich Hartz IV (Zusammenlegung von Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe zum Arbeitslosengeld II).

Ebenfalls vor März 2003 war über die Rentenreform 2001 die (Teil-)Privatisierung der Alterssicherung und darüber der Systembruch in der Rentenpolitik der Nachkriegszeit durchgesetzt worden. Eingestielt über die später eingesetzte »Rürup-Kommission« setzte »Rot-Grün« dann die Rentenerhöhung 2004 aus, erhöhte die Altersgrenze der Frühverrentung und führte ab 2005 den Nachhaltigkeitsfaktor bei der Rentenberechnung ein. In Ergänzung zur Politik von 2001 sollten diese Anreize für den späteren Übergang in die Rente erhöht werden, was in der großen Koalition über die »Rente mit 67« institutionell verankert wurde.

Dritter Ansatzpunkt der Agenda 2010 war die Entwicklung der Gesundheitskosten, was die anschließenden Gesundheitsreformen erklärt. Es wurden u.a. das Sterbegeld, die Zahlungen der gesetzlichen Kassen für Brillen und Fahrten zur ambulanten Behandlung gestrichen und der Leistungsabbau mit der Forderung nach mehr Eigenleistung über die Einführung der Praxisgebühr (zehn Euro pro Quartal), der Zahlung von Krankenhausgeld (zehn Euro pro Tag) kombiniert. Ebenso wurde die Zuzahlung für Zahnersatz abgeschafft und der Eigenanteil an den Kosten für Arznei- und Heilmittel erhöht.

Die Gemeindefinanzreform gilt als vierter Bereich der Agenda 2010, wozu die eingesetzte Gemeindefinanzreformkommission im Sommer 2003 ihre Vorschläge präsentierte. Nach dem Einspruch der unionsgeführten Länder im Bundesrat wurden die Gesetze so modifiziert, daß es keine strukturelle Verbesserung der Einnahmesituation der Länder und Kommunen geben konnte. Abgelehnt wurden bei der Gewerbesteuerreform alle Vorschläge zur Erweiterung des Kreises der Steuerpflichtigen und Erhöhung der Bemessungsgrundlage. Bei der Finanzierung von Hartz IV (vor allem bei den Kosten der Unterbringungen) stellten Bund und Länder den Kommunen keine signifikante Entlastung in Aussicht. Kontroversen zur Kostenübernahme und über die Zuständigkeit sind deshalb bis heute logische Konsequenz, ebenso blieben die Ursachen des strukturellen Defizits der kommunalen Haushalte bestehen.

Fünfter Bereich der Agenda 2010 sind die Steuerreformen, mit denen zum einen Maßnahmen der Gesetzgebung der SPD-Grünen-Regierung nach 1999 revidiert und »handwerkliche« Fehler ausgeglichen werden sollten. Zum anderen wurde die Entlastung hoher und höchster Einkommen sowie Vermögen und der Unternehmen fortgesetzt. Exemplarisch sank unter »Rot-Grün« der Spitzensteuersatz auf 42 Prozent, und nie gab es einen ernsthaften Versuch, eine revidierte Vermögenssteuer zu konzipieren. Entgegen aller Logik wurden die Zinseinkünfte als eigenständige Einkommensart definiert und mit nur 25 Prozent besteuert.

Erwähnenswert ist auch das naive Vorhaben, Steuerhinterziehung durch die Kapitalflucht nachträglich zu legalisieren, um weitere Kapitalflucht zu verhindern: Wer bis Ende 2004 die aus seinem Fluchtkapital resultierenden Zinseinkünfte nach eigenem Ermessen deklariert und mit 25 Prozent versteuert, konnte ein Verfahren zur Steuerhinterziehung vermeiden. Finanziert wurden die Steuergeschenke primär durch Kürzungen an andere Stelle des Haushaltes und vor allem die Kürzung der Pendlerpauschale und Eigenheimzulage.

Neben diesen fünf Reformprojekten lassen sich die etwa 38 gesetzlichen Maßnahmen zur Liberalisierung und Deregulierung des nationalen Finanzmarktes der Logik der Agenda 2010 zuordnen. Euphorisiert von der Preisinflation an den Geld- und Kapitalmärkten seit Ende der 90er Jahre wollten SPD und Grüne unbedingt den »Finanzplatz Deutschland« fördern, was neben der »Riester- und Rürup-Rente« über das vierte Finanzmarktförderungsgesetz 2002 erfolgte. In Kontinuität der Politik unter Helmut Kohl (CDU) wurden darüber hinaus zahlreiche Regulierungen gelockert, die Konstruktion von und der Handel mit »Finanzinnovationen« erleichtert und die Aufsichtsstrukturen nicht adäquat aus- und aufgebaut. 2003 wurden konkret die Verbriefung von Krediten und der Handel mit diesen strukturierten Wertpapieren steuerlich begünstigt. Die Möglichkeiten für Hedgefonds wurden 2004 verbessert, unter der großen Koalition dann erneut 2005 Produktinnovationen und neue Vertriebswege gefördert und sogar noch 2008 die Private-Equity-Fonds begünstigt. Trotz der jüngsten Finanzkrise sind alle diese Reformen bis zum heutigen Tag in Kraft.

Konzeption aus dem Nichts?

Unzweifelhaft war Gerhard Schröder zu keiner Zeit in der Lage, die Ziele und Instrumente der Agenda 2010 zu formulieren, was aber auch nie von ihm gefordert wurde. Denn die Eckpunkte der Wirtschafts-, Sozial- und Finanzpolitik werden seit Jahrzehnten im engen institutionellen Geflecht zwischen Politik, Wissenschaft, Unternehmen, Lobbygruppen sowie Einzelpersonen und den nachgeschalteten Massenmedien be- und verhandelt. Potentielle »Vetospieler« aus den Reihen der Gewerkschaft und der Wohlfahrtsverbände, der sozialen Bewegung und/oder Wissenschaft werden bei Bedarf bis zu einem gewissen Grad eingebunden. Weitergehende Analysen werden ausgeblendet und/oder stigmatisiert, folglich konzentriert sich der Streit um die »Reformen« stets nur auf die Geschwindigkeit, Tiefe und Instrumente, nie geht es um deren Sinn und Zweck. In dieser Hinsicht ist die Agenda 2010 eben keine Erfindung genialer Parteistrategen oder intellektueller Schwergewichte um die »rot-grüne« Regierung. Sie ist ein Surrogat von Positionen der seit den 70er Jahren geführten Standortdebatten, angereichert mit Versatzstücken der neoliberalen Sozialstaatskritik. Die Eckpunkte der Agenda-Politik mit der entsprechenden Rhetorik finden sich bereits 1998 im Buch des SPD-Wahlkampfstrategen und späteren Kanzleramtsministers Bodo Hombach »Aufbruch – Die Politik der neuen Mitte«. Von Hombach eingespielt wird der zweite Aufguß der Thesen im Schröder-Blair-Papier 1999 verbreitet. Die Rede vom »aktivierenden Sozialstaat« und vom »Fordern und Fördern« gepaart mit einer unreflektierten Idealisierung von Innovationen, Wettbewerb, Marktmechanismen und der Leistungsträger tauchen in allen Debatten zur »Neuen Mitte« sowie zum »Dritten Weg« auf und bestimmten Ende der 90er Jahre die Posi­tionsfindung fast aller sozialdemokratischen bzw. sozialistischen Parteien in Europa.

Komplementär wurden in der gleichen Phase identische Reformvorschläge für den Bereich der sozialen Sicherung und zur Förderung von mehr Wettbewerb und der »Wirtschaft« in den europäischen Institutionen gebündelt. Kulminationspunkt am Höhepunkt der »New Economy«-Euphorie war die sogenannte Lissabon-Strategie der EU-Kommission, Europa bis 2010 zum wettbewerbsfähigsten, innovativsten Wirtschaftsraum der Welt zu machen. Um im globalen Konkurrenzkampf zu bestehen, sollten alle strukturellen Hindernisse auf dem Binnenmarkt abgebaut und über das Abkommen von Lissabon (zunächst als Verfassung, dann als einfaches Vertragswerk) mehr Wettbewerb auf allen Ebenen implementiert werden. Ergänzend zu den Maastricht-Kriterien und der autonomen Geldpolitik der Europäischen Zentralbank wurde ein dritter Rahmen konstruiert, der die nationale Wirtschafts-, Sozial- und Fiskalpolitik auf bestimmte Ziele verpflichtete. Folglich mußten die Regierungen zugehörige Reformagenden – wie in Deutschland die Agenda 2010 – formulieren und implementieren.

Probleme bleiben ungelöst

Die Kontroverse um die Effekte der Agenda 2010 rückte nach der Abwahl von SPD und Grünen im Jahr 2005 und mit Beginn der schwersten Finanz-/Wirtschaftskrise seit den 30er Jahren in den Hintergrund. In Folge der daraus resultierenden massiv steigenden öffentlichen Verschuldung in den kommenden Jahren und der 2011 greifenden »Schuldenbremse« wird aber der Ruf nach radikalen wirtschafts-, finanz- und sozialpolitischen Reformen lauter werden. Entsprechend wird die in der Politik und den Medien vertretene These revitalisiert, die Agenda 2010 wäre notwendig und sogar erfolgreich gewesen. Dieser Zuspruch hängt in der Regel am Grad der parlamentarischen Beteiligung und ideologischen Begleitung der skizzierten Reformprojekte.

Zugleich folgt die Wertung dem ökonomischen Grundverständnis der Interpreten: Gilt die Verbesserung der Bedingungen für die »Wirtschaft« bzw. Unternehmen, die Reduktion der Kosten der Arbeit und der Staatsquote als entscheidend, um die Beschäftigungskrise der Industriegesellschaft zu lösen und die wachsende Ungleichheit zu minimieren, läßt sich die Agenda 2010 im Detail scharf kritisieren, zugleich jedoch deren Grundrichtung verteidigen. Schließlich hängt die Positionierung daran, wer von welchen Maßnahmen wie profitiert, wer die Lasten trägt und zu welcher Gruppe man selbst gehört. Die Bewertung der Folgen der Agenda 2010 fällt subjektiv unterschiedlich aus. Sie ist auch objektiv im Detail nicht einfach, da sich bestimmte Entwicklungen nicht immer einzelnen Reformen klar zuordnen lassen. Jede überdeterminierte Betrachtung übersieht zudem, daß die Reformen in der Sozialgesetzgebung von »Rot-Grün« vor und nach 2003 ganz in der Tradition des seit den 70er Jahren bekannten Um-/Abbaus des Sozialstaates stehen.

Trotz dieser Einschränkungen bleibt es ein Märchen, den konjunkturellen Aufschwung ab 2004 auf die Agenda 2010 zurückzuführen. Verantwortlich waren erneut der Anstieg der Exporte und Ausrüstungsinvestitionen, was das Problem der Ungleichgewichte der Leistungs- und Zahlungsbilanzen verschärfte und als zentrale Ursache der Finanz-/Wirtschaftskrise ab 2007 zu werten ist. De facto zeigen sich neuerlich die massiven Probleme der seit vier Jahrzehnten bestimmenden Strategie in Deutschland, aufbauend auf bestimmten Schlüsselbranchen (Chemie, Maschinenbau, Automobilindustrie) ständig als Exportweltmeister glänzen zu wollen. Im Hinblick auf die skizzierten Arbeitsmarktreformen konstatierte dagegen die Bundesregierung schon 2005 im Bericht »Die Wirksamkeit moderner Dienstleistungen am Arbeitsmarkt« das komplette Versagen von Hartz I bis III. Allein für Hartz IV fällt die offizielle Interpretation bis heute positiv aus. Allerdings konnte die großspurig behauptete Halbierung der Arbeitslosigkeit im Zyklus 2004–2007 nie erreicht werden, noch wurden neue, gut entlohnte, sozialversicherungspflichtige Arbeitsplätze in signifikanter Größe geschaffen.

Dagegen hat sich der Anteil der Zeitarbeit von 1994 bis 2006 vervierfacht und umfaßte Mitte 2007 bereits 730000 Personen. Zum selben Zeitpunkt waren 14,6 Prozent aller Arbeitsverträge in Deutschland zeitlich befristet. Gestiegen sind noch die Teilzeitarbeitsplätze über die Kombilohnmodelle und Aufstockungsmöglichkeiten von Arbeitslosengeld-II-Beziehern, was ab 2005 der flächendeckenden Subvention für Löhne bis 800 Euro gleichkommt. Bis Ende 2007 waren rund 4,9 Millionen Personen in diesen Minijobs beschäftigt, und so wurde der Niedriglohnsektor (umfaßt heute rund 22 Prozent aller Beschäftigten) in Deutschland in wenigen Jahren annähernd so groß wie in den USA.

Der Rückgang der offiziell ausgewiesenen Arbeitslosigkeit seit Ende 2003 erklärt sich also erstens aus dem Anstieg der prekären Beschäftigungsverhältnisse. Zweitens entstanden im Konjunkturaufschwung wie immer auch neue Arbeitsplätze, drittens gab es Modifikationen in der Arbeitslosenstatistik. Es wird also ein Zusammenhang zwischen der Agenda 2010 und dem Rückgang der Arbeitslosigkeit nach 2004 suggeriert, für den es keine belastbaren Zahlen gibt. Die offizielle Zahl aller Leistungsbezieher von ALG I, ALG II und von Personen in den geförderten Maßnahmen der Bundesagentur für Arbeit blieb über den Zyklus hinweg relativ konstant bei rund sieben Millionen. Die Reformen am Arbeitsmarkt veränderten jedoch direkt das gesamte Lohngefüge so stark, daß die Reallöhne im mäßigen Konjunkturaufschwung stagnierten und sogar sanken – eine einmalige Situation in der deutschen Nachkriegsgeschichte. Die binnenwirtschaftlichen Impulse für Wachstum und Beschäftigung fallen schon seit Jahren in Deutschland viel zu gering aus, stets muß deshalb die ausländische Nachfrage für eine Konjunkturbelebung herhalten. Im Ergebnis werden die Probleme auf dem deutschen Arbeitsmarkt an das Ausland delegiert, die sich ihrerseits verschulden und/oder die gleiche Politik wie mit der Agenda 2010 einführen müssen.

Auch ist in den letzten sieben Jahren die soziale Polarisierung über die Steuerreformen, Gemeinde­finanzreformen, die Reformen im Gesundheitsbereich sowie der Alterssicherung nicht minimiert worden, im Gegenteil. Die generelle Entwicklung läßt sich in drei Armuts- und Reichtumsberichte der Bundesregierung sogar selbst ablesen und ist prinzipiell sehr gut dokumentiert. Ebenso wird in unzähligen Dokumenten der OECD bescheinigt, daß Deutschland schon 2003 am unteren Ende der Skala der effektiven Besteuerung hoher und höchster Einkommen und Vermögen sowie Profite und bei den Abgaben rangiert. In dieser Hinsicht haben die skizzierten Reformen lediglich nur die strukturellen Einnahmeausfälle der öffentlichen Haushalte vergrößert, was dann angeführt wird, um die Ausgaben zurückzufahren und die Haushalte zu konsolidieren.

Seit Jahren wird gleichfalls von der OECD darauf hingewiesen, daß in keinem Industrieland die Korrelation zwischen dem Grad der Bildung/Ausbildung und der sozialen Herkunft so eng ist wie in Deutschland. Schließlich wird mittlerweile offiziell zur Kenntnis genommen, daß durch alle bisherigen Rentenreformen das Risiko der Altersarmut selbst für weite Teile der Mittelschicht stark gestiegen ist. Schließlich hat sich trotz aller Gesundheitsreformen an der Fehlallokation, der Unterversorgung und den vermachteten Strukturen nichts geändert. Das Preiskartell der Pharmaindustrie ist ungebrochen und die ineffiziente Doppelstruktur von gesetzlichen und privaten Kassen intakt. Die Eigenleistungen der Versicherten haben, wie deren Beiträge für die Altersvorsorge, deren Realeinkommen reduziert, und trotz wachsender Zuflüsse in den Gesundheitssektor hat sich eine Zweiklassenmedizin und die Rationierung medizinischer Leistungen etabliert.

Agenda 2020?

Seit Schröders Agenda-Rede im März 2003 sind die Grundprobleme – Massenarbeitslosigkeit, soziale Polarisierung und ökonomische Wachstumsschwäche – ungelöst. Mit den skizzierten Reformen konnten die Probleme ohnehin nie gelöst werden, jedoch wurden institutionelle und sozialrechtliche Fakten geschaffen und Weichen gestellt. Nach der großen Koalition setzt nun die CDU/CSU-FDP-Regierung problemlos dort an, und je nachdem, wie sich die Situation in diesem Jahr entwickelt, läßt sich der neoliberale Umbau nach kurzer Unterbrechung durch die jüngste Finanz-/Wirtschaftskrise weiter forcieren. Brachiale Veränderungen bei der sozialen Sicherung sind unnötig, im besten Fall für »Schwarz-Gelb« reicht das Warten und die Fortsetzung der bisherigen Politik. Beispielsweise spricht angesichts der bereits vollzogenen Abwicklung jeder sinnvollen Arbeitsmarktpolitik und dem Umbau der Bundesagentur für Arbeit nur noch wenig gegen die weitgehende Privatisierung der Arbeitsvermittlung. Konsequent in der Logik der Agenda 2010 gedacht sind auch alle Forderungen zur einkommensunabhängigen Gesundheitsprämie (Kopfpauschale), zur kapitalgedeckten Komponente in der Pflegeversicherung und nach weiterer Privatisierung der Alterssicherung.

Selbstredend lassen sich diese Positionen angesichts der noch nicht absehbaren Folgen der jüngsten Finanz-/Wirtschaftskrise und der konkreten Entwicklungen der kommenden Jahre noch nicht deutlich artikulieren. Da aber die soziale Sicherung für große Teile der Bevölkerung bereits auf das Niveau einer Grundsicherung reduziert worden ist und die Langzeitfolgen der Ausweitung des Niedriglohnsektors, der Polarisierung der Einkommen und Rentenreformen die Gesellschaft bisher nicht in voller Wucht erfaßt haben, wird sich der Widerstand gegen den weiteren Sozialabbau ohnehin in Grenzen halten.

In dieser Hinsicht war die Agenda 2010 ein Erfolg: Sie hat nicht nur dazu beigetragen, die ökonomischen Grundlagen der sozialen Sicherung für Wachstum und Entwicklung sowie eine progressive Nutzung des Reichtums zu unterminieren, sondern die Legitimation des demokratischen Sozialstaats stark beschädigt.

Darüber hinaus fehlt es auch sieben Jahre nach der Regierungserklärung zur Agenda 2010 im linken politischen Lager an der Formulierung einer stringenten, alternativen Struktur- und Industriepolitik und der dazugehörigen Beschäftigungs-, Steuer-, Sozial- und Finanzpolitik. Schließlich fehlt es bei aller punktuellen Kritik und vereinzelten Widerständen in der Breite auch (noch) an den Personen in- und außerhalb der Parlamente, die eine solchermaßen progressive und zugleich radikale Reformagenda gegen massive Anfeindungen seitens des Staatsapparates, weiten Teilen des Kapitals und einigen Medien überzeugt formulieren und vor allem auch verteidigen würden.

Christian Christen ist Mitglied der Memorandum-Gruppe und des wissenschaftlichen Beirats von ATTAC-Deutschland

Quelle: jungewelt 06.01.2010  www.jungewelt.de

6. Januar 2010 Posted by | CDU/FDP, Deutschland, Grüne, Grüne/Bündnis 90, News, Politik, Sozialpolitik, SPD | , , , , , , | Hinterlasse einen Kommentar

Eine kritische Bilanz zu Hartz IV

Eine kritische Bilanz von Hartz IV fünf Jahre nach Inkrafttreten des Gesetzes am 1.1.2005


Die sog. Hartz-Gesetze, vor allem das am 1. Januar 2005 in Kraft getretene vierte als ihr unrühmlicher Höhepunkt, sind Kernbestandteil eines Projekts zur Restrukturierung der Gesellschaft, das die ganze Architektur und die innere Konstruktionslogik des bisherigen Sozialstaates in Frage stellt. Es ging dabei nicht bloß um Leistungskürzungen in einem Schlüsselbereich des sozialen Sicherungssystems, vielmehr um einen Paradigmawechsel, anders formuliert: um eine gesellschaftliche Richtungsentscheidung, die das Gesicht der Bundesrepublik seither prägt. Die rot-grüne, durch eine Mehrheit der damaligen Oppositionsparteien CDU/CSU und FDP im Bundesrat und die Kompromissbereitschaft der Regierungsparteien radikalisierte Arbeitsmarktreform hat unser Land so tiefgreifend verändert, dass es kaum übertrieben erscheint, von der „Hartz-IV-Republik“ oder der „Hartz-IV-Gesellschaft“ zu sprechen. Von Christoph Butterwegge

Mit dem Vierten Gesetz für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt waren einschneidende Änderungen im Arbeits- und Sozialrecht verbunden. Hartz IV markierte nicht bloß eine historische Zäsur für die Entwicklung von Armut bzw. Unterversorgung in Ost- und Westdeutschland, sondern es steht als Symbol für die Transformation des Sozialstaates, für seine Umwandlung in einen Minimalstaat, der Langzeitarbeitslose gemäß dem Motto „Fördern und fordern!“ zu „aktivieren“ vorgibt, sich aber aus der Verantwortung für ihr Schicksal weitgehend verabschiedet.

Bundeskanzler Schröder erklärte am 14. März 2003 in seiner berühmt-berüchtigten Rede zur Agenda 2010, man müsse die Zuständigkeiten und Leistungen für Erwerbslose in einer Hand vereinigen, um die Chancen derjenigen zu erhöhen, die nicht nur arbeiten könnten, sondern auch wirklich wollten: „Das ist der Grund, warum wir die Arbeitslosen- und Sozialhilfe zusammenlegen werden, und zwar einheitlich auf einer Höhe – auch das gilt es auszusprechen –, die in der Regel dem Niveau der Sozialhilfe entsprechen wird.“ Was wegen des Zwittercharakters der Arbeitslosenhilfe (Alhi) – sie war durch Beitragszahlungen begründet und von der früheren Höhe des Arbeitsentgelts ihres Beziehers abhängig, jedoch steuerfinanziert und bedürftigkeitsgeprüft – hätte sinnvoll sein können, um eine Politik der „Verschiebebahnhöfe“ zwischen beiden Hilfesystemen zu beseitigen, führte allerdings nicht zu einer Grundsicherung auf höherem Niveau, sondern einer Schlechterstellung von sehr vielen Menschen sowie einer gleichfalls problematischen Aufspaltung der Sozialhilfeempfänger/innen in erwerbsfähige, die Arbeitslosengeld (Alg) II beziehen, und nichterwerbsfähige, die Sozialgeld bzw. -hilfe erhalten. Daraus wiederum erwuchsen neue Gefahren einer Stigmatisierung nach dem Grad der Nützlichkeit bzw. nach der ökonomischen Verwertbarkeit dieser Personen.

Einerseits zeitigte das Gesetzespaket negative Verteilungseffekte im untersten Einkommensbereich, andererseits wandelten sich durch Hartz IV auch die Struktur des Wohlfahrtsstaates (Abschied vom Prinzip der Lebensstandardsicherung), die politische Kultur und das soziale Klima der Bundesrepublik. Mit dem, was gewerkschaftliche Arbeitsloseninitiativen als „Verfolgungsbetreuung“ charakterisieren, wurde der Kontrolldruck auf (potenzielle) Leistungsbezieher/innen spürbar erhöht sowie eine Verletzung der Privat- und Intimsphäre durch „Sozialdetektive“ vorprogrammiert. Hartz IV hat also sehr viel mehr bewirkt, als gesetzlich zu verankern, dass Millionen frühere und potenzielle Alhi-Empfänger/innen seither weniger Geld erhalten.

Ausweitung des Niedriglohnsektors

Durch die Umsetzung des im Vermittlungsausschuss von Bundestag und -rat noch weiter radikalisierten Konzepts der sog. Hartz-Kommission (Ausweitung nicht nur „haushaltsnaher“ Mini-Jobs sowie der Leih- bzw. Zeitarbeit) hat der Niedriglohnsektor enorm an Bedeutung gewonnen. Den armen Erwerbslosen, die das Fehlen von oder die unzureichende Höhe der Entgeltersatzleistungen auf das Existenzminimum zurückwirft, treten massenhaft erwerbstätige Arme zur Seite. Längst reichen selbst viele Vollzeitarbeitsverhältnisse (besonders in Ostdeutschland) nicht mehr aus, um „eine Familie zu ernähren“, sodass man einen oder mehrere Nebenjobs übernimmt und nach Feierabend bzw. an Wochenenden (schwarz) weitergearbeitet wird.

Hartz IV sollte nicht bloß durch Abschaffung der Arbeitslosenhilfe und Abschiebung der Langzeitarbeitslosen in die Wohlfahrt den Staatshaushalt entlasten, sondern auch durch Einschüchterung der Betroffenen mehr „Beschäftigungsanreize“ im Niedriglohnbereich schaffen. Man zwingt sie mit Hilfe von Leistungskürzungen, schärferen Zumutbarkeitsklauseln und Maßnahmen zur Überprüfung der „Arbeitsbereitschaft“ (vor allem sog. 1-Euro-Jobs), fast jede Stelle anzunehmen und ihre Arbeitskraft zu Dumpingpreisen zu verkaufen. Dies hat gravierende Auswirkungen auf die (noch) Beschäftigten und die Angst in den Belegschaften vermehrt. Dass heute selbst das Essen von Frikadellen und die Einlösung von Pfandbons im Wert von 1,30 Euro als Kündigungsgründe herhalten müssen, zeigt zusammen mit der Bespitzelung von Betriebsrät(inn)en in großen Konzernen, wie sich das Arbeitswelt verändert hat.

Da trotz des irreführenden Namens „Grundsicherung für Arbeitsuchende“ auch immer mehr (voll) Erwerbstätige das Alg II als sog. Aufstocker, d.h. im Sinne eines „Kombilohns“ in Anspruch nahmen bzw. nehmen mussten, um leben zu können, etablierte Hartz IV ein Anreizystem zur Senkung des Lohnniveaus durch die Kapitalseite. Ein staatlich subventionierter Niedriglohnsektor vermehrt die Armut, statt auch nur ansatzweise zur Lösung dieses Kardinalproblems beizutragen. Mittlerweile hat die Bundesrepublik unter den entwickelten Industriestaaten den breitesten Niedriglohnkorridor nach den USA. Trotz des im Wesentlichen konjunkturell bedingten Rückgangs der offiziell registrierten Arbeitslosigkeit leiden heute in der Bundesrepublik wahrscheinlich mehr Menschen unter prekären Arbeits- und Lebensbedingungen als vor dem 1. Januar 2005.

Kinderarmut in Ost- und Westdeutschland

Da die Zumutbarkeitsregelungen mit Hartz IV erneut verschärft und die Mobilitätsanforderungen gegenüber (Langzeit-)Arbeitslosen noch einmal erhöht wurden, haben sich die Möglichkeiten für Familien, ein geregeltes, nicht durch permanenten Zeitdruck, Stress und/oder räumliche Trennung von Eltern und Kindern beeinträchtigtes Leben zu führen, weiter verschlechtert. Auf dem Höhepunkt des zurückliegenden Konjunkturaufschwungs, im März 2007, lebten nach Angaben der Bundesagentur für Arbeit fast 1,929 Mio. Kinder unter 15 Jahren (von knapp 11,5 Mio. dieser Altersgruppe insgesamt) in SGB-II-Bedarfsgemeinschaften, die landläufig „Hartz-IV-Haushalte“ genannt werden. Rechnet man die übrigen Betroffenen – Kinder in Sozialhilfehaushalten, in Flüchtlingsfamilien, die nach dem Asylbewerberleistungsgesetz ein Drittel weniger als die Sozialhilfe erhalten, und von sog. Illegalen, die gar keine Transferleistungen beantragen können – hinzu und berücksichtigt außerdem die sog. Dunkelziffer – d.h. die Zahl jener eigentlich Anspruchsberechtigter, die aus Unwissenheit, Scham oder anderen Gründen keinen Antrag auf Sozialhilfe bzw. Arbeitslosengeld II stellen – , leben etwa 2,8 Millionen Kinder, d.h. mindestens jedes fünfte Kind dieses Alters, auf oder unter dem Sozialhilfeniveau.

Verschärft wird das Problem durch erhebliche regionale Disparitäten (Ost-West- und Nord-Süd-Gefälle). So lebten in Görlitz 44,1 Prozent aller Kinder unter 15 Jahren in Hartz-IV-Haushalten, während es im ausgesprochen wohlhabenden bayerischen Landkreis Starnberg nur 3,9 Prozent waren. Wie die traurige Rekordhöhe der Kinderarmut, welche auf dem Höhepunkt nach dem Inkrafttreten der größten Arbeitsmarktreform am 1. Januar 2005 beweist, gehören Heranwachsende zu den Hauptverlierer(inne)n von Hartz IV.

Hartz IV trug durch das Abdrängen der Langzeitarbeitslosen samt ihren Familienangehörigen in den Fürsorgebereich dazu bei, dass Kinderarmut „normal“ wurde, was sie schwerer skandalisierbar macht. Auf das Leben der Kinder, die zur „unteren Schicht“ gehören, wirkte sich das Gesetzespaket wegen der katastrophalen Lage des Arbeitsmarktes in den östlichen Bundesländern besonders verheerend aus. Die finanzielle Lage von Familien mit Alhi-Empfänger(inne)n verschlechterte sich durch den Übergang zum Alg II, was erhebliche materielle Einschränkungen für betroffene Kinder einschloss. Betroffen sind auch diejenigen Kinder, deren Väter aufgrund ihres gegenüber der Arbeitslosenhilfe niedrigeren Arbeitslosengeldes II keinen oder weniger Unterhalt zahlen (können), denn die Unterhaltsvorschusskassen bei den Jugendämtern treten nur maximal 6 Jahre lang und auch nur bis zum 12. Lebensjahr des Kindes ein.

Nicht nur die materielle Situation, sondern auch die Position von Frauen und (alleinerziehenden) Müttern auf dem Arbeitsmarkt hat sich verschlechtert. Die sog. Mini- und Midi-Jobs übernehmen größtenteils Frauen. „Haushaltsnahe Dienstleistungen“, die sie erbringen sollen, heißt im Wesentlichen, dass ihnen Besserverdienende, denen dafür nach einem vorübergehenden Wegfall des sog. Dienstmädchenprivilegs nun auch wieder Steuervergünstigungen eingeräumt werden, geringe (Zu-)Verdienstmöglichkeiten als Reinigungskraft oder Haushälterin bieten. Ist die „Mini-Jobberin“ mit einem sozialversicherungspflichtig Beschäftigten verheiratet, braucht sie wegen der kostenfreien Familienmitversicherung keine Krankenkassenbeiträge zu entrichten. Um die vollen Leistungen der Rentenversicherung in Anspruch nehmen zu können, muss eine (Putz-)Frau jedoch ergänzende Beiträge zahlen. Selbst dann lässt sich Altersarmut kaum vermeiden. Gleichzeitig vergrößert sich der Abstand zwischen den Altersrenten von Männern und Frauen weiter zu Lasten der Letzteren.

Eine soziale Grundsicherung, wie sie das Arbeitslosengeld II laut Gesetzestext sein möchte, muss vor Armut schützen, damit sie diesen Namen verdient. Das kann man in Anbetracht der äußerst niedrigen Regelleistungen beim Alg II allerdings nicht behaupten. Mehr qualifizierte Arbeitsplätze mit ausreichend hohen Löhnen bzw. Gehältern, ein dichtes Netz öffentlicher (Ganztags-) Kinderbetreuungseinrichtungen und Gemeinschaftsschulen bilden den Schlüssel zur Bekämpfung der Kinderarmut.

Prof. Dr. Christoph Butterwegge lehrt Politikwissenschaft an der Universität zu Köln. Zuletzt ist sein Buch „Armut in einem reichen Land. Wie das Problem verharmlost und verdrängt wird“ (Campus Verlag, Frankfurt am Main/New York 2009) erschienen.

Quelle: www.nachdenkseiten.de

05.01.2010

6. Januar 2010 Posted by | CDU/FDP, Deutschland, Grüne/Bündnis 90, News, Politik, Sozialpolitik, SPD | , , , , , | Hinterlasse einen Kommentar

Guttenberg als Maulwurfsjäger

Von Jochen Hoff | Duckhome

Er kann einem wirklich leid tun der Karl-Theodor Maria Nikolaus Johann Jacob Philipp Franz Joseph Sylvester Freiherr von und zu Guttenberg. Er startete hervorragend gestützt durch Atlantiker und CIA als Überflieger in die deutsche Politik. Ein Superstart. Klar an Angela Merkel vorbei, praktisch in die obersten Reihen politischer Beliebtheit.

Natürlich wurde er von den Systemmedien hochgeschrieben. Die wussten dass sie ihn zu stützen hatten, wenn sie weiter Werbung wollten. Egal welchen Quatsch auch immer er redete, er wurde als Wirtschaftsminister der nichts tat, in den höchsten Tönen gelobt. Aber dann kam Mutti. Angela Merkel die wirklich einsame Spitze im aussortieren von Konkurrenten ist, widmete ihm ein Lächeln und verpasste ihm den Posten des Kriegsministers als Schleudersitz.

Deutscher Kriegsminister zu sein, ist nie ein dankbarer Posten gewesen und etliche von diesen Vögeln haben sich daran ihren politischen Hals gebrochen oder mussten doch zumindest zurücktreten. Und das in einem Land in dem Politiker nicht zurücktreten sondern umgebettet werden. Guttenberg hatte keine Wahl, er musste Kriegsminister werden und hielt sich dank seiner klaren Befehlswege aus den USA auch für gut gerüstet.

Was Guttenberg nicht ahnte, war die Tatsache, dass sein Parteifreund – Parteifreund ist die stärkste Steigerung von Feind, die die deutsche Sprache kennt – ihm bereits ein veritablen Skandal hinterlassen hatte. Auch seine amerikanischen Brüder haben ihn nicht gewarnt. Wahrscheinlich waren die Befehls- und Informationsketten noch nicht auf Guttenberg umgestellt.

Das Kriegsverbrechen des Oberst Klein an den Zivilisten rund um die beiden Tanklaster in der Nähe von Kundus hat Guttenberg völlig falsch bewertet. Das könnte ihm im Normalfall niemand vorwerfen, wenn er nicht in den ersten Amtstagen mal eben schnell und laut dieses Kriegsverbrechen als angemessen bezeichnet hätte. Das war sein kapitaler Fehler. Denn anders als sein Dummschwatz bei Wirtschaftsdingen, reagiert hier die Bevölkerung allergisch und auch die Soldaten die in Afghanistan aber auch die in Verwaltungsposten in der Heimat sitzen, wollen derartige Verbrechen nicht.

Natürlich konnten Merkel, Steinmeier, Thomas de Maizière und Jung das Verbrechen bis zur Bundestagswahl im wesentlichen unter der Decke halten, aber überall in besser informierten Kreisen außerhalb der Systemmedien war der Gestank schon zu riechen. Guttenberg roch ihn nicht. Ein typischer Blender eben.

Als die Soldaten merkten, dass die Geschichte unter den Teppich gekehrt wurden, informierten sie nicht nur wie üblich Blogger und andere Eingeweihte, sondern drehten an den großen Knöpfen. Es wurde an Informationen geleakt, was eben möglich war. Damit kam der wesentliche Teil der Geschichte hoch. Merkel, Steinmeier, Thomas de Maizière und Jung hatten schon im Frühsommer die Devise ausgegeben, dass die Bundeswehr von einer Schutzmacht in eine Angriffsarmee umgebaut werden sollte.

Dafür fehlte zwar das Material und die Bewaffnung aber egal. Man wollte nicht mehr ängstlich in den Lagern sitzen sondern kräftig mitmorden. Diesen Befehl hat Oberst Klein umgesetzt und dabei bewusst die amerikanischen Verbündeten getäuscht und gegen alle Regeln des Krieges in Afghanistan verstoßen.

Das ist peinlich und Jung musste zurücktreten, was kein Verlust ist. Dummerweise hatte Guttenberg aber da seine Klappe schon aufgerissen und das Kriegsverbrechen als angemessen bezeichnet. Als er merkte, dass dies unhaltbar war, opferte er einen Staatssekretär und den Generalinspekteur der Bundeswehr Wolfgang Schneiderhan, die angeblich nicht richtig über das informiert hatten, was schon seit Wochen in vielen Blogs und ausländischen Publikationen zu lesen war.

Mit diesem Bauernopfer waren aber weder die Soldaten noch die Generalität der Bundeswehr zufrieden und auch die politische Opposition empfand das Ganze als das Ablenkungsmanöver, das es auch war. Hätte er sich einfach entschuldigt, die Sache wäre längst vergessen. Man darf nämlich auch als Minister Fehler machen, wenn man die Größe hat, zu diesen Fehlern zu stehen.

Aber ein Freiherr von und zu Guttenberg macht keine Fehler und ist in schönster neoliberaler Tradition schon so sehr Elite, dass er nicht einmal mehr über Verantwortung nachdenken muss. Er ist nie verantwortlich. Um dem Untersuchungsausschuß und seiner drohenden Totalblamage dort, wenigsten etwas entgegensetzen zu können, sucht er nun nach dem Maulwurf der seine Unfähigkeit und die wahren Geschehnisse verraten hat.

Er möchte eine Verräter vorstellen und den Zorn des Volkes auf diesen leiten um von sich selbst abzulenken. Das hat Nixon schon in Watergate versucht und ist damit kläglich gescheitert. Überhaupt sind Maulwurfsjäger ein eher lächerliches Volk.

Video: Maulwurffallen stellen für Anfänger – MyVideo

Aber es ist schon beachtlich wie der Freiherr in so kurzer Zeit seine ganze Herrlichkeit eingebüßt hat und selbst die Medien die ihn einst im neoliberalen und us-amerikanischen Auftrag hochgejubelt haben, kommen heute nicht mehr umhin festzustellen, dass der Kaiser nicht nur keine Kleider, sondern dazu noch eine jämmerliche Figur hat und ihm die Moral scheinbar völlig fehlt.

Er versucht mit tollen Kapriolen wieder Boden unter die Füße zu bekommen. So will er plötzlich gar keine Demokratie mehr in Afghanistan und möchte gemäßigte Taliban an der Regierung beteiligen. Dabei sagt er nicht, was gemäßigte Taliban sind und er sagt auch nicht laut, dass er im Grunde genommen die alten Stammesgesellschaften so wie immer weitermachen lassen will. Das ist im Prinzip sogar vernünftig, aber kaum durchführbar, weil Obama dann seine Niederlage eingestehen müsste und damit politisch erledigt wäre.

Guttenberg steht auf Treibsand und Mutti lächelt. Angela Merkel bestimmt jetzt den Zeitpunkt zu dem sie Guttenburg stürzt. Er ist ein Minister und Politiker auf Zeit. Selbst nach Bayern kann er sich nicht mehr retten. Dort sitzt ein breit grinsender Söder und weiß schon jetzt wie der nächste bayrische Ministerpräsident heißt, nachdem Seehofer endlich seine Sachen gepackt hat.

Guttenberg ist für längere Zeit erledigt, oder er führt ein Dasein als Merkels Schoßhündchen. Beides kommt aber auf das Gleiche heraus.

Quelle: Duckhome

27. Dezember 2009 Posted by | Afghanistan, Antimilitarismus, Bundeswehr, CDU/FDP, Deutschland, Krieg, News, Politik, SPD | , , , , | Hinterlasse einen Kommentar

Afghanistan: Eskalation à la Irak

Eskalation à la Irak
15.12.2009

BERLIN/KABUL
(Eigener Bericht) – Vor der Konstituierung des Kunduz-Untersuchungsausschusses am morgigen Mittwoch mehren sich Hinweise auf eine unmittelbare Einbeziehung des Kanzleramts in den Vorlauf vor dem Bombardement am 4. September. Laut Berichten war die Regierungszentrale in die Entscheidung involviert, künftig auch Liquidierungsaktionen zu unternehmen. Weil Agenten der deutschen Auslandsspionage (BND) in die Vorarbeit für Attacken einbezogen gewesen seien, seien auch die Geheimdienstkoordinatoren in Berlin informiert worden. Dies war der Arbeitsbereich des heutigen Innenministers Thomas de Maizière. Experten berichten, gezielte Tötungen ähnlich dem Luftschlag vom 4. September seien ein wesentlicher Bestandteil der Kriegführung im Irak von 2006 bis 2008 gewesen. Diese Kriegsphase gilt als Vorbild für das aktuelle Vorgehen in Afghanistan. Damals war von außergerichtlichen Hinrichtungen die Rede. Juristen mahnen, den Krieg in Afghanistan nun endlich auch rechtsverbindlich als „Krieg“ zu deklarieren; andernfalls müssten Liquidierungsaktionen wie etwa das Bombardement von Kunduz als Verbrechen abgeurteilt werden, womöglich als Mord.
„Aufständische vernichten“
Dass es sich bei dem Bombardement der beiden Tank-Lkws in der Nacht vom 3. zum 4. September bei Kunduz um eine gezielte Liquidierungsaktion gehandelt hat, kann mittlerweile nicht mehr ernsthaft bestritten werden. Schon bald hatte sich Berlin mit der Behauptung in Widersprüche verstrickt, Oberst Klein habe nur die Nutzung der Lkws als „rollende Bomben“ durch die Aufständischen verhindern wollen. Frühzeitig wurde bekannt, dass Klein den US-Bomberpiloten gegen ihren Wunsch Tiefflüge zur Warnung von Zivilisten untersagte – ein Schritt, der nur dann nachvollziehbar ist, wenn außer den festsitzenden Lkws auch die anwesenden Menschen getroffen werden sollten. Mittlerweile zitieren Medien aus einem Schreiben Kleins, in dem er berichtet: „Am 4. September um 01.51 Uhr entschloss ich mich, zwei am Abend des 3. September entführte Tanklastwagen sowie an den Fahrzeugen befindliche INS (Insurgents, d.Red.) durch den Einsatz von Luftstreitkräften zu vernichten.“[1] Dem entsprechen Meldungen, laut denen die „Task Force 47“ an der Vorbereitung des Bombardements beteiligt war. Die „Task Force 47“ befasst sich mit der Jagd auf Aufständische.[2]
Regierungsstrategie
Laut einem Bericht der Leipziger Volkszeitung folgte Oberst Klein mit seiner Liquidierungsaktion einer von Berlin beschlossenen Eskalationsstrategie. Im Frühjahr wurden die Einsatzregeln für die Bundeswehr geändert – mit dem Ziel, die Anwendung tödlicher Gewalt weniger als zuvor zu limitieren. Im Sommer ließ der damalige Verteidigungsminister Franz Josef Jung „überprüfen“, ob die deutschen Soldaten ihre Waffen „offensiver“ als zuvor einsetzen dürften.[3] Wenige Wochen später berichtete Jung, die Bundeswehr stehe nun „auch in konkreten Kampfsituationen“; der damalige Generalinspekteur, Wolfgang Schneiderhan, sagte: „Es ist jetzt an der Zeit, diese Eskalation vorzunehmen.“[4] Wie die Leipziger Volkszeitung berichtet, war die damalige Eskalation nicht nur vom Kanzleramt gebilligt worden, sie umfasste auch die „gezielte Ausschaltung der Führungsstruktur der Taliban“ – nach dem Vorbild der US-Terrorbekämpfung.[5]
Einbezogen
Oberst Klein habe „sich nach diesen Regierungsvorgaben regelrecht ermutigt“ fühlen dürfen, „einmal kräftig durchzugreifen“, heißt es laut Leipziger Volkszeitung im Einsatzführungskommando der Bundeswehr in Potsdam.[6] Dass sich Klein dazu auch tatsächlich „ermutigt gefühlt“ habe, berichten Soldaten seiner Einheit, der in Leipzig stationierten 13. Panzergrenadierdivision. Darüber hinaus schreibt die Zeitung, in die Entscheidungen, die zu dem Bombardement der Tank-Lkws bei Kunduz führten, seien Kontaktpersonen des Kommando Spezialkräfte (KSK) – offenbar aus der „Task Force 47“ -, aber auch Agenten der deutschen Auslandsspionage (Bundesnachrichtendienst, BND) involviert gewesen. „Vor und nach dem Luftangriff“ habe man auch „das Kanzleramt“, „die Spitze des Verteidigungsministeriums“ und Geheimdienstkoordinatoren der Regierung einbezogen. Ob das auch für den damaligen Geheimdienstkoordinator Klaus-Dieter Fritsche galt, der heute als Staatssekretär im Bundesinnenministerium amtiert, oder sogar für Thomas de Maizière, der als Kanzleramtsminister die oberste Aufsicht über die Dienste innehatte und mittlerweile Innenminister ist, ist nicht bekannt.
Das Vorbild
Experten weisen darauf hin, dass es den Streitkräften der Vereinigten Staaten und Großbritanniens im Irak gelang, mit einer Strategie der Truppenaufstockung bei gleichzeitigen gezielten Schlägen gegen die Aufständischen eine Zeitlang gewisse Erfolge in der Aufstandsbekämpfung zu erzielen. Dazu gehörten auch gezielte Liquidierungen. Die US-Streitkräfte bildeten zu diesem Zweck spezielle „Task Forces“, in denen geheimdienstliches Personal mit diversen Spezialisten und mit Sondereinheiten kooperierte; auch Drohnen kamen zum Einsatz.[7] An diversen Unternehmungen war der britische Special Air Service (SAS) beteiligt. Es sei gelungen, rund 3.500 Aufständische binnen nur 18 Monaten „von der Straße zu holen“, berichteten britische Militärs im Jahr 2008 – allerdings seien dabei Hunderte ums Leben gekommen.[8] Der SAS hatte damals mit ernsthaften Beschuldigungen zu kämpfen, er führe de facto extralegale Hinrichtungen durch. Die damalige Kriegführung im Irak gilt als Vorbild für die aktuelle westliche Aufstandsbekämpfung in Afghanistan.
„Im Krieg legitim“
Deutsche Juristen mahnen nun, angesichts von Liquidierungsaktionen wie nahe Kunduz müsse der Krieg in Afghanistan nun endlich auch rechtsverbindlich zum Krieg erklärt werden. „Offensive, gezielte Tötungen sind in einem Krieg legitim“, behauptet etwa der einstige Bundesverteidigungsminister Rupert Scholz: „Darum muss jetzt klargestellt werden, ob wir uns in Afghanistan in einem Krieg befinden“.[9] Ähnliche Schlüsse ziehen mehrere prominente Völkerrechtler. Sollte Berlin sich weiterhin weigern, den Zustand in Afghanistan als das zu benennen, was er ist, müsste bei gezielten Liquidierungen die Staatsanwaltschaft einschreiten. Einmal war dies bereits der Fall, auch wenn keine Konsequenzen folgten. Grundsätzlich ist selbst die Einstufung derartiger Liquidierungsaktionen vor Gericht als Mord nicht auszuschließen, zumal dann, wenn Zivilisten zu Tode kommen. Dass in Berlin deswegen zwar Völkerrechtler bemüht werden, dass jedoch die umstrittene Eskalationsstrategie keineswegs eingestellt wird, lässt deutlich erkennen, was Afghanistan in den kommenden Monaten bevorsteht.
[1] Zweifel an Gründen für Entlassung Schneiderhans; Spiegel Online 12.12.2009
[2] Geschichte einer tödlichen Nacht in Afghanistan; Welt Online 13.12.2009
[3] Mehr Befugnisse für Soldaten; Süddeutsche Zeitung 29.06.2009
[4] Geplante Eskalation vor den Präsidentschaftswahlen; Welt Online 23.07.2009
[5], [6] Neue Hinweise auf regierungsintern genehmigte Tötungsaktion im Fall Kundus; Leipziger Volkszeitung 12.12.2009
[7] U.S. Teams Weaken Insurgency In Iraq; The Washington Post 05.09.2008
[8] SAS kills hundreds of terrorists in ’secret war‘ against al-Qaeda in Iraq; The Sunday Telegraph 30.08.2008
[9] Kundus: Gezieltes Töten erlaubt? Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung 13.12.2009
Quelle:  http://www.german-foreign-policy.com/de/fulltext/57697

15. Dezember 2009 Posted by | Afghanistan, AFPAK, Bundeswehr, CDU/FDP, Deutschland, International, Krieg, NATO, News, Politik | , , , , , | Hinterlasse einen Kommentar

Lambsdorff: Er war ein Neoliberaler, der wusste, was er wollte – Was wir von Otto Graf Lambsdorff lernen können

Geschrieben von Hans-Gerd Öfinger

09 December 2009

Zum Tode des früheren FDP-Vorsitzenden und Bundeswirtschaftsministers Otto Graf Lambsdorff sind viele Medien voll des Lobes über einen maßgeblichen Protagonisten des Neoliberalismus in der Bundesrepublik. Dabei war der Graf, der in diesen Tagen in vielen Todesanzeigen gewürdigt wird, zeit seines Lebens vor allem eines: ein treuer Sohn und Diener seiner Klasse.

Vor seiner Polit-Laufbahn wirkte er als Generalbevollmächtigter der Düsseldorfer Privatbank Trinkaus und Mitglied des Vorstandes der Victoria-Rückversicherung AG. Die von ihm verkörperte Nähe von wirtschaftlichen und politischen Kommandozentralen kam in der Flick-Affäre zum Vorschein, als in den 1980er Jahren bekannt wurde, dass das FDP-geführte Bundeswirtschaftsministerium dem Flick-Konzern in den 1970er Jahren eine Steuerbefreiung in Höhe von knapp einer Milliarde DM erteilte. Die strafrechtlichen Ermittlungen beendeten seine Ministerlaufbahn. 1987 musste Graf Lambsdorff wegen Steuerhinterziehung 180.000 DM Geldstrafe zahlen. Davon unbeirrt war der Graf von 1988 bis 1993 FDP-Bundesvorsitzender und seit 1993 Ehrenvorsitzender der FDP. Von 1988 bis Juli 2008 wirkte er als Aufsichtsratsvorsitzender der Iveco Magirus AG.

Geschichte gemacht hat Graf Lambsdorff vor allem mit seinem „Konzept für eine Politik zur Überwindung der Wachstumsschwäche und zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit“, das als „Lambsdorff-Papier“ Anfang September 1982 abrupt das Ende von 13 Jahren „sozialliberaler“ Koalition einleitete und den Weg bereitete für das konstruktive Mißtrauensvotum vom 1. Oktober 1982. Damals wählten CDU/CSU und FDP den SPD-Kanzler Schmidt ab und setzten Helmut Kohl an seine Stelle.

Das „Lambsdorff-Papier“ liest sich wie ein Drehbuch für alle seitherigen Bundesregierungen. Es listet im Detail eine Palette von Maßnahmen des sozialen Kahlschlags auf, die seither schrittweise verwirklicht wurden: Verringerung des Arbeitslosengelds und Begrenzung der Bezugsdauer auf 12 Monate, schärfere Zumutbarkeitsregelungen für Sozialhilfeempfänger, Streichung des Schüler-BAFöG und Umstellung des BAFöG für Studierende auf Voll-Darlehen, Anhebung der Mehrwertsteuer, mehr Eigenbeteiligung und Selbstvorsorge in der Sozialversicherung, stärkere Beteiligung der Rentner an der Krankenversicherung, Anhebung der Altersgrenze, erleichterte Abschiebung arbeitsloser Ausländer, Privatisierung öffentlicher Aufgaben und Unternehmen, Lockerung des Kündigungsschutzes, keine „Verschärfung“ der Mitbestimmung, um nur einige zu nennen.

Um diese Ziele abzuarbeiten und schrittweise zu verwirklichen, musste Graf Lamsbdorff nicht unbedingt selbst in der Regierung sitzen. Dafür fanden sich andere wie Kohl und der langjährige Arbeitsminister Norbert Blüm (CDU), die beide 16 Jahre lang – von 1982 bis 1998 – am Kabinettstisch saßen. Davon will Blüm, der heute als „soziales Gewissen“ durch die Lande und Talkshows tingelt, nichts mehr wissen.

1982 verstand die SPD-Führung das Lambsdorff-Papier als „Provokation“, hielt seine Kernpunkte für „unzumutbar“ und erklärte das Ende der SPD-FDP-Koalition. Jahrelang wetterten SPD- und Gewerkschaftsführer gegen den „vorbestraften Marktgrafen“ und seine „soziale Kälte“. 16 Jahre später jedoch hatten sich die Zeiten geändert. Nun fanden sich einflussreiche sozialdemokratische Emporkömmlinge wie Schröder, Müntefering, Hartz, Riester, Clement, die bereitwillig und konsequent die noch unzureichend umgesetzten Punkte des Lambsdorff-Papiers in Angriff nahmen. Ihnen kamen dabei viele gemäßigte Sozialdemokraten an der Spitze der Gewerkschaften zur Hilfe, die die neoliberale Agenda mit ihren angeblichen „Sachzwängen“ inzwischen geschluckt hatten und statt Mobilisierung und Gegenmacht auf Co-Management, Kamingespräche im Kanzleramt und Schmusekurs setzten.

In der Opposition konnten die FDP und ihr Ehrenvorsitzender Graf Lambsdorff seelenruhig mit ansehen, wie sich die SPD erneut mit sozialer Demontage die Finger beschmutzte. Die Aussöhnung mit der SPD-Führung wurde endgültig besiegelt, als Lambsdorff 1999 im Auftrag von Kanzler Gerhard Schröder die Verhandlungen über die Entschädigungen für ehemalige NS-Zwangsarbeiter führte.

Die von Graf Lambsdorff und anderen Vordenkern des Neoliberalismus versprochene Beseitigung der Massenerwerbslosigkeit durch starkes Wirtschaftswachstum ist ausgeblieben – damals wie heute. Statt Bekämpfung der Arbeitslosigkeit erleben wir eine Bekämpfung der Arbeitslosen und eine stetige Verschlechterung der Arbeits- und Lebensbedingungen. Die von dem Grafen verteidigte Wirtschaftsordnung steckt in ihrer schwersten Krise seit 80 Jahren und muss noch zu unseren Lebzeiten überwunden werden, und zwar „über den konventionellen Rahmen der bisher als durchsetzbar angesehenen Politik hinaus“.

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8. Dezember 2009 Posted by | CDU/FDP, Deutschland, News, Politik | , , | Hinterlasse einen Kommentar

K wie konservativ und Koch: Familienministerin Kristina Köhlers hessischer Weg zur Macht

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Geschrieben von Hans-Gerd Öfinger
03 December 2009
Als der langjährige Koch-Vertraute Franz-Josef Jung am Freitag seinen Hut nehmen musste, war klar, dass im Zuge der Regierungsumbildung das neue Gesicht aus Hessen stammen musste. Weil Hessens Regierungs- chef Roland Koch als Nr. 2 der Bundes-CDU gilt und nicht selbst in die Regierung Merkel eintreten wollte, konnte der Kabinettsneuling nur jemand aus seinem Landesverband sein, der den Hausherr in der hessischen Staatskanzlei künftig auf dem Laufenden hält und als sein Ohr und seine Stimme wirkt. So kam die ehrgeizige Wiesbadener Bundestagsabgeordnete Kristina Köhler zum Amt einer Familienministerin.

Wie Koch und Jung bahnte sich auch die 1977 als Tochter eines Juristen und einer Immobilienmaklerin in Wiesbaden geborene Soziologin Köhler als Teenager über den Nachwuchsverband Junge Union früh den Weg nach oben. Schon in frühen Jahren erklamm sie die klassischen Sprossen der Karriereleiter und lernte, wie man Seilschaften bildet. Dass ihr stramm konservatives und neoliberales Credo den Aufstieg in der Koch-CDU und im örtlichen Kreisverband förderte, kann nicht verwundern. 2002 trat sie erstmals in Wiesbaden für den Bundestag an und wurde über die Landesliste gewählt. Im September 2009 nahm sie der langjährigen Bundesentwicklungsministerin Heidemarie Wiecorek-Zeul (SPD) das Wiesbadener Direktmandat ab, nicht zuletzt auch dank einer massiven Erststimmenkampagne. Weil die Liberalen mit dem früheren FDP-Bundesvorsitzenden Wolfgang Gerhardt ein politisches „Schwergewicht“ ins Rennen schickten, konnte sich die auf der Landesliste schlecht abgesicherte Köhler am 27. September nur durch das Direktmandat im Wahlkreis 179 die Rückfahrkarte nach Berlin sichern. Im Wahlkampf gab sie sich ganz im Sinne der Kanzlerin geschmeidig und stromlinienförmig, mied in öffentlichen Auftritten ihr früheres rechtes Reiz- und Kampfvokabular und unterließ Sprüche von der „Zunahme deutschenfeindlicher Gewalt“ durch Ausländer und von einem drohenden „europäischen Kalifat“.

Von den Alltagssorgen einer Wiesbadener Durchschnittsfamilie hat die kinderlose ledige Familienministerin, die sich nach eigenen Angaben für die Zukunft zwei Kinder wünscht, ebenso viel bzw. ebenso wenig Ahnung wie von den Nöten arbeitender oder arbeitsloser Menschen in ihrem Wahlkreis. Im Wahlkampf 2002 heuchelte sie „Sorgen“ um die Überparteilichkeit und Unabhängigkeit der Gewerkschaften und protestierte mit einer Handvoll Jungunionisten vor dem Wiesbadener DGB-Haus laustark gegen die Nähe des DGB zu Rot-Grün. Im Wahlkampf 2009 blieb sie der örtlichen DGB-Podiumsdiskussion trotz ausdrücklicher Einladung fern. Dafür sprach sich Köhler bei der Kandidatenrunde des Lokalblatts Wiesbadener Kurier strikt dagegen aus, die Zahl der Ein-Euro-Jobs in der CDU-geführten „Optionskommune“ Wiesbaden generell „zurückzuführen“. Ein-Euro-Jobs seien ein wirksames Mittel gegen Schwarzarbeit, erklärte Köhler und unterstellte damit Erwerbslosen offensichtlich massenhafte Schwarzarbeit.

Auf eine Publikumsfrage nach dem missbräuchlichen Einsatz von Ein-Euro-Jobs vor Ort antwortete Köhler, Hartz IV-Empfänger könnten künftig auch als Ein-Euro-Jobber den Fahrgästen „im Bahnhof zeigen, welche Züge man nehmen kann“. Viele Betroffene seien darüber „froh“, wenn sie dies machen dürften.

Derartige Äußerungen in Sachen „Weiterentwicklung“ der Hartz-Gesetze zeugen auch von großer Unkenntnis der Arbeitsabläufe bei der Eisenbahn. Denn im Alltag der Beschäftigten rund um die DB-„Service Points“ kommt es längst nicht nur auf die computergestützte Fahrplanauskunft mit dem Computer an. Service-Mitarbeiter sind „All-Rounder“ und in aller Regel erfahrene, geschulte Kräfte, die in Krisensituationen, bei Verspätungen und Störungen aller Art ihre Qualität unter Beweis stellen.

Doch solche Sachverhalte sind für Köhler ein Buch mit sieben Siegeln. Damit ist sie im Bundeskabinett in guter Gesellschaft. Als Ministerin wird sie auch nicht einmal mehr auf die Freifahrt 1. Klasse mit der Bahn angewiesen sein.

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3. Dezember 2009 Posted by | CDU/FDP, Deutschland, News, Politik | , , | Hinterlasse einen Kommentar